BT-Drucksache 17/5740

Entzug von Leistungen nach dem Bundesversorgungsgesetz für Kriegsverbrecher

Vom 5. Mai 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/5740
17. Wahlperiode 05. 05. 2011

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Petra Pau, Jens Petermann, Raju Sharma,
Frank Tempel, Halina Wawzyniak und der Fraktion DIE LINKE.

Entzug von Leistungen nach dem Bundesversorgungsgesetz für Kriegsverbrecher

Wer eine Gesundheitsschädigung aufgrund des Dienstes in der Wehrmacht erlit-
ten hat, kann Leistungen nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) erhalten.
Das gleiche gilt für einen militärähnlichen Dienst etwa in der Waffen-SS oder in
Polizeibataillonen. Jahrzehntelang wurde auf die Prüfung, inwiefern Kriegsver-
brecher von dieser Regelung profitierten, verzichtet. Erst als nach 1990 Tau-
sende von in Osteuropa lebenden Menschen, die sich freiwillig der Wehrmacht,
der Waffen-SS oder einem Polizeibataillon angeschlossen hatten, Leistungen
nach dem BVG beantragten, begann eine gesellschaftliche Debatte über das
Thema. Zum einen, weil unter den Antragstellern Kriegsverbrecher waren, zum
anderen, weil die Öffentlichkeit kein Verständnis dafür hatte, dass SS-Freiwil-
lige Renten beantragen können, während ihre Opfer, insbesondere Überlebende
des Holocaust, auf Almosen angewiesen waren und häufig immer noch sind.

Seit Januar 1998 ermöglicht der neu in das BVG eingefügte § 1a bei Vorliegen
eines individuell nachgewiesenen Verstoßes „gegen die Grundsätze der Mensch-
lichkeit oder der Rechtsstaatlichkeit“ eine generelle Leistungsversagung bei
Neuanträgen und unter Umständen einen ganzen oder teilweisen Leistungsent-
zug mit Wirkung für die Zukunft. Zuständig für die Umsetzung der Überprüfung
sind die Länder, die vom Bund unterstützt worden sind.

Sämtliche Bestandsfälle (das waren 1998 rund 940 000) waren zu überprüfen,
außerdem sämtliche neu eingehenden Anträge. Das Gesetz sieht als Anhalts-
punkt für eine besonders intensive Überprüfung eine freiwillige Mitgliedschaft
in der Waffen-SS vor. Daher wurde entschieden, zunächst die Akten von 10 000
SS-Freiwilligen zu überprüfen. In einem Umsetzungsbericht vom 1. März 1999
(Bundestagsdrucksache 14/473) teilte die Bundesregierung mit, dass diese Ak-
ten mit Personaldaten vom Berlin Document Center des Bundesarchivs sowie
mit Daten der Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung na-
tionalsozialistischer Verbrechen in Ludwigsburg abgeglichen wurden bzw. noch
abgeglichen werden sollten. Außerdem war eine Kooperation mit dem Simon
Wiesenthal Center vorgesehen.

Diese Überprüfung dauerte bei Vorlage des Berichtes noch an. Ob und mit wel-
chem Ergebnis auch die restlichen (930 000) Akten sowie sämtliche Neuanträge

überprüft worden sind, geht aus dem Bericht zwangsläufig nicht hervor, auch
nicht aus einem Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bun-
destages. Ungeklärt ist aus Sicht der Fragesteller auch, inwiefern neue Erkennt-
nisse über Verbrechen deutscher Einheiten und einzelne Täter im Sinne von § 1a
BVG gewürdigt worden sind.

Drucksache 17/5740 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Welche Maßnahmen hat die Bundesregierung seit März 1999 ergriffen, um
den Leistungsentzug für Kriegsverbrecher umzusetzen, und welche Abspra-
chen hat es hierbei mit den Ländern, dem Berlin Document Center, der Zen-
tralen Stelle der Landesjustizverwaltung zur Aufklärung nationalsozialisti-
scher Verbrechen in Ludwigsburg, dem Simon Wiesenthal Center oder
anderen relevanten Einrichtungen gegeben?

2. Inwiefern haben die Länder, das Berlin Document Center, die Ludwigsburger
Zentrale Stelle der Landesjustizverwaltung zur Aufklärung nationalsozialis-
tischer Verbrechen, das Simon Wiesenthal Center oder gegebenenfalls wei-
tere Stellen personellen, materiellen, finanziellen oder anders gelagerten Un-
terstützungsbedarf bei der Überprüfung angemeldet, und inwiefern wurde
diesem Bedarf entsprochen?

3. Welches Ergebnis erbrachte die zum Zeitpunkt des Berichtes der Bundesre-
gierung vom 1. März 1999 noch ausstehende Prüfung mehrerer hundert Fälle
(aus einer vorläufig auf 10 000 Fälle reduzierten Gruppe besonders verdäch-
tiger SS-Mitglieder), und in wie vielen Fällen wurden die Leistungen ganz,
und in wie vielen Fällen teilweise entzogen (bitte nach Jahren aufgliedern)?

4. Welches Ergebnis erbrachte der Abgleich mit den Ende Dezember 1998 vom
Simon Wiesenthal Center zur Verfügung gestellten Datensätzen, die den Län-
dern im Januar 1999 zur Verfügung gestellt werden konnten?

5. Ist der im Bericht vom 1. März 1999 angekündigte manuelle Abgleich der da-
mals in Ludwigsburg noch nicht EDV-mäßig erfassten Datenbestände mit
den zu Grunde gelegten 10 000 Fällen lückenlos durchgeführt worden, wenn
ja, bis wann, und wenn nein, warum nicht?

6. Zu welchem Zeitpunkt war die im März 1999 noch ausstehende EDV-mäßige
Erfassung von Teilbeständen der in Ludwigsburg vorhandenen Karteien ab-
geschlossen, und sind diese danach unverzüglich zur Prüfung von Versor-
gungsfällen herangezogen worden?

7. Wann wurden, nach Abschluss der zunächst geprüften 10 000 Fälle, die an-
deren 930 000 im Bericht vom März 1999 genannten Versorgungsfälle zur
weiteren Prüfung herangezogen?

a) Wie viele dieser Fälle sind bis zu welchem Zeitpunkt überprüft worden
(bitte nach Jahren angeben)?

b) In wie vielen Fällen wurde auf ganzen oder teilweisen Entzug von Leis-
tungen erkannt (bitte nach Jahren angeben)?

c) Falls nicht sämtliche 930 000 Fälle überprüft worden sind, was waren (ab-
gesehen von Todesfällen) die Gründe hierfür?

8. Wurden seit Inkrafttreten des Gesetzes tatsächlich alle Neuanträge im Sinne
des § 1a BVG überprüft, und wenn nein, warum nicht?

a) Wie viele Neuanträge wurden seit dem 13. November 1997 pro Jahr ge-
stellt, und wie viele von diesen sind nach § 1a BVG abgelehnt worden?

b) Ging die Prüfung, ob Gründe für eine Leistungsversagung nach § 1a BVG
vorliegen, stets einer Entscheidung über den Antrag voran oder hat es
Fälle gegeben, in denen dem Antragsteller ein positiver Bescheid erstellt
wurde, bevor diese Prüfung durchgeführt worden war, und wenn ja, wie
viele solcher Fälle gab es, und wie ist dann weiter verfahren worden?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/5740

9. Inwieweit wurde sichergestellt, dass mögliche Erweiterungen der Daten-
sätze beim Berlin Document Center, der Ludwigsburger Zentralen Stelle
der Landesjustizverwaltung zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbre-
chen oder dem Simon Wiesenthal Centrum ebenfalls bei der Prüfung der
Versorgungsakten genutzt wurden, und ist dies lückenlos der Fall gewesen,
und wenn nein, warum nicht?

10. Wie verteilen sich die bis heute ausgesprochenen ganzen oder teilweisen
Leistungsentzüge nach

a) Staatsbürgerschaften,

b) heutigem Wohnsitz,

c) Zugehörigkeit zur Wehrmacht,

d) Zugehörigkeit zur Waffen-SS,

e) Zugehörigkeit zu anderen militärischen oder militärähnlichen Einheiten

(sofern möglich, nach Geschädigten und Hinterbliebenen differenzieren)?

11. Wie viele freiwillige Angehörige der Waffen-SS erhalten heute Leistungen
nach dem Bundesversorgungsgesetz (bitte möglichst nach Staatsbürger-
schaft und Wohnsitz angeben)?

Wie viele Leistungsempfänger nach dem Bundesversorgungsgesetz, die
ihre Ansprüche auf Schäden aus der Zeit des Zweiten Weltkrieges gründen,
gibt es derzeit insgesamt (wenn möglich, jeweils nach Beschädigten und
Hinterbliebenen differenzieren)?

12. Wie viel Geld hatten jene Antragsteller, denen anlässlich der Überprüfung
Verstöße gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit oder der Mensch-
lichkeit nachgewiesen werden konnten, bis zum Zeitpunkt dieser Feststel-
lung bereits an Leistungen erhalten?

a) In wie vielen Fällen wurden die Leistungen trotz des Nachweises von
Verstößen gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit oder der
Menschlichkeit in vollem Umfang weitergewährt?

b) In wie vielen derartigen Fällen wurden die Leistungen nur teilweise ver-
sagt?

c) Wie bewertet die Bundesregierung die weiteren (wenn auch gegebenen-
falls reduzierten) Leistungen für Kriegsverbrecher vor dem Hintergrund,
dass es immer noch Nazi-Opfer gibt, wie etwa sowjetische Kriegsgefan-
gene, italienische Militärinternierte oder Überlebende von Massakern
bzw. deren Hinterbliebene, denen bis zum heutigen Tag keine Entschä-
digung gewährt wurde?

13. Inwiefern könnte nach Auffassung der Bundesregierung, falls nicht tatsäch-
lich sämtliche Bestandsfälle und Neuanträge sorgfältig überprüft worden
sind, eine erneute Schwerpunktprüfung solcher Leistungsbezieher sinnvoll
sein, denen das sogenannte Bandenbekämpfungsabzeichen verliehen wor-
den ist, angesichts der Tatsache, dass sich hinter der Bezeichnung „Banden-
bekämpfung“ oftmals Massaker vor allem an der jüdischen Zivilbevölke-
rung der besetzten Gebiete verbargen, und wenn nein, warum nicht, und
wenn ja, welche Maßnahmen will die Bundesregierung ergreifen?

Berlin, den 27. April 2011

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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