BT-Drucksache 17/5770

Die Zukunftsfähigkeit der maritimen Wirtschaft als nationale Aufgabe

Vom 11. Mai 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/5770
17. Wahlperiode 11. 05. 2011

Antrag
der Abgeordneten Dr. Joachim Pfeiffer, Eckhardt Rehberg, Peter Altmaier,
Peter Aumer, Thomas Bareiß, Veronika Bellmann, Wolfgang Börnsen (Bönstrup),
Norbert Brackmann, Klaus Brähmig, Gitta Connemann, Enak Ferlemann, Hartwig
Fischer (Göttingen), Dirk Fischer (Hamburg), Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land),
Dr. Maria Flachsbarth, Erich G. Fritz, Dr. Michael Fuchs, Ingo Gädechens,
Reinhard Grindel, Michael Grosse-Brömer, Dr. Matthias Heider, Ernst Hinsken,
Robert Hochbaum, Franz-Josef Holzenkamp, Dieter Jasper, Andreas Jung
(Konstanz), Hans-Werner Kammer, Eckart von Klaeden, Ewa Klamt, Jürgen
Klimke, Axel Knoerig, Dr. Rolf Koschorrek, Thomas Kossendey, Rüdiger Kruse,
Dr. Hermann Kues, Günter Lach, Andreas G. Lämmel, Dr. Ursula von der Leyen,
Ingbert Liebing, Matthias Lietz, Andreas Mattfeldt, Dr. Angela Merkel,
Dr. h. c. Hans Michelbach, Dr. Mathias Middelberg, Dietrich Monstadt, Stefan
Müller (Erlangen), Dr. Philipp Murmann, Dr. Georg Nüßlein, Franz Obermeier,
Henning Otte, Rita Pawelski, Ulrich Petzold, Christoph Poland, Eckhard Pols,
Dr. Heinz Riesenhuber, Albert Rupprecht (Weiden), Anita Schäfer (Saalstadt),
Georg Schirmbeck, Nadine Schön (St. Wendel) , Dr. Ole Schröder, Gero
Storjohann, Karin Strenz, Lena Strothmann, Dr. Johann Wadephul, Kai Wegner,
Marcus Weinberg (Hamburg), Volker Kauder, Gerda Hasselfeldt und der Fraktion
der CDU/CSU
sowie der Abgeordneten Torsten Staffeldt, Dr. Martin Lindner (Berlin), Angelika
Brunkhorst, Dr. Rainer Stinner, Christian Ahrendt, Christine Aschenberg-Dugnus,
Sebastian Blumenthal, Claudia Bögel, Nicole Bracht-Bendt, Klaus Breil, Sylvia
Canel, Patrick Döring, Ulrike Flach, Paul K. Friedhoff, Hans-Michael Goldmann,
Dr. Christel Happach-Kasan, Elke Hoff, Michael Kauch, Dr. Lutz Knopek,
Dr. h. c. Jürgen Koppelin, Christian Lindner, Horst Meierhofer, Burkhardt
Müller-Sönksen, Hans-Joachim Otto (Frankfurt), Dr. Christiane Ratjen-Damerau,
Dr. Hermann Otto Solms, Serkan Tören, Dr. Claudia Winterstein, Rainer Brüderle
und der Fraktion der FDP

Die Zukunftsfähigkeit der maritimen Wirtschaft als nationale Aufgabe

Der Bundestag wolle beschließen:
1. Maritimer Standort

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die Weltmeere und Küstenregionen rücken in Zukunft noch stärker ins Ram-
penlicht als bisher. In einer immer stärker verflochtenen weltweiten Wirtschaft
ist der Zugang zu allen Märkten, Transportwegen und Rohstoffquellen über die

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Meere eine unverzichtbare Voraussetzung für Wachstum und Wohlstand welt-
weit. Unter diesen Voraussetzungen kann auch der maritime Standort Deutsch-
land sein Wachstumspotenzial entfalten und sich im Wettbewerb der Standorte
mit Erfolg behaupten. Darüber hinaus haben Weltmeere und Küstenregionen
große Bedeutung für eine intakte Umwelt. Das Meer ist Wirtschafts- und
Lebensraum sowie Nahrungs- und Ressourcenquelle. Schutz- und Nutzungs-
ansprüche divergieren jedoch teilweise und geraten deshalb auch in Konkur-
renz zueinander. Steigende Nutzungsintensität durch die Schifffahrt als auch
steigende Flächeninanspruchnahme durch den Bau von Offshore-Windparks
sowie ein gestiegenes Bewusstsein für den Schutz des Lebensraumes führen zu
einer Verschärfung der Zielkonflikte im und auf dem Meer. Hier müssen öko-
nomische und ökologische Erfordernisse Berücksichtigung finden.

Circa 95 Prozent des interkontinentalen Warenaustauschs werden über den See-
weg abgewickelt. 90 Prozent des europäischen Außenhandels laufen über See.
Deutschland wickelt ca. 60 Prozent seines Exports über den Seeweg ab und
erhält einen Großteil seiner Rohstoffe über ihn. 40 Prozent der europäischen
Wirtschaftsleistung wird an den Küsten erwirtschaftet. In den letzten Jahrzehn-
ten ist der Welthandel um das Siebenfache gestiegen.

Das Meer und die maritime Wirtschaft mit etwa 380 000 Beschäftigten und
einem Umsatz von ca. 50 Mrd. Euro sind von herausragender Bedeutung für
die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands als Technologie-, Produktions- und
Logistikstandort und als Eckpfeiler für Deutschlands führende Position im
Export. So wurden beispielsweise mehr als 40 Prozent des Gesamtumschlags
des Hafens Hamburg im Jahr 2009 mit Gütern aus Bayern, Baden-Württem-
berg, Hessen, Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen realisiert.

Deutschland verfügt über die drittgrößte Handelsflotte der Welt. Bei Container-
schiffen belegt Deutschland Platz 1. Der deutsche Schiffbau nimmt in technolo-
gischer Sicht eine Spitzenstellung ein. Beim Spezialschiffbau ist Deutschland
Marktführer. In der verarbeitenden Industrie ist jeder zweite Arbeitsplatz vom
Export abhängig und damit von einer funktionierenden maritimen Wirtschaft.

Deutschland ist Handels- und Schifffahrtsnation, Küsten- und Hafenstaat und
zugleich ein wichtiger Standort für Tourismus, Meeresforschung, Technologien
und Innovationen. Dies bedeutet gleichzeitig große Verantwortung für den
Schutz der Meere, insbesondere der Nord- und Ostsee. Angesichts der daraus
resultierenden unterschiedlichen Interessen, wirtschaftlichen Chancen und öko-
logischen Herausforderungen ist eine integrative Meerespolitik für Deutsch-
land von großer Bedeutung. Die maritime Wirtschaft und der Meeresumwelt-
schutz sind in dem Sinne auf eine zielgerichtete Zusammenarbeit angewiesen,
dass ökonomische und ökologische Erwägungen Berücksichtigung finden.

Die internationale Weltwirtschaftsordnung ist so fortzuentwickeln, dass der
Wirtschaftsaustausch über die Weltmeere gefördert wird. Im Bereich des Um-
weltschutzes sollten weitere Verbesserungen auf bereits existierenden inter-
nationalen Abkommen und Konventionen aufbauen.

Ein international einheitlicher Meeresumweltschutz auf Ebene der IMO (Inter-
nationale Seeschifffahrts-Organisation) hat dabei immer den Vorteil global ab-
gestimmter Maßnahmen und die Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit der euro-
päischen Schifffahrt. Die Überwachung und Durchsetzung der vereinbarten
Maßnahmen erscheint aber bereits auf europäischer Ebene schwierig. Grund-
sätzlich sollte im Meeresumweltschutz nach dem Prinzip der Vorsorge und dem
Verursacherprinzip gehandelt werden.

Die demografische Entwicklung in Deutschland stellt die deutsche maritime
Wirtschaft vor enorme Herausforderungen. Ihre Zukunft hängt maßgeblich von

Investitionen in Aus- und Weiterbildung sowie Forschung und Entwicklung ab.

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Die Zukunftsfähigkeit der maritimen Wirtschaft ist deshalb eine nationale Auf-
gabe.

Befand sich die maritime Wirtschaft bis Mitte 2008 in einer Wachstumsphase,
kam es 2009 infolge der weltweiten Wirtschafts- und Finanzkrise zu einer
Zäsur und gravierenden Wachstumseinbrüchen in der gesamten maritimen
Wirtschaft. Trotz der überraschenden konjunkturellen Erholung im Jahr 2010
ist das Vorkrisenniveau noch nicht wieder erreicht. Das gilt in besonderem
Maße für die deutsche Schiffbauindustrie.

II. Der Deutsche Bundestag begrüßt,

● die Koordinierung der maritimen Wirtschaft durch die Bundesregierung;

● die Fortführung der bewährten „Nationalen Maritimen Konferenzen“ im
Zweijahresrhythmus;

● die schnelle Reaktion der Bundesregierung auf die Herausforderungen der
weltweiten Wirtschafts- und Finanzkrise, insbesondere die Einrichtung eines
Kredit- und Bürgschaftsprogrammes im Rahmen des „Wirtschaftsfonds
Deutschland“, von dem die maritime Wirtschaft mit 1,3 Mrd. Euro profi-
tierte.

III. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

● ihre maritime Strategie als Bestandteil ihrer Gesamtstrategie für Wachstum
und Beschäftigung im Rahmen verfügbarer Haushaltsmittel – wie in den fol-
genden Themenkomplexen beschrieben – weiterzuentwickeln und umzuset-
zen;

● die Zukunftsstrategie „LeaderSHIP Deutschland“, das „Maritime Bündnis
für Ausbildung und Beschäftigung in der Seeschifffahrt“ unter stärkerer
Fokussierung auf den gesamten maritimen Cluster, den „Nationalen Master-
plan Maritime Technologien“ und das „Nationale Hafenkonzept“ weiterzu-
entwickeln bzw. umzusetzen;

● einen „Entwicklungsplan Meer“ für Deutschland mit dem Ziel einer ganz-
heitlichen Betrachtungsweise, die integratives Handeln erfordert, um die
neuen wirtschaftlich-technologischen Chancen zu nutzen, Wertschöpfung
und Beschäftigung des maritimen Clusters bei gleichzeitiger Wahrung der
Ziele des Meeresumweltschutzes zu erhöhen, zu entwickeln und umzusetzen.

2. Schiffbau- und Zuliefererindustrie

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Der deutsche Schiffbau ist von strategischer Bedeutung für den Wirtschafts-
standort Deutschland.

Die Auftragseingänge und der Auftragsbestand im deutschen Schiffbau gingen
infolge der weltweiten Wirtschafts- und Finanzkrise deutlich zurück. Zudem
wurden 2008 und 2009 60 Aufträge mit einem Auftragswert von 2,2 Mrd. Euro
storniert. Erst im vierten Quartal des Jahres 2010 kam es bei den Werften zu
einer Erholung beim Auftragseingang. Der Gesamtumsatz deutscher Werften
betrug 2010 6 Mrd. Euro. Im September 2010 hatten die deutschen Werften
16 760 Direktbeschäftigte. Das sind 3 800 weniger als noch 2008.

Darüber hinaus waren Mitte 2010 nach einer Studie des Instituts für See-
verkehrswirtschaft und Logistik (ISL) 6 901 Handelsschiffe mit 279,7 Mio.
Bruttoraumzahl in Auftrag gegeben. Allein bis Ende 2014 sollen weltweit

4 059 neue Schiffe überwiegend in Asien abgeliefert werden. Die Nachwirkun-
gen der weltweiten Wirtschafts- und Finanzkrise einerseits und die hohen

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Schiffbauüberkapazitäten in Asien (insbesondere in Korea und China) anderer-
seits stellen die deutschen Werften vor enorme Herausforderungen.

Der Umsatz der deutschen Zulieferindustrie im Bereich Schiffbau und Offshore
ging 2009 gegenüber 2008 auf 11,9 Mrd. Euro zurück. Dennoch liegt sie trotz
der Einbrüche infolge der Wirtschafts- und Finanzkrise immer noch an füh-
render Position. Der Exportanteil beträgt 75 Prozent. Die rund 400 Unterneh-
men der Schiffbau- und Offshore-Zulieferindustrie beschäftigen derzeit ca.
72 000 Mitarbeiter.

Der deutsche Schiffbau wird sich auf ausrüstungsstarke und innovative
Schiffstypen fokussieren, um die Technologieführerschaft und die Chancen im
Bereich der Umwelt- und Klimatechnologien zu nutzen – so ist er zukunfts-
fähig. Im laufenden Haushalt stehen so unter anderem 28,3 Mio. Euro (2010:
27,9 Mio. Euro) für das FuE-Programm (FuE = Forschung und Entwicklung)
„Maritime Technologien der nächsten Generation“ und 11,5 Mio. Euro (2010:
11 Mio. Euro) für die Innovationsbeihilfen zugunsten der deutschen Werftin-
dustrie zur Verfügung. Dabei spielt die Finanzierung eine entscheidende Rolle.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

● die industriepolitischen Rahmenbedingungen so zu gestalten, dass die deut-
sche Schiffbau- und Zulieferindustrie ihre Position im internationalen Wett-
bewerb sichern und weiter ausbauen kann;

● das Zukunftskonzept „LeaderSHIP Deutschland“ zügig weiterzuentwickeln
und umzusetzen;

● sich trotz des Scheiterns der letzten Verhandlungen auch zukünftig für den
Abschluss eines Weltschiffbauabkommens der Organisation für wirtschaft-
liche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) einzusetzen, das auf die
Einhaltung weltweit einheitlicher Wettbewerbsprinzipien abzielt;

● die Finanzierung zu verbessern. Insbesondere ist notwendig,

� sich auf EU-Ebene dafür einzusetzen, dass das Schiffsbürgschaftssystem
der Bundesländer in seiner heutigen Form auch zukünftig als beihilfefrei
eingestuft und fortgeführt werden kann;

� die Rolle der Europäischen Investitionsbank (EIB) als Finanzierer von
Projekten zum Aufbau umweltfreundlicher maritimer Transportsysteme
zu stärken;

� zu prüfen, inwieweit einzelne Elemente der Schiffsfinanzierung wir-
kungsvoller gestaltet werden können. Das betrifft insbesondere:

– die verbesserte Nutzung der Hermes-Absicherung im bisherigen Rah-
men;

– die Prüfung, ob die Einführung eines sog. Tax Lease Systems nach
den Vorbildern in Spanien, Frankreich, Italien und Großbritannien
auch in Deutschland möglich ist;

– die Prüfung der Gewährung sog. Hermes-Bürgschaften in Kombina-
tion mit Staatsgarantien des Empfängerlandes, um die Finanzierung
ausländischer Schiffbauaufträge an deutsche Werften zu erleichtern;

– die Prüfung der in anderen EU-Mitgliedstaaten bestehenden Finanzie-
rungsvarianten nach dem „Best Practice“-Prinzip auf ihre Anwendbar-
keit und ihre Finanzierbarkeit in den Haushalten der Länder und des
Bundes;

● das CIRR-Gewährleistungsinstrument beizubehalten;
● sich auf EU-Ebene für ein regelmäßiges Monitoring des Weltschiffbaumark-
tes einzusetzen;

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5 – Drucksache 17/5770

● sich für eine verstärkte Berücksichtigung maritimer Projekte in der Entwick-
lungszusammenarbeit und bei Delegationsreisen einzusetzen, so diese im
Einklang mit entwicklungspolitischen Zielsetzungen stehen;

● sich für hohe weltweite Sicherheits- und Umweltstandards, die dem Stand
der Technik entsprechen, einzusetzen;

● sich für eine Verbesserung der Standards zur Havarieprävention, insbeson-
dere für die Küsten- und Binnenschifffahrt, einzusetzen;

● sich für eine Flottenmodernisierung der europäischen Fährflotte für Schiffe,
die älter als 30 Jahre sind und nur mit Sondergenehmigung fahren dürfen,
einzusetzen. Soweit hier finanzielle Förderung erwogen würde, müsste diese
sich im Rahmen der verfügbaren Haushaltsmittel bewegen und das EU-
Wettbewerbsrecht beachten;

● die bestehenden Programme besser zu koordinieren, um eine durchgängige
Innovationsstrategie zu entwickeln;

● die Handlungsempfehlungen der AG „Schiffbauliche Ausbildung und For-
schung an Hochschulen“ umzusetzen, gemeinsam mit den Küstenländern
eine Weiterentwicklung des Pilotprojekts eines Arbeitskräftepools der
Sozialpartner im Rahmen bestehender Haushaltsansätze zu prüfen und ein
Konzept für eine Förderung gewerblich-technischer Ausbildungsplätze in
den am „Dualen Studium“ teilnehmenden Unternehmen im Rahmen der be-
stehenden Haushaltsansätze zu entwickeln.

3. Hafenwirtschaft und Logistik

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die deutschen Seehäfen haben viele Jahre zur wirtschaftlichen Prosperität der
gesamten Küstenregion beigetragen. Sie haben als logistische Dienstleistungs-
zentren und Industriestandorte große Bedeutung für den Wirtschaftsstandort
Deutschland.

Nach einem starken Einbruch des Güterumschlags deutscher Seehäfen im Jahr
2009 um rund 18 Prozent hat sich der Umschlag schneller erholt als erwartet. Er
stieg 2010 um 6 Prozent auf 275 Millionen t an. Die Seeverkehrsprognose geht
davon aus, dass der Güterumschlag sich bis zum Jahr 2025 mehr als verdoppeln
wird.

Entscheidend für die Sicherung der Attraktivität der deutschen Hafenstandorte
ist nicht nur die Erweiterung der Hafeninfrastruktur im engeren Sinne, sondern
auch der bedarfsgerechte ggf. trimodale Ausbau ihrer seewärtigen und land-
seitigen Zufahrten sowie die Anbindung an die Industrie- und Dienstleistungs-
regionen im Binnenland. Das gilt insbesondere auch für die Anbindung von
anlandendem Flüssiggas an das deutsche Gasversorgungsnetz.

Für die Hinterlandanbindung sind auch die Potenziale der Binnenwasserstraße
zu erschließen. Hierbei müssen ökonomische und ökologische Aspekte berück-
sichtigt werden. Dazu muss ein Wasserstraßenausbaugesetz vorbereitet werden.

Eine vollständige Transparenz der finanziellen Beziehungen zwischen der
öffentlichen Hand und den Seehafenbetreibern würde eine Harmonisierung der
Wettbewerbsbedingungen zwischen den deutschen Seehäfen und den Häfen der
„Westrange“ und den polnischen Häfen unterstützen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

● das „Nationale Hafenkonzept“ umzusetzen;

● sich auf EU-Ebene dafür einzusetzen, die transeuropäischen Verkehrsnetze

und die Meeresautobahnen auszubauen und weiterzuentwickeln. Dabei müs-
sen ökonomische und ökologische Belange berücksichtigt werden;

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● sich für den Ausbau eines vollwertigen LNG (Flüssiggas)-Terminals am
Jade-Weser-Port in Wilhelmshaven einzusetzen;

● sich für eine konkurrenzfähige Anbindung der Seehäfen einzusetzen. Das
gilt insbesondere für die Seehäfen in Mecklenburg-Vorpommern durch eine
leistungsfähige Schienenverbindung von der Ostsee unter Einbeziehung von
Berlin, Dresden, Prag nach Südosteuropa sowie den Jade-Weser-Port in Wil-
helmshaven;

● die zuletzt verstärkte Berücksichtigung der Bundeswasserstraßen und An-
bindung der See- und Binnenhäfen bei der Verteilung von Investitionsmit-
teln weiter fortzusetzen;

● Kriterien zu entwickeln zur Priorisierung von Investitionsprojekten, wie die
gesamtwirtschaftliche Vorteilhaftigkeit, Beseitigung bzw. Ertüchtigung von
Engpässen, Knoten und Hauptachsen sowie dem Ausbau von Hafenhinter-
landanbindungen und die EU-Osterweiterung;

● die Förderstrategie des Kombinierten Verkehrs weiterzuentwickeln und
finanzielle Unterstützungsmöglichkeiten von Umschlaganlagen für Stück-
und Massengutverkehr zu prüfen;

● die Kooperation zwischen den Hafenverwaltungen und den Marketingorga-
nisationen der Häfen zu verstärken sowie die Vermarktungsinitiative „Ger-
man Ports“ zu forcieren;

● sich dafür einzusetzen, gleiche Wettbewerbsbedingungen auf europäischer
Ebene durch Beihilferichtlinien und Transparenzregelungen herzustellen.
Dabei müssen notwendige nationale Spielräume erhalten bleiben, um die
Häfen nach standortspezifischen Strategien weiterentwickeln zu können;

● die Reform der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung auf der Basis einer kon-
sequenten Aufgabenkritik und unter Beachtung einer Ziel- und Programm-
struktur nebst personalwirtschaftlichem Folgekonzept durchzuführen. Dazu
gehört auch eine Reform der Ablauf- und Aufbauorganisation.

4. Schifffahrt

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die Weltseeschifffahrt ist noch dabei, sich von der Weltwirtschafts- bzw. Welt-
finanzkrise zu erholen, aber das Vorkrisenniveau ist noch nicht wieder erreicht.
40 Prozent des innereuropäischen Warenaustausches erfolgt auf dem Schiff-
fahrtsweg und 95 Prozent des außereuropäischen Warenverkehrs. Keine Region
der Welt ist so auf externen Seeverkehr angewiesen wie Europa. Die Schifffahrt
ist außerdem ein entscheidender Faktor der gesamten Weltökonomie. Deshalb
ist ein erfolgreicher Abschluss der Verhandlungen der Welthandelsorganisation
(WTO) – auch gerade für die Schifffahrt – besonders wichtig.

Tonnagesteuer, Lohnkostenzuschüsse, Lohnsteuereinbehalt und Ausbildungs-
platzförderung haben in den letzten acht Jahren eine positive Wirkung erzielt.
Insbesondere die Tonnagesteuer ist eine Erfolgsgeschichte für den Schifffahrts-
standort Deutschland. So bestand die von deutschen Reedern disponierte Han-
delsflotte bei Einführung der Tonnagesteuer 1998 aus knapp 1 800 Schiffen,
heute sind es mit knapp über 3 700 doppelt so viele. Wegen der europäischen
Rahmenvorschriften führte die Tonnagesteuer dazu, dass nicht nur neue
Arbeitsplätze an den deutschen Reedereistandorten entstanden, sondern auch
bereits abgewanderte Unternehmensaktivitäten wieder nach Deutschland zu-
rückkehrten. Zwischen 1999 und 2009 führte dies zu einem Anstieg der Land-
beschäftigten der Reedereien um knapp 40 Prozent.
Entsprechend der europäischen Rahmensetzung zur Förderung der Seeschiff-
fahrt darf es nicht wieder zu Ausflaggungen von deutsch-bereederten Schiffen

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 7 – Drucksache 17/5770

in großem Stil kommen, da die Tonnagesteuer an eine Mindestanzahl unter
europäischer Flagge fahrender Schiffe gekoppelt ist. Die deutsche Handels-
flotte ist inzwischen die drittgrößte der Welt, im Bereich der Containerschiff-
fahrt ist Deutschland führend. Gegenwärtig beschäftigen die deutschen Reede-
reien 60 000 Seeleute.

National und europäisch sind weitere Verbesserungen der Wettbewerbsfähig-
keit des Verkehrsträgers Schiff möglich. So könnten die Projekte „Motorways
of the seas“ und das „Short-Sea-Shipping“ noch weiter ausgeweitet und verbes-
sert werden. Dabei kann es in erster Linie aber nicht um neue Förderpro-
gramme gehen, sondern vielmehr darum, geeignete Rahmenbedingungen zu
schaffen. Der Binnenmarkt muss konsequent auch in der europäischen Schiff-
fahrt umgesetzt werden, so z. B. bei den Zoll-Codices.

Die Sicherheit des Schiffsverkehrs ist ein wichtiges Anliegen. Hauptursache für
Schiffsunfälle ist der Mensch. Menschliches Fehlverhalten (an Bord und beim
Landpersonal) spielt in rund 80 Prozent aller Seeunfälle eine Rolle. Die Ursa-
chen menschlichen Fehlverhaltens liegen überwiegend in mangelnder Qualifi-
kation und/oder Überforderung. Umso wichtiger ist es, dass es mit dem See-
rechtsübereinkommen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) gelungen
ist, höhere internationale Standards bei den sozialen Rechten von Seeleuten zu
verabschieden. Auch die Bemühungen um bessere Standards der Ausbildung
von Seeleuten im Rahmen des Internationalen Übereinkommens über Normen
für die Ausbildung, die Erteilung von Befähigungszeugnissen und den Wach-
dienst von Seeleuten (STCW-Übereinkommen) können nicht hoch genug be-
wertet werden.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

● das maritime Bündnis fortzuentwickeln, damit die Tonnagesteuer als be-
währtes Instrument beibehalten wird;

● das Instrument des Lohnsteuereinbehalts beizubehalten;

● die Ausbildungsförderung (Schifffahrtsbeihilfe) trotz knapper Haushaltsmit-
tel in bisheriger Höhe fortzuführen;

● darauf hinzuwirken, die Absprachen des „Maritimen Bündnisses für Ausbil-
dung und Beschäftigung in der Seeschifffahrt“ fortzuentwickeln und umzu-
setzen;

● auf Basis einer Untersuchung der Attraktivität der deutschen Flagge im Ver-
gleich zu anderen Flaggen Maßnahmen zur Steigerung der Attraktivität der
Fahrt unter deutscher Flagge zu ergreifen. Darüber hinaus ist zur Stärkung
des Schifffahrtsstandortes Deutschland, insbesondere auf eine unterneh-
mensfreundliche und verwaltungsökonomische Gestaltung von Verwal-
tungsvorgängen zu achten;

● das internationale „Seearbeitsübereinkommen“ zügig zu ratifizieren, um die
Arbeits- und Lebensbedingungen an Bord zu verbessern und das existie-
rende Seemannsrecht insbesondere unter dem Gesichtspunkt der Endbüro-
kratisierung zu modernisieren.

5. Maritime Technologien

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Eine sichere Versorgung mit Rohstoffen und Energie ist von hoher Bedeutung
für die deutsche Volkswirtschaft. Dabei spielen die Meere der Welt eine bedeu-
tende Rolle bei der Rohstoffversorgung. Bereits heute beträgt der Anteil der
maritimen Öl- und Gasförderung mehr als ein Drittel des weltweiten Ge-

samtaufkommens – Tendenz steigend. Hinzu kommen große unterseeische Vor-
kommen von Gashydraten, die als eine mögliche Energiequelle der Zukunft

Drucksache 17/5770 – 8 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

gelten sowie mineralischer Rohstoffe. Der Ausbau und die Nutzung regenerati-
ver und fossiler Energien (z. B. Offshore-Windkraft) schreiten weiter voran.
Wir haben es folglich nicht nur mit wirtschaftlichen Chancen, sondern auch mit
erheblichen Eingriffen in die Meeresumwelt zu tun, die einer Bewertung der
Auswirkungen auf die marinen Ökosysteme bedürfen.

Die erreichte Spitzenposition der deutschen Meerestechnik- und Schifffahrts-
forschung – nicht nur im Wachstumsmarkt von Exploration, Produktion und
Transport von Gas und Öl in den Offshore-Zonen – gilt es daher zu festigen und
auszubauen. Wirtschaft, Verbände und Wissenschaft haben dazu in den letzten
Jahren vieles geleistet.

Ein weiteres Entwicklungsfeld in diesem Zusammenhang ist die maritime Ver-
kehrsleit- und Sicherheitstechnik.

Ein Weltmarktanteil der deutschen meerestechnischen Industrie von nur 3 Prozent
ist ausbaufähig. Der gegenwärtige Umsatz beträgt ca. 11 Mrd. Euro. Bei der Off-
shore-Windenergie hat Deutschland einen Weltmarktanteil von ca. 25 Prozent.

Lösungsansätze für eine signifikante Steigerung des Weltmarktanteils liegen in
einem verstärkten Angebot von Systemlösungen und in der intensiveren Zu-
sammenarbeit zwischen der Wirtschaft und der Wissenschaft. Die deutsche
meerestechnische Industrie kann bei der Erkundung sowie der wirtschaftlichen
und umweltgerechten Gewinnung mariner fossiler und mineralischer Rohstoffe
eine führende Rolle übernehmen und so Wachstum und Beschäftigung in
Deutschland sichern und ausbauen.

Die Herausforderungen in der Tiefsee sind ähnlich denen in der Raumfahrt,
aber mit dem Unterschied, dass man direkt zur industriellen Nutzung der Res-
sourcen übergehen kann. Ein besonderes Problem stellt die kleinteilige Struktur
der deutschen meerestechnischen Industrie dar, auf die reagiert werden muss.
Insgesamt gibt es in Deutschland ca. 500 Unternehmen und fast 200 wissen-
schaftliche Institute. Der umsatzstärkste Bereich mit 8 Mrd. Euro Umsatz jähr-
lich ist der Bereich Offshore-Öl und -Gas, gefolgt von dem Bereich Offshore-
Windenergie mit 1,1 Mrd. Euro Umsatz im Jahr 2008.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

● den „Nationalen Masterplan Maritime Technologien“ zügig fertigzustellen,
um die Entwicklung der meerestechnischen Industrie in den nächsten Jahren
effektiver zu unterstützen;

● die Mittel im Förderprogramm „Maritime Technologien der nächsten Gene-
ration“ im Rahmen der verfügbaren Haushaltsmittel kontinuierlich den
neuen Erfordernissen anzupassen, z. B. im Bereich der Gewinnung von
Rohstoffen aus dem Meer;

● Produkte, Technologien und Verfahren auf den internationalen Märkten bun-
desländerübergreifend zu vermarkten;

● die Vernetzung zwischen Industrie, Meerestechnik, Zulieferern und For-
schung weiter zu verbessern;

● die Förderprogramme und Einflussnahme und Positionierung mit Blick auf
die EU-Förderprogramme besser zu koordinieren;

● innerhalb der Küsten Deutschlands abgestimmte, integrierte Planungs- und
Bewertungsmethoden zu verwenden, die den verschiedenen Nutzungen und
Schutzbedürfnissen gerecht werden;

● das Leuchtturmprojekt MARIT „Intelligente Meerestechnik des 21. Jahr-

hunderts“ als Projekt der Verbundforschung zu positionieren, um System-
kompetenz der deutschen meerestechnischen Industrie deutlich zu machen;

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 9 – Drucksache 17/5770

● die Förderung experimenteller Entwicklungsvorhaben durch vereinfachte
Antragsverfahren, die eine Bewilligung aufeinander aufbauender Vorhaben
im Rahmen einer Forschungs- und Produktentwicklungsstrategie ermög-
lichen (Korridorförderung), zu beschleunigen und deren Effizienz zu erhö-
hen.

6. Offshore-Windenergie

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die Offshore-Windenergie ist ein maritimer Wachstumsmarkt für Energie,
Klimaschutz und Beschäftigung. In der industriellen Produktion der Offshore-
Windkraftanlagen verfügt Deutschland über einen großen Weltmarktanteil.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

● den Netzanschluss der Offshore-Windparks sicherzustellen;

● einen Netz-Infrastrukturplan in der Nord- und Ostsee unter Berücksichtigung
der Landanbindung auf Basis der Stromversorgung im Jahr 2050 zu
erarbeiten;

● den Raumordnungsplan für die deutsche ausschließliche Wirtschaftszone zur
Ausweisung zusätzlicher Gebiete für Offshore-Windparks weiterzuent-
wickeln;

● das Sonderprogramm der KfW Bankengruppe für die zehn Offshore-Wind-
parks zügig zu starten;

● als Alternative zur derzeitigen Einspeisevergütung für Strom aus Wind-
energie innerhalb des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (Stauchungsmodell)
eine kostenneutrale Option mit einer erhöhten Anfangsförderung bei ver-
kürzter Laufzeit der Anfangsvergütung zu prüfen;

● flankierende Maßnahmen zum raschen Ausbau der Offshore-Windenergie zu
prüfen, z. B. Hermes-Bürgschaften in der ausschließlichen Wirtschaftszone
bezüglich technischer Güter und Anlagen, die ausschließlich zur Errichtung,
zum Betrieb und zur Wartung von Offshore-Windparks dienen;

● einen Masterplan „Offshore-Hafeninfrastruktur“ auf Basis einer Bedarfs-
analyse, z. B. der Erstellung eines Hafenatlasses mit der Darstellung der
Großkomponentenhäfen, Servicehäfen sowie Forschungs- und Entwick-
lungsstandorten, Teststandorten und Trainings- und Schulungsstandorte, zu
erarbeiten und umzusetzen;

● zu prüfen, inwieweit die nationalen und internationalen Vorschriften zur Er-
richtung von Offshore-Windparks hinsichtlich eines Sicherheitsmindeststan-
dards harmonisiert werden können;

● das „Sicherheitskonzept Deutsche Küste“ mit Bezug auf Offshore-Wind-
parks fortzuschreiben und einen Rahmen für ein Schutz- und Sicherheitskon-
zept der Offshore-Windparkbetreiber zu schaffen;

● die Genehmigungsverfahren durch das Bundesamt für Seeschifffahrt und Hy-
drografie mit Konzentrationswirkung zu bündeln und dadurch auch zeitlich
zu straffen;

● die bestehenden und künftigen Förderinstrumente anzupassen und die Förde-
rung im Rahmen des Zuwachses der Mittel für Forschung und Entwicklung
zu erhöhen, sodass auch Offshore-Technik für die Errichtung, den Betrieb
und die Wartung der Offshore-Windparks erfasst werden;

Drucksache 17/5770 – 10 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

● die Fachhochschul- und Hochschulausbildung sowie die Aus- und Weiter-
bildung anzupassen, indem z. B. die Bereiche Offshore-Windenergie und
maritime Wirtschaft zusammengeführt werden;

● sich für weltweit faire Wettbewerbsbedingungen einzusetzen.

7. Klima- und Umweltschutz

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die Schifffahrt ist gemessen am spezifischen Energieeinsatz der umweltfreund-
lichste und klimaverträglichste Verkehrsträger. Die Entwicklung praxisgerech-
ter Lösungen für eine emissionsarme Schifffahrt bietet deshalb nicht nur Chan-
cen für die maritime Wirtschaft, sondern sie leistet auch einen wichtigen Bei-
trag für den Gesundheits- und Umweltschutz.

Der Transport mit modernen, energetisch hocheffizienten Schiffen leistet einen
wichtigen Beitrag zur Senkung der Umweltbelastung durch Luftschadstoffe
und Kohlendioxid im Güter- und Personentransport. Hier kann die maritime
Umwelttechnik einen wichtigen Beitrag leisten.

Insbesondere im Bereich der Nutzung der Meere im Hinblick auf Rohstoff- und
Energiegewinnung haben wir es mit einem erheblichen Gefahrenpotential für
die Meeresumwelt zu tun. Bereits in der Bauphase muss untersucht werden,
welche Gefahren, Verschmutzungen und Lärmbelästigungen entstehen. Der
sichere Betrieb der jeweiligen Anlagen muss ebenso gewährleistet sein, wie
Unfälle zu vermeiden sind. Beim weiteren Ausbau der unterschiedlichen
Offshore-Projekte sind insbesondere auch die Auswirkungen dieser Bauten auf
die Sicherheit der Schifffahrt zu überprüfen. Trotz des unbestreitbaren Vorteils
der ökologischen Schiffstransporte und der Rohstoffversorgung aus dem Meer
bedarf es einer sorgfältigen und vernunftorientierten Abwägung zwischen Ein-
griffen in die Umwelt und anderer Interessen. Das deutsche Planungsrecht,
z. B. bei der Genehmigung von Far-Shore-Windenergieanlagen, ist dabei am
besten auf die verschiedenen Belange detailliert und kann als Beispiel inter-
nationaler Regeln genutzt werden.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

● internationale Vereinbarungen für die Sicherheit und technischen Umwelt-
schutz auf Schiffen und in Häfen auch weiterhin wettbewerbsneutral voran-
zutreiben;

● bei der EU und IMO darauf hinzuwirken, dass die Schwefel-Emissions-
Kontrollzonen (Sulphur Emission Control Area’s – SECAs) auf alle europä-
ischen Seegebiete ausgeweitet werden;

● Initiativen auf EU-Ebene und nationaler Ebene zu ergreifen und zu unter-
stützen, die eine Verkehrsverlagerung vom Wasser auf die Straße verhin-
dern, z. B. durch praxistaugliche Grenzwerte oder ein Moratorium für ältere
Schiffe oder durch eine Verschiebung des Stichtages der Einführung der
neuen Grenzwerte in den SECAs oder durch haushaltsneutrale Anreizsys-
teme zur Unterstützung von Umrüstungsmaßnahmen bei Bestandsschiffen;

● technologieoffene Lösungen für die Reduzierung von Emissionen, insbeson-
dere während der Liegezeiten von Schiffen in Häfen, zu unterstützen und
dafür internationale Allianzen zu schließen. Dabei sollte sichergestellt sein,
dass international einheitliche Standards für Landenergieversorgung durch
Strom oder Gas entwickelt werden und die Gesamtumweltbilanz solcher
Maßnahmen bewertet wird. Die Reduzierung der Stromsteuer für Landstrom

auf den Mindestsatz von 0,5 Euro/MWh ist ein wesentlicher Baustein in
einem Anreizsystem für umweltfreundliche Schiffe;

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 11 – Drucksache 17/5770

● das Forschungsprogramm „Maritime Technologien der nächsten Genera-
tion“ zu stärken;

● dem internationalen Ballastwasserübereinkommen beizutreten;

● sich auf europäischer Ebene für die schnelle und möglichst zeitgleiche Rati-
fizierung der verschiedenen maritimen Konventionen durch die Mitglied-
staaten in der EU einzusetzen und somit die Durchsetzbarkeit der internatio-
nalen Regelungen deutlich zu verbessern sowie deren rechtliche Bindungs-
wirkung zu stärken;

● in erster Linie einen international einheitlichen Meeresumweltschutz auf
Ebene der IMO anzustreben, um eine größtmögliche Wettbewerbsgleichheit
zu erzielen. Die deutschen Umweltschutzziele sind dabei auf hohem Niveau
weiterzuverfolgen.

8. Sicherheit des internationalen Schiffsverkehrs

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Eine freie, geregelte Weltwirtschaftsordnung mit völkerrechtskonformem Zu-
gang zu allen Märkten, Transportwegen und Rohstoffquellen ist ein grund-
legendes Interesse deutscher Wirtschafts-, Außen- und Sicherheitspolitik. Als
weltweit agierende Handelsnation ist Deutschland in besonderem Maße auf
sichere Schifffahrtswege angewiesen. Daher muss die deutsche Außen- und
Sicherheitspolitik der Sicherheit dieser Seewege besondere Aufmerksamkeit
zuteil werden lassen und sich dafür weiterhin aktiv mit seinen Partnern in inter-
nationalen Organisationen und im Rahmen multilateraler Operationen einset-
zen. Neben dem Schutz vor den sich ausbreitenden Bedrohungen durch Pirate-
rie, Terrorismus und Kriminalität kommen bei der Ursachenbekämpfung dieser
Phänomene der Krisenprävention und der Krisenbewältigung vor Ort sowie
Hilfsoperationen nach Naturkatastrophen und in Krisengebieten ebenfalls eine
hohe Bedeutung zu. Die deutsche Marine ist hier, neben ihrem Beitrag zur Lan-
des- und Bündnisverteidigung, ein wesentliches Instrument unserer Sicher-
heits- und Außenpolitik und stellt einen wichtigen Beitrag Deutschlands in den
multinationalen Anstrengungen zur Sicherung der internationalen Seewege dar.

Eine akute Herausforderung für die Sicherheit der deutschen maritimen Wirt-
schaft und der für Deutschland wichtigen Handelswege insgesamt ist die Bedro-
hung durch Piraterie – insbesondere im Indischen Ozean. Die unter Beteiligung
der deutschen Marine durchgeführte europäische Atalanta-Mission gewährleis-
tet zwar erfolgreich die Sicherheit des Welternährungsprogramms für Somalia
und hat unbestreitbar auch zu Erfolgen in der Piraterieabwehr geführt. Jedoch
belegen die steigende Anzahl von gekaperten Schiffen und der sich zuletzt deut-
lich in der Fläche des Indischen Ozeans erweiterte Aktionsradius der soma-
lischen Piraten die anhaltende Dringlichkeit des Problems. Die maritime Wirt-
schaft muss das ihr Mögliche zur Eigensicherung der zivilen Schiffe leisten, wie
z. B. die bessere Koordinierung der Schiffsbewegungen mit den internationalen
Anstrengungen zur Sicherung der Seewege – insbesondere durch Konvoifahr-
ten. Über ein weitergehendes, ggf. militärisch robusteres Vorgehen gegen die
Piraten und über eine verbesserte Koordinierung der gemeinsamen militärischen
Anstrengungen kann nur auf der Basis eines international abgestimmten Vor-
gehens und eines entsprechenden VN-Mandates beschlossen werden, um den
Problemen der Piraterie wirksamer zu begegnen.

Insbesondere gilt es aber, das Problem der mangelhaften Strafverfolgung gefan-
gener Piraten zu lösen. Derzeit werden noch etwa 70 Prozent der ergriffenen
somalischen Piraten wieder freigelassen, weil nicht ausreichend Beweise vor-
liegen oder sich kein Land für die Strafverfolgung findet. Der VN-Sicherheits-

rat beschloss daher am 11. April 2011 die Resolution 1976 (2011), in der VN-

Drucksache 17/5770 – 12 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Generalsekretär Ban Ki Moon aufgefordert wird, binnen zwei Monaten Vor-
schläge zur machen, wie in den Nachbarstaaten der Region in Kooperation mit
Exil-Somaliern Gerichte zur Strafverfolgung von somalischen Pirateriever-
dächtigen geschaffen werden können. Hierzu könnte auch verstärkt auf die
Regionen Somaliland und Puntland zurückgegriffen werden. Denn die Bei-
spiele dieser beiden Regionen belegen, dass schon minimale Fortschritte bei
den staatlichen Strukturen zu spürbaren Verbesserungen in der Piraterieproble-
matik führen. Da der Aufbau einer effektiven Strafverfolgung in der Region
einige Zeit in Anspruch nehmen wird, sollte Deutschland mit seinen leistungs-
fähigen rechtstaatlichen Institutionen des Rechtsstaates in der Zwischenzeit
Piraterieverdächtige, die im Verdacht stehen, auch deutsche Rechtsgüter ver-
letzt zu haben, falls notwendig in Deutschland vor Gericht stellen. Denn der
hohe Anteil an Piraterieverdächtigen, die bisher einfach wieder auf freien Fuß
gesetzt werden, trägt nur zur Verlängerung der Piraterieproblematik bei.

Langfristig wird eine nachhaltige Lösung des von somalischem Boden aus-
gehenden Piraterieproblems nur durch eine Stabilisierung in Somalia selbst zu
erreichen sein. Da dies bei realistischer Betrachtung auf absehbare Zeit nicht
erreichbar scheint, kann das Piraterieproblem am Horn von Afrika kurz- und
mittelfristig nur eingedämmt werden.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

● bei der anstehenden Bundeswehrreform der besonderen Bedeutung der deut-
schen Marine für die Außen- und Sicherheitspolitik strukturell und finanziell
Rechnung zu tragen;

● im Rahmen der Bundeswehrreform die zu erhaltenden maritimen Kernfähig-
keiten zu definieren, in einem ressortübergreifenden Vorgehen Möglichkei-
ten zur Erhaltung dieser Fähigkeiten auszuarbeiten und in Abstimmung mit
der deutschen maritimen wehrtechnischen Industrie ein zukunftsfähiges
Konzept zu erarbeiten;

● die maritime Wirtschaft aufzufordern, entsprechende Maßnahmen zu ergrei-
fen, um die Eigensicherung ihrer Schiffe zu erhöhen und Schiffsbewegungen
in den gefährdeten Gebieten noch enger mit den eingesetzten militärischen
Kräften abzustimmen;

● sich bei der VN dafür einzusetzen, dass diese der NATO, der EU und den
anderen durch nationale Marinekräfte an der Pirateriebekämpfung im
Indischen Ozean beteiligten Staaten eine koordinierende Rolle der VN an-
bietet, damit eine bessere Koordinierung der vor Ort befindlichen Einsatz-
kräfte erreicht wird;

● das internationale Vorgehen zur Beschlagnahme von aus Piraterie stammen-
den Finanzmitteln, insbesondere in Zusammenarbeit mit den Nachbarstaaten
Somalias, in der Region deutlich zu verstärken;

● die Nachbarn Somalias sowie die Staaten der Region einschließlich der Mit-
glieder des Golfkooperationsrates (GCC), die ein besonderes Interesse an
der Sicherheit der Seewege im Indischen Ozean haben, stärker bei der Pira-
teriebekämpfung in die Pflicht zu nehmen;

● die Anstrengungen des VN-Generalsekretärs im Rahmen der VN-Resolution
1976 (2011) zur Schaffung von durch somalische Juristen besetzten Gerichte
in der Region zur Strafverfolgung somalischer Piraten zu unterstützen;

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 13 – Drucksache 17/5770

● bis zur Verfügbarkeit einer ausreichend effektiven Strafverfolgung in der
Region Piraterieverdächtige, die im Verdacht stehen, auch deutsche Rechts-
güter verletzt zu haben, falls notwendig in Deutschland vor Gericht zu stel-
len, um zu verhindern, dass weiterhin ein so hoher Anteil an Pirateriever-
dächtigen einfach wieder auf freien Fuß gesetzt wird;

● sich für eine Stärkung der staatlichen Strukturen in Somalia, insbesondere in
den Regionen Somaliland und Puntland, einzusetzen;

● zu prüfen, welche Möglichkeiten bestehen bzw. welche politischen und
organisatorischen Voraussetzungen erfüllt sein müssen, um den Schutz der
Schiffe vor Piraterie zu erweitern und deren Sicherheit zu gewährleisten.

9. Verkehrssicherheit und Gefahrenabwehr in der Nord- und Ostsee

Der Schiffsverkehr steht mit immer größeren Schiffen aber auch durch die
Schiffssicherheit und den Küstenschutz vor neuen Herausforderungen. Die
größte Umweltgefährdung der Schifffahrt geht von potenziellen Havarien aus.
Deshalb kommen der Schiffssicherheit, der Sicherheit des Schiffsverkehrs und
dem Küstenschutz eine überragende Bedeutung zu. Deshalb ist es erfreulich,
dass vielfältige internationale und nationale Bemühungen in den letzten 20 Jah-
ren zu einem kontinuierlichen Rückgang von Schiffsverlusten und -unfällen
geführt haben. Diesen Weg gilt es, konsequent weiterzugehen.

Generell ist festzuhalten, dass es angesichts von 30 IMO-Konventionen, über
40 EU-Richtlinien und Verordnungen und über 100 Empfehlungen der Kom-
mission zur Durchführung des Helsinki-Übereinkommens über den Schutz der
Meeresumwelt des Ostseegebietes (HELCOM) keinen Mangel an Vorschriften
gibt, sondern vielmehr die Gefahr von Überregelung besteht. Es fehlt an natio-
naler Umsetzung, Kontrolle und Sanktionen.

Die Maßnahmen der EU-Kommission in den so genannten Erika-Paketen
haben innerhalb Europas zu einer deutlichen Verbesserung der Hafenstaat-
kontrollen und der Kontrolle der Klassifikationsgesellschaften geführt. Die
Überwachungs-, Kontroll- und Informationssysteme für den Seeverkehr wur-
den ebenfalls verbessert. Der Erfolg dieser Maßnahmen, auch im Hinblick auf
die Auswirkungen der Wettbewerbsfähigkeit der europäischen maritimen Wirt-
schaft, muss immer wieder überprüft werden. Zwar bedeuten alle geplanten
Einzelregelungen jeweils ein Stück mehr Sicherheit, jedoch verdichten sie das
ohnehin schon heute kaum zu überblickende Regelungswerk. Auch hier gilt,
dass einige der Vorhaben überflüssig wären, wenn die Mitgliedstaaten das gel-
tende internationale Recht anwenden und durchsetzen würden. Eine Rechts-
bereinigung und Zusammenführung der einzelnen Richtlinien und Verordnun-
gen wäre sinnvoll.

Das Festhalten an föderalen Strukturen im Bereich Verkehrssicherheit und
Gefahrenabwehr auf den Meeren, Seeschifffahrtsstraßen und Seehäfen ist nicht
zielführend. Die Einrichtung des nationalen Havariekommandos, des Koordi-
nierungsverbundes Küstenwache und des Maritimen Sicherheitszentrums sind
erste Schritte zur verbesserten Seeverkehrssicherheit und Gefahrenabwehr. Das
System bleibt aber bei Konfliktfällen anfällig.

Auch das Lotswesen leistet einen entscheidenden Beitrag zur Sicherheit des
Seeverkehrswesens und muss konsequent weiterentwickelt werden. Beim Lots-
versetzdienst sollte geprüft werden, inwieweit ohne Einbußen der ständigen
Verfügbarkeit der Seelotsen zur wirtschaftlichen Effizienzsteigerung des Ver-
setzdienstes auf private Kräfte gesetzt werden kann.

Drucksache 17/5770 – 14 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

in einem ersten Schritt die Kompetenzen der auf See tätigen Bundesbehörden
mit der späteren Zielsetzung des Aufbaus einer nationalen Küstenwache zu-
sammenführen.

Berlin, den 11. Mai 2011

Volker Kauder, Gerda Hasselfeldt und Fraktion
Rainer Brüderle und Fraktion

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