BT-Drucksache 17/6341

Die Chance der Digitalisierung erschließen - Urheberrechte umfassend modernisieren

Vom 29. Juni 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/6341
17. Wahlperiode 29. 06. 2011

Antrag
der Abgeordneten Dr. Petra Sitte, Halina Wawzyniak, Agnes Alpers,
Herbert Behrens, Nicole Gohlke, Dr. Rosemarie Hein, Dr. Lukrezia Jochimsen,
Kathrin Senger-Schäfer und der Fraktion DIE LINKE.

Die Chancen der Digitalisierung erschließen – Urheberrecht umfassend
modernisieren

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Das geltende Urheberrecht stößt im Zeitalter der Digitalisierung an Grenzen.
Den grundsätzlichen Anspruch, Kreativschaffende zu schützen und ihre Vergü-
tung zu sichern, kann es immer weniger einlösen. Zudem wird es den veränder-
ten technischen Gegebenheiten und Akteurskonstellationen einer digitalisierten
Gesellschaft nicht mehr gerecht. Ein modernes Urheberrecht sollte sowohl die
Urheberinnen und Urheber in ihren Ansprüchen gegenüber den Verwertern stär-
ken als auch den Zugang zu Wissen und Information so regeln, dass dies zum
größtmöglichen gesellschaftlichen Vorteil gereicht. Es ist deshalb umfassend re-
formbedürftig und muss zeitgemäß zwischen Urheber-, Nutzer- und Verwerter-
interessen vermitteln. Urheberinnen und Urheber sowie Nutzerinnen und Nutzer
sollten dabei soweit wie möglich in die Lage versetzt werden, ihre Interessen
und Bedürfnisse eigenverantwortlich wahrzunehmen und miteinander Nut-
zungs- und Kommunikationsformen für kreative Werke auszuhandeln.

Es braucht einen solidarischen Gesellschaftsvertrag für die digitale Welt.

Der Versuch, die Regulierungsmodalitäten der analogen Welt auf die digitale zu
übertragen, kann nicht gelingen. Der grundsätzliche Unterschied zwischen un-
endlich vervielfältigbaren Immaterialgütern (wie Dateien) und im Vergleich
dazu nur begrenzt verfügbaren Sachgütern (wie Bücher, CDs) muss bei der Wei-
terentwicklung eines Urheberrechts, das im digitalen Raum funktionieren soll,
stärker als bisher bedacht werden. Dass die Vervielfältigung und Verbreitung von
Kultur- und Wissensgütern auf dem digitalen Wege durch Kopiervorgänge ohne
Qualitätsverlust beim Werk und auf der Grundlage bestehender Hardware quasi
kostenfrei erfolgt, bringt eine neue Qualität in die urheberrechtliche Debatte. Die
weiter bestehenden Produktionskosten kreativer Werke können so immer
schwieriger über den Verkauf von Werkstücken refinanziert werden. Besonders
für die Rolle der Werkmittler, etwa Medienunternehmen, Labels, Verlage oder

Handelsunternehmen, stellen diese Veränderungen eine Herausforderung dar.

Kreatives Schaffen, Wissensproduktion und Kunst leben von der Kommunika-
tion, von der Inspiration und Interpretation. Werknutzung ist keine Gefahr für
die Kreativen, sie ist zentrale Voraussetzung für die Verbreitung und Anerken-
nung von Kreativität. Die Weiterentwicklung des Urheberrechts sollte einen An-
reiz für kreative Leistungen schaffen.

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Der Begriff „Geistiges Eigentum“ wird von vielen Künstlerinnen und Künstlern
als Synonym für die ideelle und materielle Anerkennung ihrer persönlichen
Leistung verstanden. Zugleich werden mit ihm Verbots- und Ausschlussrechte
der Medienindustrie gegenüber Nutzerinnen und Nutzern begründet. In der
Debatte um ein zukunftstaugliches Urheberrecht sollte deswegen der Begriff
unter Beachtung seiner unterschiedlichen rechtlichen Bezugspunkte differen-
ziert verwendet werden: diese bestehen im Wesentlichen in Persönlichkeits- und
Verwertungsrechten.

Im Zuge der Industrialisierung des Kultur- und Medienbetriebes, damit einher-
gehenden Konzentrationen und veränderten Machtverhältnissen hat das Ur-
heberrecht eine dominant verwertungsorientierte Komponente erhalten. Zuletzt
hat der sogenannte Zweite Korb der Urheberrechtsnovellierung das Kräftever-
hältnis weiter zu Ungunsten der Urheberinnen und Urheber verschoben.

Deshalb müssen die Urheberpersönlichkeitsrechte jetzt gegenüber den Verwer-
tungsinteressen durchsetzungsstärker ausgestaltet werden. Dies gilt insbeson-
dere für die Anerkennung der Urheberschaft und das Recht auf Namensnen-
nung. Zugleich muss der Anspruch der Urheberinnen und Urheber auf eine
angemessene Vergütung rechtlich gestärkt werden. Insbesondere ist das Urhe-
bervertragsgesetz durchsetzungsfest zu gestalten.

Ausschließlichkeitsrechte, die den Zugriff auf geschützte Werke reglementieren,
können nach einer ersten Veröffentlichung schon immer nur durch die Kontrolle
der Werkträger – Bücher, Zeitschriften, CDs – durchgesetzt werden. In Zeiten
digitaler Verbreitungsformen wird auch die Kontrolle über den Werkträger
schwieriger und könnte nur durch weitgehende Eingriffe in Nutzer- und Bürger-
rechte durchgesetzt werden. Die Vorstöße dazu, etwa zur Einführung von Inter-
netsperren, Kopierschutzmaßnahmen oder drakonischen Strafen, beeinträchti-
gen jedoch den libertären Charakter digitaler Medien und widersprechen
grundlegenden Rechten der Informationsfreiheit. Sie helfen weder den Urhebe-
rinnen und Urhebern noch den Nutzerinnen und Nutzern kreativer Werke.

Dazu ist unumstritten, dass der Bezug eines Werkes zur Urheberin oder zum Ur-
heber mit der Zeit schwächer und das Werk immer mehr kulturelles Allgemein-
gut wird – insbesondere nach dem Tod der Urheberin oder des Urhebers. Das
Ausschließlichkeitsrecht war deshalb immer zeitlich begrenzt. Bei der Formu-
lierung eines zeitgemäßen Urheberrechts muss ausgehandelt werden, wie die
Interessen der Urheberinnen und Urheber sowie der Allgemeinheit unter Be-
rücksichtigung technischer Begebenheiten sinnvoll vermittelt werden können.
Das Vergütungsrecht muss eine zentrale Rolle für den notwendigen Ausgleich
zwischen Nutzer- und Urheberinteressen spielen. Ausgehend von der abneh-
menden Bindung zwischen Werk und Urheberinnen und Urhebern sowie dem
steigenden Allgemeininteresse an veröffentlichten Werken, sinkt mit der Zeit
auch der Vergütungsanspruch. Auch dies ist heute bereits durch dessen zeitliche
Begrenzung in geltendes Recht gegossen. Wenn nun die Durchsetzung der Aus-
schließlichkeitsrechte technisch schwieriger wird und gesellschaftlich in Teilen
kritisch hinterfragt wird, kann die Stärkung des Vergütungsanspruches zu
Beginn der Verwertung, diese Schwächung der Ausschließlichkeitsrechte in ge-
wissem Maße ausgleichen. Im Zuge der Urheberrechtsreform sollte daher die
Ermöglichung und die Förderung neuer Vergütungs- und Abrechnungsmodelle
vorangetrieben werden.

Die immer stärkere Ausdehnung der Schutzfristen, mit denen die Ausschließ-
lichkeitsrechte durchgesetzt werden sollen, dient schon lange nicht mehr den Ur-
heberinnen und Urhebern selbst und beschneidet Interessen und Rechte der All-
gemeinheit in ungebührlichem Maße. Mittlerweile reichen diese Schutzfristen
über eine ganze Generation nach dem Tod der Urheberinnen und Urheber hin-

aus. Schutzfristen sollten auf ihren ursprünglichen Zweck zurückgeführt wer-

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den, also den unmittelbaren Urheberinnen und Urhebern, nicht aber sekundären
oder tertiären Nutznießerinnen und Nutznießern dienen.

Die Digitalisierung lässt die klaren Grenzen zwischen Produzenten und Konsu-
menten zunehmend verschwimmen. Zum einen fällt jede Meinungsäußerung im
Netz durch deren öffentlichen Charakter potentiell unter das Urheberrecht, da
sie einer Publikation gleich kommt. Zum anderen wird ins Netz verlagerter pri-
vater Austausch zu öffentlichem Handeln, womit Ausnahmeregelungen wie die
für die analoge Welt konzipierte Privatkopie in die Diskussion geraten. Zum
dritten baut kreatives Schaffen heute mehr denn je auf der Nutzung vorgefun-
denen medialen Materials auf. Viele Kreative nutzen für ihre Arbeit zugleich
Vorarbeiten. Auf diese Weise entstehen neue Werk- und Kunstformen – etwa
Remixes oder Mashups. Eine restriktive Rechtsdurchsetzung oder gar eine wei-
tere Verschärfung macht solche neuen Kulturformen und eine generelle Kultur
des Austauschs unmöglich. Auch die Wissenschaft stellt ein besonders prägnan-
tes Beispiel der gleichzeitigen Werknutzung und Produktion dar. Weiter steigt
die Zahl derer, die kreative Werke auch ohne erwerbswirtschaftliche Interessen
schaffen und publizieren, da auch die dafür nötigen Produktionsmittel durch die
Digitalisierung einer breiteren Masse zur Verfügung stehen. Damit entsteht ein
umfassender Sektor nichtgewerblicher Kultur- und Wissensproduktion – etwa in
Wikis, Blogs, Foto- und Videoportalen. Im Rahmen von Common-based Peer
Production (Allmendefertigung durch Gleichgesinnte) sind im Netz unzählige
Kommunikationsnetzwerke entstanden, die in ihrem ganzen Reichtum aus dem
kulturellen Leben nicht mehr wegzudenken sind.

Das geltende Urheberrecht ist auf diese neuen Formen partizipatorischer Krea-
tivität breiter Bevölkerungsschichten jedoch nicht zugeschnitten. Es stammt aus
Zeiten, in denen das Urheberrecht ein Spezialgebiet für professionelle Künst-
lerinnen und Künstler sowie andere Kulturschaffende beziehungsweise ihre Ver-
tragspartnerinnen und -partner war. Dennoch betrifft es heute nahezu jeden, der
digitale Medien selbst nutzt. Wir brauchen deshalb ein neues Urheberrecht, das
die kreative und häufig auch kritische Auseinandersetzung von Bürgerinnen und
Bürgern mit ihrem medial-kulturellen Umfeld fördert.

Die Potenziale der Digitalisierung bestehen in der Öffnung des Zugangs zu den
Wissens- und Kulturgütern, der Vernetzung und Kommunikation und der eman-
zipatorischen Erweiterung der Möglichkeiten jedes Einzelnen selbst kreativ zu
werden. Dies gilt für nichtprofessionelle wie professionelle Kreative gleicher-
maßen. Diese Potenziale können ohne ein prinzipielles Umsteuern bei der Ent-
wicklung des Urheberrechts nicht nutzbar gemacht werden. Nicht die ständige
Ausweitung des Schutzniveaus, die Repression gegen Nutzer und die dazu
notwendige Überwachung des Internetverkehrs, sondern die Ausgestaltung des
Urheberrechts im Sinne einer angemessenen Schutzwirkung im Interesse der
tatsächlichen Urheberinnen und Urheber sowie der Nutzerinnen und Nutzer
muss das Ziel einer modernen Novellierung des Urheberrechts sein.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

die Initiative für eine umfassende Modernisierung des Urheberrechts zu ergrei-
fen. Es sollen geeignete Formen gefunden werden, um die Öffentlichkeit in be-
sonderem Maße in die Beratungen einzubeziehen. Hierfür sind digitale Medien
eine sinnvolle Basis. Ziel der Initiative soll sein, einen Gesetzentwurf vorzu-
legen, mit dem es gelingt:

1. die rechtliche Stellung der Urheberinnen und Urheber im Verwertungspro-
zess zu verbessern und dabei insbesondere

– unabdingbare sowie von Verbotsrechten unabhängige gesetzliche Vergü-

tungsansprüche einzuführen und somit sicherzustellen, dass Urheberinnen

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und Urheber gemäß dem Beteiligungsprinzip in allen Fällen der kommer-
ziellen Werknutzung angemessen vergütet werden;

– vertragsrechtliche Einschränkungen der Möglichkeit des Total-Buyout
von Nutzungsrechten einzuführen;

– Urheberinnen und Urhebern eine verbesserte Kontrolle über ihre Rechte
zu ermöglichen, indem solche Rechte, die bei Vertragsschluss eingeräumt,
jedoch innerhalb einer angemessenen Frist nicht genutzt werden, automa-
tisch an die Urheberinnen und Urheber zurückfallen (Use-it-or-loose-it-
Klausel);

– die Übertragung von Nutzungsrechten beim erstmaligen Vertragsschluss
grundsätzlich zeitlich zu begrenzen, um einerseits dem „Brachliegen“ von
Verwertungsrechten zu begegnen, andererseits sicherzustellen, dass Urhe-
berinnen und Urheber mit Nutzerinnen und Nutzern eine dem tatsächlichen
wirtschaftlichen Wert der eingeräumten Rechte entsprechende Vergütung
auch dann aushandeln können, wenn die Möglichkeit entsprechender Ver-
wertungen sich erst nach der Erstveröffentlichung des Werks ergibt;

– die Urhebervertragsrechtsreform von 2002 zu evaluieren und entspre-
chend den Handlungsempfehlungen der Enquete-Kommission Kultur in
ihrer Umsetzung erneut zu überprüfen;

– die Rechtsprechung zur Auslegung des Begriffs „angemessene Vergü-
tung“ in § 32 des Urheberrechtsgesetzes (UrhG) durch eine genauere Be-
stimmung des Begriffs der Angemessenheit im Gesetzestext umzusetzen,
etwa im Wege eines Kriterienkatalogs;

– die Möglichkeit zu schaffen, gemeinsame Vergütungsregeln für einzelne
Teilbranchen der Kultur- und Kreativwirtschaft auf dem Wege der Rechts-
verordnung in Kraft zu setzen; die Höhe solcher Sätze sollte, wo möglich,
nach Lizenzanalogie bestimmt oder nötigenfalls durch Heranziehung von
Gutachten oder einschlägigen Gerichtsurteilen bemessen werden;

– zu überprüfen, inwieweit kleineren Urheberverbänden die Teilnahme an
den Verhandlungen über eine angemessene Vergütung ermöglicht werden
kann, um eine angemessene Repräsentation auch der spezifischen Interes-
sen kleiner Berufsgruppen zu ermöglichen;

– im Hinblick auf die angemessene Vergütung ein Verbandsklagerecht für
die Urhebervereinigungen einzuführen;

– Kriterien zu entwickeln, aus denen für Verbände der Verwerter eine ein-
deutige Befugnis und damit Verpflichtung resultiert, für ihre Mitglieder
Verhandlungen über eine angemessene Vergütung zu führen und ggf. in
ein Schlichtungsverfahren einzutreten. Mangelnde Passivlegitimation
darf kein Vorwand dafür sein, Urheberinnen und Urheber ohne Verhand-
lungspartner dastehen zu lassen;

– zu verhindern, dass Urheberinnen und Urheber durch unverhältnismäßig
lang anhaltende Verhandlungen den gesetzlichen Anspruch auf angemes-
sene Vergütung nach § 32 UrhG verlieren und entsprechend im Gesetzes-
text klarzustellen, dass die Verjährungsfrist erst mit dem Abschluss einer
Vergütungsregel bzw. mit einem diesbezüglich rechtskräftigen Urteil ein-
setzt;

– die Aufklärung von Urheberinnen und Urhebern über ihre Rechte und die
neuen Möglichkeiten zur Selbstvermarktung im digitalen Raum zu beför-
dern;

– die Weiterentwicklung von neuen Vergütungs- und Bezahlmodellen jen-

seits der etablierten Verwertungskanäle und gängigen Micropaymentplatt-

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5 – Drucksache 17/6341

formen zu fördern und in diesem Zusammenhang Vorschläge für eine
„Kulturflatrate“, die vom Chaos Computer Club vorgeschlagene „Kultur-
wertmark“ bzw. neue Micropaymentmodelle zu prüfen;

2. Maßnahmen zur Sicherung eines freien und ungehinderten Zugangs zu In-
formationen und Wissen zu ergreifen, insbesondere

– die Vereinbarkeit von Systemen der kollektiven Rechtewahrnehmung,
etwa Verwertungsgesellschaften, mit der Vergabe von Creative-Com-
mons-Lizenzen (CC-Lizenzen) in vollem Umfang sicherzustellen. Der
Abschluss eines Wahrnehmungsvertrags mit einer Verwertungsgesell-
schaft darf nicht dazu führen, dass Kreativschaffenden die Nutzung von
CC-Lizenzen verwehrt wird;

– Daten von Behörden und öffentlichen Einrichtungen, sofern sie der
Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden, grundsätzlich unter offenen
Lizenzen zur Verfügung zu stellen;

– eine stärkere öffentliche Förderung von originär digitalen Kulturgütern
und Werken zu initiieren und die Instrumente der Kulturförderung zur
Stimulation kreativen Schaffens verstärkt auch in der digitalen Welt ein-
zusetzen;

– im Rahmen einer Weiterentwicklung des Urheberrechts sicherzustellen,
dass Bibliotheken, Archive, Museen, Mediatheken und andere öffentlich
finanzierte oder nichtkommerziellen kulturellen Zwecken dienende Ge-
dächtnisorganisationen die Möglichkeit erhalten, in öffentlich zugäng-
lichen Internetdatenbanken ergänzend zu den Metadaten auch ihre audio-
visuellen Dokumente in einer dem Medium angemessenen Form und
ausschließlich mit Belegfunktion zu präsentieren;

– eine Reform der Verwertungsgesellschaften einzuleiten, die zu einer stär-
keren Demokratisierung und Transparenz der Gremien und der Vertei-
lungspläne führt, sowie die staatliche Aufsicht zu verbessern und die be-
stehenden Wahrnehmungsverträge einer rechtlichen Revision in Bezug
auf die Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) zu unterwerfen. Er-
forderlich ist die Gewährleistung der demokratischen Teilhabe der Wahr-
nehmungsberechtigten, insbesondere der nicht etablierten Künstlerinnen
und Künstler, Urheberinnen und Urheber sowie der Kleinveranstalter, in
den Entscheidungsgremien und bei der Verteilung der Einnahmen;

– keine neuen Schutzrechte einzuführen, insbesondere keine verwandten
Schutzrechte wie die Leistungsschutzrechte;

– die Nutzung verwaister Werke für nichtkommerzielle Zwecke in einer
Weise sicherzustellen, die im Ergebnis eine schnelle und kostengünstige
digitale Bereitstellung befördert, sich auf europäischer Ebene für eine
Schrankenregelung einzusetzen und auf nationaler Ebene keine Regelung
einzuführen, die hinter den Empfehlungen der europäischen High Level
Expert Group zurückbleibt oder geeignet ist, das Zustandekommmen
einer Schrankenregelung auf europäischer Ebene zu behindern;

– ein unabdingbares Zweitverwertungsrecht für wissenschaftliche Autorin-
nen und Autoren einzuführen, um sicherzustellen, dass die Einräumung
von ausschließlichen Nutzungsrechten an Verlage die Verbreitung von
Wissen und den wissenschaftlichen Austausch nicht behindern;

– darauf hinzuwirken, dass bei der Vergabe öffentlicher Fördermittel eine
Open-Access-Veröffentlichung zur Bedingung für die Förderung gemacht
werden kann;

– die bestehenden Schrankenprivilegierungen für Wissenschaft und For-

schung in einer bereichsspezifischen Wissenschaftsschranke zusammen-
zufassen;

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– entsprechend der Richtlinie 2001/29/EG „zur Harmonisierung bestimmter
Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Infor-
mationsgesellschaft“ die Vergütungspflicht für Bildungseinrichtungen
aufzuheben, die, gestützt auf die Erwägungen in den Nummern 14 und 34,
in Artikel 5 Absatz 2 Buchstabe c sowie Absatz 3 Buchstabe a Ausnahmen
und Beschränkungen des Urheberrechts zugunsten von Bildungseinrich-
tungen und Unterricht ausdrücklich auch ohne Ausgleichsregelung für die
Urheberinnen und Urheber zulässt. Die Aufhebung muss auch für Kinder-
tagesbetreuungseinrichtungen gelten;

3. die Rechte von Nutzerinnen und Nutzern, insbesondere im nichtkommerziel-
len Bereich zu stärken, und dabei

– die Dominanz von Verwertungs- gegenüber Nutzerinteressen zugunsten
eines Ausgleichs zu überwinden, der die Rechte beider Seiten im Interesse
der Allgemeinheit gleichberechtigt anerkennt;

– den im Rahmen des Schrankensystems gewährleisteten urheberrecht-
lichen Interessenausgleich durch Bereichsausnahmen, etwa für öffentliche
Institutionen sowie für Wissenschaft und Forschung, flexibler auszuge-
stalten;

– die Möglichkeit der „Privatkopie“ im digitalen Raum zu erhalten und
durchsetzungsstark auszugestalten. Privates Kopieren darf nicht durch
vertragliche Bestimmungen, etwa in einem Endnutzer-Lizenzvertrag, aus-
geschlossen werden;

– einen Rechtsrahmen für Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB) und
Lizenzverträge zu schaffen, der die Aushebelung von Nutzerrechten durch
Vertragsbestimmungen verhindert;

– die Möglichkeit zur Weiterveräußerung von digitalen Werkstücken (Mu-
sik-, Film- und sonstige Mediendateien) und Computerprogrammen
sicherzustellen;

– die Aufklärung über Urheber- und Nutzerrechte im digitalen Raum zu
befördern;

– das Abmahnungswesen einzudämmen und einer zukunftsorientierten
Rechtsentwicklung Vorrang vor strafrechtlichen Sanktionen gegen pri-
vate, nichtkommerzielle Rechtsverletzungen zu gewähren. Die beste-
hende Bagatellregelung für Filesharing sollte durchgesetzt, eine Decke-
lung der Gegenstandswerte für Abmahnungen bei nichtvorsätzlichen
Urheberrechtsverstößen von Nutzerinnen und Nutzern eingeführt und die
Praxis des fliegenden Gerichtsstands eingedämmt werden;

– Sanktionen und Überwachungspraktiken auszuschließen, die dem Einzel-
nen das Recht auf Zugang zu Information und die Ausübung von Mei-
nungsfreiheit im Netz erschwert oder verbietet. Insbesondere sind Über-
wachungs- und Zensurmaßnahmen gegen Urheberrechtsverletzungen
auszuschließen;

4. im Zusammenhang mit der Weiterentwicklung des Urheberrechts auf euro-
päischer und internationaler Ebene

– die Vor- und Nachteile bestehender Urheberrechtsregelungen jenseits des
nationalen Rahmens zu prüfen. Dabei ist zu erwägen, ob Generalklauseln
– insbesondere für nichtkommerzielle Werknutzungen sowie den Wissen-
schaftsbereich – im deutschen Recht ähnlich der amerikanischen Fair-use-
Doktrin vergleichbare Regelungsoffenheit und Handhabbarkeit gewähr-
leisten könnten. Ferner ist zu untersuchen, inwieweit zukünftige Re-
formen sich an das skandinavische System der erweiterten kollektiven

Rechtewahrnehmung (extended collective licences) anlehnen könnten
und sollten;

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– sich für die Entwicklung eines umfassenden Regelungsmodells für die
Tätigkeit von Verwertungsgesellschaften in der EU einzusetzen und eine
Diskussion über die Funktionsbestimmung von Verwertungsgesellschaf-
ten, insbesondere über ihren sozialen und kulturellen Auftrag, zu initi-
ieren, sowie auf eine verbindliche Regelung des Rechts der Gegenseitig-
keitsverträge der Verwertungsgesellschaften auf europäischer Ebene
hinzuwirken, welche einen multiterritorialen Rechteerwerb für möglichst
umfassende Repertoires bei einer beliebigen europäischen Verwertungs-
gesellschaft ermöglicht;

– Bestrebungen zur Schaffung von Rechteregistern zu unterstützen und sich
in diesem Zusammenhang besonders für eine Überprüfung der Revidier-
ten Berner Übereinkunft einzusetzen. Hierbei sollte die Frage im Vorder-
grund stehen, ob die heutige Regelung weiterhin sinnvoll ist, die Entste-
hung urheberrechtlichen Schutzes unter keinen Umständen an formale
Voraussetzungen wie die verpflichtende Registrierung zu knüpfen; kurz-
fristig sind möglichst viele Anreize zu einer freiwilligen Rechteregistrie-
rung zu schaffen;

– sich nachdrücklich gegen eine weitere Verlängerung urheberrechtlicher
Schutzfristen einzusetzen und stattdessen für Neuregelungen nach dem
Grundsatz „So lange wie nötig, so kurz wie möglich“ einzutreten;

– für eine stärkere Differenzierung von Schutzfristen nach Auswertungs-
ketten und Nutzungszyklen unterschiedlicher Werkarten einzutreten. Er-
wägenswert ist in diesem Zusammenhang, für gewerbliche Nutzungen
längere Schutzfristen zu konstruieren als für nichtgewerbliche sowie den
Wegfall von Verbotsrechten durch Beteiligungsansprüche zu kompensie-
ren, damit die Geltendmachung von Ausschließlichkeitsrechten nicht zu
einer Monopolisierung und somit zur Blockade legitimer Zweitnutzungen
oder Wiederverwertungen führt;

– sich dafür einzusetzen, dass Remixes und Mashups durch Einführung
einer Schrankenregelung für derivatives Werkschaffen und transformative
Werknutzungen auf EU-Ebene entkriminalisiert werden, wie die EU-
Kommission im Grünbuch der EU-Kommission „Urheberrecht in der wis-
sensbestimmten Wirtschaft“ (KOM(2008) 466 endg.) vorgeschlagen hat;

– sich auf EU-Ebene dafür einzusetzen, dass sämtliche Schrankenregelun-
gen nicht durch technische Schutzmaßnahmen wie Digitales Rechte-
management (DRM) unterlaufen werden;

– Harmonisierungs- und Vereinheitlichungsbestrebungen des Urheberrechts
zu unterstützen. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf die grenzüber-
schreitende kollektive Rechteverwaltung sowie die bestehenden Schran-
kenregelungen. Das Recht muss mit der technologischen Entwicklung
Schritt halten. Kurzfristig ist der bestehende Schrankenkatalog als ver-
bindliche Mindestvorgabe auszugestalten. Langfristig ist die Urheber-
rechtsrichtlinie (Richtlinie 2001/29/EG) darüber hinaus durch technolo-
gieneutrale Generalklauseln zu ersetzen bzw. zu ergänzen.

Berlin, den 29. Juni 2011

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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