BT-Drucksache 17/6748

Lagebilder von BKA und Verfassungsschutz über "gewaltorientierten Linksextremismus"

Vom 3. August 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/6748
17. Wahlperiode 03. 08. 2011

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Jens Petermann und der Fraktion DIE LINKE.

Lagebilder von BKA und Verfassungsschutz über „gewaltorientierten
Linksextremismus“

Informationen der Fragesteller zufolge haben die Verfassungsschutzbehörden
des Bundes und der Länder mittlerweile ein „Bundeslagebild gewaltorientierter
Linksextremismus“ abgestimmt. Bislang wurden jedoch weder die Öffentlich-
keit noch die Parlamente darüber informiert – wenn man davon absieht, dass
einige Medien bereits Anfang Juni 2011 aus dem Papier zitiert haben (vgl.
SPIEGEL ONLINE, 4. Juni 2011). Auch das Bundeskriminalamt (BKA) hat ein
Lagebild erstellt.

Medienberichten zufolge wird im Lagebild des Bundesamtes für Verfassungs-
schutz (BfV) die gleiche Methodik verwendet wie auch in anderen Veröffent-
lichungen des Verfassungsschutzes und anderer Sicherheitsbehörden: Es wird
eine Zunahme „linksextremer“ Gewalttaten behauptet. Zugleich wird der
Begriff „Linksextremismus“ unscharf definiert, und Begriffe wie „gewaltorien-
tiert“, „gewaltbereit“, „gewaltgeneigt“, „gewalttätig“ und „militant“ werden
mehr oder weniger willkürlich durcheinandergeworfen. Das BfV selbst ver-
wendet auf seiner Homepage sogar die Begrifflichkeit „verbale Militanz“. Die
Bundesregierung hat schon wiederholt zum Ausdruck gebracht, dass sie daran
festhält, auch solche politischen Aktivisten, denen keinerlei Gewalttaten nach-
gewiesen werden können, als „Gewalttäter“ in polizeilichen Datenbanken zu
führen. Ausschlaggebend ist dann die Annahme der Polizei, die Personen könn-
ten die „Absicht“ haben, Gewalt anzuwenden (vgl. Antwort der Bundesregie-
rung auf Bundestagsdrucksache 17/2803). Es reicht dabei aus, bloß Verdächti-
ger oder Beschuldigter zu sein, ohne dass solche Behauptungen von einem Ge-
richt bestätigt werden müssen.

Bei der Darstellung gewalttätiger Auseinandersetzungen im Rahmen von
Demonstrationen beziehen sich die Sicherheitsbehörden stets einseitig auf die
(unterstellte) Gewalttätigkeit linker Demonstranten, ohne zu reflektieren, dass
auch von Seiten der Polizei massiv Gewalt ausgeht, wie von den Fragestellerin-
nen und Fragestellern wiederholt in Kleinen Anfragen etwa anlässlich der De-
monstration am 30. September 2010 in Stuttgart („S 21“), gegen den Castor-
Transport im Wendland (November 2010) und den Naziaufmarsch in Dresden
(Februar 2011) thematisiert.
Die Fragestellerinnen und Fragesteller sehen sich durch die Einseitigkeit der
offiziellen Darstellungen sowie durch die Beliebigkeit, mit der der „Gewalt“-
Begriff verwendet wird, in ihrem Eindruck bestätigt, dass es den Sicherheits-
behörden des Bundes maßgeblich darum geht, kritische, radikal antikapita-
listische Opposition von links zu kriminalisieren und zu diffamieren.

Drucksache 17/6748 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wann wurde das Bundeslagebild gewaltorientierter Linksextremismus der
Verfassungsschutzämter in Auftrag gegeben?

a) Wer hat die Ausarbeitung beschlossen?

b) Wann wurde die Arbeit aufgenommen?

c) Wer hat die inhaltlichen Fragestellungen und Definitionen vorgegeben
bzw. abgestimmt?

d) Wer war an der Ausarbeitung des Lagebildes praktisch beteiligt (bitte be-
teiligte Behörden und Zahl der Mitarbeiter, möglichst aufgegliedert nach
Bund und Ländern, detailliert angeben)?

2. Welche Rolle spielt der Begriff „verbale Militanz“ für das Vorgehen des BfV
gegen angeblichen Linksextremismus?

a) Wie ist dieser Begriff definiert?

b) Welche Rolle hat dieser Begriff für die Erstellung des Lagebildes ge-
spielt?

3. Trifft es zu (wie von SPIEGEL ONLINE zitiert), dass nach Darstellung des
Lagebildes die Gewalt „längst über das linksextremistische Kernspektrum in
gewaltgeneigte, weniger ideologisch gefestigte oder anpolitisierte Bereiche
der erlebnisorientierten Jugendkultur hinein“ reiche, und wenn ja,

a) wie rechtfertigt die Bundesregierung, (unterstellte) Gewalt von erlebnis-
orientierten Jugendlichen mit wenig oder keiner politischen Orientierung
der behaupteten „linksextremen“ Szene zuzurechnen,

b) welche Rolle spielt unpolitische Jugendgewalt für das Vorgehen der
Sicherheitsbehörden gegen linke Zusammenschlüsse,

c) inwiefern sind gewaltgeneigte, weniger ideologisch gefestigte oder an-
politisierte Jugendliche in den Statistiken des BfV oder des BKA als
„Linksextremisten“ gezählt worden?

4. Welche Definition wurde dem Begriff „gewaltorientiert“ zugrunde gelegt
(bitte den Wortlaut wiedergeben)?

Wurde diese Definition einheitlich von allen an der Ausarbeitung des Lage-
bildes Beteiligten verwendet (falls nicht, bitte die unterschiedlichen Defini-
tionen darstellen)?

5. Wie definiert die Bundesregierung den Begriff „gewaltgeneigt“, und welche
Rolle spielte dieser Begriff bei der Erstellung des Lagebildes?

Wurde diese Definition einheitlich von allen an der Ausarbeitung des Lage-
bildes Beteiligten verwendet (falls nicht, bitte die unterschiedlichen Defini-
tionen darstellen)?

6. Trifft die Annahme der Fragestellerinnen und Fragesteller zu, dass bei der
Darstellung des Lagebildes keineswegs nur auf (gerichtlich festgestellte)
Gewalttäter abgezielt wurde, sondern auch auf Personen, denen eine Ge-
walttat nicht nachgewiesen werden kann?

7. Welche Kriterien legt das BfV für die Einspeisung einer Person in die Datei
„Gewaltbereite Linksextremisten“ an?

a) Wie viele Personen sind derzeit in dieser Datei gespeichert, und um wel-
che Daten handelt es sich dabei?

b) Sind in dieser Datei nur in Deutschland wohnhafte Personen gespeichert

oder auch im Ausland wohnhafte (bitte möglichst entsprechende Zahlen
nennen)?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/6748

c) Sind in dieser Datei nur Personen gespeichert, denen vorgeworfen wird,
in Deutschland Gewalttaten begangen zu haben, oder auch solche, de-
nen vorgeworfen wird, im Ausland Gewalttaten begangen zu haben, und
falls Letzteres, welche Möglichkeit hat das BfV, die Richtigkeit dieser
Vorwürfe zu überprüfen?

d) Ist für die Speicherung einer Person in dieser Datei ein rechtskräftiges
Urteil eines Gerichtes erforderlich?

8. Sind in der BfV-Datei „Gewaltbereite Linksextremisten“ auch Organisa-
tionen oder Personenzusammenschlüsse gespeichert, und wenn ja, wie
viele und welche Daten werden dabei gespeichert?

a) Handelt es sich dabei nur um in Deutschland vorhandene oder tätige
Vereinigungen oder auch um solche im Ausland?

b) Was sind die Kriterien für ihre Eintragung in die Datei?

c) Welcher Art sind diese Vereinigungen, und was wird ihnen konkret vor-
geworfen?

9. Inwiefern trifft die Meldung des Nachrichtenmagazin „DER SPIEGEL“ zu,
dass der Verfassungsschutz eine „Übersicht über Anschlagsziele und die
Wohnorte von Verdächtigen erstellen“ soll?

a) Was ist Zweck einer solchen Übersicht?

b) Auf welche Daten greift der Verfassungsschutz dabei zurück?

c) Ist diese Übersicht Teil einer Datei, und wenn ja, welcher?

d) Nach welchen Kriterien wird entschieden, welche Personen in diese
Übersicht aufgenommen werden, und wie ist der Begriff „Verdächtiger“
hier zu verstehen?

e) Inwiefern ist vorgesehen, Personen zu löschen, wenn die Ermittlungs-
bzw. Strafverfahren gegen sie eingestellt werden bzw. mit Freisprüchen
enden?

10. Worin unterscheidet sich die Datei „Gewaltbereite Linksextremisten“ von
den einschlägigen beim BKA angesiedelten Verbund- bzw. Zentraldateien
(etwa „International agierende gewaltbereite Störer“ und „Straftäter
links“)?

a) Was sind die wesentlichen Unterschiede hinsichtlich der Kriterien, die
zur Einspeisung führen?

b) Was sind die wesentlichen Unterschiede hinsichtlich des Zwecks der
Dateien?

c) Was sind die wesentlichen Unterschiede hinsichtlich der praktischen
Handhabung der Dateien und des Informationsaustausches mit anderen
Sicherheitsbehörden?

d) Wie viele Personen sind sowohl in einer Gewalttäter-Datei des BKA als
auch in der BfV-Datei „Gewaltbereite Linksextremisten“ gespeichert?

11. Was sind die wesentlichen Unterschiede zwischen dem Bundeslagebild ge-
waltorientierter Linksextremismus und dem erst im Mai 2011 vom BKA
erstellten Bericht „Gefährdungslage Politisch Motivierte Kriminalität“?

12. Inwiefern unterscheiden sich die von den Verfassungsschutzbehörden und
dem BKA zu Grunde gelegten Definitionen für Begriffe wie „linksextrem“,
„gewaltbereit“, „-geneigt“, „-orientiert“, „militant“, „Verdächtiger“?

Drucksache 17/6748 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
13. Wie viele Personen sind konkret im Jahr 2010 wegen Gewalttaten verur-
teilt worden, die von den verurteilenden Gerichten als politisch links moti-
viert eingeschätzt wurden, und wie lauten die Vergleichszahlen zu 2009?

14. Wann, und in welcher Form will die Bundesregierung den Deutschen
Bundestag über das „Bundeslagebild gewaltorientierter Linksextremismus“
unterrichten?

15. Inwiefern fließen Brandstiftungen an sogenannten Luxuskarossen in die
Bewertung der Sicherheitsbehörden als „linksextrem“ ein, und auf welcher
Grundlage geschieht dies angesichts der Tatsache, dass es bei solchen
Brandstiftungen fast nie Bekenner-Erklärungen gibt und auch, nach Kennt-
nis der Fragesteller, kaum rechtskräftige Verurteilungen?

Berlin, den 3. August 2011

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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