BT-Drucksache 17/6599

Missachtung des Gewaltverbotes bei militärischer Mission EUTM Somalia

Vom 14. Juli 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/6599
17. Wahlperiode 14. 07. 2011

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Sevim Dag˘delen, Wolfgang Gehrcke, Christine Buchholz,
Annette Groth, Heike Hänsel, Inge Höger, Andrej Hunko, Niema Movassat,
Katrin Werner und der Fraktion DIE LINKE.

Missachtung des Gewaltverbotes bei militärischer Mission EUTM Somalia

Die somalische Übergangsregierung (TFG) hat in letzter Zeit größere Gelände-
gewinne gemacht, bei denen die Machtkämpfe innerhalb des seit Jahren toben-
den Bürgerkrieges, insbesondere angesichts des Rücktritts des Premierminis-
ters Mohamed Abdullahi Mohamed am 19. Juni, wieder offen zutage traten.
Zuvor hatte die TFG sich unter ugandischer Vermittlung ihr Mandat eigen-
mächtig bis 2012 verlängert. Die Machtkämpfe könnten der Al-Shabaab-Bewe-
gung die Möglichkeit eröffnen, verlorenes Terrain wieder gutzumachen. Neben
der stattfindenden Stellvertreterkonflikte, die von Kenia und Äthiopien auf dem
Rücken der somalischen Bevölkerung ausgetragen werden, droht auch das Ein-
greifen Ugandas in den Bürgerkrieg zu einer Ausweitung des Konfliktes beizu-
tragen und den autoritären Machthaber Yoweri Kaguta Museveni zu stärken.

Am 10. Juni 2011 einigten sich die Botschafter der EU-Mitgliedstaaten im Poli-
tischen und Sicherheitspolitischen Komitee (PSK) auf die Durchführung eines
weiteren dritten Ausbildungszyklus im Rahmen der seit dem 7. April 2010
stattfindenden European Training Mission Somalia (EUTM Somalia). Die
inhaltliche Ausgestaltung des Mandates wurde anschließend bei einem Treffen
der Direktion Krisenmanagement und Planung (CMPD), dem Herzstück des
neuen Europäischen Auswärtigen Dienstes (EAD), in der ugandischen Haupt-
stadt Kampala zusammen mit ugandischen und somalischen Vertretern sowie
dem US State Departement abgestimmt. Die USA beteiligen sich in Koopera-
tion mit der EUTM an dem Training der Streitkräfte der somalischen Über-
gangsregierung durch die Uganda Peoples Defence Force (UPDF) in Uganda.

Das Auswärtige Amt finanzierte des Weiteren die Ausbildung somalischer
Sicherheitskräfte durch Äthiopien mit 600 000 Euro, von denen einige zum
Zeitpunkt der Ausbildung minderjährig waren (siehe Plenarprotokoll 17/86).

Die Einbeziehung der ausgebildeten Polizisten und Soldaten, welche die Bun-
desregierung nach ihren Angaben (siehe Plenarprotokoll 17/86) kaum zu unter-
scheiden vermag, in militärische Gefechte kann nicht ausgeschlossen werden,
obwohl die Bundesregierung hierüber bislang jegliche Kenntnis geleugnet hat.

So waren im Herbst 2010 offensichtlich durch Äthiopien mit deutscher
Finanzierung ausgebildete Milizionäre an Gefechten in der Nähe der somali-
schen Stadt Bulo Hawo in der Provinz Gedo, im Grenzgebiet zu Kenia und
Äthiopien, beteiligt. Beim bereits erwähnten Treffen der CMPD in Kampala hat
ein Vertreter der somalischen Übergangsregierung angegeben, die im Rahmen
von der EUTM ausgebildeten Soldaten hätten sich bereits „im Kampf be-
währt“.

Drucksache 17/6599 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Eine Teilnahme an bewaffneten Auseinandersetzungen, bei der es zum Einsatz
bzw. der Androhung von Waffengewalt kommt, hatte die Bundesregierung in
der Antwort auf eine Mündliche Frage am 11. Mai 2011 noch zurückgewiesen
(siehe Plenarprotokoll 17/107, Frage 42).

Nach Angaben des European Security Review stellen vor allem die fehlenden
Führungs- und Kontrollstrukturen der durch die EU ausgebildeten somalischen
Soldaten die größte Herausforderung dar. Offensichtlich kam es bereits zu
ersten Desertationen. Damit leistet auch die in Uganda eingesetzte Bundeswehr
durch ihre Ausbildung kaum zu kontrollierender Kombattanten einen Beitrag
zur weiteren Eskalation des Bürgerkrieges in Somalia. Die Bundesregierung
hat dabei in der Beantwortung einer Mündlichen Frage am 26. Januar 2011
(siehe Plenarprotokoll 17/86) eingestanden, dass im Rahmen dieser Ausbildung
auch die Rekrutierung und Ausbildung von Kindersoldaten mitfinanziert wird.

Insbesondere die schweren Gefechte in Mogadischu seit der Ankunft der im
Rahmen der EUTM ausgebildeten Soldaten werfen eine Reihe von Fragen be-
züglich der Rolle der durch die EU bzw. die Bundesregierung mitfinanzierten
Streitkräfte und einer möglichen Beteiligung der Bundeswehr an bewaffneten
Unternehmungen im Ausland auf. Damit berühren sie auch die zwingend ein-
zuhaltenden Vorschriften des Grundgesetzes bezüglich des Einsatzes deutscher
Streitkräfte sowie des Parlamentsbeteiligungsgesetzes (ParlBG).

Eine Einbeziehung auch deutscher Streitkräfte in bewaffnete Unternehmungen
in Somalia kann grundsätzlich nicht mehr ausgeschlossen werden. Hervorzuhe-
ben ist dabei, dass die EUTM selbst über keine völkerrechtliche Legitimation
zur Anwendung von Gewaltmaßnahmen, wie sie das System der kollektiven
Sicherheit des UN-Sicherheitsrates nach Kapitel VII der UN-Charta vorsieht,
verfügt. Somit sind die an ihr teilnehmenden Ausbilder als auch die Ausgebil-
deten im Rahmen dieser Mission zum Einsatz von Gewalt nicht berechtigt, so-
fern sie keine gesonderte völkerrechtliche Legitimierung vorweisen können.
Jegliche militärischen Maßnahmen, auch die der von der EU im Rahmen der
EUTM Somalia ausgebildeten somalischen oder anderen ausländischen Streit-
kräfte, fallen unter das absolute Gewaltverbot nach Artikel 2 Nummer 4 der
UN-Charta.

Eine Evaluierung der verschiedenen ausländischen militärischen und polizei-
lichen Missionen in Ostafrika, insbesondere der EUTM Somalia, hat bislang
nicht stattgefunden. Die EU hat bislang auch keine kohärente Gesamtstrategie
für ihre Außenpolitik am Horn von Afrika vorgelegt, aus der die Ziele und
Zwecke der dort stattfindenden Militär- und Polizeieinsätze ersichtlich würden.

Gemäß Artikel 12 der Entscheidung des Rates vom 15. Februar 2010 (2010/96/
GASP) sollte die EUTM nach zwei konsekutiven Ausbildungszyklen von je
6 Monaten im Mai 2011 auslaufen. Obwohl weder im Deutschen Bundestag
noch im Europäischen Parlament bislang über eine Verlängerung des Mandates
der EUTM beraten oder ein entsprechender Beschluss des Rates erzielt worden
ist, wurden den internationalen und somalischen Partnern durch das CMPD of-
fensichtlich bereits eine Fortführung der Mission zugesagt und entsprechende
Maßnahmen in Somalia eingeleitet, um weitere Soldaten in Bihanga auszubil-
den.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Welche Zusagen im Zusammenhang mit einer Fortführung der EUTM So-
malia hat die Bundesregierung hinsichtlich der inhaltlichen Ausgestaltung
der Mandatsverlängerung der EUTM wann, wo und gegenüber welchen in-
ternationalen Partnern bzw. Stellen getroffen?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/6599

2. Wann und in welcher Form wurde welche zuständige Stelle des Deutschen
Bundestages und mit welchem Inhalt über diese Zusagen bzw. die in Aus-
sicht gestellte Fortführung der EUTM Somalia informiert?

3. Wer hat in welcher Funktion von deutscher und EU-Seite zwischen dem
14. und 17. Juni dieses Jahres in Kampala (Uganda) an Treffen der CMPD,
begleitet vom Militärstab der EU (EUMS) und dem Mechanismus zur Fi-
nanzierung gemeinsamer Militäroperationen (Athena) mit welchem Zweck
und mit welchen Redebeiträgen teilgenommen?

a) Zu welchem Zweck und mit welchen Redebeiträgen nahm an dem Tref-
fen der Generalleutnant Katumba Wamal, Kommandeur der Uganda
Peoples Defence Force, teil?

b) Zu welchem Zweck und mit welchen Redebeiträgen nahm an dem Tref-
fen der Brigadegeneral Abdulkadir Sheikh Ali Dini, Kommandeur der
Somalischen Streitkräfte, teil?

c) Zu welchem Zweck und mit welchen Redebeiträgen nahmen an dem
Treffen Vertreter des US State Departements teil?

d) Welche Art von Kooperationsvereinbarungen hinsichtlich von Waffen-
lieferungen aus den USA für somalische Streitkräfte bestehen, wurden
getroffen bzw. werden geplant?

e) Welche Rolle bzw. Koordinierungsfunktion spielt bei diesen Waffenliefe-
rungen die EU?

f) In welcher Art und Form wurde bzw. ist die Bundesrepublik Deutschland
an den bestehenden bzw. geplanten Waffenlieferungen an somalische
Streitkräfte einbezogen?

4. Was ist der Bundesregierung über die bisherigen und aktuellen Einsätze der
im Rahmen der Mission EUTM Somalia ausgebildeten Soldaten bekannt
(bitte nach Ausbildungsort, Einsatzort, Datum der Verlegung aus Uganda,
Zahl der eingesetzten Soldaten, derzeitigem Standort, Kommandounter-
stellung, Staatsangehörigkeit, Rekrutierungsalter, Gefechtsbeteiligungen und
Verlusten sowie Desertionen getrennt auflisten)?

5. Welche bewaffneten Einheiten, die dem Bundesministerium der Verteidi-
gung (BMVg) und/oder auch dem Bundesministerium des Innern (BMI) un-
terstellt sind, nahmen in welcher Stärke, mit welcher Bewaffnung, unter Ein-
satz welcher Transportmittel und in welcher Anzahl sowie unter Verwen-
dung welcher anderen Fahrzeuge oder Hilfsmittel an Missionen auf somali-
schem Staatsgebiet teil?

6. Welche bewaffneten Einheiten, die dem Bundesministerium der Verteidi-
gung und/oder auch dem Bundesministerium des Innern unterstellt sind,
nahmen in welcher Stärke, mit welcher Bewaffnung, unter Einsatz welcher
Transportmittel und in welcher Anzahl sowie unter Verwendung welcher an-
deren Fahrzeuge oder Hilfsmittel an Missionen auf ugandischem Staatsge-
biet teil?

7. Welche der in den Fragen 4, 5 und 6 genannten Einheiten haben wann, wo
und mit welchen anderen somalischen, ugandischen, äthiopischen oder
internationalen Partnern an polizeilichen bzw. militärischen Maßnahmen der
Beratung, Hilfe bzw. jeder anderen Form der Zusammenarbeit oder Kontakt-
aufnahme teilgenommen?

8. Welche Anstrengungen, Maßnahmen und Projekte wurden, sind bzw. wer-
den von der Bundesregierung bezüglich des Aufbaus der Reorganisation
sowie Unterstützung des Sicherheitssektors in Somalia unternommen oder

geplant?

Drucksache 17/6599 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

9. Welche Anstrengungen, Maßnahmen und Projekte wurden, sind bzw. wer-
den von der Bundesregierung bezüglich des Aufbaus der Reorganisation
sowie Unterstützung des Sicherheitssektors in Uganda unternommen oder
geplant?

10. Welche Anstrengungen, Maßnahmen und Projekte wurden, sind bzw. wer-
den von der Bundesregierung bezüglich des Aufbaus, der Reorganisation
sowie Unterstützung des Sicherheitssektors in Äthiopien unternommen
oder geplant?

11. Welche Bundesbehörden sind im Zusammenhang mit den in den Fragen 8,
9 und 10 genannten Maßnahmen mit Beratungstätigkeiten, Ausbildungs-
oder Materialhilfe involviert?

12. Wer und auf welcher verfassungsrechtlichen Grundlage koordiniert in der
Bundesrepublik Deutschland die Zusammenarbeit der verschiedenen inter-
nationalen und nationalen Partner bei der Ausbildung und Ausstattung von
Soldaten im Rahmen der EUTM Somalia?

13. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über die Koordination der
Ausbildung im Rahmen der EUTM Somalia mit Ausstattungshilfe bzw.
Waffenlieferungen durch die USA (bitte nach Datum, zuständiger Stelle,
Ort, Anzahl, Art, Lieferern, Empfängern und finanziellem Umfang ge-
trennt auflisten)?

14. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über die Teilnahme von in
Uganda, Äthiopien, Kenia und Djibouti ausgebildeten somalischen Sicher-
heitskräften an bislang stattgefundenen Gefechten und Maßnahmen der
Entwaffnung von Kämpfern in Mogadischu?

15. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über Gefechte im Zusammen-
hang mit der Entwaffnung von Kämpfern in Somalia, die von Einheiten
durchgeführt wurden, welche zuvor im Rahmen der EUTM bzw. der
AMISOM (African Union Mission in Somalia) ausgebildet wurden?

a) Wer hatte das Kommando über die betreffenden Einsatztruppen (bitte
nach Datum, Ort, Einsatzzweck, Zahl der eingesetzten Kräfte getrennt
auflisten)?

b) Welche Nationalität besaßen die an den betreffenden Maßnahmen betei-
ligten bzw. eingesetzten Sicherheitskräfte?

c) Welche Kämpfer wurden dabei wann und wo entwaffnet?

d) Haben die bewaffneten Kämpfer der Gegenseite ihre Waffen freiwillig
abgegeben oder kam es dabei zum Einsatz von Gewalt in Form von
Drohungen des Schusswaffengebrauchs bzw. des Einsatzes von Schuss-
waffen selbst?

16. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über bisherige Einsätze von
bewaffneten Einheiten, die zuvor im Rahmen der EUTM Somalia in
Bihanga ausgebildet wurden?

17. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über die Integration der im
Rahmen der EUTM ausgebildeten Soldaten in die Kommandostruktur der
somalischen Streitkräfte?

18. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über die Herkunft und
Anzahl der Deserteure aus bewaffneten Einheiten, die zuvor im Rahmen
der EUTM ausgebildet wurden (bitte nach Zahl, Herkunft und Eingliede-
rung in neue Gruppierungen auflisten)?

19. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über die anschließende Inte-

gration der Deserteure in andere Sicherheitskräfte oder Milizen (bitte nach
Zahl, Herkunft und Eingliederung in welche Gruppierung auflisten)?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5 – Drucksache 17/6599

20. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über die Rekrutierung und
Ausbildung von Kindersoldaten bzw. Minderjährigen durch zuvor im Rah-
men von Ausbildungsmaßnahmen der EUTM ausgebildeten militärischen
oder polizeilichen Einheiten?

21. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über Gefechte zwischen ugan-
dischen, äthiopischen und somalischen Soldaten (bitte nach Datum, Ort,
Einsatzzweck, Zahl der eingesetzten Kräfte getrennt auflisten)?

22. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über die Tätigkeit ugan-
discher Truppen, die in Somalia eingesetzt sind und zuvor im Rahmen von
Ausbildungs- bzw. Ausstattungshilfe von Mitgliedstaaten der EU unter-
stützt wurden?

23. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über Anschläge, wie sie am
11. Juli 2011 in Uganda und in anderen Ländern verübt worden sind, die
sich militärisch in Somalia engagieren?

24. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über den Einsatz und die
Gefechtsbeteiligung der von den Armed Forces of Malta (AFM) ausgebilde-
ten 200 somalischen Rekruten, die nach offiziellen Angaben die Lebensum-
stände der somalischen Bevölkerung verbessern sollten?

25. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über die Herkunft und
Fluchtursachen einer Gruppe von 227 Flüchtlingen aus Somalia und
Eritrea, die am 6. Mai 2009 über Libyen nach Italien gelangen wollten und
von denen 24 eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschen-
rechte gegen Italien eingereicht haben, weil ihnen die Asylantragstellung
verweigert wurde und sie von der italienischen Grenzpolizei aufgegriffen
und direkt an libysche Sicherheitskräfte überstellt wurden?

Berlin, den 8. Juli 2011

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.