BT-Drucksache 17/6229

Krieg als Kinder-Spiel - Werbemethoden der Bundeswehr in Bad Reichenhall

Vom 14. Juni 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/6229
17. Wahlperiode 14. 06. 2011

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Christine Buchholz, Eva Bulling-Schröter,
Harald Koch, Petra Pau, Jens Petermann, Raju Sharma, Frank Tempel und der
Fraktion DIE LINKE.

Krieg als Kinder-Spiel – Werbemethoden der Bundeswehr in Bad Reichenhall

Beim Tag der offenen Tür in der Kaserne Bad Reichenhall hat die Bundeswehr
im Rahmen ihres „Kinderprogramms“ eine Art Schlachtfeld präsentiert, in dem
Kinder mit Schusswaffen den Straßenkampf üben konnten. Darauf hat das
antifaschistische Bündnis „RABATZ“ hingewiesen (http://rabatz-buendnis.info/
skandal). Außerdem zeigen mittlerweile aufgetauchte Videos, dass Minder-
jährige auch mit scharfen Waffen und Waffensystemen hantieren konnten,
darunter sowohl Handfeuerwaffen als auch Granatwerfer und andere Systeme
(www.youtube.com/watch?v=pYU000w2KUO).

Das Miniaturdorf war mit dem Namen Klein-Mitrovica bezeichnet. Die Kinder,
anhand der Fotos zu urteilen kaum über zehn Jahre alt, konnten es unter einem
Tarnnetz liegend ins Visier nehmen. Die Szenerie ähnelte jener von Modell-
eisenbahn-Landschaften. Die Häuser boten sichtbare Kampfspuren und waren
teilweise beschädigt. Nur Leichen fehlten.

Mitrovica war schon von der Wehrmacht unter Beschuss genommen worden.
Dort waren während des Zweiten Weltkrieges unter anderem Gebirgstruppen
aus Bad Reichenhall stationiert.

In Mitrovica wurde am 13. August 1941 die bereits inhaftierte Silvira Tomasini,
Professorin der dortigen Universität, durch die SS ermordet, weil sie mit erho-
bener Faust „Rot Front“ gerufen hatte.

In Mitrovica wurde 1942 ein Lager „nach dem Muster der deutschen Kon-
zentrationslager gebaut“, wie es in einer Meldung des SD der SS hieß. Darin
sollten festgenommene „Partisanenverdächtige“ interniert werden.

In Mitrovica wurden im Spätsommer 1942 300 Roma zur Zwangsarbeit ver-
pflichtet, ehe sie auch dort interniert und ihrer Ermordung zugeführt wurden.

In Mitrovica sind seit 1999 wieder deutsche Soldaten stationiert.

In Mitrovica kam es nach dem Angriffskrieg der NATO gegen Jugoslawien und
der anschließenden Stationierung von Kosovo-Truppen (KFOR) unter den
Augen der Kriegskoalition mehrfach zu Pogromen und Vertreibungen von

Serben und Roma.

Die Kaserne in Bad Reichenhall ist weiterhin nach dem faschistischen General
Konrad benannt, der für zahlreiche Kriegsverbrechen insbesondere in der
Sowjetunion verantwortlich ist.

Drucksache 17/6229 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Angesichts der dargestellten historischen Bezüge, in denen die Stadt Mitrovica
gerade aus deutscher Sicht steht, erscheint es der Fraktion DIE LINKE. ge-
schichtspolitisch mehr als problematisch, gerade diese Stadt zum Gegenstand
einer spielerischen Vermittlung einer Gefechtssituation zu machen, in der be-
stimmte Ziele anvisiert werden sollen. Die Kinderrechtsorganisation „terre des
hommes“ kritisierte diese Art der Öffentlichkeitsarbeit als „geschmacklos“ und
gab ihrer Befürchtung Ausdruck, bei der Nachwuchswerbung der Bundeswehr
könnte nun „die letzten Hemmschwelle“ fallen (junge Welt, 4. Juni 2011).

Weiteren Medienberichten zufolge hat das Heeresführungskommando eine Un-
tersuchung des Vorfalls eingeleitet.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wer war für die Organisierung des Kinderprogramms und insbesondere für
Einrichtung und Betreuung der simulierten Beschießung von „Klein Mitro-
vica“ verantwortlich?

a) Wer hat die Entscheidung getroffen, das Dorf „Klein Mitrovica“ zu nen-
nen?

b) Wer hat die Entscheidung getroffen, Kinder unter dem Tarnnetz Schuss-
waffen bzw. Attrappen in die Hand nehmen und auf die Miniaturstadt
richten zu lassen?

c) Woher stammen die verwendeten Miniaturhäuser, auf wessen Veranlas-
sung und für welchen Verwendungszweck wurden sie gekauft, und wer
hat von der Kaufentscheidung gewusst?

2. Um welche Waffen (Attrappen) handelte es sich dabei?

3. Wie beurteilt die Bundesregierung den Lerneffekt dieses „Kinderpro-
gramms“ hinsichtlich der Einstellung zu Gewalt als Mittel der Konflikt-
lösung sowohl auf privater als auch (zwischen)staatlicher Ebene?

4. Handelt es sich bei der in Bad Reichenhall festgestellten Praxis um bei der
Bundeswehr akzeptierte Methoden der Nachwuchswerbung und/oder Öffent-
lichkeitsarbeit?

a) Wurden auch bei vergangenen Anlässen in Bad Reichenhall solche
Miniaturdörfer angelegt, die von Kindern „spielerisch“ unter Beschuss
genommen werden konnten, und wenn ja, bei welchen Anlässen, und wie
häufig seit dem Jahr 2000?

b) Welche Namen hatten die Miniaturdörfer dabei?

c) Welche Art von Waffen/Attrappen wurden dabei an Kinder ausgegeben?

d) In welchen anderen Kasernen der Bundeswehr werden solche Miniatur-
dörfer ausgestellt mit ähnlichem Kriegsspielszenario wie in Bad Reichen-
hall?

5. Inwiefern galt für die „Teilnahme“ am Beschuss des Miniaturdorfes eine
Altersbegrenzung, welches Mindestalter war vorgesehen, und inwiefern
wurde diese Begrenzung eingehalten bzw. verletzt?

6. Sieht die Bundesregierung einen Widerspruch darin, einerseits den Miss-
brauch von Kindern als Soldaten anzuprangern und andererseits in Kasernen
der Bundeswehr Kindern Kriegsspiel als Form der Freizeitunterhaltung
nahezubringen, und wie begründet die Bundesregierung ihre Haltung?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/6229

7. Teilt die Bundesregierung die in der Vorbemerkung dargestellte Sicht-
weise, dass gerade die Darbietung der Stadt Mitrovica als Objekt einer
Gefechtssimulation – und sei es nur in spielerischer Form – in geschichts-
politischer Sicht problematisch ist und von einem Defizit in der Bearbei-
tung des Themas in den entsprechenden Lehrgängen für Offiziere der Bun-
deswehr zeugt, und wie will sie dem zukünftig begegnen?

8. Wann und über welche Kommunikationswege hat die Bundesregierung
Kenntnis von diesem „Kinderprogramm“ erhalten?

9. Wie beurteilt die Bundesregierung diesen Teil des Kinderprogramms in
Bad Reichenhall?

10. Worin lag aus Sicht der für das „Kinderprogramm“ Verantwortlichen in
Bad Reichenhall der Sinn, Kindern auf diese Art und Weise Spaß am Krieg
beizubringen?

11. Wie bewertet die Bundesregierung, dass die verantwortlichen Offiziere des
Standortes Bad Reichenhall keine Einwände gegen die Kinderschieß-
übungen angemeldet haben, und was sagt dies nach Ansicht der Bundes-
regierung über den Zustand der Inneren Führung aus?

12. Sieht die Bundesregierung einen Widerspruch zwischen der in Bad Rei-
chenhall erfolgten Praxis und dem Sinn der „Richtlinien für die Durchfüh-
rung der Informationsarbeit der Bundeswehr“, die in Punkt 9.8 regeln, dass
Kinder und Jugendliche bis zum vollendeten 18. Lebensjahr keinen Zu-
gang zu Handfeuerwaffen und Munition erhalten sollen und diese Rege-
lung adäquat auch für ausgestellte Waffensysteme gelte, und wenn nein,
warum nicht?

13. Trifft es zu (wie auf Videos zu sehen), dass Minderjährige auch an scharfe
Waffen bzw. Waffensysteme gelassen wurden, und wenn ja

a) um welche Waffen/Waffensysteme handelte es sich dabei,

b) wer war für die Entscheidung verantwortlich, den Minderjährigen die-
sen Zugang zu gewähren,

c) welche Absicht verbanden die Verantwortlichen damit,

d) wie erklärt sich die Bundesregierung, dass der vorgenannte Erlass des
Bundesministeriums der Verteidigung zur Informationsarbeit von den
Verantwortlichen missachtet wurde und sich offenkundig kein einziger
Soldat oder Offizier gefunden hat, der auf Einhaltung dieses Erlasses
geachtet hat, und welche Konsequenzen zieht sie hieraus?

14. Trifft es zu, dass das Heeresführungskommando eine Untersuchung des
Vorfalls eingeleitet hat und der Verdacht auf Verletzung von Dienstvor-
schriften besteht, und wenn ja,

a) wer hat die Untersuchung zu welchem Zeitpunkt angeordnet und bis
wann soll sie abgeschlossen sein,

b) wer führt die Untersuchung durch,

c) welche Dienstvorschriften sind von dem Vorfall möglicherweise tan-
giert (bitte die Vorschriften vollständig anführen)?

15. Falls Frage 14 verneint wird, will die Bundesregierung entsprechende Un-
tersuchungen noch einleiten, und wenn nein, warum nicht?

Drucksache 17/6229 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
16. Will die Bundesregierung Maßnahmen ergreifen, um unabhängig von einer
allfälligen Untersuchung des Bad Reichenhaller Vorfalles auszuschließen,
dass Kinder in Kasernen mit Waffenattrappen hantieren und den Beschuss
von Miniatur-Ortschaften „spielen“?

Falls ja, welche Maßnahmen sind dies?

Falls nein, warum nicht?

17. Trifft es zu, dass der kosovarische Außenminister bei seinem Besuch in
Berlin den Vorfall angesprochen hat, und falls ja, was war Tenor seiner Be-
merkungen und welche Stellung hat die Bundesregierung bezogen?

Berlin, den 14. Juni 2011

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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