BT-Drucksache 17/6012

Nationale Strategie zur Integration der Roma und Sinti in Deutschland

Vom 30. Mai 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/6012
17. Wahlperiode 30. 05. 2011

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Petra Pau, Jens Petermann, Frank Tempel
und der Fraktion DIE LINKE.

Nationale Strategie zur Integration der Roma und Sinti in Deutschland

Am 5. April 2011 hat die EU-Kommission in Brüssel einen „EU-Rahmenplan
für nationale Strategien zur Integration der Roma bis 2020“ vorgelegt. Der Rah-
menplan enthält vier zentrale Vorgaben. In den Bereichen Bildung, Arbeit, Ge-
sundheit und Wohnen sollen die Mitgliedstaaten die bestehenden Unterschiede
zwischen den Roma und der restlichen Bevölkerung verringern bzw. beseitigen.
Die EU-Grundrechteagentur soll einen jährlichen Bericht zur Umsetzung des
Rahmenplans vorlegen. Für die Roma-Integration werden keine Mittel eigens
bereitgestellt, die Kommission weist in ihrem Papier aber auf verschiedene be-
stehende Fonds hin, aus denen auch Integrationsmaßnahmen für Roma finan-
ziert werden können: der Sozialfonds, der Strukturfonds, der Europäische Land-
wirtschaftsfonds für ländliche Entwicklung und der Regionalfonds. Die Fonds
enthalten eine Summe von 26,5 Mrd. Euro für die Jahre 2007 bis 2013. In allen
diesen Fonds stehen 4 Prozent der enthaltenen Summe für technische Hilfe
(Management, Evaluation etc.) zur Verfügung, von denen die EU-Staaten bis-
lang nur 31 Prozent abgerufen haben; diese Mittel eignen sich nach Ansicht der
Kommission besonders, um die Umsetzung von nationalen Integrationsstrate-
gien zu kontrollieren. Als besonders geeignetes Mittel zur Roma-Integration
wirbt die Kommission für die Vergabe von Mikrokrediten, für die ebenfalls EU-
Fördermittel zur Verfügung stehen. Die EU-Kommission betrachtet die Integra-
tion der Roma als eine der ernstesten sozialen Herausforderungen in Europa.

Von Roma-Organisationen wurde die Vorlage des Rahmenplans begrüßt, aller-
dings auch Kritik geübt. Der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma schrieb in
einem Arbeitspapier, die aktuelle Diskussion habe die „altbekannte Tendenz, die
Ursachen für die benachteiligte Lage den betroffenen Roma selbst zuzuschrei-
ben“. Dies geschehe auch dadurch, dass die Integration der Roma als soziales
Problem diskutiert werde, dabei aber bestehenden Rassismus und Diskriminie-
rung ausblende oder als nachrangig einschätze. Die Projektförderung der EU aus
den genannten Fonds seien nicht langfristig angelegt, sondern nur für kurzfris-
tige Interventionen geeignet, es werde keine langfristige und gesicherte Perspek-
tive geschaffen.
Wir fragen die Bundesregierung:

1. In welchen Bereichen der Politik und Gesellschaft sieht die Bundesregierung
Handlungsbedarf, um gegen Diskriminierungen und Benachteiligungen von
Roma und Sinti in Deutschland vorzugehen, und welche Strategien bestehen
zu ihrer Behebung?

Drucksache 17/6012 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

2. Welche Einschätzung vertritt die Bundesregierung insbesondere zur Frage
der Reproduktion antiziganistischer Klischees in filmischer Darstellung
und medialer Berichterstattung, wie sie sich in regelmäßigen Beschwerden
an den Trägerverein des Deutschen Presserats e. V. widerspiegelt?

Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, durch Einbeziehung von
Roma- und Sinti-Vertretern in Rundfunkräten u. Ä., diese Reproduktion
anti-ziganistischer Vorurteile zurückzudrängen?

3. Welcher Fahrplan besteht in der Bundesregierung zur Vorlage eines natio-
nalen Aktionsplans für die Integration der Roma?

4. Bestehen bereits Planungen für die „nationale Kontaktstelle für die natio-
nale Roma-Integrationsstrategie“, die die Kommission in ihrer Mitteilung
(KOM(2011) 173, S. 9) fordert, und wo soll diese angesiedelt bzw. welche
Alternativen bestehen dafür aus Sicht der Bundesregierung?

5. Auf welche Weise und durch wen sollen nach Ansicht der Bundesregierung
in Deutschland benachteiligte Mikroregionen oder segregierte Wohnviertel
ermittelt werden?

6. Welche Akteure müssten nach Ansicht der Bundesregierung in die Erstel-
lung eines solchen Aktionsplans eingebunden sein, und wie soll diese Ein-
bindung ausgestaltet sein?

7. Wie und in welchem Umfang ist vorgesehen oder veranlasst, insbesondere
den Zentralrat Deutscher Sinti und Roma und andere Organisationen der
Roma und Sinti an der Erarbeitung des Aktionsplans zu beteiligen?

8. Welche der Fachministerkonferenzen der Bundesländer ist nach Kenntnis
der Bundesregierung für die Abstimmung von Maßnahmen zur Integration
der Roma und Sinti in Deutschland zuständig, und hat dort bereits eine
Befassung mit der Aufgabe eines nationalen Aktionsplans im Sinne der
Kommissionsmitteilung stattgefunden?

Wenn ja, mit welchem Ergebnis?

Ist der Bundesregierung die Studie des Europäischen Parlaments (General-
direktorat Innenpolitik, Department C) über „Maßnahmen zur Verbesse-
rung der Situation von Roma-EU-Bürgern in der Europäischen Union“ und
darin insbesondere der Länderbericht zu Deutschland bekannt, und welche
Einschätzung hat sie zu den dort angesprochenen zentralen Problemen, wie

a) der Bildungssegregation,

b) der schlechten Wohnsituation nichtdeutscher Roma,

c) dem schlechten Zugang zum Arbeitsmarkt und

d) den fehlenden Kenntnissen über das Funktionieren des Gesundheitssys-
tems und Misstrauen gegenüber den Anbietern von Gesundheitsleistun-
gen?

9. Welchen Kenntnisstand hat die Bundesregierung über den Bildungsstand
von Roma und Sinti und dessen geschichtlichen, sozialen und politischen
Hintergrund?

10. Welche Schritte beabsichtigt die Bundesregierung, um die Bildungssitua-
tion der Roma und Sinti hinsichtlich der Frühförderung, Bildung, Ausbil-
dung und der Erwachsenenbildung zu verbessern, und welche Investitionen
sollen dabei vorgenommen werden?

11. Plant die Bundesregierung in diesem Zusammenhang eine Rahmenverein-
barung zwischen Bund, Ländern und Kommunen, um die Bildungssituation

der Roma und Sinti langfristig zu verbessern?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/6012

Welche sonstigen Schritte (etwa die Bildung einer Konferenz oder Kom-
mission) sind geplant, um die spezifischen Probleme von Roma und Sinti
beim Zugang zu Bildung unter Einbeziehung der Länder und Kommunen zu
beseitigen (falls keine solche Planungen bestehen, bitte begründen)?

12. Inwiefern berücksichtigen bereits bestehende Programme zur Integration
der Roma in Deutschland die unterschiedliche Ausgangslage von deutschen
Roma und Sinti und zugewanderter Roma insbesondere aus Ost- und Süd-
osteuropa, die entweder im Zuge der Gastarbeiteranwerbung oder als
Flüchtlinge in Folge der kriegerischen Auseinandersetzungen im ehemali-
gen Jugoslawien während der 90er-Jahre nach Deutschland gekommen
sind?

13. Welche (näherungsweisen) Zahlen liegen der Bundesregierung zur Anzahl
der „autochthonen“ Roma und Sinti, der in 60er-/70er-Jahren und nach
1990 eingewanderten Roma vor?

14. Wie viele der in Deutschland lebenden Sinti und Roma sind deutsche
Staatsangehörige, wie viele haben eine EU-Staatsbürgerschaft, und wie
viele kommen aus Staaten außerhalb der EU (bitte letztere nach Aufent-
haltsstatus auflisten, auch schätzungsweise)?

15. Inwieweit war die Berücksichtigung (zugewanderter) Roma und Sinti
Gegenstand der vorbereitenden Debatten in der Bundesregierung und der
Bundesministerien für die Erstellung des Nationalen Integrationsplans
(NIP), und welche Gründe sprachen gegen die Berücksichtigung dieser
Gruppe beim „Nationalen Integrationsgipfel“ und im NIP?

16. Inwieweit wäre es aus Sicht der Bundesregierung ein sinnvoller Beitrag zur
Integration, wenn auf die Abschiebung der ca. 9 500 Roma, Ashkali und
Ägypter in den Kosovo verzichtet, und den Betroffenen ein dauerhaftes
Bleiberecht in der Bundesrepublik Deutschland gewährt würde?

17. Wie viel der von der EU zur Verfügung gestellten 172 Mio. Euro, die im
Europäischen Sozialfonds in der Periode 2007 bis 2013 für die Integration
der Roma zur Verfügung stehen (vgl. KOM(2011) 173 endg., S. 10, Fuß-
note 37), sind von Bund und Ländern beantragt bzw. abgerufen worden?

Wie viele Mittel aus dem Europäischen Sozialfonds werden in der Bundes-
republik Deutschland darüber hinaus für die Integration von Roma und
Sinti eingesetzt?

18. Wurden in der Bundesrepublik Deutschland Mittel aus den Strukturfonds
abgerufen, die für technische Hilfe (Verbesserung der Verwaltungs-, Moni-
toring- und Bewertungskapazitäten) zur Verfügung stehen?

Wie hoch war der Anteil an den abgerufenen Mitteln für Projekte mit Bezug
zu Roma und Sinti?

19. Sind bereits Projekte geplant oder beantragt für das Progress-Mikrofinan-
zierungsprogramm der EU 2010 bis 2013, und sind darunter auch Projekte
mit Bezug zu Roma und Sinti?

20. Gab es im Rahmen der diversen einschlägigen Fördertöpfe für Projekte zur
Förderung von Demokratie, Vielfalt und Toleranz Anträge für Projekte, die
sich der Bekämpfung antiziganistischer Vorurteile widmen wollten oder
wollen, und welche dieser Anträge wurden bewilligt?

Berlin, den 30. Mai 2011

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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