BT-Drucksache 17/6704

Projektträger in der Wissenschafts-, Forschungs- und Innovationspolitik

Vom 28. Juli 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/6704
17. Wahlperiode 28. 07. 2011

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Krista Sager, Ekin Deligöz, Katja Dörner, Kai Gehring,
Agnes Krumwiede, Monika Lazar, Tabea Rößner, Till Seiler und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Projektträger in der Wissenschafts-, Forschungs- und Innovationspolitik

Mit Schreiben vom 9. Februar 2011 an den Ausschuss für Bildung, Forschung
und Technikfolgenabschätzung hat die Bundesministerin für Bildung und For-
schung, Dr. Annette Schavan, angekündigt, die Auswahl der Projektträger für
das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) „vollständig (…)
auf ein umfassendes wettbewerbliches Verfahren“ umzustellen. Die Verträge
der bisherigen acht Projektträger mit dem BMBF laufen zum 31. Dezember
2011 aus.

Das Projektträgersystem ist ein zentraler Bestandteil der forschungspolitischen
Governance und für den Vollzug der Innovationspolitik und deren Zielerrei-
chung von nicht zu unterschätzender Bedeutung. Deutliche Kritik an den bishe-
rigen Strukturen formulierte die von der Bundesregierung eingesetzte Exper-
tenkommission für Forschung und Innovation in ihrem Gutachten 2010: „Pro-
gramme werden häufig fortgeschrieben und können über Jahrzehnte laufen.
Das gewachsene organisatorische Gefüge von Ressorts, Projektträgern und
Forschungseinrichtungen ist mit dafür verantwortlich, dass es bislang noch
keine konsequente strategische Neuausrichtung in der Innovationspolitik ge-
geben hat“ (EFI-Gutachten 2010, S. 48 f.).

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie bewertet die Bundesregierung die Funktionsfähigkeit des bisherigen
Projektträgersystems im Bereich der Wissenschafts-, Forschungs- und Inno-
vationspolitik?

2. Hat die Bundesregierung geprüft, ob das im internationalen Vergleich sehr
außergewöhnliche deutsche Projektträgersystem im Bereich der Wissen-
schafts-, Forschungs- und Innovationspolitik durch ein Agentursystem er-
setzt werden kann, und wenn ja, aus welchen Gründen hat sie sich gegen
eine Agenturlösung entschieden?

3. Welche Konsequenzen hat die Bunderegierung aus der Feststellung der von
ihr eingesetzten Expertenkommission für Forschung und Innovation ge-

zogen, „dass das gewachsene organisatorische Gefüge von Ressorts, Pro-
jektträgern und Forschungseinrichtungen mit dafür verantwortlich sei, dass
es bislang noch keine konsequente strategische Neuausrichtung in der Inno-
vationspolitik gegeben hat“?

Drucksache 17/6704 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

4. Welche Schritte will die Bundesregierung unternehmen, um der von der
Expertenkommission für Forschung und Innovation problematisierten
Kompartimentierung bzw. Versäulung entgegenzuwirken, die durch das
Projektträgersystem mit bewirkt werden?

5. Welche Maßnahmen will die Bundesregierung ergreifen, um die enge
Involvierung der Projektträger in die Programmevaluationen zu beenden?

6. Wie beurteilt die Bundesregierung die Gefahr, dass Projektträger auch ein
kommerzielles Interesse an der Aufrechterhaltung und Erweiterung der von
ihnen betreuten Programme haben, und welche Schritte unternimmt die
Bundesregierung, um dieser Gefahr zu begegnen?

7. Welche Schritte will die Bundesregierung unternehmen, damit die Erfah-
rungen aus Evaluationen zwischen den Projektträgern und den verschiede-
nen Referaten geteilt werden?

8. Welche Schritte will die Bundesregierung unternehmen, um den Wissens-
austausch über die Projektträger hinaus zu verbessern, damit zum Beispiel
die gemeinsame Durchführung multidisziplinärer Programme erleichtert
werden kann?

9. Wie viele der 914 verbeamteten bzw. angestellten Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter des BMBF sind für den Wissenschafts- und Forschungsbereich
zuständig (Kapitel 30 03 und 30 04 des Einzelplans 30), und wie viele Pro-
jektmitarbeiterinnen und -mitarbeiter (Vollzeitäquivalente) sind bei den
Projektträgern für Programme aus den Kapiteln 30 03 und 30 04 des Ein-
zelplans 30 eingesetzt?

10. Wie bewertet die Bundesregierung das Größenverhältnis zwischen der An-
zahl der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Bundesministerium, die für
den Wissenschafts- und Forschungsbereich zuständig sind, im Vergleich zu
deren Anzahl bei den Projektträgern?

11. Schließt sich die Bundesregierung der Einschätzung der EFI-Studie zum
deutschen Innovationssystem Nr. 11-2010 an, dass es die Gefahr der Kon-
zentration strategischen Wissens bei den Projektträgern gibt (ebd., S. 161),
und welche Schritte will die Bundesregierung unternehmen, diese Konzen-
tration zu vermeiden?

12. Aus welchen Gründen will die Bundesregierung die Vergabe der Projekt-
trägerschaften im Bereich des BMBF auf wettbewerbliche Vergabe umstel-
len?

13. Soll die wettbewerbliche Vergabe auch die nationalen und internationalen
Aufgaben des Forschungsmanagements umfassen, insbesondere die natio-
nalen Kontaktstellen für die verschiedenen Bereiche des europäischen For-
schungsrahmenprogramms?

14. Welches konkrete wettbewerbliche Vergabeverfahren plant die Bundes-
regierung im Bereich des BMBF anzuwenden, und was sind die Gründe für
die Entscheidung für dieses Verfahren gegenüber anderen wettbewerb-
lichen Verfahren?

15. Erwartet die Bundesregierung durch die Umstellung der Projektträgeraus-
wahl eine Erweiterung des Kreises der Projektträger für das BMBF?

16. Welche Summe hat die Bundesregierung pro Jahr seit 2005 für die Projekt-
träger im Bereich des BMBF (Einzelplan 30, Kapitel 30 03 und 30 04) auf-
gewandt, und wie hoch war jeweils der Anteil der Projektträgerkosten an
den gesamten Programmkosten?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/6704

17. Erwartet die Bundesregierung durch die Umstellung der Projektträgeraus-
wahl finanzielle Einsparungen im Bereich der Projektträgerkosten, und
wenn ja, in welcher Höhe, und an welcher Ausgabenposition der Projekt-
träger (Sachkosten, Personalkosten u. Ä.) vermutet sie Einsparpotenzial?

18. Erwartet die Bundesregierung durch die Umstellung der Projektträgeraus-
wahl eine qualitative Verbesserung der Arbeit der Projektträger, und wenn
ja, in welchen Bereichen?

19. Hält die Bundesregierung an dem Ziel fest, sämtliche Projektträgerschaften
des BMBF mit Wirkung zum 1. Januar 2012 auf wettbewerbliche Verfah-
ren umzustellen?

20. Wie viele Projektträgerschaften mit welchem Auftragsvolumen wird das
BMBF noch in 2011 öffentlich ausschreiben müssen, um wie angekündigt
die Vergabe der Projektträgerschaften ab dem 1. Januar 2012 vollständig
auf wettbewerbliche Verfahren umzustellen?

21. Plant die Bundesregierung alle zum 31. Dezember 2011 endenden Projekt-
trägerschaften im Bereich des BMBF gleichzeitig zu vergeben, und wel-
chen Zeitplan für das Vergabeverfahren hat sich das BMBF gesetzt?

22. Welche Erfahrung hat das BMBF bislang mit der wettbewerblichen Ver-
gabe von Projektträgerschaften (bitte Angabe der Projekte und des Verga-
bejahrs)?

23. Welche konkreten organisatorischen Vorkehrungen zur Vorbereitung auf
wettbewerbliche Verfahren sind bei den aktuell für das BMBF tätigen Pro-
jektträgern nötig, und inwieweit sind sie bei den Projektträgern, die organi-
satorische Einheiten staatlich finanzierter Forschungseinrichtungen sind,
schon umgesetzt worden?

24. Wie bewertet die Bundesregierung die „freihändige Vergabe mit vorge-
schaltetem öffentlichen Teilnahmewettbewerb“, die seit 2007 vom Bundes-
ministerium für Wirtschaft und Technologie (BMWi) praktiziert wird?

25. An welche neuen Projektträger, die bis 2007 noch keine Trägerschaften für
das BMWi übernommen hatten, sind Projektträgerschaften seit Einführung
der freihändigen Vergabe mit vorgeschaltetem öffentlichen Teilnahmewett-
bewerb vergeben worden (bitte unter Angabe des Auftragsvolumens)?

26. Konnte durch die Umstellung der Projektträgerauswahl im BMWi eine
Kostensenkung im Bereich der Projektträgerkosten erreicht werden, und
wenn ja, in welcher Höhe?

27. Wie hoch war 2006, 2008 und 2010 jeweils der Anteil der Projektträger-
kosten für Forschungs- und Innovationsprojekte im Bereich des BMWi,
gemessen an den gesamten Programmkosten der von Projektträgern im Be-
reich des BMWi betreuten Programme?

28. Welche anderen Staaten der EU vergeben nach Kenntnis der Bundesregie-
rung Projektträgerschaften für staatlich finanzierte Forschung- und Innova-
tionsprojekte bzw. Aufgaben, die in Deutschland von den Projektträgern
übernommen werden, wettbewerblich?

In welchem Umfang geschieht dies?

29. Wie hoch ist nach Einschätzung der Bundesregierung der Anteil der Pro-
jektträgerschaften im Wissenschafts- und Forschungsbereich, die gemäß
der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes künftig europaweit
ausgeschrieben werden müssten?

Drucksache 17/6704 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
30. Wie beurteilt die Bundesregierung die rechtlichen Möglichkeiten, Projekt-
träger aus anderen EU-Staaten zu beleihen, so dass sie befugt sind, Förder-
entscheidungen nicht nur vorzubereiten, sondern sie innerhalb festgelegter
fachlicher und rechtlicher Vorgaben selbst zu treffen?

31. Wie hoch schätzt die Bundesregierung die Wahrscheinlichkeit ein, dass bei
einem strikt wettbewerblichen Vergabeverfahren auch ausländische Anbie-
ter insbesondere aus der EU zum Zuge kommen?

Berlin, den 28. Juli 2011

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

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