BT-Drucksache 17/5827

Rechtswidrige Beobachtung eines kritischen Juristen durch das Bundesamt für Verfassungsschutz

Vom 13. Mai 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/5827
17. Wahlperiode 13. 05. 2011

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Jan Korte, Petra Pau, Jens Petermann,
Raju Sharma, Halina Wawzyniak und der Fraktion DIE LINKE.

Rechtswidrige Beobachtung eines kritischen Juristen durch das Bundesamt
für Verfassungsschutz

Der Bremer Rechtsanwalt, Publizist und Vizepräsident der Internationalen Liga
für Menschenrechte, Dr. Rolf Gössner, wurde vom Bundesamt für Verfassungs-
schutz (BfV) über vier Jahrzehnte hinweg geheimdienstlich beobachtet – selbst
dann noch, als der kritische Jurist 2007 zum stellvertretenden Richter am Staats-
gerichtshof der Freien Hansestadt Bremen gewählt wurde. Das BfV legte in
all den Jahren eine über 2 000 Seiten starke Personenakte an, in der Dr. Rolf
Gössners berufliche Kontakte und nahezu jede Äußerung von ihm festgehalten
sind. Sein Einsatz für Bürger- und Menschenrechte, für Demokratie und gegen
eine ausufernde „Sicherheitspolitik“ des Staates wurde ihm als „linksextremis-
tische“, „verfassungsfeindliche“ Tätigkeit ausgelegt. Vorträge bei politisch links
stehenden Organisationen oder Artikel für linke Medien wurden vom Ver-
fassungsschutz als Nachweis einer vermeintlich „extremistischen“ Haltung und
einer „nachhaltigen Unterstützung“ der entsprechenden Organisationen und
Medien gewertet.

Das Verwaltungsgericht Köln hat mit Urteil vom 3. Februar 2011 festgestellt,
dass die exzessive Beobachtung von Dr. Rolf Gössner von Anfang an unverhält-
nismäßig und rechtswidrig war (Az. 20 K 2331/08). Das Gericht stellte in Zu-
sammenhang mit der rechtswidrigen Beobachtung unzulässige Eingriffe in die
Presse- und Berufsfreiheit fest und wies die Argumentation des BfV zurück, das
seine beruflichen und ehrenamtlichen Kontakte zu inkriminierten Organisatio-
nen automatisch als Unterstützung zugunsten dieser Organisationen wertet.
Dr. Rolf Gössner spricht insoweit von einem „Kontaktschuld“-Prinzip.

Gerade im Hinblick auf Dr. Rolf Gössners journalistische und rechtsberatende
Tätigkeit sei seine Überwachung „als schwerwiegender Eingriff in verfassungs-
rechtlich geschützte Positionen zu bewerten“, heißt es in der Urteilsbegründung.
Das Gericht stellt fest, dass auch scharfe, provokante, polemische oder ironische
Kritik an staatlichen Sicherheitsorganen wie Polizei oder Geheimdiensten kein
Grund für eine geheimdienstliche Überwachung sein darf, genauso wenig wie
Dr. Rolf Gössners substantiierte Kritik etwa am KPD-Verbot, an Berufsver-
boten, an der Polizeientwicklung oder am Verfassungsschutz selbst.
Wörtlich heißt es im Urteil: „Was allgemein seine [Dr. Rolf Gössners] Haltung
zu verfassungsrechtlichen Grundlagen betrifft, fordert der Kläger in vielen Bei-
trägen gerade die strikte Einhaltung verfassungsrechtlicher Vorgaben ein (…)“.

Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat mittlerweile Antrag auf Zulassung
der Berufung gegen das Urteil gestellt.

Drucksache 17/5827 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Dessen ungeachtet gibt das Urteil Anlass, die Praxis des BfV zu hinterfragen,
umso mehr, als das BfV selbst nach Einreichung der Klage und kurz vor der
ersten mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht Köln Ende 2008
die Beobachtung von Dr. Rolf Gössner eingestellt hat, obwohl dieser, wie er
selbst versichert, weder seine beruflichen Kontakte noch seine kritische Sicht
auf die staatliche Sicherheitspolitik wesentlich geändert hat.

Nach Überzeugung der Fraktion DIE LINKE. ist der Fall von Dr. Rolf Gössner
bei Weitem nicht der einzige, bei dem der Verfassungsschutz grund- und rechtlos
Bürgerinnen und Bürger, die ihre Grundrechte wahrnehmen, als angebliche
Linksextremisten diffamiert und beobachtet.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie viele natürliche und wie viele juristische Personen werden derzeit vom
BfV beobachtet, und wie viele wurden außerdem seit seiner Gründung be-
obachtet?

2. Wie viele Prozesse, in denen Bürger oder juristische Personen gegen ihre
Beobachtung durch das BfV geklagt haben, hat das BfV letztinstanzlich ver-
loren (bitte aufgliedern nach Jahren und angeben, um welchen Phänomen-
bereich es sich handelte)?

Wie oft hat das BfV nach Einreichen einer solchen Klage und vor rechtskräf-
tigem Urteil seine Beobachtungstätigkeit eingestellt, bzw. wie oft sind die
Verfahren eingestellt bzw. außergerichtlich beigelegt worden, nachdem sich
das BfV dazu bereit erklärte, die Beobachtung einzustellen?

Wie viele natürliche sowie juristische Personen waren hiervon jeweils betrof-
fen?

3. Wie viele Prozesse, in denen Bürger oder juristische Personen gegen ihre
Nennung im Verfassungsschutzbericht geklagt haben, hat das BfV letzt-
instanzlich verloren (bitte aufgliedern nach Jahren und soweit unter Wahrung
des Datenschutzes möglich angeben, um welchen Phänomenbereich es sich
handelte)?

Wie oft hat das BfV von sich aus nach Einreichung der Klage auf weitere
Nennung der Kläger im Verfassungsschutzbericht verzichtet?

Wie viele Verfahren wurden eingestellt oder außergerichtlich beigelegt, nach-
dem sich das BfV dazu bereit erklärte, die Beobachtung einzustellen?

4. Beabsichtigt die Bundesregierung, unbeschadet der eingelegten Rechtsmittel
gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Köln, in irgendeiner Hinsicht Kon-
sequenzen aus diesem Urteil zu ziehen, und wenn ja, welche?

5. Beabsichtigt die Bundesregierung, die Kriterien, die an die Einleitung von
Beobachtungsmaßnahmen gelegt werden, zu verschärfen, oder hat sie dies in
den vergangenen Jahren bereits getan (bitte ggf. erläutern)?

6. Beabsichtigt die Bundesregierung, angesichts der fast 40-jährigen Dauerbe-
obachtung von Dr. Rolf Gössner die Kriterien, die an die Fortführung und
(Binnen-)Kontrolle laufender Beobachtungsmaßnahmen gelegt werden, zu
verschärfen, und wenn ja, mit welchen konkreten Regelungen und Maßnah-
men?

7. Für wie sinnvoll hält die Bundesregierung die Interpretation des Begriffs
„linksextremistisch“ durch das BfV angesichts der rechtswidrigen Über-
wachung des Dr. Rolf Gössner?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/5827

8. Ist sich die Bundesregierung des Problems bewusst, dass eine jahrzehnte-
lange geheimdienstliche Beobachtung einer Stigmatisierung gleichkommt
und gravierende Nachteile persönlicher, aber auch beruflicher und finan-
zieller Art nach sich ziehen kann, weil sich angesichts des vorherrschenden
Kontaktschuld-Prinzips beispielsweise Mandanten, Journalisten und Politi-
ker von einer Kontaktaufnahme abgeschreckt fühlen können, und wenn ja,

a) welche Regelungen gibt es derzeit für Betroffene rechtswidriger Beob-
achtungen, Entschädigung für materielle wie immaterielle Schäden zu
beanspruchen,

b) in wie vielen Fällen sind seit Gründung des BfV Entschädigungen bzw.
Wiedergutmachungen gewährt worden (sofern möglich, die Fälle bitte
kurz darstellen),

c) inwiefern erwägt die Bundesregierung diese Regelungen zu überarbei-
ten?

9. Ist sich die Bundesregierung des Problems bewusst, dass die geheimdienst-
liche Beobachtung von Journalisten einen schwerwiegenden Eingriff in be-
sonders geschützte Vertrauensverhältnisse – den Informantenschutz – und
in die Pressefreiheit bedeutet, nicht zuletzt, weil die betroffenen Journalis-
ten sich veranlasst sehen könnten, die „Schere im Kopf“ anzusetzen und
etwaige Kritik an der Politik staatlicher Organe weniger scharf zu äußern,
und welche Konsequenzen will sie hieraus für die Beobachtungstätigkeit
des BfV ziehen?

10. Beabsichtigt die Bundesregierung, das Problem illegaler Beobachtungstätig-
keit auch im Rahmen der Innenministerkonferenz zu thematisieren, um eine
Sensibilisierung aller Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Län-
der zu erreichen, und wenn nein, warum nicht?

11. Welche Gründe lagen der Entscheidung zu Grunde, die Beobachtung von
Dr. Rolf Gössner Ende 2008 einzustellen, und wie erklärt die Bundesregie-
rung diese Entscheidung angesichts der Tatsache, dass sich der rechtspoliti-
sche Grundtenor der Publikationen, Interviews und auch die Kontakte von
Dr. Rolf Gössner im Jahr 2008 nicht so wesentlich veränderten, dass dies
die plötzliche Kehrtwende des BfV erklären könnte?

Inwiefern ist die Annahme der Fragesteller berechtigt, dass erst die Klage
von Dr. Rolf Gössner beim BfV für ein Umdenken sorgte, mit dem Ergeb-
nis, dass die Behörde ihr eigenes Handeln nach so langer Zeit problema-
tisierte und beendete?

Berlin, den 13. Mai 2011

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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