BT-Drucksache 17/5889

Kooperationen von Sicherheitsbehörden des Bundes mit nordafrikanischen Staaten und Staaten im Nahen Osten

Vom 24. Mai 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/5889
17. Wahlperiode 24. 05. 2011

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Jan Korte, Jan van Aken, Sevim Dag˘delen, Annette Groth,
Andrej Hunko, Harald Koch, Petra Pau, Paul Schäfer (Köln), Frank Tempel, Kathrin
Vogler, Halina Wawzyniak und der Fraktion DIE LINKE.

Kooperationen von Sicherheitsbehörden des Bundes mit nordafrikanischen
Staaten und Staaten im Nahen Osten

Das gewaltsame Vorgehen von Militär und staatlichen Behörden gegen die Pro-
testbewegungen in der arabischen Welt in den letzten Monaten hat erhebliche
Defizite in der bundesdeutschen Außen- und Sicherheitspolitik offenbart. Offen-
sichtlich wurde bei der Kooperation mit Regimes im arabischen Raum wenig
Augenmerk auf die dortige Menschenrechtslage gelegt. Nachgewiesenermaßen
gingen die Regimes in Ägypten und Tunesien mit deutscher Technik und Waffen
gegen die protestierende Bevölkerung vor. Dazu stellt sich die Frage, inwieweit
auch im Rahmen der Kooperation mit EU- und deutscher Polizei erworbene
Kenntnisse bei der Bekämpfung der Opposition durch die Sicherheitsbehörden
geholfen haben.

In einer Debatte im Innenausschuss des Deutschen Bundestages am 9. April
2008 über die Arbeit von ehemaligen GSG9-Beamten in Libyen und in weiteren
Verlautbarungen der damaligen Bundesregierung wurde die strategische Rolle
Libyens betont und damit auch der Austausch über internationalen Terrorismus,
über Menschenhandel, über Rauschgiftprobleme und über organisierte Krimina-
lität begründet. Deutlich wurde, dass es eine Tradition solcher Beziehungen und
Kooperationen gab und gibt, die durch Menschenrechtsverletzungen nicht
grundsätzlich in Frage gestellt werden.

In der Antwort auf die Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE. (Bundestags-
drucksache 17/5007) räumt die Bundesregierung ein, im Rahmen der Polizei-
ausbildungshilfe in vielen Ländern tätig zu sein, die bei der Gewährleistung der
Menschenrechte Defizite haben. Man habe, so die Bundesregierung in der Ant-
wort, im Bereich der Terrorismusbekämpfung den Staaten Ägypten, Algerien,
Jordanien, Kuwait, Libanon, Marokko, Oman, Saudi-Arabien, Tunesien sowie
den Vereinigten Arabischen Emiraten und der Palästinensischen Autonomiebe-
hörde im Westjordanland Ausbildungshilfe geleistet. Die Behörden im Jemen,
in Katar, in Tunesien und in den Vereinigten Arabischen Emiraten wurden zu-
dem in polizeilichen Einsatztaktiken und Methoden geschult. Vor dem Hinter-
grund, dass den genannten Staaten sowie von Amnesty International als auch
vom UN-Menschenrechtsrat teils massive Menschenrechtsverletzungen durch

Sicherheitskräfte vorgeworfen werden und der Kampf gegen den Terrorismus
seit jeher eine Begründung für das Vorgehen autoritärer Staaten gegen opposi-
tionelle Kräfte ist, muss hinterfragt werden inwieweit im Rahmen polizeilicher
Ausbildungshilfe der Bundesrepublik Deutschland erworbene Fähigkeiten in
diesen und anderen Ländern bei der Unterdrückung oppositioneller Bewegun-
gen behilflich sind. Das jüngste Vorgehen ägyptischer, jemenitischer, libyscher,

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syrischer und tunesischer Sicherheitskräfte gegen die protestierende Bevölke-
rung belegt auf deutlichste Art und Weise die Dringlichkeit dieser Frage.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Mit welchen Ländern Nordafrikas und des Nahen Ostens hat die Bundes-
republik Deutschland in den letzten zehn Jahren auf dem Gebiet der Sicher-
heits-, Grenzschutz- und Polizeiarbeit kooperiert, und in welchen Fällen wa-
ren private Sicherheitsunternehmen im Auftrag oder in Kenntnis der Bundes-
regierung bzw. deutscher Sicherheitsbehörden ebenfalls eingebunden (bitte
nach Land, Projekt und Jahr aufschlüsseln)?

2. Mit welchen Ländern wurde diese Kooperation vorzeitig vollständig oder in
Teilbereichen beendet, zu welchem Zeitpunkt, in welchen Teilbereichen, und
aus welchen Gründen?

3. Mit welchen dieser Länder bestehen zum jetzigen Zeitpunkt welche Koope-
rationen auf dem Gebiet der Sicherheits-, Grenzschutz- und Polizeiarbeit ein-
schließlich Ausbildungstätigkeit, und an welchen dieser Kooperationen sind
auch private Sicherheitsunternehmen beteiligt (bitte nach Land, Projekt und
Jahr aufschlüsseln)?

4. Welchen Ländern der genannten Regionen, die der Bundesrepublik Deutsch-
land in den letzten zehn Jahren Kooperationen auf dem Gebiet der Sicherheit
und Polizeiarbeit angeboten oder Ausbildungshilfen angefragt haben, wur-
den diese Anliegen von der Bundesregierung zurückgewiesen, und mit wel-
cher Begründung (bitte auflisten)?

5. Wie oft nahmen in den vergangenen zehn Jahren deutsche Sicherheitsbeamte,
Vertreter des Bundesministeriums des Innern und von Sicherheitsbehörden
des Bundes an Konferenzen oder offiziellen Gesprächen zum Thema Sicher-
heitspolitik, Polizeiausbildung, Kriminalität, Terrorismus und Migration in
Libyen, Ägypten, Tunesien, Syrien und Saudi-Arabien teil (bitte nach Da-
tum, Thema und beteiligten Bundesbehörden auflisten)?

6. Wie oft fanden in dem genannten Zeitraum in der Bundesrepublik Deutsch-
land oder in Drittstaaten Konferenzen oder offizielle Gespräche zum Thema
Sicherheitspolitik, Polizeiausbildung, Kriminalität, Terrorismus und Migra-
tion mit Vertretern nordafrikanischer Staaten und Staaten des Nahen Ostens
statt (bitte nach Datum, Thema, Ort und teilnehmender bundesdeutscher Be-
hörde auflisten)?

7. Nahmen an den in den Fragen 5 und 6 aufgeführten Gesprächen und Konfe-
renzen auch Vertreter von Firmen oder Wirtschaftsverbände teil, und wenn ja,
welche?

8. Waren deutsche Sicherheitsbeamte in den letzten zehn Jahren im Auftrag der
Bundesregierung, im Rahmen von Frontex oder anderer europäischer Ein-
richtungen in Schulungs- und Ausbildungsmaßnahmen für libysche Sicher-
heits- und Grenzschutzbehörden eingebunden, bzw. haben diese selber
durchgeführt?

9. Wenn ja,

a) wann, wo und unter wessen Federführung und Beteiligung fanden diese
Schulungen/Ausbildungsmaßnahmen statt (bitte nach Land, Zeitraum und
beteiligter Behörde auflisten),

b) zu welchem Zweck und mit welchem Ausbildungsziel fanden die Schu-
lungen statt (bitte auflisten),

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/5889

c) welche Mittel oder technische Ausrüstung wurde im Rahmen dieser
Maßnahmen seitens der Bundesrepublik Deutschland zur Verfügung ge-
stellt, und welche Kompetenzen wurden damit konkret geübt?

10. Hat die Bundesregierung Kenntnis von in den letzten zehn Jahren erfolgten
Beratungs- und Schulungstätigkeiten deutscher Sicherheitsfirmen unter Be-
teiligung von aktiven oder ehemaligen Mitarbeitern bundesdeutscher
Sicherheitsbehörden in Libyen, Tunesien, Syrien, Saudi-Arabien und Ägyp-
ten?

11. Wie beurteilt die Bundesregierung die Weitergabe von bundesdeutschem
Sicherheits-Know-how durch ehemalige Bundesbedienstete an Staaten, die
systematisch Menschen- und Bürgerrechte verletzen?

12. Welche Handhabe hat die Bundesregierung gegen eine unerwünschte Wei-
tergabe von bundesdeutschem Sicherheits-Know-how an Staaten, welche
diese Kenntnisse gegen ihre Bevölkerung einsetzen könnten?

13. Mit welchem Ziel und mit welchem Lehrinhalt hat das Bundeskriminalamt
(BKA) ägyptische Behörden bei der Bekämpfung von Terrorismus im Inter-
net geschult?

14. In welchen konkreten polizeilichen Einsatztaktiken und Methoden haben
deutsche Behörden jemenitische Sicherheitsbehörden unterrichtet, und in
welcher Hinsicht hat die Bundesregierung bei der Entscheidung über die
Gewährung der Ausbildungshilfen die menschenrechtlichen Defizite im
Rechts- und Polizeisystem des Jemen (lt. Menschenrechtsbericht 2011 von
Amnesty International u. a. Prügelstrafen, Folter, Unterdrückung der Presse
und brutales polizeiliches Vorgehen) berücksichtigt?

15. In welchen konkreten polizeilichen Einsatztaktiken und Methoden hat das
Bundeskriminalamt die Sicherheitsbehörden in Katar unterrichtet, und in
welcher Hinsicht hat sie bei der Entscheidung über die Gewährung der Aus-
bildungshilfen die menschenrechtlichen Defizite in Katar (lt. Menschen-
rechtsbericht 2011 von Amnesty International u. a. kein Recht auf freie Mei-
nungsäußerung, Auspeitschungen als Strafe) berücksichtigt?

16. In welchen konkreten polizeilichen Einsatztaktiken und Methoden haben
deutsche Behörden tunesische Sicherheitsbehörden unterrichtet, und in
welcher Hinsicht hat die Bundesregierung bei der Entscheidung über die
Gewährung der Ausbildungshilfen die menschenrechtlichen Defizite
(lt. Menschenrechtsbericht 2011 von Amnesty International u. a. Haft ohne
Anklage, Folter, tödliche Gewalt gegen Demonstranten, kein Recht auf freie
Meinungsäußerung) berücksichtigt?

17. Ist es nach Ansicht der Bundesregierung auszuschließen, dass durch die
Ausbildungshilfe der Bundesrepublik Deutschland auf dem Gebiet der
Anti-Terror-Maßnahmen sowie der Vermittlung von polizeilichen Einsatz-
techniken und Methoden an die Sicherheitsbehörden von Ägypten, Tune-
sien, Katar und des Jemens Wissen an diese vermittelt wurde, das ihnen bei
der Bekämpfung der Oppositionsbewegung geholfen hat, bzw. hilft?

18. Auf welcher Entscheidungsgrundlage wird die Bundesregierung zukünftig
über polizeiliche Ausbildungshilfen an andere Länder entscheiden, und
wird sie vor dem Hintergrund der Erfahrung im nordafrikanischen Raum
ihre Leitlinien für die sicherheitspolitische Zusammenarbeit überarbeiten?

Berlin, den 20. Mai 2011
Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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