BT-Drucksache 17/6744

Biometrische Erfassung von Afghaninnen und Afghanen durch die Bundeswehr

Vom 3. August 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/6744
17. Wahlperiode 03. 08. 2011

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Christine Buchholz, Inge Höger, Petra Pau,
Jens Petermann, Paul Schäfer (Köln) und der Fraktion DIE LINKE.

Biometrische Erfassung von Afghaninnen und Afghanen durch die Bundeswehr

Angehörige der Bundeswehr sollen künftig die biometrischen Daten afgha-
nischer Bürgerinnen und Bürger erheben und an US-Behörden weiterleiten. Sie
beteiligt sich damit am ISAF Biometric Plan. Das hat die Bundesregierung in
der Unterrichtung des Parlaments (UdP) über die Lage in den Einsatzgebieten
vom 22. Juni 2011 angekündigt.

Die verwendete Technik besteht Medienberichten zufolge aus einem statio-
nären Gerät, das die Erhebung und Speicherung von Fingerabdrücken, Irisbild
und „Gesichtsgeometrie“ erlaubt, und mobilen Geräten zum „Scannen“/Identi-
fizieren von Personen, die einen Abgleich mit der Datenbank ermöglichen.
Diese wird derzeit von den USA verwaltet.

Die bisherigen Äußerungen der Bundesregierung zu diesem Thema sind nicht
frei von Widersprüchen und werfen zahlreiche Fragen auf.

So teilte die Bundesregierung in der Regierungspressekonferenz vom 3. Juni
2011 mit, es habe datenschutzrechtliche Bedenken gegeben, diese seien aber
ausgeräumt. Der zuständige Staatssekretär konnte jedoch keine Auskunft ge-
ben, „seit wann der Prozess läuft und wer wann wo welche Bedenken geäußert
hat.“

Angaben auf dem Blog „Augen geradeaus“ zufolge geht das Bundesministe-
rium der Verteidigung davon aus, dass das Bundesdatenschutzgesetz in diesem
Fall („gegenüber Ausländern im Ausland“) nicht anzuwenden sei. Demgegen-
über steht die Information aus der UdP, ein mit dem US-Verteidigungsministe-
rium abgestimmtes „Memorandum of Understanding“ solle die Einhaltung
geltender deutscher Rechtsvorschriften sicherstellen. Selbst wenn die Anwend-
barkeit des Bundesdatenschutzgesetzes ausgeschlossen werden sollte, ist die
Erfassung biometrischer Daten ein Grundrechtseingriff, vom dem die Bundes-
wehr nach Ansicht der Fragestellerinnen und Fragesteller auch in Einsatzgebie-
ten nur zurückhaltend Gebrauch machen sollte.

Fragen wirft auch auf, welche Personengruppen von der Erfassung biometri-
scher Daten betroffen sein sollen. In der UdP heißt es hierzu, neben den in den
Liegenschaften der International Security Assistance Force (ISAF) angestellten

Ortskräften sowie Angehörigen von Partnering-Einheiten der afghanischen
Sicherheitskräfte sollten insbesondere Personen erfasst werden, die der aktiven
Beteiligung am militanten Widerstand verdächtig seien. Kriterien für die Fest-
stellung eines solchen Verdachts werden dabei nicht genannt.

Lieutenant Colonel William C. Burrow von der Biometric Task Force des Pen-
tagon schildert in einem Zeitschriftenartikel (Army, Februar 2010), dass die

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Datenerhebung auch während militärischer Operationen vorgenommen wird.
Dabei würden digitale Dossiers von relevanten Personen erstellt („person of
interest“), wobei unklar bleibt, ob damit Verdächtige bzw. Beschuldigte im
juristischen Sinne gemeint sind oder der Personenkreis darüber hinausgeht
(beispielsweise Kontaktpersonen, Familienangehörige, Zeugen).

Diese Daten sollen mit relevanten Informationen aus einer Vielzahl von Quel-
len verknüpft werden („all-source intelligence reporting“), d. h. mutmaßlich
auch von Geheimdiensten. Stellen sich Personen als „potentielle Bedrohung“
dar, kommen sie auf eine Watchlist.

Die Bundesregierung hat in den UdP mitgeteilt, die Bundeswehr werde „biome-
trische Daten in die entsprechenden Datenbanken mit der Maßgabe einbringen,
dass sie nur zum Zwecke der ISAF-Mandatserfüllung verwendet werden“
(zitiert nach http://augengeradeaus.net/2011/06/biometrie-in-afghanistan-kein-
problem/). Offenbleibt, welche Möglichkeiten die Bundesregierung hat, die Ein-
haltung eines solchen Vorbehalts zu überprüfen. Aufgrund der amerikanischen
Militärstrategie muss befürchtet werden, dass die von der Bundeswehr zugetra-
genen Informationen auch für gezielte Mordaktionen (inkl. Drohnenangriffe)
verwendet werden.

In der Vergangenheit wurde polizeiliche Überwachungstechnik stets in ab-
hängigen Ländern „getestet“, ehe ihre Einführung in den Metropolen folgte.
Die Übernahme polizeilicher Aufgaben wie durch die Bundeswehr im Ausland
wird daher von den Fragestellerinnen und Fragestellern auch unter innenpoliti-
schen Gesichtspunkten abgelehnt.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Welche Bestimmungen des ISAF-Mandats, des zugehörigen Bundestags-
beschlusses oder anderer Regelungen bilden nach Auffassung der Bundes-
regierung die Rechtsgrundlage für die Bundeswehr, biometrische Daten
afghanischer Bürgerinnen und Bürger zu erfassen?

a) Inwiefern wird dabei berücksichtigt, dass die Bekämpfung von Straftaten
eine polizeiliche Aufgabe ist, und inwiefern orientiert sich die Bundes-
wehr bei der Erhebung biometrischer Daten am deutschen Polizeirecht?

b) Inwiefern ist die Bundeswehr bei der Durchführung der Maßnahme an
das Verhältnismäßigkeitsgebot gebunden?

c) Inwiefern ist bei Maßnahmen gegenüber nichtdeutschen Personen das
Bundesdatenschutzgesetz anzuwenden, und inwiefern ist die Bundeswehr
zumindest sinngemäß an den darin verankerten Grundrechteschutz ge-
bunden?

2. Wer hat im Vorfeld der Entscheidung, die Bundeswehr am ISAF Biometric
Plan zu beteiligen, datenschutzrechtliche Bedenken geäußert, welche Be-
denken waren dies im Einzelnen und welche Überlegungen führten dazu, sie
aufzulösen?

3. Inwiefern wurde in diesem Zusammenhang der Bundesbeauftragte für den
Datenschutz und die Informationsfreiheit konsultiert?

4. Welche deutschen Rechtsvorschriften, deren Einhaltung durch das Memo-
randum of Understanding sichergestellt werden soll, sind im Einzelnen ge-
meint?

5. Ist die Bundesregierung bereit, das Memorandum of Understanding mit den
USA dem Deutschen Bundestag vorzulegen (bitte ggf. als Anlage beifügen),
und wenn nein, warum nicht?

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6. Hat die Bundesregierung bereits mit der Erfassung biometrischer Daten be-
gonnen, und wenn ja, in welchen Regionen und von wie vielen Personen
wurden bereits Daten erhoben, und wenn nein, für wann ist der Beginn ge-
plant und in welchen Regionen?

7. Wie viele Angehörige des deutschen Einsatzkontingents haben die Befug-
nis zur Erhebung biometrischer Daten?

a) Welche Voraussetzungen müssen diese erfüllen hinsichtlich Dienstrang,
Zugehörigkeit zu bestimmten Einheiten usw.?

b) Inwiefern erhalten diese Soldaten eine Ausbildung zum Umgang mit der
eingesetzten Technik, und gehört hierzu auch eine Unterweisung in das
Themenfeld Datenschutz/Grundrecht auf informationelle Selbstbestim-
mung?

c) Inwiefern sind deutsche Polizeibehörden in Vorbereitung oder Durch-
führung der Maßnahmen eingebunden?

8. Welche Technik kommt bei den Maßnahmen zum Einsatz, und worin be-
steht deren Funktionsweise?

a) Wie geht die Überprüfung „gescannter“ Daten mit den in der Datenbank
gespeicherten Informationen technisch vor sich?

b) Hat die Bundeswehr beim Scannen/Identifizieren einer Person die Mög-
lichkeit eines unmittelbaren Abgleichs mit der Datenbank?

c) Über wie viele Geräte des jeweiligen Typs verfügt die Bundeswehr, und
wie viele Geräte sollen ggf. noch angeschafft werden?

d) Führen Verbände der Bundeswehr außerhalb der Feldlager regelmäßig
die zum Datenabgleich tauglichen Geräte mit sich oder nur in beson-
deren Fällen (bitte Kriterien angeben)?

9. Welche Maßnahmen werden getroffen, wenn ein Datenabgleich einen
„Treffer“ („bad guy“) ergibt?

10. Welche Richtlinien, Erlasse oder sonstige Anleitungen gibt es zur Er-
hebung sowie zum Abgleich biometrischer Daten (bitte ggf. als Anlage
beifügen)?

a) Welche Personen können grundsätzlich von den Maßnahmen betroffen
sein?

b) Nach welchen Kriterien geht die Bundeswehr dabei vor, und welche
Unterschiede gibt es zum Vorgehen des US-Militärs?

c) Welches Verfahren ist vorgesehen für den Fall, dass sich Beschäftigte
von ISAF- oder Bundeswehrliegenschaften sowie Angehörige afghani-
scher Sicherheitskräfte, die fürs Partnering vorgesehen sind, einer bio-
metrischen Erfassung verweigern?

11. Welche Regelungen gibt es hinsichtlich der biometrischen Erfassung von
Personen, die als „potentielle Bedrohung“ oder mutmaßliche Widerstands-
kämpfer eingeschätzt werden?

a) Welche Kriterien werden angewandt, um einen (hinreichenden) Ver-
dacht auf aktive Mitgliedschaft in militant-oppositionellen Gruppen zu
begründen?

b) Inwiefern können Personen auch ohne Verdacht auf Zugehörigkeit zu
bewaffneten Gruppen von der biometrischen Erfassung betroffen wer-
den, und welche Kriterien gibt es hierfür?
c) Wer ist befugt, die Entscheidung zu treffen, ob die biometrischen Daten
einer Person erfasst werden?

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d) Inwiefern ist gewährleistet, dass biometrische Daten afghanischer
Frauen nur durch weibliche Bundeswehrangehörige erfasst werden?

12. Bei welcher Behörde ist die Datenbank angesiedelt?

Wie genau ist die Weitergabe der erhobenen Daten an US-Stellen geregelt?

a) Welche weiteren Daten (über die rein biometrischen Angaben hinaus)
werden in dieser Datenbank gespeichert, und gehören hierzu auch In-
formationen und Einschätzungen über mutmaßliche Zugehörigkeit zu
Oppositionsgruppen?

b) Welche Behörden bzw. Stellen tragen Daten zu dieser Datenbank bei,
und inwiefern haben diese das Recht, selbst Einträge vorzunehmen?

c) Welche weiteren US-Behörden, andere Behörden oder private Stellen
können unter welchen Voraussetzungen Daten aus dieser Datenbank
nutzen?

13. Wird vor Weitergabe der Daten eine bundeswehrinterne Prüfung vorge-
nommen, ob die Datenerhebung rechtmäßig war, und wenn ja, durch wel-
che Stelle und auf Grundlage welcher Informationen?

a) Wie rasch werden die Daten an die US-Stellen weitergeleitet?

b) An welche US-Stellen werden die Daten geleitet?

c) Inwiefern verbleiben Datensätze bei der Bundeswehr und wo genau?

d) Inwiefern haben andere Angehörige bzw. Einheiten des deutschen Ein-
satzkontingents und deutsche Polizeibehörden Zugang zu den erhobe-
nen Daten (bitte ggf. Rechtsgrundlage nennen), und wie oft wurde hier-
von bereits Gebrauch gemacht?

14. Wie regeln die afghanischen Gesetze den Datenschutz im Zusammenhang
mit der Erfassung biometrischer Daten und die (Widerspruchs)Rechte der
Betroffenen?

a) Werden Datenerhebung und/oder -abgleich vom freiwilligen Einver-
ständnis der Betroffenen oder einem Beschluss eines afghanischen Ge-
richts oder zumindest eines Staatsanwalts abhängig gemacht, und wenn
nein, warum nicht?

b) Inwiefern ist der ISAF Biometric Plan im Allgemeinen und die deutsche
Beteiligung daran im Besonderen mit (welchen) afghanischen Stellen
abgesprochen?

15. Haben Personen, deren biometrische Daten erfasst werden, gegenüber den
ausführenden Bundeswehrsoldaten ein Widerspruchsrecht, und wenn ja,
wie ist dieses ausgestaltet?

16. Welche Möglichkeiten haben Betroffene selbst oder die Bundeswehr, eine
Löschung oder Änderung der Daten bzw. sonstigen Dateieinträge durchzu-
setzen, wenn der Grund für die Datenerhebung entfällt (etwa, wenn der
Verdacht auf Zugehörigkeit zu bewaffneten Gruppierungen sich nicht be-
stätigt, die Anstellung als Ortskraft bei ISAF-Liegenschaften endet oder
die Person aus den Afghanischen Sicherheitskräften ausscheidet?

17. Verfügt die Bundesregierung über Möglichkeiten, die Zusage der US-Seite,
die von der Bundeswehr bereitgestellten Daten nur für die Erfüllung des
ISAF-Mandates zu verwenden, zu überprüfen (bitte ggf. ausführen)?

a) Welche Vorkehrungen wurden getroffen, um den Zugriff anderer Stellen
als des US-ISAF-Kontingents auf die von der Bundeswehr zugelieferten
Daten auszuschließen?

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b) Wie bewertet die Bundesregierung in diesem Zusammenhang den Um-
stand, dass die US-Militärtaktik auch vorsieht, außerhalb von Gefechts-
situationen Personen bzw. Personengruppen außergerichtlich zu töten
(wie etwa mittels Drohnenangriffen), und inwiefern hält sie dieses Vor-
gehen vom ISAF-Mandat für gedeckt?

Welche Rolle spielt hierbei die Gefahr, dass die Datenweitergabe durch
die Bundeswehr zur Ermordung einer Person sowie weiterer Personen
in ihrem Umfeld durch die USA führen kann?

c) Welche Maßnahmen sind vorgesehen für den Fall, dass die USA die
Vereinbarungen im Memorandum of Understanding verletzen?

18. Welche Kenntnis hat die Bundesregierung über die Vorgehensweise ande-
rer ISAF-Beiträger hinsichtlich der Erhebung/des Abgleichs biometrischer
Daten?

19. Trifft es zu, wie von „Augen geradeaus“ gemeldet, dass die Bundeswehr
sich bei der Rüstungsindustrie nach einem mobilen System „zur Erfassung,
Verarbeitung und zum Umgang mit biometrischen Daten“ erkundigt hat,
und wenn ja,

a) aus welchem Grund will die Bundeswehr solche Geräte neu entwickeln
lassen, anstatt die auf dem Markt vorhandenen zu nutzen,

b) welcher finanzielle Umfang ist für die Entwicklung/Produktion der Ge-
räte anvisiert?

Berlin, den 3. August 2011

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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