BT-Drucksache 17/6109

Versorgungssicherheit transparent machen - Keine Experimente mit atomarer "Kaltreserve"

Vom 8. Juni 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/6109
17. Wahlperiode 08. 06. 2011

Antrag
der Abgeordneten Ingrid Nestle, Oliver Krischer, Bärbel Höhn, Sylvia Kotting-Uhl,
Undine Kurth (Quedlinburg), Nicole Maisch, Dr. Hermann Ott, Dorothea Steiner,
Cornelia Behm, Harald Ebner, Bettina Herlitzius, Dr. Anton Hofreiter,
Sven-Christian Kindler, Friedrich Ostendorff, Markus Tressel, Daniela Wagner,
Dr. Valerie Wilms und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Versorgungssicherheit transparent machen – Keine Experimente mit atomarer
„Kaltreserve“

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die Bundesregierung hat die Möglichkeit einer atomaren „Kaltreserve“ ins
Spiel gebracht, um eine angeblich fehlende Versorgungssicherheit im kommen-
den Winter bei acht abgeschalteten Atomkraftwerken abzuwenden. Ausgerech-
net Atomkraftwerke als „Kaltreserve“ vorzuhalten löst Erstaunen gerade bei
Fachleuten aus: Denn ein Atomkraftwerk abgeschaltet aber betriebsbereit zu
halten ist extrem aufwendig und teuer. Die Anlagen würden im Standby selbst
große Mengen Strom verbrauchen. Aus dem kalten Betriebszustand heraus er-
scheint es kaum möglich, dass sie aufgrund ihrer mangelnden Flexibilität bei
einer kurzfristig eintretenden Verknappung rechtzeitig Strom liefern könnten.
Überdies würde das Sicherheitsrisiko gerade der alten Anlagen unvermindert
fortbestehen und damit der Atomausstieg durch dieses unvollständige Abschal-
ten ausgehöhlt.

Angesichts der Forderung nach atomaren „Kaltreserven“ überrascht es, dass die
Bundesregierung bisher nicht unabhängig prüfen ließ, ob die Versorgungssicher-
heit im Winter tatsächlich gefährdet ist und mit welchen alternativen Möglich-
keiten die Versorgungssicherheit im Zweifelsfall garantiert werden kann. So hat
die Bundesnetzagentur kürzlich darauf hingewiesen, dass nicht einmal bekannt
ist, wie viel fossile Kaltreserve in Deutschland tatsächlich zur Verfügung steht,
obwohl die Kraftwerksbetreiber nach § 9 der Kraftwerks-Netzanschlussverord-
nung (KraftNAV) verpflichtet sind, ihre „Kaltreserven“ bekannt zu machen.

Auch durch Lastmanagement etwa bei der energieintensiven Industrie können in
bedeutendem Umfang Versorgungssicherheit und Netzstabilität gewährleistet
werden. So genügt eine Verschiebung der Lasten aus den 15 verbrauchsstärksten
Stunden des Jahres, um die Kapazität von zwei Atomkraftwerken einzusparen.
II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. unverzüglich der Bundesnetzagentur den Auftrag zu erteilen, ein fachlich
kompetentes, unabhängiges Institut mit der Prüfung der Versorgungssicher-
heit für die kommenden 24 Monate zu beauftragen und diesem alle notwen-
digen Daten hierfür zur Verfügung zu stellen. Zum Untersuchungsauftrag

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gehört auch, mit welchen technischen und organisatorischen Mitteln even-
tuelle Engpässe beseitigt werden können, also zum Beispiel Lastmanage-
ment, Aktivierung fossiler Kaltreserve, alternative Methoden der Blindleis-
tungsbereitstellung und kurzfristige Modernisierung der Stromnetze;

2. die Daten hinsichtlich der zur Verfügung stehenden Kaltreserve aus nicht-
atomaren Quellen zu erfassen und öffentlich zur Verfügung zu stellen.

Berlin, den 8. Juni 2011

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

Begründung

Es kann nicht sein, dass ungeprüfte Aussagen hinsichtlich eines Versorgungs-
engpasses im kommenden Winter als Begründung für die Vorhaltung atomarer
Kaltreserven und damit zur Aushöhlung des Atomausstiegs herangezogen wer-
den. Die zur Verifizierung notwendigen Daten, die zurzeit nur den Netzbetrei-
bern vorliegen, müssen allgemein zugänglich gemacht werden. Nur so kann
überprüft werden, ob tatsächlich ein Versorgungsengpass möglich ist. Transpa-
renz und unabhängige Überprüfung der Sachlage sind angesichts der gesamt-
wirtschaftlichen Bedeutung einer unter allen Umständen notwendigen sicheren
Stromversorgung Deutschlands unverzichtbar für eine Entscheidung, ob und
welche Maßnahmen ggf. zur Sicherung der Versorgung ergriffen werden müs-
sen. Dazu gehört selbstverständlich auch, dass umfassende Transparenz über
den Umfang der fossilen Kaltreserven hergestellt werden muss. Die Bewertung
weiterer, über das Vorhalten von Reservekapazitäten hinausgehender Maßnah-
men zur Erhöhung der Versorgungssicherheit wie zum Beispiel Lastmanage-
ment und Daten über die Auslastung der Stromnetze gehören ebenfalls dazu.

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