BT-Drucksache 17/6839

Umsetzung des deutsch-amerikanischen Abkommens zur Vertiefung der Zusammenarbeit bei der Verhinderung und Bekämpfung schwerwiegender Kriminalität

Vom 23. August 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/6839
17. Wahlperiode 23. 08. 2011

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Andrej Hunko, Sevim Dag˘delen, Ulla Jelpke, Niema Movassat,
Katrin Werner und der Fraktion DIE LINKE.

Umsetzung des deutsch-amerikanischen Abkommens zur Vertiefung
der Zusammenarbeit bei der Verhinderung und Bekämpfung schwerwiegender
Kriminalität

Während es um die transatlantische Datenübermittlung im Rahmen der PNR-
und SWIFT-Abkommen zwischen der Europäischen Union und den USA in
den letzten Jahren viele Kontroversen gab, haben zahlreiche europäische
Länder – ohne dass dies großes Aufsehen erregt hätte – in den letzten Jahren
mit den USA sogenannte Preventing and Combating Serious Crime-Ab-
kommen (PCSC) über den bilateralen Austausch personenbezogener Daten
unterzeichnet.

Ausdrückliches Vorbild für diese PCSC ist das Abkommen zwischen der Re-
gierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Vereinigten
Staaten von Amerika über die Vertiefung der Zusammenarbeit bei der Ver-
hinderung und Bekämpfung schwerwiegender Kriminalität, das am 1. Oktober
2008 in Washington D. C. unterzeichnet wurde. Trotz erheblicher datenschutz-
rechtlicher Bedenken der Oppositionsparteien, des Bundesrates und des Bun-
desbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit wurde das
Abkommen am 3. Juli 2009 vom Deutschen Bundestag ratifiziert. Indes kam es
in den USA als „executive agreement“ niemals im Kongress zur Abstimmung.

Nach dem Vorbild des Vertrages von Prüm sieht das Abkommen automatisierte
Abfragen der nationalen Polizeidatenbanken mit Fingerabdrücken und DNA-
Profilen zu Zwecken der Verfolgung – und im Falle der Fingerabdruckdaten
auch zur vorausschauenden Verhinderung – „schwerwiegender Kriminalität“
vor. Darüber hinaus können zum Zweck der Verhinderung „terroristischer
Straftaten“ ohne vorheriges Ersuchen auch sensible personenbezogene Daten
z. B. zum Sexualleben oder der politischen Gesinnung von Betroffenen in so-
genannten Spontanübermittlungen an die andere Vertragspartei weitergegeben
werden. Daten, die die Vertragsparteien nach diesem Abkommen gewonnen ha-
ben, dürfen für den Zweck strafrechtlicher Ermittlungen und zur Verhinderung
einer „ernsthaften Bedrohung für die öffentliche Sicherheit“ sowie in Gerichts-
und Verwaltungsverfahren, die im Zusammenhang mit strafrechtlichen Ermitt-
lungsverfahren stehen, weiterverarbeitet und gespeichert werden. Mit Einver-

ständnis der datenübermittelnden Vertragspartei können die Daten auch zu je-
dem anderen Zweck weiterverarbeitet sowie an Drittstaaten, internationale Or-
ganisationen und selbst an Privatunternehmen weitergegeben werden.

Artikel 11 des Abkommens betont, dass „Privatpersonen aus dem Abkommen
keine Rechte erwachsen“. Das Recht zur Korrektur oder Löschung von übermit-
telten Daten bleibt allein den datenübermittelnden Behörden vorbehalten. Die

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Details der Datenverarbeitung sowie die Möglichkeiten zur Wahrnehmung von
Betroffenenrechten überlässt das Abkommen dem jeweiligen nationalen Recht.
Allerdings ist das Datenschutzrecht in den USA nur rudimentär entwickelt, und
ein Auskunftsrecht existiert für Bürgerinnen und Bürger aus anderen Staaten
nicht. Abhilfe schaffen soll das deutsche Gesetz zur Umsetzung des Abkom-
mens (BGBl. 2009 I Nr. 59, S. 2998 bis 2999), das das Bundeskriminalamt
(BKA) als nationale Kontaktstelle für den bilateralen Informationsaustausch be-
nennt und Betroffenen das Recht einräumt, dort eine Auskunftserteilung bei der
zuständigen US-amerikanischen Kontaktstelle zu beantragen. Allerdings kann
das BKA als Stellvertreter der Betroffenen es unterlassen, diese über den Inhalt
der von US-Stellen erteilten Auskunft zu unterrichten, wenn dadurch die „ord-
nungsgemäße Erfüllung“ seiner Aufgaben oder die „öffentliche Sicherheit oder
Ordnung“ gefährdet wären oder dem „Wohle des Bundes oder eines Landes
Nachteile“ bereitet würden. Der Schutz Betroffener vor behördlicher Willkür ist
damit weder jenseits noch diesseits des Atlantiks hinreichend gesichert.

Bereits heute sind die Personenerkennungssysteme der US-amerikanischen
Bundespolizei FBI die größten biometrischen Polizeidatenbanken der Welt:
Das „Integrated Automated Fingerprint Identification System“ (IAFIS) greift
auf Daten von mehr als 90 Millionen Personen zurück, und im „National DNA
Index System“ (NDIS) sind DNA-Profile von knapp neun Millionen Menschen
gespeichert. Zusätzlich baut das FBI im Rahmen seiner Programme „Next
Generation Identification“ (NGI) und „Combined DNA Index System“
(CODIS) massiv die Fähigkeiten zur Speicherung und Weiterverarbeitung bio-
metrischer Merkmale aus. Dabei geht es um die Integration von bislang beim
FBI getrennt gehaltenen Datenbeständen für eine verbesserte Identifizierung
durch „multi-modal biometrics“, aber auch um deren Interoperabilität mit an-
deren Bundesbehörden. Insbesondere das Department of Homeland Security
(DHS), sein US-VISIT-Programm und das automatisierte Risk Profiling von
Reisenden im Rahmen des „Automated Targeting System“ zielen auf die Akku-
mulation größtmöglicher Datenmengen, um durch deren Analyse die Einreise
unerwünschter Personen zu verhindern.

Längst geht es dabei nicht mehr nur um Terrorismusverdächtige, sondern auch
um gänzlich andere Personenkategorien. Angesichts dessen lässt es sich kaum
ausschließen, dass durch deutsche Behörden übermittelte Daten aus den vom
BKA geführten Personenerkennungsdateien dauerhaft in den USA in diesem
Zusammenhang verarbeitet, gespeichert und zweckentfremdet werden, wäh-
rend sich deren Kontrolle und ggf. Korrektur oder Löschung den Möglichkeiten
der Betroffenen entzieht.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie viele EU-Staaten haben mittlerweile bilaterale PCSC-Abkommen nach
dem Vorbild des deutsch-amerikanischen Abkommens mit den USA unter-
zeichnet?

2. Existieren für den Bereich der Übermittlung von Daten zur Verhinderung
terroristischer Straftaten neben dem deutsch-amerikanischen Abkommen
vom 1. Oktober 2008 weitere bilaterale Abkommen, z. B. entsprechend der
US-amerikanischen Homeland Security Presidential Directive 6?

Wenn ja, welche, und mit welchem Inhalt?

3. Wie sind zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den USA die Ein-
zelheiten der technischen Ausgestaltung für den automatisierten Abruf von
daktyloskopischen Daten geregelt (bitte die in Artikel 6 Absatz 2 des Ab-
kommens vorgesehene Durchführungsvereinbarung(en) beifügen)?

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4. Sind die Einzelheiten der technischen Ausgestaltung für den automatisierten
Abruf von DNA-Profilen inzwischen durch eine oder mehrere Durchfüh-
rungsvereinbarungen geregelt, so dass Artikel 7 bis 9 des Abkommens in
Kraft getreten ist (wenn ja, bitte die Durchführungsvereinbarung(en) beifü-
gen)?

5. Welche Behörden und Abteilungen (bitte Organisationseinheiten konkret
benennen) sind auf US-amerikanischer Seite als nationale Kontaktstellen
für den Datenaustausch nach Artikel 6 (daktyloskopische Daten), Artikel 9
(DNA-Profile) und Artikel 10 Absatz 7 (Daten zur Verhinderung terroristi-
scher Straftaten) des Abkommens benannt?

6. Wie viele „Spontanübermittlungen“ zur angeblichen Verhinderung terroris-
tischer Straftaten hat es seit Unterzeichnung des Abkommens gegeben, und
welche Stellen haben sie veranlasst bzw. empfangen?

7. Seit wann ist der automatisierte Abruf von daktyloskopischen Daten bzw.
DNA-Profilen im Wirkbetrieb?

8. Falls der automatisierte Datenabruf noch nicht im Wirkbetrieb ist, wie ist
der aktuelle Stand der Umsetzung, und wann ist die Aufnahme des Wirk-
betriebes zu erwarten?

9. Wie viele Anfragen für einen automatisierten Datenabruf hat es seit Beginn
des Wirkbetriebs zwischen den Vertragspartnern gegeben (bitte nach abfra-
gender Kontaktstelle und Datenkategorie aufschlüsseln)?

10. Wie viele Übereinstimmungen von daktyloskopischen Daten oder DNA-
Profilen nach Artikel 4 bzw. 7 des Abkommens hat es seitdem gegeben
(bitte nach abfragender Kontaktstelle und Datenkategorien aufschlüsseln)?

11. In wie vielen Fällen einer Übereinstimmung wurden im Rahmen der
Rechtshilfe weitere personenbezogene und sonstige Daten übermittelt
(bitte nach abfragender Kontaktstelle und Datenkategorie aufschlüsseln)?

12. Wie viel Zeit vergeht in der Regel zwischen der Feststellung einer Überein-
stimmung von automatisiert abgerufenen Daten und der Übermittlung wei-
terer personenbezogener und sonstiger Daten im Rahmen der Rechtshilfe?

13. In wie vielen und welchen Fällen hat das BKA entsprechend Artikel 13 Ab-
satz 1 des Abkommens seine Zustimmung zur Weiterverarbeitung der über-
mittelten Daten zu anderen als den im Abkommen vorgesehenen Zwecken
gegeben, und mit welcher Begründung?

14. Auf welcher Ebene wird innerhalb des BKA die Zustimmung zur Weiter-
verarbeitung der übermittelten Daten zu anderen Zwecken entschieden,
und wie wird eine solche Zustimmung dokumentiert?

Berlin, den 23. August 2011

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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