BT-Drucksache 17/629

Berliner Oberstaatsanwalt als Ermittler auf den Philippinen

Vom 28. Januar 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/629
17. Wahlperiode 28. 01. 2010

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Wolfgang Gehrcke, Jens Petermann, Frank Tempel
und der Fraktion DIE LINKE.

Berliner Oberstaatsanwalt als Ermittler auf den Philippinen

Seit dem 4. Januar 2010 ist der Leitende Oberstaatsanwalt am Berliner Kammer-
gericht Detlev Mehlis als Leiter des EU-Philippines Justice Support Programme
tätig. Laut Presseinformation des Auswärtigen Amtes vom 4. Januar 2010 dient
das Programm der Unterstützung des philippinischen Justiz- und Polizeiwesens
bei der Aufklärung von so genannten extralegalen Tötungen. Detlev Mehlis soll
zusammenmit weiteren europäischen Experten die philippinische Justiz, Polizei
und Menschenrechtsgruppen bei der Aufarbeitung ungeklärter Mord- bzw. Ent-
führungsfälle von Journalisten,Menschenrechtsverteidigern und politischenAk-
tivisten beraten und entsprechende Schulungen durchführen.

Detlev Mehlis ermittelt seit den 80er-Jahren bei politisch motivierten Tötungs-
delikten, so nach den Anschlägen auf das Maison de France und die Diskothek
La Belle 1983 und 1986 in Berlin. Dabei wurde mehrfach erhebliche Kritik an
der Arbeitsweise von Detlev Mehlis laut. So rügte ein Richter im La Belle-
Prozess 1998 Detlev Mehlis wegen verbotener Vernehmungsmethoden. Detlev
Mehlis habe bei einem Angeklagten den „irrigen Eindruck“ erweckt, dass dieser
mit Strafmilderung zu rechnen habe, wenn er ein Geständnis ablege, heißt es
im Beschluss der 39. Großen Strafkammer des Berliner Landgerichts. Dies sei
eine „Täuschung“ des Angeklagten gewesen. Der Richter ließ sämtliche An-
gaben des Angeklagten, in denen er den libyschen Geheimdienst und seine
Mitangeklagten des Anschlags bezichtigte, für den Prozess für „unverwertbar“
erklären. Damit brach eine der wichtigsten Säule der Anklage zusammen
(http://www.berlinonline.de/berliner-zeitung/archiv/.bin/dump.fcgi/1998/0711/
blickpunkt/0016/index.html).

In die Kritik geriet auch Detlev Mehlis Tätigkeit als Sonderermittler der Verein-
ten Nationen (UN) im Libanon im Jahr 2005. Detlev Mehlis sollte den Mord-
anschlag auf den ehemaligen libanesischenMinisterpräsidentenRafik Hariri und
22 weitere Personen vom 14. Februar 2005 in Beirut untersuchen. In seinen
Berichten an den UN-Generalsekretär beschuldigte DetlevMehlis syrische Offi-
zielle und ehemalige Sicherheitsdienste des Libanon, hinter dem Attentat zu
stecken. „Mehlis’ Berichte waren abschnittsweise eine wilde Anhäufung von
namentlich genannten Verdächtigten, dubiosen Zeugen, Spekulationen und nicht
weiter ausgeführten Beschuldigungen“, fasst ein Journalist in der Schweizer
Wochenzeitung „WOZ“ die Vorwürfe zusammen (http://www.woz.ch/artikel/
inhalt/2006/nr12/International/13115.html).

DetlevMehlis stützte sich laut „SPIEGELONLINE“ in wesentlichen Teilen sei-
ner Anschuldigungen auf Aussagen eines angeblichen Geheimdienstmannes
Suheir al-Sadik. Bei diesem handelt es sich offenbar um einen mehrfach ver-
urteilten Betrüger, der wie aus Kreisen der Organisation der Vereinten Nationen
(UNO) verlautete, nachweisbar gelogen hatte und darüber hinaus verdächtigt

Drucksache 17/629 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

wird, für seine Aussage Geld erhalten zu haben (http://www.spiegel.de/politik/
ausland/0,1518,381056,00.html).

Nach Detlev Mehlis überraschendem Rücktritt von der UN-Untersuchungs-
kommissionsleitung Ende 2005 deutete sein Nachfolger, der belgische Jurist
Serge Brammertz, in seinem ersten Bericht an die UNO im Frühjahr 2006
Schlampereien der Kommission unter Detlev Mehlis an, deren Mitglieder größ-
tenteils ausgetauscht wurden. So mussten der Tatort über ein Jahr nach dem An-
schlag erneut forensisch untersucht und alle bislang gesammelten Informationen
und Beweise überprüft werden (http://www.woz.ch/artikel/inhalt/2006/nr12/
International/13115.html).

Vier libanesische Generäle, die auf Betrieben von Detlev Mehlis und seinem
Assistenten, dem Ersten Kriminalhauptkommissar beim Bundeskriminalamt
G. L., in Untersuchungshaft waren, kamen nach fast vier Jahren Haft ohne
Anklage am 29. April 2009 aus „Mangel an Beweisen“ frei (junge Welt vom
30. April 2009, http://www.jungewelt.de/2009/04-30/024.php?sstr= detlev%7
Cmehlis).

General Jamil Al-Sayyed kündigte an, gegen Detlev Mehlis und G. L. wegen
Freiheitsentzug und Verleumdung juristisch vorzugehen.

Die Anschuldigungen von DetlevMehlis hatten im Libanon und international zu
politischen Spannungen geführt.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Auf wessen Initiative geht die Einrichtung einer Ermittlungskommission auf
den Philippinen zurück?

2. Auf wessen Initiative geht die Berufung von Oberstaatsanwalt Detlev Mehlis
zurück?

3. Aufgrund welcher Kriterien und welcher besonderen Eignung wird Detlev
Mehlis auf den Philippinen tätig werden?

4. Gab es noch weitere europäische Bewerber für den nun an DetlevMehlis ver-
gebenen Posten, und wenn ja, welche?

5. Wie genau und durchwelchesGremiumwurde dieAuswahl für die Besetzung
der Leitung des EU-Philippines Justice Support Programme getroffen?

6. WelcheAufgaben genauwird Oberstaatsanwalt DetlevMehlis auf den Philip-
pinen wahrnehmen?

a) Wie lautet seine offizielle Tätigkeitsbeschreibung?

b) Welche und wie viele Tötungsdelikte soll Detlev Mehlis auf den Philippi-
nen aufklären?

c) In welchen Provinzen der Philippinen soll DetlevMehlis aktiv werden.

d) Welche Vollmachten wird DetlevMehlis haben?

e) In wessen Auftrag wird DetlevMehlis tätig sein?

f) Wem gegenüber ist er weisungsbefugt (bitte aufschlüsseln nach philippi-
nischen, europäischen und deutschen Stellen)?

g) Wem gegenüber ist er rechenschaftspflichtig (bitte aufschlüsseln nach
philippinischen, europäischen und deutschen Stellen)?

h) Was für Kosten werden durch Detlev Mehlis Ermittlertätigkeit auf den
Philippinen voraussichtlich anfallen, und welche Stelle kommt dafür auf?

i) Für welcheDauer soll DetlevMehlis als Ermittler auf den Philippinen tätig
sein?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/629

7. Wie viele und welche weiteren Ermittler werden dem Untersuchungsteam
von Detlev Mehlis angehören, und wird der Erste Kriminalhauptkommissar
beim Bundeskriminalamt, G. L., dazugehören?

8. Wie wirkt sich nach Einschätzung der Bundesregierung die Anfang Dezem-
ber 2009 erfolgte Ausrufung des Kriegsrechts in Teilen der Philippinen mit
weitreichenden Sondervollmachten für die Sicherheitskräfte auf die Ermitt-
lertätigkeit von DetlevMehlis aus?

9. Wie beurteilt die Bundesregierung die schwere Rüge der 39. Großen Straf-
kammer des Berliner Landgerichts vom Juli 1998 imLaBelle-Prozess gegen
Detlev Mehlis wegen verbotener Vernehmungsmethoden im Hinblick auf
den Vorbildcharakter von Detlev Mehlis bei seiner jetzigen Expertentätig-
keit auf den Philippinen?

10. Ist der Bundesregierung der erste Bericht der VN-Untersuchungskommis-
sion unter Serge Brammertz vom Frühjahr 2006 an den VN-Generalsekretär
mit der darin enthaltenen indirekten Kritik an Schlampereien der voran-
gegangenen Mehlis-Kommission bekannt, und wie bewertet die Bundes-
regierung diese Kritik?

11. Ist der Bundesregierung der am 17. September 2009 an VN-Generalsekretär
Ban Ki Moon geschickte Brief der syrischen Regierung mit schweren Vor-
würfen zur Ermittlertätigkeit von Detlev Mehlis im Mordfall Rafik Hariri
bekannt, und wenn ja, wie beurteilt die Bundesregierung die darin enthalte-
nen Vorwürfe?

12. Sind der Bundesregierung die Vorwürfe des libanesischen Generals Jamil
Al-Sayyed und seines Anwalts Akram Azouri bekannt, wonach Detlev
Mehlis als VN-Ermittler imMordfall RafikHariri Beweise gefälscht und un-
echte Zeugen bestellt habe, und wenn ja, wie beurteilt die Bundesregierung
diese Vorwürfe?

13. Ist der Bundesregierung bekannt, ob aufgrund seiner Ermittlertätigkeit im
Mordfall Rafik Hariri nationale oder internationale juristische Verfahren ge-
genDetlevMehlis und seinen damaligen Stellvertreter, den ErstenKriminal-
hauptkommissar beim Bundeskriminalamt G. L., eingeleitet wurden, und
wenn ja, welche, und mit welchem Ergebnis?

Berlin, den 28. Januar 2010

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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