BT-Drucksache 17/6450

zu der Beratung der Vierten Beschlussempfehlung und des Berichts des Wahlprüfungsausschusses -17/6300- zu 43 Einsprüchen gegen die Gültigkeit der Wahl zum 17. Deutschen Bundestag am 27. September 2009

Vom 6. Juli 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/6450
17. Wahlperiode 06. 07. 2011

Entschließungsantrag
der Abgeordneten Dr. Dagmar Enkelmann, Dr. Dietmar Bartsch, Ulla Lötzer,
Cornelia Möhring, Jörn Wunderlich und der Fraktion DIE LINKE.

zu der Beratung der Vierten Beschlussempfehlung und des Berichts
des Wahlprüfungsausschusses
– Drucksache 17/6300 –

zu 43 Einsprüchen gegen die Gültigkeit der Wahl zum 17. Deutschen Bundestag
am 27. September 2009

Der Bundestag wolle beschließen:

Der Deutsche Bundestag bittet die Bundesregierung bis Juli 2012 um Prüfung,
ob das Wahlrecht dahingehend geändert werden sollte, dass

1. die Wahlräume verpflichtend so auszuwählen und einzurichten sind, dass
allen Wahlberechtigten, einschließlich behinderten und anderen Menschen
mit Mobilitätsbeeinträchtigung, die Teilnahme an der Wahl ermöglicht wird;
es sollte auch ermittelt werden, wie groß der Anteil der barrierefreien Wahl-
räume im gesamten Wahlgebiet bei der letzten Bundestagswahl war;

2. besser sichergestellt wird, dass Vereinigungen alle für die Feststellung der
Parteieigenschaft erforderlichen Unterlagen und Nachweise dem Bundes-
wahlausschuss rechtzeitig und vollständig beibringen und ggf. nachreichen
können;

3. besondere Formerfordernisse (beispielsweise die persönliche Unterschrift)
sich zweifelsfrei und abschließend aus der Norm im Bundeswahlrecht er-
geben, die die entsprechende formbedürftige Rechtshandlung regelt und/oder
für die Nichteinhaltung von Formvorschriften unter bestimmten Vorausset-
zungen eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden kann;

4. das Wählen in den Justizvollzugsanstalten erleichtert wird. Dies könnte bei-
spielsweise durch die zwingende Verpflichtung zur Einrichtung eines be-
weglichen Wahlvorstandes bei entsprechendem Bedürfnis erfolgen. Die
Übernahme der Kosten für den Antrag auf Erteilung des Wahlscheins zur
Briefwahl sollte ggf. gesetzlich klargestellt werden und vor der Wahl auf die
Kostenübernahme für bedürftige Gefangene hingewiesen werden;
5. besser sichergestellt wird, dass Falschangaben zur Person bei Bundestags-
kandidatinnen und -kandidaten verhindert werden;

6. im Wahlprüfungsgesetz (WahlPrG) ausdrücklich geregelt wird, dass auch in
elektronischer Form (beispielsweise per E-Mail) eingehende Wahleinsprü-
che zulässig sind;

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7. der Einsatz von Wahlcomputern gesetzlich untersagt wird und

8. Unregelmäßigkeiten bei der Auszählung in den Wahlkreisen sicher ausge-
schlossen werden können und hierfür ggf. stichprobenhaft die Ergebnisse
der Auszählung in den Wahlkreisen auch ohne entsprechende Hinweise zu
prüfen sind.

Berlin, den 6. Juli 2011

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

Begründung

Zu Nummer 1

Die Gemeinden bemühen sich zwar, barrierefreie Wahlräume zur Verfügung zu
stellen. Bei einem Anteil von beispielsweise etwa zwei Dritteln nicht barriere-
freier Wahllokale in der Stadt Dresden muss der Deutsche Bundestag aber die
Schlussfolgerung ziehen, dass das gesetzliche Ziel der Gleichstellung mobili-
tätsbeeinträchtigter und insbesondere behinderter Menschen durch barrierefreie
Wahlräume mit den bestehenden Regelungen bisher nicht erreicht wurde. Es ist
nicht hinnehmbar, wenn Menschen, die wählen wollen, dies nur deshalb nicht
tun, weil sie kein barrierefreies Wahllokal vorfinden. Zwar könnten diese Wahl-
berechtigten mit Wahlschein in einem anderen, barrierefreien Wahllokal oder
per Briefwahl wählen – das bedeutet aber zusätzlichen bürokratischen Auf-
wand für sie gegenüber anderen Bürgerinnen und Bürgern. Dies ist nach Auf-
fassung des Wahlprüfungsausschusses nicht zumutbar. Insbesondere Menschen
mit Behinderungen haben das Recht auf barrierefreie Wahllokale und öffent-
liche Einrichtungen. Das UN-Übereinkommen über die Rechte von Menschen
mit Behinderungen verpflichtet dazu genauso wie das Grundgesetz. Hinzu
kommt: Das Durchschnittsalter der Wahlberechtigten wird immer mehr zuneh-
men. Um einen genauen Überblick über das Ausmaß der Problematik zu erhal-
ten, sollte eruiert werden, wie hoch der Anteil der nicht barrierefreien Wahl-
räume im Wahlgebiet ist.

Zu Nummer 2

Mehrere Vereinigungen sind bei der letzten Bundestagswahl an der Anerken-
nung der Parteieigenschaft gescheitert. Zum Teil wurde dies damit begründet,
dass erforderliche Nachweise nicht rechtzeitig beigebracht wurden. Sofern
solche Nachweise vorhanden sind und es nur einer Aufforderung bedürfte,
diese nachzureichen, ist die Nichtanerkennung bedauerlich und weder für die
Vereinigungen noch für die Bevölkerung gut nachvollziehbar. Daher sollte ge-
prüft werden, ob es durch eine geänderte Ausgestaltung des Verfahrens möglich
ist, solche Fälle zukünftig auszuschließen.

Zu Nummer 3

Die Formerfordernisse im Wahlrecht sind zwar grundsätzlich richtig und nach-
vollziehbar, da es möglich sein muss, innerhalb kurzer Fristen anhand formeller
Kriterien zu entscheiden. Im Hinblick auf die fehlende Unterschrift unter der
Niederschrift über die Beschlussfassung einer Mitgliederversammlung gemäß
Anlage 23 zur Bundeswahlordnung (BWO), die im Ergebnis zur Nichtzulassung
der Landesliste Bayern der Partei „Freie Union“ führte, sollte dennoch geprüft

werden, ob solche folgenreichen Formvorschriften sich nicht schon abschlie-
ßend aus der die entsprechende Rechtshandlung anordnenden Norm ausdrück-

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/6450

lich ergeben sollten. Da der Bundeswahlausschuss in der Frage sehr knapp ent-
schieden hatte, erscheint eine gesetzliche Klarstellung wünschenswert. Die
Möglichkeit der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sollte ebenfalls geprüft
werden.

Zu Nummer 4

Wiederholt treten in Justizvollzugsanstalten aus der Sicht von Gefangenen
Probleme beim Wählen auf. Daher ist zu prüfen, ob die Verpflichtung zur Ein-
richtung eines beweglichen Wahlvorstandes zwingender ausgestaltet werden
sollte als es bisher in § 64 BWO der Fall ist. Die Möglichkeit der Briefwahl
kann das Bedürfnis für die Urnenwahl nicht grundsätzlich beseitigen. Der An-
trag auf Wahlscheinerteilung ist für die Gefangenen derzeit grundsätzlich mit
Kosten verbunden. Es sollte ggf. gesetzlich klargestellt werden, dass die Kosten
bei bedürftigen Gefangenen übernommen werden – dies ergibt sich derzeit nur
aus der bundeseinheitlichen Verwaltungsvorschrift zu § 28 des Strafvollzugs-
gesetzes (vgl. Az. WP 7/09).

Zu Nummer 5

Vorsätzliche Falschangaben zur Person bei Bundestagskandidatinnen und
-kandidaten müssen verhindert werden.

Zu Nummer 6

„Trotz des Umstandes, dass es sich bei der Wahlprüfung um ein Verfahren sui
generis handelt, dürfte eine E-Mail, die den Absender eindeutig erkennen lässt,
in rechtlicher Hinsicht die wesentlichen Funktionen des Schriftformerfordernis-
ses erfüllen. Es erscheint daher möglich, das Formerfordernis in § 2 Abs. 3
WahlPrG dahingehend auszulegen, dass es durch einen Wahleinspruch per E-Mail
grundsätzlich gewahrt wird. Sofern sich der Wahlprüfungsausschuss dieser
Auffassung anschließt, wäre eine entsprechende Klarstellung im Gesetz nahe
liegend.“ heißt es in dem Bericht der Bundesregierung zu Prüfbitten zur Ände-
rung von Wahlrechtsvorschriften auf Bundestagsdrucksache 16/9253. Der Wahl-
prüfungsausschuss hat sich der Rechtsauffassung der Bundesregierung bisher
nicht angeschlossen (vgl. Az. WP 41/09). Daher erscheint eine gesetzliche Än-
derung der Rechtslage geboten.

Zu Nummer 7

Gegen den Einsatz von Wahlcomputern bei der Stimmabgabe hat das Bundes-
verfassungsgericht schwerwiegende verfassungsrechtliche Bedenken im Hin-
blick auf die Grundsätze einer öffentlichen und geheimen Wahl erhoben
(BVerfGE 123, 39 ff.).

Zu Nummer 8

In der Presse (www.cicero.de/97.php?item=6204) wurde von einer Studie be-
richtet, die Unregelmäßigkeiten bei Wahlauszählungsvorgängen vermuten lässt:
„Vor allem zwei bedenkliche Muster sind den Wissenschaftlern aufgefallen.
Ausgerechnet bei der Wahl 2002, bei der die PDS um den Wiedereinzug in den
Bundestag bangte, häuften sich im Osten die Verletzungen des Bendfordschen
Gesetzes […]. Wollten da die Wahlhelfer in die eine oder andere Richtung nach-
helfen? Zudem traten Unregelmäßigkeiten gehäuft in drei Ländern auf und
jeweils war die dominierende Partei davon betroffen: in Bayern die CSU, in
Baden-Württemberg die CDU und in Nordrhein-Westfalen die SPD. Stammen
in diesen Ländern zu viele Zähler von derselben Partei? Könnte es also sein, dass
sozial oder politisch homogen zusammengesetzte Wahlvorstände Unregel-

mäßigkeiten bei der Auszählung von Wahlen begünstigen? Doch nicht einmal
stichprobenartig wird die Arbeit der Wahlhelfer kontrolliert, keine wissenschaft-

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liche Studie gibt es in Deutschland, die sich damit beschäftigt, wie Wahlhelfer
rekrutiert werden und wie sie ihre Aufgabe wahrnehmen.“ Die Bundesregierung
sollte daher ggf. (unter Hilfestellung des Bundeswahlleiters) stichprobenartig
prüfen lassen, ob die Vorwürfe substantiiert sind und inwiefern noch besser si-
chergestellt werden kann, dass Unregelmäßigkeiten beim Zählvorgang ausge-
schlossen sind.

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