BT-Drucksache 17/6298

Den Nahost-Friedensbemühungen neuen Schwung verleihen

Vom 28. Juni 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/6298
17. Wahlperiode 28. 06. 2011

Antrag
der Abgeordneten Günter Gloser, Dr. Rolf Mützenich, Rainer Arnold,
Dr. h. c. Gernot Erler, Kerstin Griese, Christian Lange (Backnang),
Ulla Schmidt (Aachen), Thomas Oppermann, Franz Thönnes, Uta Zapf,
Dr. Frank-Walter Steinmeier und der Fraktion der SPD

Den Nahost-Friedensbemühungen neuen Schwung verleihen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Mit dem Abbruch der direkten Friedensverhandlungen zwischen der israeli-
schen und palästinensischen Regierung im September 2009 ist eine politische
Lösung des Konflikts erneut und zum wiederholten Mal gescheitert. Alle Ver-
suche, neue Gespräche über einen dauerhaften und gerechten Frieden anzu-
stoßen, waren bislang vergeblich. Ob und wann es wieder zu ernst gemeinten
Verhandlungen zwischen beiden Konfliktparteien kommt, ist derzeit nicht ab-
sehbar.

Vor diesem Hintergrund hat die palästinensische Seite angekündigt, sich im
Herbst 2011 an die Vereinten Nationen zu wenden, um die Anerkennung und
die Aufnahme eines palästinensischen Staates in die Vereinten Nationen zu er-
reichen. Anders als früher ist die palästinensische Führung über die Kritik an
der Nahostpolitik der israelischen Regierung hinausgegangen und unternimmt
seit zwei Jahren nach dem sog. Fayyad-Plan konstruktive Anstrengungen, die
institutionellen Voraussetzungen für eine Staatsgründung zu schaffen. Der Plan
fand bedeutende internationale Unterstützung, so z.B. in den EU-Ratsschluss-
folgerungen vom 8. Dezember 2009 sowie in der Erklärung des Nahost-Quar-
tetts vom 19. März 2010. Inzwischen sind deutliche Erfolge beim Aufbau der
Infrastruktur zu verzeichnen. Anlässlich einer Geberkonferenz vom April 2011
stellen Berichte der Weltbank, des Internationalen Währungsfonds und der Ver-
einten Nationen übereinstimmend fest, dass die Palästinensische Autonomie-
behörde (PA) bereits oberhalb der Schwelle eines funktionierenden Staates
agiert.

Der Deutsche Bundestag begrüßt den Aufruf von US-Präsident Barack Obama
an Israel und die Palästinenser, mutige Schritte zur Wiederaufnahme des Frie-
densprozesses zu unternehmen. Er bekräftigt in Übereinstimmung mit den
Schlussfolgerungen des Europäischen Rates vom 8. Dezember 2009 das Ziel,
dass der Staat Israel und ein souveräner, unabhängiger, demokratischer, zusam-

menhängender und lebensfähiger Staat Palästina Seite an Seite in Frieden und
Sicherheit leben. Das Existenzrecht des Staates Israel und das Recht der Paläs-
tinenser auf einen eigenen Staat dürfen niemals in Frage gestellt werden.

Derzeit findet eine Welle der internationalen Anerkennung eines palästinen-
sischen Staates statt. Vor dem Hintergrund der Unterzeichnung der palästinen-
sischen Versöhnungsvereinbarung und des geplanten Schrittes der PA dreht sich

Drucksache 17/6298 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

die Debatte zum Nahost-Friedensprozess um das immer kleiner werdende Zeit-
fenster für direkte Verhandlungen. Damit wächst die Dringlichkeit, Bewegung
in den festgefahrenen Friedensprozess zu bringen.

Jetzt ist es die Aufgabe der internationalen Gemeinschaft, die verbleibende
Zeit vor Beginn der nächsten Generalversammlung zu nutzen und den nötigen
diplomatischen Druck auf die Konfliktparteien zugunsten einer umgehenden
Wiederaufnahme von Verhandlungen auszuüben. Auch die Bundesregierung
muss ihrer außenpolitischen Verantwortung nachkommen und sich im Rahmen
der EU, der VN und des Nahostquartetts für neue Initiativen einsetzen, die die
rasche Wiederaufnahme direkter Gespräche zwischen Israel und den Palästi-
nensern zum Ziel haben. Die Bundesregierung muss Palästinensern und Israelis
klarmachen, dass sie durch eine Zuspitzung der Auseinandersetzung in der
Generalversammlung der Vereinten Nationen einer Lösung der Endstatusfragen
nicht näherkommen.

Bisher hat es die Bundesregierung versäumt, alles zu unternehmen, um inner-
halb der Europäischen Union eine einheitliche Haltung zur Anerkennungsfrage
zu bilden. Sie hat es zudem versäumt, die bevorstehende israelisch-palästinen-
sische Konfrontation in den Vereinten Nationen abwenden zu helfen. Indem sie
die Ankündigung der PA als einseitigen Schritt kritisiert, hat sie sich ohne Not
bereits festgelegt und die Chance vergeben, Premierminister Benjamin Netanjahu
endlich zum Verzicht auf weitere Siedlungsaktivitäten zu drängen und davon zu
überzeugen, dass nicht eine Abwehrfront gegen das palästinensische Begehren
eine Anerkennung der Staatlichkeit Palästinas in den Vereinten Nationen auf-
halten wird, sondern nur ein realistisches und faires Verhandlungsangebot. Mit
ihrer Vorfestlegung, den Gang der Palästinenser zu den Vereinten Nationen ab-
zulehnen, verspielt die Bundesregierung die Möglichkeit, Einfluss sowohl auf
die PA wie auch auf die Länder, die die Anerkennung unterstützen wollen, zu
nehmen, und spielt zugleich jenen Kräften in Israel in die Hände, die an der Wie-
deraufnahme von Verhandlungen kein Interesse zeigen.

Der Deutsche Bundestag hält die unmittelbare Wiederaufnahme von Friedens-
gesprächen für vordringlich. Denn nur auf diesem Wege können die Endstatus-
fragen des Nahostkonflikts einvernehmlich und dauerhaft gelöst werden. Die
israelische Regierung muss ihre Verantwortung für Frieden und Stabilität in der
Region wahrnehmen und den Siedlungsbau stoppen. Die palästinensische
Regierung muss sich ihrerseits klar zu den Quartettkriterien bekennen und da-
rüber hinaus umgehend für die bedingungslose Freilassung Gilad Shalits sorgen.
Präsident Mahmud Abbas hat mehrfach bekundet, dass er direkte Verhandlun-
gen über Fragen des Endstatus und ein Friedensabkommen mit Israel in abseh-
barer Zeit gegenüber einem Gang zu den Vereinten Nationen den Vorzug geben
würde. Israel sollte ihn beim Wort nehmen. Dies ist umso wichtiger, als durch
die demokratischen Bewegungen in den arabischen Ländern eine neue Dynamik
entstanden ist. Voraussetzung für die Wiederaufnahme von Direktgesprächen ist
die Verständigung über klare Parameter, wie sie Großbritannien mit Unterstüt-
zung Frankreichs und Deutschlands in einer Stimmerklärung vom 18. Februar
2011 definiert hat. Diese Parameter sehen vor: a) eine Übereinkunft über die
Grenzen von zwei Staaten auf der Grundlage der Grenzen von 1967 und einem
gleichwertigen Austausch von Land; b) Sicherheitsvereinbarungen, die die pa-
lästinensische Souveränität achten und das Ende der Besatzung bringen und die
den Israelis Sicherheit gewährleisten, der Wiederkehr des Terrorismus vorbeu-
gen und neu entstehenden Bedrohungen wirksam begegnen; c) eine gerechte,
faire und gemeinsame Lösung der Flüchtlingsfrage und d) die Einlösung der An-
sprüche beider Seiten in der Jerusalemfrage. Verhandlungen müssen einen Weg
eröffnen, um eine Lösung für den Status von Jerusalem als künftige Hauptstadt
beider Seiten zu finden. Der Deutsche Bundestag unterstreicht, dass eine Lösung

der Flüchtlingsfrage den jüdischen Charakter des Staates Israel nicht in Frage
stellen darf.

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/6298

Wenn eine Wiederaufnahme von Friedensgesprächen vor Beginn der nächsten
Generalversammlung nicht zustande kommt, dann scheint der Gang der Palästi-
nenser zu den Vereinten Nationen nicht mehr abwendbar zu sein. Angesichts
der endlosen Vertagungen direkter Friedensgespräche und des gegenseitigen
Misstrauens ist eine Erklärung der palästinensischen Unabhängigkeit im Rah-
men der VN nachvollziehbar. Die Tatsache, dass international kaum Zweifel
bestehen, dass die PA eine Zweidrittelmehrheit in der Generalversammlung er-
reichen kann, zeigt deutlich, dass die meisten Mitglieder der Weltorganisation
diesen Schritt unterstützen. Zwar ist es unwahrscheinlich, dass sie die Voll-
mitgliedschaft in den Vereinten Nationen erhalten werden, wenn die USA ihre
Ankündigung wahr machen und die unumgängliche Empfehlung des Sicher-
heitsrates zur Aufnahme mit einem Veto belegen. Aber sie erreichen mit der zu
erwartenden Zweidrittelmehrheit die symbolische Anerkennung eines großen
Teils der Weltgemeinschaft. Zugleich schreitet der Prozess der bilateralen An-
erkennung des palästinensischen Gebiets als souveräner Staat voran, nicht zu-
letzt auch in der Europäischen Union.

Vor diesem Hintergrund ist es absolut vorrangig, sich jetzt um eine gemeinsame
Position der EU zu bemühen. Die erwähnte negative Vorfestlegung gegen die
palästinensischen Bemühungen bei den Vereinten Nationen ist völlig ungeeig-
net, diesem Ziel näherzukommen. Stattdessen sollte sich die Bundesregierung
alle Wege offen halten, die zu einer gemeinsamen europäischen Haltung führen
können. Dazu gehört auch die Option, von europäischer Seite das palästinen-
sische Ansinnen dann zu unterstützen, wenn Friedensgespräche bis dahin nicht
begonnen haben und sich die künftige palästinensische Regierung dazu be-
kennt, dass sie das Existenzrecht Israels anerkennt, Gewaltverzicht garantiert
und der Gültigkeit der bisherigen Abkommen zustimmt.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

– sich für die baldige Wiederaufnahme direkter Friedensgespräche zwischen
Israel und den Palästinensern auf der Grundlage der oben angeführten Para-
meter einzusetzen und dafür Initiativen im Rahmen der Vereinten Nationen
und der Europäischen Union zu starten;

– dass sie ihre negative Vorfestlegung gegen die palästinensischen Bemühun-
gen bei den Vereinten Nationen aufgibt und stattdessen alle Wege offen hält,
die zu einer gemeinsamen europäischen Haltung führen können, einschließ-
lich der Option, von europäischer Seite das palästinensische Ansinnen dann
zu unterstützen, wenn Friedensgespräche bis dahin nicht begonnen haben
und sich die künftige palästinensische Regierung zuvor dazu bekennt, dass
sie das Existenzrecht Israels anerkennt, Gewaltverzicht garantiert und der
Gültigkeit der bisherigen Abkommen zustimmt;

– sich für ein sofortiges Ende des israelischen Siedlungsbaus in den palästi-
nensischen Gebieten einzusetzen;

– gegenüber der palästinensischen Führung und einer möglichen neuen Regie-
rung auf Basis der Versöhnungsvereinbarung auf ein klares Bekenntnis zu
den Quartettkriterien zu dringen;

– sich für die sofortige und bedingungslose Freilassung Gilad Shalits weiter
einzusetzen;

– ein wichtiges politisches Signal zu senden, indem sie die palästinensische
Vertretung in der Bundesrepublik Deutschland aufwertet.

Berlin, den 28. Juni 2011
Dr. Frank-Walter Steinmeier und Fraktion

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