BT-Drucksache 17/7047

Entzug von Leistungen nach dem Bundesversorgungsgesetz für Kriegsverbrecher (Nachfrage zur Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage auf Bundestagsdrucksache 17/6270)

Vom 20. September 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/7047
17. Wahlperiode 20. 09. 2011

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Petra Pau, Jens Petermann, Raju Sharma,
Frank Tempel und der Fraktion DIE LINKE.

Entzug von Leistungen nach dem Bundesversorgungsgesetz
für Kriegsverbrecher
(Nachfrage zur Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage
auf Bundestagsdrucksache 17/6270)

Empfänger von Leistungen nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) sollten
ab 1998 daraufhin überprüft werden, ob sie an Kriegsverbrechen beteiligt
waren, um ihnen die Leistungen entziehen zu können.

Die Bundesländer haben diese Überprüfung nicht, wie vom Bundesgesetzgeber
gefordert, durchgeführt. Die Bundesregierung hatte von der Weigerung der
Länder Kenntnis, hat aber nicht eingegriffen. Auch den Deutschen Bundestag
hat sie erst im Rahmen der Beantwortung auf einer entsprechenden Kleinen
Anfrage der Fraktion DIE LINKE. informiert.

Das BVG sieht Leistungen für aufgrund des Dienstes in der Wehrmacht bzw.
der Kriegsgefangenschaft erlittene Gesundheitsschäden vor. § 1a des BVG
regelte 1998, dass bei Verstößen „gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit
oder der Menschlichkeit“ die Leistungen versagt werden können. Zu diesem
Zweck sollten nicht nur Neuanträge überprüft werden, sondern auch eine Ge-
samtüberprüfung aller Leistungsempfänger erfolgen. Die Bundesregierung be-
stätigte diese Rechtsauffassung in ihrem ersten und einzigen Durchführungsbe-
richt (Bundestagsdrucksache 14/473): „Damit sind grundsätzlich alle Neuan-
träge und darüber hinaus auch alle Bestandsfälle einer Überprüfung zu unter-
ziehen.“

Die für die Umsetzung des BVG zuständigen Länder haben zwar die Neuan-
träge offenbar vollständig und zuverlässig überprüft, aus dem Gesamtbestand
von knapp 940 000 Bestandsfällen haben sie jedoch nur die als besonders ver-
dächtig geltenden freiwilligen SS-Mitglieder überprüft. Eine Gesamtüberprü-
fung wäre „aus Sicht der Länder wegen des dafür erforderlichen personellen
und technischen Aufwands nicht vertretbar gewesen“, heißt es in der Antwort
der Bundesregierung.

Aus Sicht der Fragesteller hätte die Bundesregierung dies dem Parlament um-

gehend mitteilen müssen und nicht erst auf Nachfrage. Zudem wäre zu prüfen
gewesen, ob man den Ländern die erforderliche personelle und technische Un-
terstützung gewährt. Eine Beschränkung der Verdächtigen auf SS-Mitglieder ist
zudem vom Gesetz weder gewollt gewesen noch historisch berechtigt. Auch
die Wehrmacht hat gravierende Verbrechen begangen.

Drucksache 17/7047 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wann hat die Bundesregierung erstmals davon Kenntnis bekommen, dass
die Bundesländer keine Überprüfung sämtlicher Bestandsfälle vornehmen
wollen?

2. In welcher Form ist ihr dies mitgeteilt worden, und wie hat sie darauf
reagiert?

a) Welche Bundesländer haben zu welchem Zeitpunkt konkret mitgeteilt,
dass sie die Überprüfung nicht wie vom Deutschen Bundestag gefordert
durchführen werden?

b) Wie lauteten dabei die Begründungen (bitte möglichst die Wortlaute der
Schreiben beilegen)?

c) Hat die Bundesregierung den Bundesländern angeboten, ihnen personelle
und technische Unterstützung zu gewähren, um doch eine Gesamtüber-
prüfung vorzunehmen, und wenn nein, warum nicht?

3. Warum hat die Bundesregierung dem Deutschen Bundestag nicht sofort zur
Kenntnis gebracht, dass die Länder das BVG nicht wie beschlossen um-
setzen wollen?

4. Wie beurteilt die Bundesregierung das Verhalten der Länder aus rechtlicher
und politischer Sicht?

a) Stimmt sie mit den Fragestellern darin überein, dass die Zuständigkeit der
Länder für die Umsetzung des BVG sich auf die Modalitäten der Über-
prüfung und der Entscheidungsfindung beschränkt, nicht jedoch die
Möglichkeit eröffnet, auf eine Überprüfung des Gesamtbestandes kom-
plett zu verzichten, und wenn nein, warum nicht?

b) Welche rechtlichen Möglichkeiten hätten der Bundesregierung zur Ver-
fügung gestanden, die Bundesländer zur Umsetzung der Überprüfung zu
bewegen, und inwiefern hat sie erwogen, von diesen Gebrauch zu machen
(bitte begründen)?

c) Warum hat die Bundesregierung darauf verzichtet, die Bundesländer
durch politischen Druck zur Umsetzung der Überprüfung zu bewegen?

5. Ist der Bundesregierung bewusst, dass die Annahme, nur die SS habe Kriegs-
verbrechen begangen und die Wehrmacht sei „sauber“ geblieben, schon lange
als Mythos entlarvt ist, so dass eine Überprüfung aller wehrmachtsgedienten
Leistungsbezieher im Sinne von § 1a BVG sachlich geboten gewesen wäre,
und welche Initiativen hat sie unternommen, um die Länder hierzu anzuhal-
ten?

Wenn sie keine dahin zielenden Initiativen dazu entfaltet hat, warum nicht?

6. Wie beurteilt die Bundesregierung den personellen und technischen Auf-
wand, der heute erforderlich wäre, um eine Überprüfung des Gesamtbestan-
des durchzuführen (angesichts einer deutlichen Reduzierung des Bestandes
durch Todesfälle sowie einer fortgeschrittenen Digitalisierung der Akten)?

Inwiefern ist sie bereit zu entsprechenden Kontaktaufnahmen mit den Län-
dern, um zu erreichen, dass dem vom Deutschen Bundestag beschlossenen
Gesetz, wenn auch mit über zehn Jahren Verspätung, entsprochen wird?

Berlin, den 20. September 2011

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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