BT-Drucksache 17/569

Umsetzung der Dienstleistungsrichtlinie in Deutschland

Vom 25. Januar 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/569
17. Wahlperiode 25. 01. 2010

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Alexander Ulrich, Sevim Dag˘delen, Dr. Diether Dehm, Inge Höger,
Andrej Hunko, Harald Koch, Ulla Lötzer, Thomas Nord und der Fraktion DIE LINKE.

Umsetzung der Dienstleistungsrichtlinie in Deutschland

Die EU-Dienstleistungsrichtlinie 2006/123/EG vom 12. Dezember 2006 (ABl.
L 372/36) musste von den Mitgliedstaaten bis zum 28. Dezember 2009 in na-
tionales Recht umgesetzt werden. Dies bedeutete eine Mammutaufgabe für die
betroffenen Verwaltungen und die Gesetzgeber auf den verschiedenen Ebenen,
insbesondere mit Blick auf das Normenscreening. Aber auch die Einrichtung des
sogenannten einheitlichen Ansprechpartners war eine heikle Aufgabe, unter an-
derem mit Blick auf seine organisatorische und personelle Ausgestaltung und
seine Aufgabenstellung. Die Umsetzung hat – da die Richtlinie selbst in vielen
Punkten unklar bzw. mehrdeutig ist – einen großen Einfluss darauf, welche Aus-
wirkungen die Richtlinie für kleine und mittlere Dienstleistungsunternehmen
und Handwerksbetriebe, aber für die Beschäftigten und ihre Arbeitsbedingun-
gen haben wird.

Die folgenden Fragen beziehen sich auf drei Bereiche: Den einheitlichen An-
sprechpartner, das Normenscreening und die möglichen/erwarteten Folgen der
Umsetzung der Richtlinie. Den Fragestellern ist bewusst, dass die Zuständigkei-
ten für die ersten beiden Bereiche gemäß der föderalen Zuständigkeitsordnung
teilweise oder ganz bei den Ländern liegt. Die Bundesregierung müsste jedoch
einen Überblick über die Situation in den Ländern haben, zum einen, da das
Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie bei der Umsetzung feder-
führend war, zum anderen, weil die Bundesregierung darauf hingewiesen hat,
dass „Eine möglichst einheitliche Umsetzung der Dienstleistungsrichtlinie […]
in vielen Bereichen sinnvoll“ ist und sie „bietet den Ländern deshalb koordinie-
rende Unterstützung an, damit am Ende ein insgesamt stimmiges und funktio-
nierendes System entstehen kann“ (vgl. Bundestagsdrucksache 16/8293).

Wir fragen die Bundesregierung:

Einheitlicher Ansprechpartner

1. Haben die einheitlichen Ansprechpartner in allen Bundesländern fristgerecht
ihre Arbeit aufgenommen?
2. Wo sind die einheitlichen Ansprechpartner in den einzelnen Bundesländern
angesiedelt (Trägerschaft)?

3. Bieten die in einigen Bundesländern gewählten Kammermodelle eine aus-
reichende Gewähr dafür, dass hoheitliche Aufgaben ordnungsgemäß bear-
beitet werden und überprüfbar sind?

Drucksache 17/569 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

4. Welche Aufgaben und Kompetenzen haben die einheitlichen Ansprech-
partner jeweils?

5. Wie hoch wird nach Auffassung der Bundesregierung der Arbeitsaufwand
der einheitlichen Ansprechpartner sein?

Gibt es aktuelle Prognosen zu Fallzahlen?

6. Wie viele Beschäftigte haben die einheitlichen Ansprechpartner jeweils?

7. In welcher Form wurde der Aufbau der einheitlichen Ansprechpartner mit
den Personalräten abgestimmt?

8. Ist ausreichend qualifiziertes Verwaltungspersonal vorhanden, um eine
Prüfung innerhalb der durch die Richtlinie vorgegebenen Sechswochen-
frist flächendeckend zu gewährleisten oder ist zu befürchten, dass viele
bundesweite Genehmigungen allein aufgrund nicht fristgerecht durchge-
führter Prüfungen gewährt werden (Genehmigungsfiktion)?

9. Wurden die Beschäftigten für ihre Aufgaben besonders geschult?

Gab bzw. gibt es z. B. vorbereitende Schulungen in den Bereichen Sprach-
kompetenz und interkulturelle Kompetenz, Verwaltungsverfahrensrecht
sowie EDV-technischer Unterstützungen?

Gab bzw. gibt es Überlegungen und Maßnahmen nach dementsprechenden
Eingruppierungen des Verwaltungspersonals?

10. Welche Informationsaufgaben haben die einheitlichen Ansprechpartner
(bitte eine genaue Auflistung der Sachgebiete, über die sie informieren, be-
sonders interessiert hier das Steuerrecht und das Arbeits- und Sozialrecht)?

11. Welche konkreten Maßnahmen und materiellen Ressourcen sind für die
jeweiligen Informationsaufgaben vorgesehen?

12. Welche Haltung haben das Bundesministerium für Arbeit und Soziales, das
Bundesministerium für Gesundheit und das Bundesministerium für Fami-
lie, Senioren, Frauen und Jugend zu der Aussage des Papiers des Bund-
Länder-Ausschusses Dienstleistungswirtschaft „Anforderungsprofil für
‚Einheitliche Ansprechpartner‘“, es sei sinnvoll, dass die einheitlichen
Ansprechpartner über arbeits-, entsende- und sozialrechtliche Fragen in-
formieren, da „durch das Bündelungsangebot der EA auch die Kenntnis und
damit die Beachtung entsprechender Vorschriften in der Praxis gefördert
wird“ (EA: einheitlicher Ansprechpartner)?

13. Gibt es bei der Information über das Arbeits- und Sozialrecht – sofern sie
durch den einheitlichen Ansprechpartner wahrgenommen wird – eine Zu-
sammenarbeit mit den DGB-Gewerkschaften, und wenn ja, wie sieht diese
aus, um möglichst viele Beschäftigte ausländischer Dienstleister über ihre
Rechte und – bei Fragen und Problemen – über Unterstützungs- und Bera-
tungsangebote zu informieren?

14. Wen beraten die einheitlichen Ansprechpartner jeweils?

Nur die EU-ausländischen Dienstleister oder auch deren Beschäftigte?

Beraten sie auch inländische Dienstleister, die ins EU-Ausland möchten
und deren Beschäftigte?

Falls der einheitliche Ansprechpartner Beschäftigte nicht berät, wie wird die
Information der Beschäftigten über gesetzliche und tarifvertragliche
Ansprüche sichergestellt?

15. Wie gehen die einheitlichen Ansprechpartner mit Anfragen aus Bereichen
um, die nicht unter die Richtlinie fallen (z. B. Sicherheitsgewerbe)?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/569

16. Wer kontrolliert und bewertet („Monitoring“) die Arbeit der einheitlichen
Ansprechpartner?

Normenscreening

17. Ist das Normenscreening bzw. sind die notwendigen Änderungen der
Rechts- und Verwaltungsvorschriften in allen Bereichen fristgerecht abge-
schlossen worden, und kann ausgeschlossen werden, dass es später zu
Konfliktsituationen kommt, weil Regelungen übersehen oder als nicht prü-
fungsrelevant betrachtet wurden?

18. Welche Normen wurden auf Bundesebene bisher geändert?

19. Welche Gesetzesänderungen stehen nach Abschluss des Normenscreenings
auf Bundesebene noch an?

20. Welche Normenbereiche und Verwaltungsverfahren wurden auf Länder-
ebene und kommunaler Ebene geändert?

21. Wie wurden Gewerkschaften, Wirtschafts- und Sozialverbände, Verbrau-
cherverbände, Berufsgenossenschaften, Sozialversicherungen, kommunale
Gebietskörperschaften und andere Experten bzw. Betroffene am Prozess
des Normenscreenings beteiligt (gebeten wird um eine präzisere und aus-
führlichere Antwort als auf Bundestagsdrucksache 16/5030, wo nur von
„laufendem Kontakt mit den genannten Kreisen“ die Rede war)?

22. Wie wurde der Prozess der Evaluierung der Normen von der Bundesregie-
rung ausgestaltet, und inwiefern wurde der Deutsche Bundestag daran
beteiligt, inwiefern die oben genannten nichtstaatlichen Akteure?

23. Wie hat die Bundesregierung sichergestellt, dass bei der Umsetzung des
Normenscreenings die Schutzwirkungen von Arbeitsrecht und Entsende-
richtlinie nicht ausgehöhlt wurden?

24. Hatte das Normenscreening Auswirkungen auf das Arbeitsschutzrecht
(z. B. öffentlicher Arbeitsschutz, zivilrechtliches Arbeitsrecht)?

25. Wie hat die Bundesregierung sichergestellt, dass das Bildungs- und Ge-
sundheitswesen von der Richtlinie in keiner Weise berührt werden?

Mögliche bzw. erwartete Folgen der Umsetzung der Dienstleistungsrichtlinie

26. Wie hoch ist nach Einschätzung der Bundesregierung die Zahl der Be-
schäftigten ausländischer Dienstleister, die als entsandte Arbeitnehmer bis-
her in Deutschland waren (pro Jahr, bitte Zeitraum ab 1995)?

Wie lange haben die Beschäftigten durchschnittlich in Deutschland gear-
beitet?

27. Wie schätzt die Bundesregierung – vor dem Hintergrund, dass die Dienst-
leistungsrichtlinie (DLRL) grenzüberschreitende Dienstleistungen deutlich
erleichtern soll – das zukünftige Volumen entsandter Arbeit ein?

28. Mit welchen Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt rechnet die Bundes-
regierung?

Hat sie entsprechende Studien in Auftrag gegeben?

29. Mit welchen Auswirkungen auf die Arbeitsbedingungen (inkl. Löhne) in
Deutschland rechnet die Bundesregierung?

Hat sie entsprechende Studien in Auftrag gegeben?

Drucksache 17/569 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
30. Mit welchen Auswirkungen auf das deutsche Arbeits- und Sozialrecht
rechnet die Bundesregierung vor dem Hintergrund, dass die DLRL zwar
eine Bereichsausnahme zum Arbeits- und Sozialrecht enthält, die Anwen-
dung arbeits- und sozialrechtlicher Bedingungen jedoch „unter Wahrung
des Gemeinschaftsrechts“ erfolgen muss – worüber im Konfliktfall der
Europäische Gerichtshof (EuGH) entscheidet, der in einigen Urteilen der
letzten Zeit der Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit eine größere
Bedeutung beigemessen hat als der Koalitionsfreiheit und dem Arbeits-
recht?

31. Wie schätzt die Bundesregierung den Kontrollbedarf ein, den die Umset-
zung der Richtlinie auslöst, insbesondere vor dem Hintergrund, dass es be-
reits vor dem Inkrafttreten der Richtlinie erhebliche Probleme mit der Um-
setzung des Entsenderechts gab und mit der Umsetzung der Richtlinie aller
Voraussicht nach die Zahl entsandter Arbeitnehmer deutlich zunehmen
wird, zugleich die Kontrollmöglichkeiten eingeschränkt werden?

a) Wie soll gewährleistet werden, dass die arbeits-, entsende-, sozial-
sowie steuerrechtlichen Vorschriften eingehalten werden, d. h. wer
kontrolliert, ob sich die Dienstleister an die entsprechenden deutschen
Regelungen halten, und wie ist die Haftung bei Verstößen im Rahmen
der grenzüberschreitenden Dienstleistungserbringung geklärt?

b) Welche Instrumente gibt es bisher, um Verstöße im Zusammenhang mit
Entsendung zumindest einzudämmen und den Schutz entsandter Arbeit-
nehmer zu gewährleisten?

Reichen diese künftig aus, und wenn nicht, welche zusätzlichen Maß-
nahmen sind vorgesehen?

c) Gibt es eine Abstimmung mit dem Zoll, der Arbeitsagentur oder ande-
ren bezüglich dieser Frage?

d) Stimmt die Bundesregierung der Aussage des Bremer Senats zu, dass
für eine wirksame Kontrolle „die bestehenden erheblichen Unklarheiten
bezüglich der Zuständigkeiten der Behörden zwischen Zielland und
Herkunftsland durch eindeutige Regelungen beseitigt werden“ müssen
(Bremische Bürgschaft, Drucksache 17/582)?

Wenn ja, welche Maßnahmen wird die Bundesregierung zu diesem
Zwecke treffen?

Wenn nein, bitte begründen.

32. Was ist aus den Bestrebungen geworden, durch einen „gemeinsamen Ver-
haltenskodex“ eine europaweite Geltung und Sicherung von Qualitätsstan-
dards zu fördern?

Berlin, den 25. Januar 2010

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.