BT-Drucksache 17/6017

Einrichtung einer Visa-Warndatei

Vom 30. Mai 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/6017 (neu)
17. Wahlperiode 30. 05. 2011

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Jens Petermann, Frank Tempel und der Fraktion
DIE LINKE.

Einrichtung einer Visa-Warndatei

Anfang Mai 2011 hat das Bundeskabinett einen Gesetzentwurf zur Einrichtung
einer Visa-Warndatei vorgelegt. Dieses Vorhaben war bereits im Koalitionsver-
trag zwischen CDU, CSU und FDP vorgesehen. Dazu sollen nach dem vorlie-
genden Gesetzentwurf die Daten von Personen gespeichert werden, die im
Zusammenhang mit illegalem Aufenthalt, Einschleusen von Ausländern ohne
Einreiseerlaubnis, Beschäftigung von Personen ohne Aufenthaltserlaubnis, Ein-
und Ausfuhr von Betäubungsmitteln, Menschen- und Kinderhandel zu einer
Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden sind. Visumantrag-
steller, Einlader und „sonstige Referenzpersonen“ werden in Zukunft daraufhin
überprüft, ob sie in dieser Datei gespeichert sind. Ein Treffer soll dann zu einer
intensiveren Prüfung des Visumantrags führen, zu befürchten ist in solchen Fäl-
len allerdings eine pauschale Ablehnung. Das Ansinnen von CDU/CSU, alle
Visumantragsteller, Einlader, sonstige Referenzpersonen und abgelehnte Asyl-
suchende in der Datei zu speichern, war durch den Koalitionsvertrag nicht
gedeckt und ist derzeit auch nicht Teil des Gesetzentwurfs. Nicht vorgesehen
war hingegen der nun vorgesehene Abgleich der Daten von Personen, die am
Visumverfahren beteiligt sind, mit der „Anti-Terror-Datei“ von Bund und Län-
dern, die 2008 eingerichtet wurde. Bereits heute geben die Ausländerbehörden
die Daten von Visumantragstellern und Einladern an Bundesnachrichtendienst,
Bundesverfassungsschutz, Bundes- und Zollkriminalamt. Diese prüfen, ob ge-
gen eine Einreise Sicherheitsbedenken bestehen. Im Falle der Herkunftsländer,
für die dieses „Konsultationsverfahren“ nicht angewendet wird, soll nun das neu
geschaffene „Abgleichsverfahren“ verwendet werden.

Auf EU-Ebene ist bereits ein Datenverbund ins Leben gerufen worden, dessen
Zweck ebenfalls ist, so genannten Visummissbrauch zu erschweren und die Ein-
reise von Personen zu verhindern, die die innere Sicherheit gefährden könnten.
Die rechtlichen Grundlagen für das Visa-Informationssystem (VIS) wurden be-
reits im Juli 2008 per Verordnung (EG) Nr. 767/2008 des Europäischen Par-
laments und des Rates geschaffen. Wegen der auf europäischer Ebene nicht un-
üblichen technischen Probleme ist das VIS zwar noch nicht in Betrieb, zuletzt
wurde dies jedoch für Mitte 2011 angekündigt. Im VIS werden sämtliche mit
einem Visumverfahren zusammenhängenden Daten, inklusive Fotos und Finger-

abdrücke der Antragstellenden, gespeichert. Daten über erteilte und abgelehnte
oder annullierte Visa sind für die zuständigen Behörden fünf Jahre lang abrufbar,
einschließlich der Ablehnungsgründe und der „Einlader“ (Personen oder Unter-
nehmen bzw. Organisationen).

Bereits seit Mai 2009 gilt in Deutschland das VIS-Zugangsgesetz, das den Be-
hörden mit Sicherheitsaufgaben und den Geheimdiensten von Bund und Län-
dern zum Zweck der Verhütung, Aufdeckung und Ermittlung terroristischer

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und sonstiger schwerwiegender Straftaten den Zugriff auf das Visa-Informa-
tionssystem erlaubt. Hier stellt sich die Frage nach dem konkreten Mehrwert,
den der Zugriff dieser Behörden auf eine weitere nationale Datei mit Datensät-
zen zum Visumverfahren haben könnte.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. In welchen anderen Datensammlungen sind die in der Visa-Warndatei (VWD)
zu speichernden Daten zu Straftaten mit Auslandsbezug (§ 2 Absatz 2 Satz 1
Nummer 1 des Entwurfs zur VWD) bereits heute enthalten?

a) Zu welchen der vorgesehenen Speicheranlässe werden ebenfalls Daten
im Visa-Informationssystem enthalten sein?

b) Zu welchen der vorgesehenen Speicheranlässe bestehen bereits heute
beim Bundeskriminalamt geführte Dateien?

c) Zu welchen der vorgesehenen Speicheranlässe bestehen bereits heute
beim Auswärtigen Amt oder den vom Auswärtigen Amt mit der Aus-
stellung von Visa beauftragen Stellen geführte Dateien, und wie kann auf
sie im Visumverfahren zugegriffen werden?

d) Zu welchen der vorgesehenen Speicheranlässe bestehen bereits heute bei
den in den Ländern mit der Ausführung des Aufenthaltsgesetzes beauf-
tragten Stellen geführte Dateien und Datensammlungen?

e) In welchen weiteren Dateien bei welchen Behörden sind die in der Visa-
Warndatei zu speichernden Daten nach § 2 Absatz 1 Nummer 1 des Ent-
wurfs zur VWD bereits gespeichert, und wie ist jeweils der Zugriff von
den am Visumverfahren beteiligten Behörden geregelt?

2. In welchen bereits bestehenden Dateien und Datensammlungen sind die nach
§ 2 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 des Entwurfs zur VWD in der VWD zu
speichernden Daten bereits gespeichert (Daten von Personen, die als Antrag-
steller im Visumverfahren ge- oder verfälschte Dokumente oder durch
unrichtige Angaben erschlichene echte Dokumente vorgelegt oder durch Ver-
schweigen wichtiger Tatsachen ein Visum „erschlichen“ haben)?

a) Welche Behörden haben in welcher Weise Zugriff auf diese Daten?

b) Welche dieser Daten werden auch im Visa-Informationssystem enthalten
sein, und warum ist eine Speicherung in einer weiteren Datei nach An-
sicht der Bundesregierung notwendig und mit dem Grundsatz der Daten-
sparsamkeit vereinbar?

c) Warum ist im Referentenentwurf nicht vorgesehen, jedenfalls beim „Ver-
schweigen erheblicher Tatsachen“, einen nachgewiesenen Vorsatz zur
Voraussetzung der Speicherung zu machen?

3. In welchen bereits bestehenden Dateien und Datensammlungen sind Daten
zu Personen gespeichert, die ihren rechtlichen Verpflichtungen aus der Ab-
gabe einer Verpflichtungserklärung nach §§ 66 und 68 des Aufenthaltsgeset-
zes nicht nachgekommen sind?

Wie ist ggf. der Zugriff auf diese Daten geregelt?

4. In welchen bereits bestehenden Dateien und Datensammlungen sind Daten
zu Personen gespeichert, die als Einlader oder als „sonstige Referenzper-
sonen“ falsche Angaben im Visumverfahren gemacht haben?

Wie ist ggf. der Zugriff auf diese Daten geregelt?

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5. Durch welche Verfahren soll gewährleistet werden, dass wegen falscher
Angaben oder Pflichtverletzungen aus der Verpflichtungserklärung in der
Datei gespeicherte Personen, die nicht vorsätzlich gehandelt haben (oder
gar selbst getäuscht und damit zu falschen Angaben bewegt wurden), in
Zukunft keine Nachteile durch diese Speicherung zu erfahren haben?

a) Sollte nach Ansicht der Bundesregierung hier nicht mindestens ein
nachgewiesener Vorsatz Voraussetzung einer Speicherung sein (bitte be-
gründen)?

b) Sollte nach Ansicht der Bundesregierung darüber hinaus auch bei Perso-
nen, die eine Verpflichtungserklärung abgegeben haben und dieser dann
aber unverschuldet nicht in zumutbarer Weise nachkommen konnten,
ebenfalls von einer Speicherung abgesehen werden?

6. Was spricht aus Sicht der Bundesregierung bzw. des Bundesministeriums
des Innern (BMI) gegen eine automatische Benachrichtigung der in der
VWD gespeicherten Personen, damit diese ggf. die Möglichkeit zur Berich-
tigung oder Löschung ihrer Daten haben und so Hindernissen in zukünf-
tigen Visumverfahren begegnen können?

7. Wie soll ausgeschlossen werden, dass im Falle eines Treffers in der VWD
quasi automatisch Visaanträge abgelehnt werden, weil sich zuständige
Stellen (auch aufgrund des politischen Drucks) im Zweifel gegen eine Ein-
reiseerlaubnis entscheiden, und die nach der Gesetzesbegründung avisierte
intensivere Prüfung des Visumantrags damit faktisch unterbleibt?

8. Welche Behörden sind mittlerweile im Rahmen des VIS-Zugangsgesetzes
zum Zugang zum Visa-Informationssystem berechtigt bzw. sollen nach
Kenntnis der Bundesregierung nach dessen Inbetriebnahme eine Zugangs-
berechtigung erhalten (bitte alle Behörden des Bundes und, so weit be-
kannt, der Länder benennen)?

9. Wann rechnet die Bundesregierung mit der Inbetriebnahme des Visa-Infor-
mationssystems, und in welchen Teilschritten wird diese Inbetriebnahme
gegebenenfalls erfolgen?

10. Welche Kosten sind für den Aufbau der nationalen Schnittstelle für den
VIS-Zugang 2009 und 2010 angefallen, und welche Kosten werden voraus-
sichtlich in den Jahren 2011 und 2012 noch anfallen?

11. Was ist die Funktion und Zielsetzung der über 2,5 Millionen Datensätze
umfassenden (Stand 25. August 2010, Bundestagsdrucksache 17/2803,
Anlage 1) Zentraldatei des Bundeskriminalamtes „VISA-KzB-Verfahren“
(KzB = Konsultationsverfahren zentraler Behörden) laut der entsprechen-
den Errichtungsanordnung?

a) Welche Ergebnisse hat die mit dieser Datei geleistete Recherche-, Aus-
wertungs- und Analysetätigkeit bislang erbracht, und welcher konkrete
Handlungsbedarf wurde dadurch bei den beteiligten Behörden bekannt?

b) Wie viele Datensätze enthält die Zentraldatei zum derzeitigen Stand?

12. Für Staatsangehörige welcher Länder gilt das Konsultationsverfahren der-
zeit?

13. Wie viele Einreiseverweigerungen aufgrund von Sicherheitsbedenken sind
seit der Einführung des Konsultationsverfahrens ausgesprochen worden
(bitte nach Jahren und Herkunftsländern auflisten)?

14. Wie viele Datensätze zu natürlichen Personen sind derzeit über die Anti-
Terror-Datei erreichbar, wie viele davon betreffen Staatsangehörige aus

Staaten, für die das Konsultationsverfahren angewendet wird, wie viele aus
den anderen Staaten?

Drucksache 17/6017 (neu) – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
15. Wie viele „Gefährder“ sind nach Kenntnis der Bundesregierung aus Staa-
ten, für die das Konsultationsverfahren nicht angewendet wird, in den ver-
gangenen fünf Jahren nach Deutschland (zunächst unerkannt) eingereist?

16. Inwieweit wurde die laut Begründung zu § 17 (Referentenentwurf, S. 37)
erst zur Evaluierung drei Jahre nach Inkrafttreten des Gesetzes vorgese-
hene Untersuchung, ob die zusätzliche Speicherung von Daten, die bereits
im Bundeszentralregister gespeichert sind, in der VWD für die Erreichung
der Zwecke des Gesetzes überhaupt notwendig sind, von der Bundesregie-
rung bereits unternommen, und wenn es keine solche Überlegungen zur
Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit eines weiteren Eingriffs in das
Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung gegeben hat, warum
nicht?

17. Welche empirischen Erkenntnisse zum Umfang von Visummissbrauch lie-
gen der Bundesregierung überhaupt vor, die die Einrichtung einer Visa-
Warndatei rechtfertigen könnten, oder beruft sich die Bundesregierung
bzw. das federführende BMI weiterhin vor allem auf den subjektiven Ein-
drücken von Mitarbeitern in Behörden und Auslandsvertretungen?

Berlin, den 30. Mai 2011

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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