BT-Drucksache 17/6745

Einsatz der Bundespolizei in Saudi-Arabien (Nachfrage zur Antwort der Bundesregierung auf Drucksache 17/6102)

Vom 3. August 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/6745
17. Wahlperiode 03. 08. 2011

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken,
Christine Buchholz, Sevim Dag˘delen, Inge Höger, Niema Movassat, Petra Pau,
Frank Tempel, Kathrin Vogler und der Fraktion DIE LINKE.

Einsatz der Bundespolizei in Saudi-Arabien
(Nachfrage zur Antwort der Bundesregierung auf Bundestagsdrucksache 17/6102)

Der Einsatz der Bundespolizei in Saudi-Arabien steht weiterhin in der öffent-
lichen Kritik. Die Gewerkschaft der Polizei beklagt die faktische Unterordnung
der Polizistinnen und Polizisten unter die Geschäftsinteressen des EADS-Kon-
zerns (EADS = European Aeronautic Defence and Space Company). Dieser
war von Seiten Saudi-Arabiens mit der Lieferung von Technik zur Überwa-
chung der Grenzen beauftragt worden, unter der Bedingung, dass die Bundes-
polizei die personelle Ausbildung der Grenzschützer übernimmt.

Ein Sprecher der Gewerkschaft der Polizei sagte in der „Süddeutschen Zei-
tung“ (14. Juli 2011), die Inhalte der polizeilichen Ausbildung würden unter
Anleitung von EADS/Cassidian auf die Bedürfnisse des Unternehmens abge-
stimmt. Weiter zitiert die „Süddeutsche Zeitung“ aus einem Newsletter der
Bundespolizei, dass die deutschen Beamten „ständig neue Aufgaben für
EADS“ übernehmen müssten.

Mit dem von der Bundesregierung zur Rechtfertigung herangeführten „Export
rechtsstaatlicher Grundsätze“, der die Ausbildungstätigkeit auszeichne, ist es
nach verschiedenen Medienberichten hingegen nicht weit her. So hat nach
Darstellung des MDR-Magazins „Fakt“ das saudi-arabische Militär einen Teil
der Grenze, die gesichert werden soll, erst mal im November 2009 bombardiert.
Der Angriff habe einem nomadisch lebenden Stamm gegolten, der traditio-
nellerweise in der Grenzregion umherzieht.

Außerdem werde im Rahmen der Ausbildungstätigkeit der Bundespolizei die
Vermittlung rechtsstaatlicher Grundsätze eingeschränkt. So seien die Worte
„freiheitlicher demokratischer Rechtsstaat“ und „Freiheitsgarantie für den Ein-
zelnen“ aus der Ausbildung gestrichen worden. Zur Begründung habe es in
Rundschreiben der Bundespolizei geheißen: „Wichtig ist, was der Kunde will
und nicht, was wir wollen oder gerne hätten. Der Kunde ist eben im wahrsten
Sinne des Wortes König.“

Im Falle Saudi-Arabien ist der König bekanntermaßen ein äußerst despotischer.
Im Frühjahr 2011 hat er zwecks Niederschlagung der Demokratiebewegung im

Nachbarstaat Bahrain 1 000 Soldaten dorthin entsandt. Dieser blutige Einsatz
wird, wie Anfang Juli 2011 bekannt wurde, in einem Rundschreiben des
Bundespolizeipräsidiums an die in Saudi-Arabien eingesetzten Bundespolizis-
ten aber als „Sicherungsmaßnahme wichtiger Infrastruktur“ verharmlost. Dies
spricht nicht dafür, dass das Bundespolizeipräsidium bzw. das Bundesministe-
rium des Innern tatsächlich viel Wert darauf legten, menschenrechtliches Ver-
ständnis bei ihren „Kunden“ zu wecken.

Drucksache 17/6745 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Am 18. Juli 2011 berichtet „Fakt“ weiter, dass auch Angehörige des saudi-ara-
bischen Geheimdienstes von der Bundespolizei ausgebildet würden.

Fragen wirft auch die Waffenausbildung auf, die Bundespolizisten den saudi-
arabischen Grenzschützern am Sturmgewehr G 3 anbieten. Die Grenzschützer
sollen lernen, die Kriegswaffe in „anspruchsvollen Situationen handlungssicher
zu handhaben.“ Vor dem Hintergrund der massiven polizeilichen und militäri-
schen Unterdrückung, mit der das feudale Regime in Riad gegen demokratische
Bewegungen vorgeht, berechtigt diese Maßnahme aus Sicht der Fragesteller
ebenfalls zu größten Zweifeln am demokratischen Impetus dieses Polizeiein-
satzes.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wurde das Einvernehmen zwischen dem deutschen und dem saudi-arabi-
schen Innenministerium über den Einsatz der Bundespolizei in einer ver-
schriftlichten Form hergestellt bzw. bestätigt, und wenn ja, wann wurde die-
ses Schriftstück bzw. diese Schriftstücke von welchen Ministerien unter-
zeichnet, was sind die wesentlichen Inhalte und ist die Bundesregierung
bereit, sie dem Deutschen Bundestag im Wortlaut zugänglich zu machen
(bitte ggf. als Anlagen beifügen oder begründen, warum sie unter Verschluss
gehalten werden)?

2. Trifft es zu (vgl. stern, 13. Juli 2011), dass bereits im Mai 2009 (bitte ggf.
korrektes Datum nennen) ein Abkommen über die Zusammenarbeit im
Sicherheitsbereich vom damaligen Bundesminister des Innern Dr. Wolfgang
Schäuble und seinem saudi-arabischen Amtskollegen unterzeichnet wurde,
und wenn ja,

a) was sind die grundsätzlichen Inhalte dieses Abkommens,

b) trifft es zu, dass Artikel 4 dieses Abkommens eine Zusammenarbeit „auf
dem Gebiet des Sicherheitstrainings“ vorsieht,

c) warum hat die Bundesregierung den Deutschen Bundestag bis heute nicht
über dieses Abkommen informiert,

d) wie lautet der Wortlaut des Abkommens (bitte als Anhang beifügen oder
begründen, wenn die Vorlage des Abkommens verweigert wird)?

3. Ist der Bundesregierung bekannt, dass Vertreter der Gewerkschaft der Poli-
zei die aus ihrer Sicht gegebene Unterordnung der Bundespolizisten unter
die Interessen von EADS beklagen und sich deutsche Polizisten, die in
Saudi-Arabien tätig waren, dort wie „Subunternehmer“ von EADS vorka-
men (stern, 13. Juli 2011), und inwiefern hält sie diese Kritik für nachvoll-
ziehbar?

4. Trifft es zu, dass in einem internen Informationsblatt des Bundespolizei-
präsidiums (nach Darstellung der Süddeutschen Zeitung von August 2010)
ein Beamter klagt, die deutschen Polizisten müssten „ständig neue Aufgaben
für EADS“ übernehmen, und wenn ja, mit welchen Argumenten wird diese
Darstellung begründet?

5. Trifft es zu, dass in einem weiteren Newsletter berichtet wird, dass saudische
Einrichtungen im Zuge der Ausweitung des Projekts „unter der Verantwor-
tung von EADS/Cassidian“ inspiziert worden seien?

6. Sofern die Darstellungen in den beiden vorangegangenen Fragen grundsätz-
lich zutreffen, auf welcher Rechtsgrundlage können Beamtinnen und
Beamte der Bundespolizei „unter der Verantwortung“ eines Privatkonzerns
tätig werden, und wie rechtfertigt die Bundesregierung, hierfür mehrere

Mio. Euro auszugeben?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/6745

7. Wer hat die Darstellung des Bundespolizeipräsidiums in einem Rund-
schreiben an die in Saudi-Arabien eingesetzten Bundespolizisten veranlasst
bzw. formuliert, in dem der Einmarsch saudi-arabischer Truppen in Bahr-
ain als Aufgabe zum Schutz kritischer Infrastruktur dargestellt wurde?

a) Wie bewertet die Bundesregierung diese Verharmlosung eines blutigen
Militäreinsatzes zur Unterdrückung einer Demokratiebewegung als
„Schutz“-Mission?

b) Hat die Bundesregierung gegenüber den verantwortlichen Stellen in der
Bundespolizei ihre Ablehnung dieser Verharmlosung ausgedrückt, und
wenn ja, auf welche Weise und mit welchen Folgen, und wenn nein, wa-
rum nicht?

c) Welchen Zweck erfüllte diese Darstellung?

d) Teilt die Bundesregierung die Sorge der Fragesteller, dass Bundespoli-
zisten, die ihren saudi-arabischen Kollegen gegenüber den Einmarsch in
Bahrein verständnisvoll als „Schutz“-Maßnahme bezeichnen, diesen
antidemokratischen Kampfeinsatz faktisch legitimieren und spätestens
dadurch die Glaubwürdigkeit ihres eigenen Einsatzes, mit dem ja nach
Darstellung der Bundesregierung rechtsstaatliche Werte exportiert wer-
den sollen, unterminiert?

Wenn nein, warum nicht?

e) Ist die Bundesregierung bereit, das entsprechende Rundschreiben dem
Deutschen Bundestag in vollem Wortlaut zukommen zu lassen (bitte
ggf. als Anlage beifügen bzw. begründen, sofern es dem Deutschen
Bundestag vorenthalten wird)?

8. Inwiefern trifft es zu, dass aus den Ausbildungsgängen bzw. -unterlagen
Formulierungen, die aus Sicht des saudi-arabischen „Kunden/Königs“
kritisch sind, wie etwa „freiheitlicher demokratischer Rechtsstaat“ und
„Freiheitsgarantie für den Einzelnen“, gestrichen wurden, und falls dies
zutrifft,

a) wer hat dies veranlasst und wie bewertet die Bundesregierung dies,

b) welche Gründe waren dafür ausschlaggebend,

c) wie lautet der volle Wortlaut des Rundschreibens, in dem dieser Ver-
zicht mitgeteilt wurde, und wie lauten die Ausbildungspläne vor und
nach dem Rundschreiben (bitte Rundschreiben und Ausbildungspläne
als Anlage beifügen bzw. begründen, falls sie dem Deutschen Bundes-
tag vorenthalten werden sollen)?

9. Inwiefern und wie detailliert wird in internen Mitteilungen an die in Saudi-
Arabien eingesetzten Bundespolizisten die Verletzung fundamentaler
Grundrechte in Saudi-Arabien thematisiert, und inwiefern werden diese
Grundrechteverletzungen in den Ausbildungen mit saudi-arabischen Si-
cherheitskräften konkret angesprochen?

10. Welche Geräte bzw. Technologien werden von EADS nach Saudi-Arabien
exportiert (bitte möglichst genaue Angaben machen inklusive Geräte-
bezeichnungen usw.)?

11. Inwiefern sind die im Zuge des Grenzsicherungsprojektes exportierten Ge-
räte zur mobilen Verwendung geeignet, so dass sie beispielsweise statt an
der Grenze im Bedarfsfall auch im Landesinneren eingesetzt werden könn-
ten?

12. Wie viele ehemalige Bundespolizisten sind auf Seiten von EADS ab wel-

chem Zeitpunkt und wie lange als Berater in die Geschäfte mit Saudi-Ara-
bien eingebunden, und wie ist ihr jeweiliger vertraglicher Status?

Drucksache 17/6745 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

13. Wie viele ehemalige Bundespolizisten und Bundeswehrangehörige (bitte
getrennt benennen) waren bzw. sind für EADS in welchen Ländern als Be-
rater tätig, und welche Regelungen gelten grundsätzlich für die Aufnahme
solcher Tätigkeiten durch (ehemalige) Angehörige der Sicherheitsbehör-
den?

14. Hält die Bundesregierung an ihrer Absicht fest, das Engagement der Bun-
despolizei auch auf andere Regionen Saudi-Arabiens auszuweiten, und
falls ja,

a) wovon genau macht die Bundesregierung eine Entscheidung hierüber
abhängig,

b) betrachtet die Bundesregierung eine Demokratisierung Saudi-Arabiens
als Bedingung für die Ausweitung des Einsatzes, und an welchen kon-
kreten Schritten würde sie eine solche messen,

c) bis wann wird die Entscheidung erfolgen?

15. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung darüber, ob saudi-arabische
Grenzschützer auch in Szenarien geschult werden (sei es durch die Bundes-
polizei, andere oder eigene Ausbilder) wie dem Besetzen oder Durchsu-
chen von Häusern sowie im Umgang mit „Großlagen“ (Demonstrationen,
Aufstände)?

Inwiefern gehört eine solche Ausbildung zu den Angeboten der Bundes-
polizei?

16. Trifft es zu (vgl. Fakt, 18. Juli 2011), dass auch Angehörige des saudi-ara-
bischen Geheimdienstes von Bundespolizisten ausgebildet werden, und
wenn ja,

a) ist diese Geheimdienstausbildung Teil des gleichen Bundespolizeiein-
satzes,

b) welchen Zweck verfolgt dieser Teil der Ausbildung,

c) was sind die Ausbildungsinhalte (bitte vollständig angeben) und wie
lange dauert die Ausbildung,

d) inwiefern trifft es zu, dass die Geheimdienstmitarbeiter im taktischen
Umgang mit sogenannten Großlagen (Demonstrationen, Aufstände) ge-
schult werden,

e) wie viele Geheimdienstangehörige wurden bisher ausgebildet, und wie
viele sollen noch ausgebildet werden,

f) welche Kosten entstehen durch diese Ausbildung und wer trägt diese
(bitte die wesentlichen Kostenpunkte auflisten),

g) welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über Kooperationsformen
und die Praxis gemeinsamer operativer Maßnahmen zwischen Auf-
klärungs-/Nachrichteneinheiten des Grenzschutzes und des Geheim-
dienstes?

h) waren zu irgendeinem Zeitpunkt (wann und mit welcher Zielsetzung)
deutsche Nachrichtendienste in die Ausbildungstätigkeit der Bundes-
polizei in Saudi-Arabien eingebunden?

17. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über den berichteten Angriff
des saudi-arabischen Militärs Ende 2009 auf einen im Grenzgebiet zu
Jemen nomadisch lebenden Stamm, und wie wurde dieser Angriff intern in
der Bundespolizei kommuniziert?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5 – Drucksache 17/6745

18. Wie wurden die Beamten der Bundespolizei über die politischen Entwick-
lungen in den arabischen Staaten informiert, und welche Schlussfolgerun-
gen wurden für die laufenden Ausbildungseinsätze bisher daraus gezogen?

19. Wie viele Bundespolizistinnen haben sich bislang um die Entsendung im
Rahmen dieses Einsatzes beworben, und wie erklärt die Bundesregierung,
dass bislang keine weiblichen Angehörigen der Bundespolizei an dem Ein-
satz teilgenommen haben?

20. Worin liegen aus polizeilicher sowie militärischer Sicht die wesentlichen
Unterschiede hinsichtlich der zugrunde liegenden Einsatzszenarien bei
Einsatz von Pistolen und dem Sturmgewehr G 3?

a) Wie viele G 3 sind im Bereich der Bundespolizei vorhanden, und wel-
che Einheiten nutzen diese Waffe bzw. das G 36?

b) Wie erklärt die Bundesregierung, dass zur Standardausrüstung des
saudi-arabischen Grenzschutzes das G 3 gehört, und welche Einsatzsze-
narien gibt es insbesondere für den Einsatz des Grenzschutzes in der
Nordregion Saudi-Arabiens?

21. Worin genau besteht das Training für den Grenzschutz am G 36 (bitte Lehr-
plan beifügen)?

a) Wird Rahmen dieses Trainings auch (probe)geschossen, und falls ja,
welche Ziele werden hierfür verwendet?

b) Hat die Bundesregierung gegenüber der saudi-arabischen Regierung
darauf gedrungen, dass Grenzschützer, denen die sichere Handhabung
des G 3 vermittelt wird, keinesfalls zu einem späteren Zeitpunkt dafür
eingesetzt werden dürfen, mit dieser Waffe beispielsweise auf Demon-
stranten zu schießen, und wenn nein, warum nicht?

c) Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über die Einhaltung bzw.
Verletzung demokratischer bzw. menschenrechtlicher Standards durch
die saudi-arabischen Grenzschützer?

22. Warum werden die Kosten für die Miete der Büros und Unterkünfte in
Riad, die Beschaffung von Fahrzeugen und von Technik, welche die Poli-
zisten in Saudi-Arabien benötigen und bislang fast 1 Mio. Euro betrugen,
aus dem Bundeshaushalt bestritten und nicht als auslandsbedingte Mehr-
kosten geführt, die von Saudi-Arabien bzw. EADS zu erstatten sind, die ja
auch von der Anwesenheit der Bundespolizisten profitieren?

23. Welche Veränderungen in Organisation, Struktur und Durchführung des
Bundespolizeieinsatzes strebt die Bundesregierung an?

24. Wie beurteilt die Bundesregierung den Erfolg ihres angeblichen Versuches,
rechtsstaatliche Grundsätze zu exportieren, angesichts des neuen saudi-
arabischen Anti-Terror-Gesetzes, das nach Darstellung von Amnesty Inter-
national auch für friedliche Kritik etwa am König bis zu zehn Jahre Ge-
fängnis vorsieht, und sieht sie in dieser Willkürgesetzgebung einen Grund,
die Ausbildung der saudi-arabischen Sicherheitsorgane zu beenden, wenn
nein, warum nicht?

Berlin, den 3. August 2011

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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