BT-Drucksache 17/5993

Schiffsfinanzierung in Deutschland

Vom 26. Mai 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/5993
17. Wahlperiode 26. 05. 2011

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Dr. Valerie Wilms, Nicole Maisch, Dr. Gerhard Schick, Bettina
Herlitzius, Dr. Anton Hofreiter, Stephan Kühn, Ingrid Nestle, Daniela Wagner und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Schiffsfinanzierung in Deutschland

Die Schifffahrt in Deutschland steht mit ca. 3 700 finanzierten Schiffen im Jahr
2010 auf Platz 2 weltweit hinter Japan. Das Kapital zum Bau bzw. Erwerb eines
Schiffes durch einen Fonds teilt sich auf in private Kapitalgeber bzw. Anleger
(Eigenkapital) einerseits sowie Banken (Fremdkapital) andererseits. Bisher
betrug das Verhältnis am Gesamtkapital ca. 40 Prozent Eigenkapital bzw.
60 Prozent Fremdkapital. Es handelt sich bei Schiffsfonds meist um geschlos-
sene Fonds; die Kapitalgeber investieren als Kommanditisten in Kommandit-
gesellschaften (KGen/Ein-Schiff-Gesellschaft). Die Anleger gehen eine unter-
nehmerische Beteiligung ein, die mit entsprechend hohem Risiko verbunden ist.

Die Krise der Weltwirtschaft und der damit verbundene geringere Austausch
von Waren zwischen den Kontinenten hat auch einen Einbruch der Frachtraten
mit sich gebracht. Dadurch sank die Liquidität bei den Schiffseignern und viele
geplante Neubauaufträge wurden auf Eis gelegt bzw. bereits abgeschlossene
storniert. Dies traf sowohl die Werften weltweit mit Auftragsrückgängen von bis
zu 90 Prozent innerhalb von nur zwei Jahren sowie die Schiffsfinanzierer (Ban-
ken, Emissionshäuser), die lange Zeit ein starkes Auftragswachstum von Neu-
emissionen verzeichnen konnten.

Bei der Auflage von Schiffsfonds sind Prognoserechnungen gesetzlich vorge-
schrieben, die die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) auch
vor der Publikation kontrollieren muss. Die Art der Konzeptionierung und des
investierten Objekts ist nicht vorgeschrieben. Die Anlage in Schiffsfonds stellt
für alle Beteiligte (Reeder, Banken, Privatanleger) ein hohes Risiko dar. Hier ist
es sinnvoll, transparente Richtlinien für die Beratung von Bankkunden zu erar-
beiten und die Banken bzw. Vermögensberater bei der Erfüllung ihrer Informa-
tionspflicht besser zu kontrollieren.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Welche Unternehmensstruktur (Anzahl und Sitz der Unternehmen, Anzahl
der Mitarbeiter, Umsatz) bestand in den vergangenen Jahren in der Schiffs-
finanzierungsbranche (bitte nach den Jahren 2000 bis 2010 und den Berei-
chen Banken und Emissionshäuser aufgliedern)?

2. Welche Anzahl an finanzierten Schiffen wurde insgesamt inkl. Neuemissio-
nen pro Jahr durch deutsche Emissionshäuser und Banken verwaltet bzw. neu
aufgelegt (bitte jeweils nach den Jahren 2000 bis 2010 aufgliedern)?

a) Welches Kapitalvolumen stellt dies insgesamt bzw. jährlich dar?

b) Welche Quote Eigenkapital/Fremdkapital gab es hier im Jahresdurch-
schnitt aller Fonds?

Drucksache 17/5993 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

3. Welche Formen der Schiffsfinanzierung gibt es in Deutschland, und welche
Finanzierungsmöglichkeiten von Schiffen werden nach Information der Bun-
desregierung in anderen Staaten mit großer Schifffahrtstradition (Japan,
Griechenland, Norwegen etc.) gewählt?

4. Wird der Standort Deutschland nach Ansicht der Bundesregierung für
Schiffsfinanzierungen in den folgenden Jahren weiterhin interessant bleiben?

a) Welche Maßnahmen sind nach Auffassung der Bundesregierung nötig, um
Deutschland bei der Schiffsfinanzierung weiterhin auf den ersten Plätzen
zu halten?

b) Plant die Bundesregierung diesbezüglich, konkrete Maßnahmen zu ergrei-
fen, und wenn ja, welche?

c) Welche Rolle kann dabei nach Auffassung der Bundesregierung eine Aus-
richtung in nachhaltige (ökologisch, finanziell und sozial) Projekte im
Schiffssegment spielen?

5. Welche Auswirkungen hatte die Krise nach Ansicht der Bundesregierung auf
die Zusammensetzung der bestehenden Flotte und Neubestellungen, und wel-
che veränderten Unternehmensausrichtungen bzw. Marktänderungen sind
nach Ansicht der Bundesregierung zu beobachten?

a) Welche Mitarbeiterentwicklung ist in der Schiffsfinanzierung insgesamt
von 2000 bis 2010 (bitte nach den Jahren 2000 bis 2010 aufgliedern) zu
beobachten?

b) Welche Handlungsschwerpunkte staatlicherseits ergeben sich nach An-
sicht der Bundesregierung infolge der weltweiten Wirtschafts- und
Finanzkrise in Bezug auf die Schiffsfinanzierung?

6. Welche Rolle werden nach Ansicht der Bundesregierung die Banken in
Bezug auf die Schiffsfinanzierung in den kommenden Jahren spielen, unter
besonderer Berücksichtigung des geringeren Risikoengagements der Banken
und der Kreditvergabekriterien der Basel-II- bzw. Basel-III-Abkommen?

Tonnagesteuer

7. Sieht die Bundesregierung Handlungsbedarf bei der Besteuerung von Kom-
manditgesellschaften vom sog. Transparenzprinzip hin zum sog. Trennungs-
prinzip (gemäß eines Vorschlags des Gutachtens zur Bewertung der 20 größ-
ten Steuersubventionen – „Evaluierung von Steuersubventionen“, hier
„Tonnagesteuer“, Fifo Köln, ZEW Mannheim, Dez. 2009), und wenn ja, wie
sollten sich Struktur und steuerliche Veranlagung von Kommanditgesell-
schaften darstellen?

8. Hält die Bundesregierung weiterhin an der Tonnagesteuer im Rahmen des
Maritimen Bündnisses fest?

a) Wie begründet sie ihre Antwort?

b) Sieht die Bundesregierung Handlungsbedarf angesichts der Tatsache, dass
die Vereinbarung im Rahmen des Maritimen Bündnisses, bis Ende des
Jahres 2010 600 Seeschiffe unter deutsche Flagge zu stellen, nicht erfüllt
wurde?

9. In welcher Form liegen der Bundesregierung Einschätzungen über die Höhe
der Steuereinnahmen aus der Besteuerung des Tonnagegewinns gemäß § 5a
des Einkommensteuergesetzes (EStG) vor (bitte auch die Höhe beziffern und
nach den Jahren 2000 bis 2010 aufgliedern)?

a) In welcher Form liegen der Bundesregierung Einschätzungen über die
Höhe der Steuermindereinnahmen bzw. Steuermehreinnahmen aus der

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/5993

Besteuerung des Tonnagegewinns gemäß § 5a EStG vor (bitte auch die
Höhe beziffern und nach den Jahren 2000 bis 2010 aufgliedern)?

b) Auf Grundlage welcher Berechnung wird dies durch die Bundesregie-
rung ermittelt?

c) Mit welchen Schätzungen über den Umfang des Subventionsvolumens
für die Schiffsbranche rechnet die Bundesregierung für das laufende Jahr
2011 sowie für die folgenden Jahre 2012 und 2013?

d) Wie steht die Bundesregierung zu einer möglichen Verankerung der Ton-
nagegewinnermittlung zukünftig im Kapitalsteuergesetz, und welche
Auswirkungen auf die Schiffsfinanzierung in Deutschland würde dies
mit sich bringen?

10. Wird den Reedern in Bezug auf die Optimierung für die Tonnagesteuer
Flexibilität in Krisenzeiten gewährt (etwa durch frühzeitigen Ausstieg aus
der Tonnagesteuer innerhalb des 10-Jahres-Optionszeitraums), und wenn ja,
inwieweit und unter welchen Bedingungen?

11. Wie bewertet die Bundesregierung den weiter anhaltenden Boom der
Kreuzschifffahrt auf hoher See für den Schifffahrts- und Tourismusstandort
allgemein und in Bezug auf die Schiffsfinanzierung?

a) Welchen Stellenwert misst die Bundesregierung der Finanzierung von
Kreuzfahrtschiffen von Deutschland aus bei?

b) Welches Potenzial sieht die Bundesregierung bei der Finanzierung wei-
terer Kreuzfahrtschiffe von Deutschland aus?

c) Welche Möglichkeiten werden gesehen, damit weitere Kreuzfahrtschiffe
für die Tonnagesteuer optieren?

12. Wäre es nach der Auffassung der Bundesregierung möglich, die Tonnage-
steuer mit einer weiteren Bedingung, wie z. B. der Belohnung für besonders
umweltfreundliche Schiffe nach dem norwegischen Tonnagesteuermodell,
zu verknüpfen, und wenn ja, wie sollte dies nach Auffassung der Bundes-
regierung ausgestaltet werden, und wenn nein, warum nicht?

13. Welchen Grund sieht die Bundesregierung dafür, dass trotz der gestiegenen
Anzahl sowohl der von Deutschland aus finanzierten als auch der unter
Tonnagesteuer fahrenden Schiffe die Anzahl der insgesamt beschäftigten
Besatzungsmitglieder (1991 bis 2006) abnahm, und welche Konsequenzen
zieht die Bundesregierung daraus?

Verbraucherschutz

14. Wie viele Fälle sind der Bundesregierung bekannt, in denen Kunden in Be-
zug auf die Informationspflicht bei Geldanlagen bei risikoreichen Investi-
tionen durch die Banken nicht bzw. nur ungenügend aufgeklärt worden
sind?

a) Wie viele Fälle von Geschädigten sind der Bundesregierung bei der An-
lageberatung von Schiffsfonds bekannt?

b) Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung daraus, und welche
Maßnahmen wird sie ergreifen, um diese Missstände zu beheben?

15. In wie vielen Fällen gab es von 2000 bis 2010 (bitte nach den Jahren 2000
bis 2010 aufgliedern) Insolvenzen von Schiffsgesellschaften?

a) Sind der Bundesregierung Zahlen darüber bekannt, in wie vielen Fällen
das eingesetzte Kapital der Anleger/Gesellschafter nicht ausreichend war
und aufgestockt werden musste (wenn ja, bitte nennen)?

Drucksache 17/5993 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
b) Sind der Bundesregierung Zahlen darüber bekannt, in wie vielen Fällen
das eingesetzte Kapital der Anleger/Gesellschafter ganz verloren gegan-
gen ist und der Fonds abgewickelt werden musste (wenn ja, bitte die An-
zahl und die Kapitalverluste nennen)?

16. Wie hoch sind die durchschnittliche, die mittlere und die höchste Vermitt-
lungsprovision (in Prozent) bei Schiffsfonds bei der Vermittlung durch Ban-
ken, und wie hoch sind nach Erkenntnissen der Bundesregierung die sog.
weichen Kosten im Rahmen der Auflage von Schiffsfonds, z. B. durch den
Vertrieb der Emissionshäuser, und welche Rechtsgrundlage kann hierfür
jeweils herangezogen werden?

17. Welche rechtlichen Änderungen beabsichtigt die Bundesregierung bezüg-
lich der Ausstiegs- und Schadenersatzmöglichkeiten für die Anleger von
Schiffsfonds?

Berlin, den 26. Mai 2011

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

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