BT-Drucksache 17/6165

Menschenrechtsverletzungen und Umweltzerstörung durch Uranabbau in Niger

Vom 9. Juni 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/6165
17. Wahlperiode 09. 06. 2011

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Niema Movassat, Jan van Aken, Sevim Dag˘delen, Annette
Groth, Heike Hänsel, Andrej Hunko, Kathrin Vogler und der Fraktion DIE LINKE.

Menschenrechtsverletzungen und Umweltzerstörung durch Uranabbau in Niger

Die aktuelle Atomdebatte in Deutschland lässt die Frage des Uranabbaus und
dessen Auswirkungen in den Uran produzierenden Ländern auf Bevölkerung
und Umwelt bisher vollkommen außer Acht. Da aktuelle Finanzmarktdaten
zeigen, dass der Preis für Uran steigt, ist damit zu rechnen, dass die Ausweitung
der Uranminen in den Ländern mit Uranvorkommen zukünftig stark vorange-
trieben wird.

Mehr als 20 Prozent des weltweit geförderten Uranerzes stammt aus Afrika. Seit
mehr als 40 Jahren zählt Niger zu den führenden Uranproduzenten der Welt und
liefert heute etwa 9 Prozent der weltweit abgebauten Menge an Uran. Trotz sei-
ner Ressourcen (Uran, Eisenerz, Silber, Platin und Titan) zählt der Sahelstaat zu
den vier ärmsten Ländern der Welt. Niger wurde erst letztes Jahr wieder mit
einer extremen Hungerkrise konfrontiert und rangiert im UN-Human Develop-
ment Index (HDI) an Stelle 167 (von 169 Staaten). Laut HDI sind 40 Prozent
aller Kinder in Niger untergewichtig, 80 Prozent der Nigrer Analphabeten und
die Lebenserwartung liegt bei durchschnittlich 52,5 Jahren.

Dass der Abbau von Uran zahlreiche Risiken für Mensch und Umwelt mit sich
bringt, ist seit langem bekannt. Menschenrechts- und Umweltstandards werden
oftmals missachtet. Laut der Gesellschaft für bedrohte Völker befinden sich zu-
dem rund 70 Prozent der bekannten weltweiten Uranvorkommen auf Gebieten
indigener Völker. Am Beispiel Niger werden die verheerenden Auswirkungen
besonders deutlich. In zwei nigrischen Minen im Norden des Landes wird seit
Jahrzehnten durch den französischen Atomkonzern Areva (früher Cogema),
bzw. dessen Tochterfirmen, die Minengesellschaften Somair und Cominak,
nicht nur Uran abgebaut, sondern auch direkt vor Ort zu Uranoxid (dem so ge-
nannten yellow cake) verarbeitet. Die notwendigen Sicherheitsmaßnahmen
(z. B. Atemschutzmasken für Minenarbeiter) wurden dabei jahrzehntelang kate-
gorisch missachtet. Bis heute wird radioaktiver Abraum unter freiem Himmel
gelagert und somit werden kontaminierte Partikel durch den Wind über die
ganze Region verteilt. Messungen von Greenpeace e. V. im November 2009 in
den Straßen der Minenstadt Akokan zeigten Werte bis zu 500 Mal über der nor-
malen Hintergrundstrahlung.

Der Atomkonzern Areva (der Konzern gehört zu 87 Prozent dem französischen

Staat) schreibt auf seiner Homepage, dass „das Umweltmanagement“ der durch
ihn betriebenen nigrischen Minen „internationale Standards erfülle“. Die insge-
samt etwa 90 000 Bewohner der Wüstenstädte Akokan und Arlit, die unmittel-
bar an den Uranabbaustätten liegen, leiden an unmittelbar durch radioaktive
Strahlen verursachten Krankheiten wie Leukämie und Lungenkrebs. Bis heute
gelangt verstrahltes Altmetall (wie Rohre, die zur Erzaufbereitung genutzt wer-
den und hochgradig verstrahlt sind) aus den Minen auf die Märkte der Minen-

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städte und wird u. a. für Kochgeschirr und zum Hausbau verwendet. Aus einer
Studie von Greenpeace e. V., dem unabhängigen französischen Labor CRIIRAD
(Commission de recherche et d’information Indépendantes sur la Radioactivité)
und der nigrischen Nichtregierungsorganisation (NRO) Aghir In’Man geht her-
vor, dass in der Region um Arlit vier von fünf Trinkwasserproben die interna-
tional geltenden Grenzwerte der Weltgesundheitsorganisation (WHO) an Uran
überschreiten. Darüber hinaus trägt der Uranabbau zu einer weiteren Verknap-
pung der Grundwasserreserven bei. Laut der Gesellschaft für bedrohte Völker
ist das Grundwasser in der Region rund um die Minen durch die exzessive Nut-
zung für den Uranabbau bereits zu rund 70 Prozent aufgebraucht. Darunter ha-
ben nicht nur die Bewohner der Minenstädte zu leiden, sondern auch die in den
Uranabbaugebieten ansässigen Tuareg. Ihre Landrechte werden von Areva seit
Jahrzehnten missachtet, da die Abbaugebiete das Siedlungsgebiet der Indigenen
durchschneiden. Ein darin begründeter Aufstand der Tuareg im Jahr 2007 wurde
2009 nur vordergründig mit einem Abkommen beendet. Die Tuareg fordern
weiterhin eine Beteiligung an den Einnahmen, die der nigrische Staat durch die
Uranförderungslizenzen erzielt.

Der Atomkonzern Areva plant für 2013, am Standort Imouraren, 80 Kilometer
südlich von Arlit, in Niger die größte Uranmine Afrikas zu eröffnen. Niger
würde damit zum weltweit zweitgrößten Uranproduzenten aufsteigen. Insge-
samt soll der Uranabbau in ganz Afrika stark ausgeweitet werden. An einem
Kredit an Areva für den Kauf des südafrikanischen Bergbauunternehmens
UraMin beteiligten sich 2007 laut der deutschen NRO Urgewald e. V. auch die
Deutsche Bank AG, UniCredit Bank AG und LBB UraMin (nun eine hundert-
prozentige Areva-Tochter) will – neben Südafrika – den Uranabbau u. a. im
Tschad, in Mali und der Zentralafrikanischen Republik vorantreiben.

Areva liefert aktuell ein Drittel des Uranbedarfs für französische Kernkraft-
werke. Auch Deutschland bezieht einen Teil seines Urans über Frankreich. Der
Uranimport durch die Bundesrepublik Deutschland belief sich laut Eurostat
2009 auf 4 662 t sogenanntes Natururan (noch nicht angereichertes Uran) und
897 t bereits angereichertes Uran. Das Natururan wird vorwiegend über Frank-
reich und Großbritannien, die als Zwischenhändler fungieren, nach Deutschland
importiert und dort verarbeitet. Auf Nachfrage der RBB-Kontraste-Redaktion
von 2010, konnte von EnBW Energie Baden-Württemberg AG abgesehen „kei-
ner der deutschen Kernkraftwerksbetreiber (…) ausschließen, dass auch sie
Uran aus dem Niger bekommen“. Bis heute legt die deutsche Atomwirtschaft
die Herkunft der Uranimporte nicht offen.

Die Europäische Investitionsbank (EIB) gibt auf ihrer Homepage an, drei Dar-
lehen für Urananreicherungsanlagen vergeben zu haben. Ein Darlehen 2008
über bis zu 400 Mio. Euro an Areva für die Modernisierung der französischen
Urananreicherungsanlage Tricastin sowie 2007 an Urenco für die Ausweitung
der Urananreicherungsanlagen in den Niederlanden und Großbritannien über bis
zu 200 Mio. Euro und 2009 an Urenco für den Ausbau der niederländischen
Urananreicherungsanlage in Almelo über 400 Mio. Euro. Über die Darlehens-
vergabe entscheidet der Verwaltungsrat der EIB, in dem die Bundesregierung
durch das Finanzministerium vertreten ist.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Sind der Bundesregierung die Auswirkungen des Uranabbaus in Niger im
Hinblick auf die von Greenpeace e. V. vorgelegten Untersuchungen zur Ge-
sundheit der Menschen vor Ort, Umwelt und wirtschaftliche Grundlagen der
lokalen Bevölkerung bekannt?

a) Falls ja, welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus diesen In-

formationen bezüglich des deutschen Uranimports über Frankreich und

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des Bezuges von Atomstroms aus Frankreich auch im Hinblick auf die
Tatsache, dass Areva zu 87 Prozent dem französischen Staat gehört?

b) Falls nein, auf welchem Wege informiert sich die Bundesregierung über
die Abbaubedingungen für Menschen und Umwelt in den Staaten, aus
denen Deutschland indirekt Uran bezieht, bzw. aus welchen die Länder
Uran beziehen, von denen Deutschland Atomstrom kauft?

2. Wie bewertet die Bundesregierung das Verhalten des Atomkonzerns Areva
(ehemals Cogema) und dessen Tochterfirmen Somair und Cominak, die die
Minenarbeiter jahrzehntelang ohne Atemschutzmasken und geeignete
Schutzanzüge in den Minen arbeiten ließen und (immer noch unzureichende)
Maßnahmen zum Schutz der Arbeiter und Bewohner der Minenstadt ledig-
lich auf Druck von internationalen NRO vorgenommen haben, und inwiefern
thematisiert Deutschland dies bei Verhandlungen mit Frankreich über Uran-
und Atomstromimporten aus und über Frankreich?

3. Sieht die Bundesregierung Aufklärungsbedarf bei den Zuständigen von
Areva Niger bezüglich der Aussage Olivier Mullers, des Chefs von Areva
Niger in Niamey, der die Gesundheitskrisen für Minenarbeiter und Bewohner
der Minenstädte wie folgt bewertet: „Bisher gibt es keinen wissenschaft-
lichen Beweis, dass die Uranförderung in Arlit (Niger) Krankheiten verur-
sacht“ (Süddeutsche Zeitung, 5. Mai 2010), im Hinblick auf die Ergebnisse
der Studie von Greenpeace e. V. aus dem Jahr 2009, die in Arlit durchgeführt
wurde?

4. Welche Erkenntnisse liegen der Bundesregierung über Gesundheitsrisiken
für Minenarbeiter, deren Familien und die Bewohner der an Uranabbaustät-
ten angrenzenden Regionen in afrikanischen Uranabbauländern vor?

Aus welchen Quellen bezieht die Bundesregierung ihre Informationen dies-
bezüglich?

5. Welche Erkenntnisse liegen der Bundesregierung hinsichtlich des Risikos
vor, dass der radioaktiv kontaminierte Sand aus der Uranabbauregion in
Niger auch in umliegende Regionen weitergetragen werden und somit auch
die Gesundheit der Menschen in weiter entfernten Gebieten gefährden
könnte?

Aus welchen Quellen bezieht die Bundesregierung ihre Informationen dies-
bezüglich?

6. Welche Informationen liegen der Bundesregierung darüber vor, inwieweit
und in welchem Zeitraum die Frankfurter Firma Urangesellschaft mbH eine
Teilhaberschaft an einer Uranmine in Niger besaß und wie die Einhaltung der
Umwelt- und Menschenrechtsstandards kontrolliert wurden?

Aus welchen Quellen bezieht die Bundesregierung ihre Informationen dies-
bezüglich?

7. Kann die Bundesregierung ausschließen, dass Uran aus Niger (über Zwi-
schenländer wie Frankreich) in die Bundesrepublik Deutschland importiert
wird?

Falls nicht, welche Konsequenzen hat die Bundesregierung hinsichtlich der
Kontrollen des importierten Urans nach Deutschland gezogen, nachdem ihr
die Ergebnisse der Greenpeace-Studie von 2009 aus den Uranabbaugebieten
in Niger bekannt wurden?

8. Wie verfolgt die Bundesregierung die Lieferkette des nach Deutschland im-
portierten Urans?
Aus welchen Quellen bezieht die Bundesregierung ihre Informationen dies-
bezüglich?

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9. Wie verfolgt die Bundesregierung die Lieferkette des in andere europäi-
schen Länder importierten Urans, aus welchen Deutschland Atomstrom be-
zieht?

Aus welchen Quellen bezieht die Bundesregierung ihre Informationen dies-
bezüglich?

10. In welchen Ländern wird derzeit Uran abgebaut (bitte detaillierte Auflis-
tung)?

11. Wie bewertet die Bundesregierung die Abbaubedingungen in diesen Län-
dern hinsichtlich der Einhaltung vom Menschenrechts- Umwelt- und So-
zialstandards (bitte detaillierte Auflistung)?

a) Aus welchen der Ländern lehnt die Bundesregierung einen Uranimport
ab, und falls ja, warum?

b) Welche Erkenntnisse besitzt die Bundesregierung darüber, ob sich die
Abbaugebiete der jeweiligen Staaten auf Land befindet, welches Indige-
nen gehört?

Aus welchen Quellen bezieht die Bundesregierung ihre Informationen
diesbezüglich?

12. Welche Informationen liegen der Bundesregierung über die geplante Aus-
weitung oder Neuerschließung von Uranabbaugebieten weltweit vor?

13. Wie gewährleistet die Bundesregierung, dass kein Uran aus Ländern impor-
tiert wird, welche im Zuge des Uranabbaus gegen Menschenrechts- und
Umweltstandards verstoßen?

14. Wie gewährleistet die Bundesregierung, dass kein Atomstrom nach
Deutschland importiert wird, zu dessen Produktion Uran verwendet wurde,
welches in Länder abgebaut wurde, in denen gegen Menschrechts- und So-
zialstandards verstoßen wird?

15. Wie bewertet die Bundesregierung die Kontrollmechanismen von Umwelt-
und Menschenrechtsstandards in afrikanischen Staaten, in denen Uran ab-
gebaut wird, hinsichtlich ihrer Effektivität?

16. Wie bewertet die Bundesregierung die Tatsache, dass die Areva-Tochter
UraMin in der Zentralafrikanischen Republik und der Demokratischen
Republik Kongo derzeit neue Uranabbaugebiete erschließt vor dem Hinter-
grund der politischen Situation und der Verstöße gegen Menschenrechts-
und Umweltstandards beim bisherigen Abbau von Rohstoffen in diesen
Ländern?

17. Sind deutsche Firmen an den Uranminen, die derzeit in Mali um Timbuktu
und im Westen, im Grenzgebiet zum Senegal (in der Gegend des Dorfes
Falea) eröffnet werden, beteiligt?

a) Welche Kenntnis hat die Bundesregierung über einen angeblichen be-
waffneten Widerstand von Tuareg gegen die Minen in den beschriebenen
Regionen?

b) Welche Kenntnis hat die Bundesregierung über eine militärische Unter-
stützung der französischen Armee bzw. von Streitkräften oder Geheim-
diensten anderer Staaten für die Einrichtung bzw. den Betrieb der Uran-
minen in den beschriebenen Regionen?

c) Sind europäische Kreditbürgschaften für die Investitionen in Uranminen
um Timbuktu und im Senegal geplant?

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18. Welche Kriterien setzt die Bundesregierung im Detail zur Klassifizierung
uranabbauender Staaten in „politisch stabile“ und „politisch instabile“ Re-
gionen an, und wie wurden die Uran produzierenden Länder im Einzelnen
klassifiziert (bitte detaillierte Auflistung)?

19. Welche Schlussfolgerung zieht die Bunderegierung aus der Aussage des
Vorstands der Deutschen Bank AG, Dr. Josef Ackermann, die Deutsche
Bank AG sei „nicht zuständig“ für die Umwelt- und Gesundheitsfolgen des
Uranabbaus (urgewald, Pressemitteilung Nr. 13/2010), hinsichtlich der
Tatsache, dass die Deutsche Bank AG sich Ende 2007 an einem Kredit
beteiligte, mit welchem Areva das südafrikanische Bergbauunternehmen
UraMin kaufte, welches nun auch in anderen afrikanischen Staaten (wie im
Tschad und in der Zentralafrikanischen Republik) den Uranabbau stark aus-
weiten möchte?

20. Wie viele Tonnen Uran wurden in den Jahren 2009 und 2010 in die Bundes-
republik Deutschland importiert?

a) Über welche Länder wurde das Uran importiert, welches in den Jahren
2009 und 2010 nach Deutschland eingeführt wurde (bitte detaillierte
Auflistung)?

b) Aus welchen Ländern wird aktuell (2011) Uran importiert (bitte detail-
lierte Auflistung)?

c) Welche Informationen liegen der Bundesregierung über den Ursprung
des Urans vor, sprich, in welchen Ländern wurde das Uran abgebaut?

d) Welche Informationen liegen der Bundesregierung bezüglich der Einhal-
tung von Menschenrechts- und Umweltstandards in diesen Ländern (vgl.
Frage 20b) vor?

e) Welche Menschenrechts- und Umweltstandards sind für die Bundes-
regierung maßgeblich für den Import von Uran, und wo werden diese
Kriterien festgehalten?

21. Wurde im Verwaltungsrat der EIB neben den konkreten Umweltaspekten
der Modernisierung und des Ausbaus der Urananreicherungsanlagen auch
über die Herkunft des „yellow cake“ und die Situation in den Uran-Abbau-
ländern diskutiert, und wird die Bundesregierung davon abgesehen, Infor-
mationen diesbezüglich vor möglichen zukünftigen Darlehnsentscheidun-
gen für Uranfirmen vom EIB-Management einfordern und berücksichtigen?

22. Wird sich die Bundesregierung für eine Verbesserung von Transparenz und
Kontrolle der Uranherkunft einsetzen, um die Einhaltung von Menschen-
rechts- und Sozialstandards in den Uran produzierenden Ländern zu ge-
währleisten, und wenn ja, wie?

Berlin, den 9. Juni 2011

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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