BT-Drucksache 17/6462

Gültigkeit der Garantieverträge zu Zypern

Vom 5. Juli 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/6462
17. Wahlperiode 05. 07. 2011

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Sevim Dag˘delen, Heike Hänsel, Sahra Wagenknecht,
Dr. Diether Dehm, Annette Groth, Inge Höger, Niema Movassat, Katrin Werner
und der Fraktion DIE LINKE.

Gültigkeit der Garantieverträge zu Zypern

Trotz eines stark polarisiert geführten Wahlkampfs hat es die konservative
Partei „Dimokratikos Synagermos“ (DISY) in der Republik Zypern nicht ge-
schafft, die kommunistische Partei „Anorthotiko Komma Ergazomenou Laou“
(AKEL) von Staatspräsident Dimitris Christofias in Bedrängnis zu bringen.
DISY scheiterte am selbsterklärten Wahlziel von 37 Prozent und obwohl sie mit
34,28 Prozent mehr als 3 Prozent zulegen konnte und stärkste Partei wurde, hat
sich durch die Wahlen das Verhältnis der politischen Kräfte eher zu Gunsten der
AKEL verschoben. Von den 56 Sitzen in der zyprischen Volksvertretung erhält
DISY 20 und die AKEL 19 Sitze. Drittstärkste Kraft wurde die zentristische
Partei „Dimokratiko Komma“ (DIKO) mit 15,8 Prozent und neun Abgeordne-
ten. 8,9 Prozent und fünf Sitze erhält nach dem Endergebnis die sozialdemokra-
tische Partei „Kinima Sosialdimokraton“ (EDEK). Weitere 24 Sitze sind formal
für die türkische Bevölkerungsgruppe Zyperns reserviert. Allerdings nahmen
die Bürger/innen des türkisch besetzten Teils der Insel nicht an der Wahl teil.
Zwar ist die Bedeutung der Parlamentswahl geringer als die Wahl des Staats-
oberhaupts, da in Zypern ein Präsidialsystem besteht (die nächsten Präsident-
schaftswahlen finden 2013 statt), doch kann das Wahlergebnis als klare Bestäti-
gung und Unterstützung des politischen Kurses der derzeitigen Regierung aus
AKEL und DIKO und des Staatspräsidenten Dimitris Christofias in Bezug auf
den Vereinigungsprozess gesehen werden.

Demgegenüber beabsichtigt die islamisch-konservative Regierungspartei AKP
der Türkei nach ihrem letzten Wahlsieg zwar die Beziehungen zur EU zu ver-
bessern, davon ausgenommen bleibt aber das Verhältnis zur Republik Zypern.
Im Streit um die Wiedervereinigung der geteilten Mittelmeerinsel sei die Ge-
duld der Türkei bald am Ende, so Nabi Avci, außenpolitischer Berater von
Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan und neu gewählter AKP-Parlaments-
abgeordneter, laut dpa-Meldung vom 16. Juni 2011. Obwohl die türkische Seite
seit Jahren eine Lösung des Zypernkonflikts verhindert, droht sie an, einen end-
gültigen Zustand anzustreben, indem dem türkisch besetzten Teil Zyperns eine
möglichst weitreichende internationale Anerkennung verschafft werden soll.

Zypern ist seit 1974 infolge der völkerrechtswidrigen türkischen Militärinter-
vention und seither anhaltenden Besetzung faktisch geteilt. International an-
erkannt ist nur die Republik Zypern, die de jure die gesamte Insel umfasst. Der
türkisch besetzte nördliche Teil Zyperns wird lediglich von der Türkei aner-
kannt. Die Insel ist seit 2004 Mitglied der EU. Die Vereinten Nationen (UN)
führen seit Jahrzehnten Gespräche zur Überwindung der Teilung.

Drucksache 17/6462 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Was ist der Bundesregierung über einen Bericht des Rechtsausschusses der
Parlamentarischen Versammlung des Europarates vom Februar 2011 be-
kannt, in dem die Gültigkeit der Verträge der Garantiemächte Zyperns (Grie-
chenland, Türkei und Großbritannien), die im Zuge der Unabhängigkeit
Zyperns 1960 geschlossen wurden, in Frage gestellt werden?

2. Inwieweit teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass die Türkei mit der
Invasion von 1974 gegen ihre Verpflichtungen aus dem Garantievertrag vom
16. August 1960, geschlossen mit der Republik Zypern, Großbritannien und
Griechenland, als Garantiemacht verstoßen hat?

3. Inwieweit teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass die Türkei mit der
Invasion 1974 gegen Artikel IV des Garantievertrags verstoßen hat, da sie
sich nicht, wie im Falle eines Vertragsbruchs verpflichtet, vorab mit den bei-
den anderen Garantiemächten Großbritannien und Griechenland hinsichtlich
der zu treffenden Maßnahmen konsultiert hat?

4. Inwieweit teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass die Türkei mit der
Invasion 1974 gegen Artikel IV des Garantievertrags bereits deshalb versto-
ßen hat, weil sie nicht, wie es für den Fall verpflichtend gewesen wäre, dass
ein gemeinsames oder abgestimmtes Vorgehen der Garantiestaaten nicht
möglich ist, ausschließlich Aktionen mit dem einzigen Ziel durchgeführt
hat, den mit dem Garantievertrag geschaffenen Status quo mit ihrer militä-
rischen Intervention wiederherzustellen, sondern diesen Status quo gerade
entscheidend verändert hat?

5. Inwieweit teilt die Bundesregierung die juristische Auffassung, dass der
Garantievertrag wegen Wegfall der Geschäftsgrundlage, die bei Vertrags-
schluss angenommen wurde (clausula rebus sic stantibus), bzw. aufgrund
materiellen Vertragsbruchs in Form der völkerrechtswidrigen Intervention
der Republik Türkei im Jahre 1974 seine Gültigkeit verloren hat?

6. Inwieweit teilt die Bundesregierung die juristische Auffassung, der Garan-
tievertrag verstoße gegen zwingendes Völkerrecht, namentlich gegen das
Gewaltverbot aus Artikel 2 Nummer 4 der UN-Charta, in dem es heißt: Alle
Mitglieder unterlassen in ihren internationalen Beziehungen jede gegen die
territoriale Unversehrtheit oder die politische Unabhängigkeit eines Staates
gerichtete oder sonst mit den Zielen der UN unvereinbare Androhung oder
Anwendung von Gewalt?

7. Inwieweit teilt die Bundesregierung die juristische Auffassung, dass die
Gültigkeit des Garantievertrages von 1960 durch die Resolution 186 (1964)
obsolet wurde, da der UN-Sicherheitsrat – feststellend, dass die Situation in
Bezug auf Zypern wahrscheinlich eine Bedrohung für den internationalen
Frieden und die Sicherheit darstellt, die sich möglicherweise noch weiter
verschlechtern könnte, wenn nicht zusätzliche Maßnahmen unverzüglich er-
griffen werden, um Frieden zu erhalten bzw. eine dauerhafte Lösung zu su-
chen – entsprechende eigene Maßnahmen beschloss?

8. Inwieweit teilt die Bundesregierung die juristische Auffassung, dass mit
dem Verlust der Gültigkeit des Garantievertrages wegen seiner faktischen
Desaktualisierung auch die Rechtfertigung der weiteren Stationierung der
sog. Sovereign Base Areas (SBA) in Akrotiri und Dhakelia auf Grundlage
des Gründungsvertrages seine Rechtfertigung verloren hat?

9. Inwieweit ist die Bundesregierung der juristischen Auffassung, dass die
völkerrechtlichen Verträge, die Zypern in die Unabhängigkeit von der
britischen Kolonisation führten, als Verträge unter gleichen und souveränen
Vertragspartnern im Sinne von Artikel 2 Nummer 1 der UN-Charta abge-
schlossen wurden?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/6462

10. Inwieweit teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass Zypern nicht ge-
nötigt wurde, auf große Teile seines Hoheitsgebiets zu verzichten (nament-
lich die SBA), um ein Ende der Kolonialherrschaft zu erreichen?

11. Inwieweit teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass die Zypernver-
handlungen nicht zwischen zwei staatlichen Entitäten geführt werden?

12. Inwieweit teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass in den entspre-
chenden Resolutionen der UN zu Zypern stets von der Schaffung einer
bizonalen, bikommunalen Föderation und nicht einer losen Konföderation
ausgegangen wird und dies seit den High-Level-Abkommen von 1977 und
1979 Verhandlungsgrundlage ist?

13. Inwieweit ist der Bundesregierung bekannt, dass der unter Frage 1 ange-
sprochene Bericht davon ausgeht, dass die Türkei gegen ihre Rolle als
Garantiemacht verstoßen habe, da mit der Invasion der Türkei 1974 nicht
Konflikte verhindert wurden und die militärische Invasion nicht zum
Schutz der türkischen Zyprer erfolgt sei, sondern aus strategischem Inte-
resse und dass die Türkei mit und infolge der Invasion massiv Menschen-
rechte verletzt habe?

14. Inwieweit ist der Bundesregierung bekannt, dass der unter Frage 1 ange-
sprochene Bericht auch die Legitimität der britischen Militärbasen auf Zy-
pern in Frage stellt, die mit dem Unabhängigkeitsvertrag etabliert wurden?

15. Inwieweit ist der Bundesregierung bekannt, wie das Abstimmungsergebnis
des unter Frage 1 angesprochenen Berichts im Europarat war, und wie sich
die deutschen Delegationsmitglieder zu dem Bericht verhalten haben?

16. Inwieweit teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass die Verbote sei-
tens der Türkei gegenüber Zypern, demnach unter zyprischer Flagge fah-
rende Schiffe keine türkischen Häfen anlaufen oder den Bosporus passie-
ren dürfen, gegen die Bestimmungen der Zollunion zwischen der EU und
der Türkei verstoßen?

17. Inwieweit teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass die Verbote sei-
tens der Türkei gegenüber Zypern, demnach zyprische Fluglinien die Nut-
zung türkischer Flughäfen und des türkischen Luftraums verweigert wird,
gegen die Bestimmungen der Zollunion zwischen der EU und der Türkei
verstoßen?

18. Inwieweit teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass die Türkei das
sog. Ankara-Protokoll, das die Ausdehnung der seit 1996 bestehenden
Zollunion der EU mit der Türkei auf die zehn der EU im Mai 2004 beige-
tretenen neuen Mitglieder regelt, darunter auch die Republik Zypern, ohne
Gegenleistung bzw. -forderung umzusetzen hat?

19. Wann, und zu welchen Anlässen nutzten bislang die Bundeswehr oder
Angehörige der Bundeswehr die Liegenschaften der britischen Armee in
den SBA?

20. Welche Einrichtungen der britischen Armee in den SBA wurden und wer-
den nach Kenntnis der Bundesregierung im Rahmen

a) des UNIFIL-Einsatzes (UNIFIL = United Nations Interim Force in
Lebanon),

b) der Embargomaßnahmen gegen Libyen,

c) der humanitären Hilfe für Menschen in oder Flüchtlinge aus Libyen
sowie

d) der NATO-Operation Unified Protector genutzt?

Berlin, den 5. Juli 2011

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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