BT-Drucksache 17/6427

Aktivitäten des US-Departments of Homeland Security an Flug- und Seehäfen der Europäischen Union

Vom 4. Juli 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/6427
17. Wahlperiode 04. 07. 2011

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Andrej Hunko, Jan van Aken, Christine Buchholz, Annette
Groth, Ulla Jelpke, Niema Movassat, Jens Petermann und der Fraktion DIE LINKE.

Aktivitäten des US-Departments of Homeland Security an Flug- und Seehäfen
der Europäischen Union

Die Verhandlungen über ein endgültiges Abkommen zur Weitergabe von Fi-
nanzdaten (Terrorist Finance Tracking Programme – TFTP) stießen bei Abge­
ordneten nationaler Parlamente, des Europäischen Parlaments sowie in der Öffent­
lichkeit auf Ablehnung. Bedenken existieren ebenfalls hinsichtlich des geplanten
Abkommens zur Übermittlung von Passagierdaten (Passenger Name Record –
PNR), das eine vorübergehende Vereinbarung ersetzen soll. Vor allem die 15-
jährige Speicherdauer und der mangelnde Rechtsschutz werden von vielen Par-
lamentarierinnen und Parlamentariern nicht hingenommen. In der 2010 kurz
nach Abschluss des Vertrags von Lissabon unterzeichneten „Toledo-Erklärung“
(www.dhs.gov/ynews/releases/pr_1264119013710.shtm) werden weitere Maß-
nahmen zwischen der EU und dem Ministerium für Heimatschutz der Vereinig-
ten Staaten (Department of Homeland Security, DHS) anvisiert: Die „Weiterfüh-
rung der exzellenten Kooperation“ zwischen der EU und den USA bezüglich
Luftsicherheit, ihre Ausweitung auf andere Transportwege, die Überlassung von
„predeparture information“ zum Abgleich mit Polizeidatenbanken („Screening“)
sowie ein Austausch von bewährten Methoden zum technischen und „verhal-
tensbasierten“ Aufspüren von Risiken.

Auch ohne erneuerte Abkommen ist das 2002 geschaffene DHS indes überaus
aktiv in den EU-Mitgliedstaaten. 394 Beamte des DHS sind innerhalb der EU
tätig (Vortrag Mark Koumans, Deputy Assistant Secretary for International
Affairs, www.dhs.gov/ynews/testimony/testimony_1304540794561.shtm). Un-
ter ihnen sind Angestellte verschiedener anderer Behörden und Dienststellen,
darunter die Customs and Border Protection (CBP), das Immigration and
Customs Enforcement (ICE), die Transportation Security Administration
(TSA), den Secret Service (USSS), die Coast Guard (USCG), den Citizenship
and Immigration Service (USCIS), das Office of Policy, die Federal Emergency
Management Agency (FEMA), das Federal Law Enforcement Training Center
(FLETC) und das National Protection and Programs Directorate (NPPD). Ihre
Tätigkeiten werden beschrieben als „Sicherung und Handhabung unserer Gren-
zen, Verstärken und Verwalten unserer Einwanderungsgesetze, Schutz und Si-
cherung des Cyberspace, und Gewährleistung von Widerstandsfähigkeit gegen
Katastrophen aller Art“. Hierfür arbeitet das DHS mit Behörden bzw. Flug- und
Schiffslinien an sieben Flug- und 23 Seehäfen innerhalb der EU zusammen.
Allein 2011 wurden angeblich 1 323 sogenannte high-risk travelers von DHS-
Angestellten „identifiziert“ und daraufhin per „No-board-Empfehlungen” am
Flug gehindert.

Die Versagung von Flügen aus Deutschland in die USA wird anscheinend auch
„proaktiv“ vorgenommen, indem etwa Kriterien wie „ethnische Zugehörigkeit“,

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„Religionszugehörigkeit“ oder Essenswünsche einbezogen werden. Damit wird
auch an deutschen Flug- und Seehäfen ein Profiling durchführt, das aufgrund
von „ethnischer Zugehörigkeit“ oder „Religionszugehörigkeit“ und damit einer
vorurteilsbelasteten Auswahl die Freizügigkeit aufhebt.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie viele der nach eigenen Angaben 394 in der EU und ihren Mitgliedstaaten
für das DHS Angestellten arbeiten in der EU mit welchen Agenturen oder an-
deren Einrichtungen der EU, mit welchen Stellen der Mitgliedstaaten bzw.
mit welchen privaten Akteuren zusammen?

a) Wie viele der auf EU-Ebene für das DHS arbeitenden Angestellten sind
direkt von der Behörde beschäftigt, bzw. wie viele rekrutieren sich aus für
einzelne Maßnahmen angestellte Beschäftigte aus Mitgliedstaaten der
EU?

b) Wie viele von ihnen sind von der US-Botschaft angestellt?

c) Wie hat sich die Zahl der auf EU-Ebene bzw. zusammen mit Agenturen
oder anderen Einrichtungen der EU arbeitenden DHS-Angestellten in den
letzten zwei Jahren verändert?

2. Wie viele der nach eigenen Angaben 394 in der EU und ihren Mitgliedstaaten
für das DHS arbeitenden Angestellten sind in Deutschland angesiedelt?

a) Wie viele der in Deutschland für das DHS arbeitenden Angestellten ent-
fallen auf die Customs and Border Protection (CBP), das Immigration and
Customs Enforcement (ICE), die Transportation Security Administration
(TSA), den Secret Service (USSS), die Coast Guard (USCG), den Citizen-
ship and Immigration Service (USCIS), das Office of Policy, die Federal
Emergency Management Agency (FEMA), das Federal Law Enforcement
Training Center (FLETC) und das National Protection and Programs
Directorate (NPPD)?

b) Wie viele der in Deutschland für das DHS arbeitenden Angestellten sind
direkt von der Behörde beschäftigt, bzw. wie viele rekrutieren sich aus für
einzelne Maßnahmen angestellte Beschäftigte aus Mitgliedstaaten der
EU?

c) Wie viele der auf EU-Ebene für das DHS arbeitenden Angestellten sind
direkt von der Behörde beschäftigt, bzw. wie viele rekrutieren sich aus für
einzelne Maßnahmen angestellte Beschäftigte aus Mitgliedstaaten der
EU?

d) Wie viele von ihnen sind von der US-Botschaft angestellt?

e) Wie viele deutsche Staatsangehörige sind unter den 394 für das DHS in-
nerhalb der EU Beschäftigten?

f) Wie hat sich die Zahl der in Deutschland arbeitenden DHS-Angestellten
in den letzten zwei Jahren verändert?

3. An welchen sieben Flughäfen und an welchen 23 Seehäfen innerhalb der EU
sind wie viele Angestellte der Customs and Border Protection (CBP), des
Immigration and Customs Enforcement (ICE), der Transportation Security
Administration (TSA), des Secret Service (USSS), der Coast Guard (USCG),
des Citizenship and Immigration Services (USCIS), des Office of Policy, der
Federal Emergency Management Agency (FEMA), des Federal Law
Enforcement Training Center (FLETC) und des National Protection and Pro-
grams Directorate (NPPD) beschäftigt, bzw. arbeiten den genannten Behör-
den zu?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/6427

a) Was ist ihre konkrete Aufgabenbeschreibung?

b) Auf welchen vertraglichen Grundlagen wird die Zusammenarbeit abge-
wickelt?

4. Welcher Tätigkeit gehen DHS-Angestellte an welchen deutschen Flug- und
Seehäfen nach?

a) Wie werden die vom Deputy Assistant Secretary for International Affairs
beschriebenen Aufgaben „investigate transnational crimes, including
cybercrime; combat human and drug trafficking; conduct maritime port
assessments, assess airports and air carriers; advise airlines through IAP;
work with host governments, passengers, and the trade industry to comply
with U. S. customs and immigration regulations; and oversee the deploy-
ment of Federal Air Marshals“ konkret umgesetzt?

b) Was ist mit der Formulierung „many other essential tasks“ nach Kenntnis
der Bundesregierung gemeint?

5. Welche bilateralen Abkommen wurden im Namen der Regierung der USA
vom DHS mit der deutschen Bundesregierung unterzeichnet, und wie ist der
Stand ihrer Umsetzung?

6. Wie wird die „strategische und operative“ Zusammenarbeit bezüglich der
Verhinderung „terroristischer Attacken“ auf die USA sowie „terroristischer
Reisetätigkeit“ konkret umgesetzt?

a) Welche anderen Einrichtungen der EU bzw. Deutschlands, darunter auch
Verkehrsunternehmen oder Reiseveranstalter sind eingebunden, „die USA
sicher, geschützt und robust gegen Terrorismus und andere Gefahren“ zu
machen?

7. Auf welche Art und Weise arbeiten Angestellte des DHS an Flug- und See-
häfen mit Flug- und Schiffslinien zur Grenzkontrolle zusammen?

a) Was ist mit der vom Deputy Assistant Secretary for International Affairs
beschriebenen „Implementierung verbesserter Sicherheitsscreenings“ ge-
meint, und wie wird diese konkret umgesetzt?

8. Mit welchen US- oder EU-Datenbanken werden Informationen über Rei-
sende in die USA abgeglichen („data analysis“)?

a) Welche Datensätze werden hierfür konkret prozessiert?

b) Welche Daten von außerhalb der EU befindlichen Reservierungssystemen
werden in die Analyse integriert?

c) Auf welcher rechtlichen Grundlage findet der Datenabgleich statt?

9. Welche Risikoindikatoren, die in Deutschland seitens des DHS zu einer „No-
board-Empfehlung” führen können, sind der Bundesregierung bekannt (ins-
besondere Ausstellungsdatum von Reisedokumenten, Reise aus einschlägi-
ger Region oder „high-risk countries“, Gepäckschein, Barzahlung, Flug-
route)?

a) Wird zur Versagung von Flügen aus Deutschland in die USA auch eine
„proaktive Nutzung“ von Flugdaten vorgenommen, indem etwa Kriterien
wie „ethnische Zugehörigkeit“, „Religionszugehörigkeit“ oder Essens-
wünsche einbezogen werden?

b) Kann die Bundesregierung mit Sicherheit ausschließen, dass seitens des
DHS an deutschen Flug- und Seehäfen ein Profiling durchführt, das auf-
grund von „ethnischer Zugehörigkeit“ oder „Religionszugehörigkeit“ und
damit einer vorurteilsbelasteten Auswahl die Freizügigkeit versagt?

Drucksache 17/6427 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

10. Wie wurden die 1 323 angeblichen „high-risk travelers“ von DHS-Ange-
stellten konkret „identifiziert“?

a) Wie viele „No-board-Empfehlungen” wurden nach diesem Verfahren
2010 sowie 2011 innerhalb der EU ausgesprochen?

b) Wie viele „No-board-Empfehlungen” entfielen 2010 und 2011 auf Rei-
sende von welchen deutschen Flug- oder Seehäfen?

c) Wie vielen „No-board-Empfehlungen” wurden innerhalb der EU bzw. an
deutschen Flug- und Seehäfen nach Kenntnis der Bundesregierung nicht
entsprochen, bzw. welche weiteren Erkenntnisse kann die Bundesregie-
rung hierzu mitteilen?

d) Welche Möglichkeiten stehen den Betroffenen zur nachträglichen
Rechtssicherheit oder der Geltendmachung zivilrechtlicher Ansprüche
zur Verfügung?

e) Wie bewertet die Bundesregierung, dass die an deutschen Flug- und See-
häfen ausgesprochenen „No-board-Empfehlungen” nicht transparent
sind, die Fluggesellschaften sie indes dennoch umsetzen dürften, und Be-
troffene weder Rechtsschutz noch Schadensersatz geltend machen kön-
nen, zumal PNR-Daten vom Privacy Act auch für US-Staatsangehörige
ausgenommen sind?

11. Welche „internationalen Screeningprogramme“ hat das DHS, wie vom
Deputy Assistant Secretary for International Affairs geschildert, in Zusam-
menarbeit mit welchen europäischen Partnern „auf den Weg gebracht“?

a) Welche EU-Einrichtungen, darunter auch der Anti-Terrorismus-Koordi-
nator, sind auf welche Weise eingebunden?

b) Welche deutschen Stellen sind in diese „internationalen Screeningpro-
gramme“ integriert?

12. Welche gemeinsamen Forschungsprojekte von EU und USA wurden in den
letzten zwei Jahren zur Sicherheit von Transportwegen begonnen?

a) An welchen Vorhaben ist die Bundesregierung beteiligt?

b) Was ist der Stand der in der Toledo-Erklärung anvisierten Abkommen
zur „physical and behavioural explosives detection“?

c) Welche EU-Mitgliedstaaten betreiben hierzu bereits Pilotprojekte an
welchen Flug- oder Seehäfen?

13. Welche „engen Partnerschaften“ des DHS mit Deutschland und Groß-
britannien existieren zur „Prävention und Abwehr von terroristischen An-
griffen“ mit der Joint Contact Group bzw. der Security Cooperation Group?

a) Wie werden die beschriebenen „Bedrohungsanalysen“, „Aufspüren von
gewalttätigem Extremismus“, „Information über Trends terroristischer
Reisetätigkeit“ und „Methodologien zur Risikobewertung“ in den Part-
nerprojekten konkret bewerkstelligt?

14. Welche Veränderungen ergeben sich durch den Vertrag von Lissabon in Be-
zug auf die Zusammenarbeit der EU mit dem DHS?

15. Welche Stellen der EU bzw. Deutschlands sind an der „U.S.-EU cybersecu-
rity working group“ beteiligt?

a) An welchen neuen rechtlichen Grundlagen und welchen weiteren Instru-
menten wird in der Arbeitsgruppe gearbeitet?

b) Welche Einrichtungen der EU und ihrer Mitgliedstaaten (insbesondere
Deutschlands) werden an welchen gemeinsamen Übungen zur „Cyber-
sicherheit“ teilnehmen?

c) Welche Szenarien werden hierfür gegenwärtig erörtert?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5 – Drucksache 17/6427

16. Welchen Stand haben die Verhandlungen über ein Abkommen zum Schutz
personenbezogener Daten bei deren Übermittlung und Verarbeitung zum
Zwecke der Verhütung und Untersuchung, Aufdeckung und Verfolgung von
Straftaten, einschließlich terroristischer Handlungen, im Rahmen der poli-
zeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen?

a) Welche Vorschläge haben die USA zu Transparenz, Recht zur Löschung
oder Zugang zu Daten bzw. Rechtsschutz gemacht?

b) Welche Position vertritt die Bundesregierung in den Verhandlungen be-
züglich einer „automatisierten Entscheidungsfindung“ beim Abgleich
mit US-Polizeidatenbanken zur Suche nach Risiken?

c) Welche Position vertritt die Bundesregierung in den Verhandlungen be-
züglich des Einsatzes von elektronischen Verfahren zur automatisierten
Suche nach „Risiken“ mit Methoden des „Data Mining“?

17. Welchen Inhalt hat das Arbeitsabkommen zwischen dem DHS und der
Grenzschutzagentur FRONTEX?

a) Wie wird der dort paraphierte Tausch von Informationen konkret umge-
setzt?

b) Wie sind die Unterzeichner in eine gemeinsame „Risikoanalyse“ einge-
bunden?

18. Welche Kenntnis hat die Bundesregierung über Aktivitäten des Federal Law
Enforcement Training Center (FLETC) zur Unterstützung der Ukraine und
Polens bezüglich des Schutzes „kritischer Infrastruktur“ im Rahmen der
UEFA 2012?

Berlin, den 4. Juli 2011

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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