BT-Drucksache 17/5494

Neue Perspektiven für Jungen und Männer

Vom 13. April 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/5494
17. Wahlperiode 13. 04. 2011

Antrag
der Abgeordneten Dorothee Bär, Markus Grübel, Michaela Noll, Peter Altmaier,
Ingrid Fischbach, Norbert Geis, Thomas Jarzombek, Ewa Klamt, Katharina
Landgraf, Stefan Müller (Erlangen), Eckhard Pols, Erwin Josef Rüddel,
Nadine Schön (St. Wendel), Dr. Peter Tauber, Marcus Weinberg (Hamburg),
Elisabeth Winkelmeier-Becker, Volker Kauder, Gerda Hasselfeldt und
der Fraktion der CDU/CSU
sowie der Abgeordneten Miriam Gruß, Nicole Bracht-Bendt, Sibylle Laurischk,
Florian Bernschneider, Heinz Golombeck, Patrick Meinhardt, Michael Kauch,
Birgit Homburger und der Fraktion der FDP

Neue Perspektiven für Jungen und Männer

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Moderne Gleichstellungspolitik muss gezielt die Unterschiede in den Lebens-
verläufen von Frauen und Männern, von Mädchen und Jungen berücksichtigen.
Lange Zeit standen berechtigterweise Mädchen und Frauen im Fokus der
Gleichstellungspolitik. Entsprechend wurde das Ziel der Gleichberechtigung
vornehmlich durch frauenpolitische Maßnahmen verfolgt.

Aktuelle Entwicklungen zeigen aber, dass sich die Gleichstellungspolitik zu-
sätzlich den Jungen und Männern zuwenden muss. In den letzten Jahren sind die
Geschlechterrollen in Bewegung geraten, viele junge Männer sind auf der Suche
nach Perspektiven jenseits traditioneller Lebensentwürfe und stereotyper Erwar-
tungen. Fürsorgliches Verhalten hat an Bedeutung gewonnen, der unmittelbare
Lebensraum – Familie, Partnerschaft, Freundschaften – wird wichtiger.

Eine moderne Gleichstellungspolitik muss diesen Entwicklungen Rechnung
tragen und entsprechend erweitert werden. Nur wenn der Überwindung von Rol-
lenstereotypen Aufmerksamkeit geschenkt wird, werden nachhaltig Fortschritte
hinsichtlich eines partnerschaftlichen Miteinanders von Frauen und Männern
erzielt.

Ziel der Gleichstellungspolitik ist es dabei aber nicht, bestimmte Lebensmodelle
vorzuschreiben. Es geht vielmehr darum, neue Optionen zu eröffnen und tat-
sächliche Wahlfreiheiten zu gewährleisten. Die Anregungen des Sachverständi-

gengutachtens zum Ersten Gleichstellungsbericht der Bundesregierung „Neue
Wege – Gleiche Chancen“ sind unter diesem Gesichtspunkt auszuwerten und für
die Gestaltung einer innovativen Gleichstellungspolitik zu nutzen.

Um die Zukunftsperspektiven von Jungen und Männern im Rahmen einer
modernen Gleichstellungspolitik nachhaltig zu verbessern, bedarf es neuer
Herangehensweisen und Denkmuster. Besonders wichtig sind hierbei Anstren-

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gungen im Bildungsbereich. Denn Bildung bietet eine große Chance, stereotype
Rollenzuschreibungen zu erkennen und zu überwinden.

Derzeit werden Jungen allerdings häufig als „Bildungsverlierer“ wahrgenom-
men. Ursachen für diese Wahrnehmung sind u. a., dass nur halb so viele Jungen
wie Mädchen zum Zeitpunkt der regulären Einschulung schulreif sind. In allen
Bundesländern wiederholen Jungen häufiger eine Klasse und brechen die
Schule häufiger ab als Mädchen. Im Lesen erzielen Jungen deutlich geringere
Kompetenzen als Mädchen (Programme for International Student Assessment –
PISA 2009). Das Risiko eines ungünstigen Bildungsverlaufes scheint besonders
hoch zu sein bei Jungen mit Migrationshintergrund und aus bildungsfernen
Familien.

Eine ausschließliche Fokussierung auf diese Befunde blendet jedoch aus, dass
das Leistungsspektrum innerhalb der Gruppe der Jungen sehr breit ist: Sowohl
unter den schlechtesten als auch unter den besten Schülern eines Jahrgangs fin-
den sich überdurchschnittlich viele Jungen. Überdies zeigt die Stellungnahme
des Bundesjugendkuratoriums aus dem Jahr 2009, dass es nicht zielführend ist,
Pauschalurteile über „die“ Jungen zu fällen. Lehrkräfte berichten, wie negativ
und demotivierend der öffentliche Diskurs über die „Sorgenkinder Jungs“ auf
die Schüler selbst wirken kann, die solche Beurteilungen als Stigmatisierung er-
leben.

Erfolgreiche Jungenpolitik muss daher potential- und lösungsorientiert sein.
Jungen brauchen Ermutigung und positive Vorbilder. Sie müssen in ihrer per-
sönlichen Entwicklung gestärkt und in ihren Kompetenzen gefördert werden.
Stereotype Zuschreibungen müssen überwunden werden.

Kindertageseinrichtungen und Schulen kommt als Bildungs- und Erziehungs-
einrichtungen eine besondere Aufgabe zu. Hier könnten Jungen von der An-
wesenheit männlicher Pädagogen profitieren: Diese könnten Jungen ein erwei-
tertes Spektrum an gelebten Vorbildern bieten und gegebenenfalls das Fehlen
männlicher Bezugspersonen im familiären Bereich abfedern.

Entsprechend müssen diese Tätigkeitsfelder für junge Männer weiter erschlos-
sen werden. Junge Männer erhalten dadurch auch zusätzliche berufliche
Perspektiven. So dringend Fachkräfte für die Kindertageseinrichtungen und die
Kindertagespflege gesucht werden: Das Wohl und der Schutz der zu betreuen-
den Kinder muss bei der Auswahl der Bewerberinnen und Bewerber immer im
Vordergrund stehen.

Auch in der Schule muss den besonderen Bedürfnissen von Jungen Rechnung
getragen werden. Gleiches gilt für die Kinder- und Jugendarbeit, die Jugend-
sozialarbeit und die Migrationsarbeit.

Zudem bedarf es in Gesellschaft und Wirtschaft einer Anerkennung und Wert-
schätzung neuer männlicher Lebensentwürfe, die sich jenseits traditioneller Vor-
stellungen und stereotyper Erwartungen bewegen.

Vor diesem Hintergrund wurde bereits im Koalitionsvertrag zwischen CDU,
CSU und FDP vereinbart, eine eigenständige Jungen- und Männerpolitik zu ent-
wickeln und bereits bestehende Projekte für Jungen und junge Männer fort-
zuführen und zu intensivieren, so dass ihnen auch in erzieherischen und pflege-
rischen Berufen erweiterte Perspektiven ermöglicht werden.

Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend hat einen
Jungenbeirat einberufen mit dem Ziel, im Sinne einer praxisorientierten Politik-
beratung die Lebenswelten und Rollenbilder von männlichen Jugendlichen zu
diskutieren und dort, wo es erforderlich ist, Anregungen für geeignete politische
Maßnahmen zu entwickeln.

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/5494

Auch Initiativen der Bundesregierung wie das Projekt „Neue Wege für Jungs“,
die Einführung eines „Boys’Day“ ab 2011 oder auch die Initiative „MEHR
Männer in Kitas“ sind ausdrücklich zu begrüßen.

Unsere Gesellschaft muss sich damit befassen, wie Jungen aufwachsen und wie
Männer leben wollen. Es muss gelingen, einseitige männliche Rollenzuschrei-
bungen zu überwinden und eine neue Balance im Dreieck zwischen Beruf,
Familie und Partnerschaft zu schaffen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung im Rahmen der ihr zur
Verfügung stehenden Haushaltsmittel auf,

1. durch geeignete Maßnahmen dazu beizutragen, das Berufswahlspektrum
von Jungen und jungen Männern zu erweitern und gemeinsam mit der Bun-
desagentur für Arbeit Berufsinformationsmaterial und Qualifizierungsmaß-
nahmen so zu gestalten, dass sich mehr Jungen und junge Männer für
Berufsfelder interessieren, in denen sie bisher unterrepräsentiert sind (z. B.
in erzieherischen und pflegerischen Berufen);

2. zu prüfen, wie erzieherische und pflegerische Berufe etwa mit Blick auf
Weiterqualifizierungen und die Durchlässigkeit zwischen den einzelnen
Berufen attraktiver ausgestaltet und Rahmenbedingungen verbessert wer-
den können;

3. gemeinsam mit den Bundesländern zu überprüfen, wie Angebote zur Be-
rufs- und Lebensplanung in Schulen, Berufsschulen, Berufsinformations-
zentren und Jugendzentren auch geschlechterspezifisch konzipiert und
durchgeführt werden können;

4. gemeinsam mit den Bundesländern die in der Berufs- und Ausbildungsbera-
tung tätigen Fachkräfte für eine geschlechterspezifische Arbeit zu schulen;

5. im Rahmen der Initiative „MEHR Männer in Kitas“ mindestens einen Trä-
ger in jedem Bundesland zu fördern, das Programm zu evaluieren und unter
Einbeziehung der Ergebnisse des Forschungsprojektes „Männer in der Aus-
bildung zum Erzieher und in Kindertagesstätten“ darauf hinzuwirken, dass
– ähnlich wie in Norwegen – strukturelle Veränderungen erreicht werden
können, damit 2015 die EU-Zielmarke „20 Prozent Männer als Erzieher“
erreicht wird;

6. den Austausch mit Norwegen zu intensivieren, um von den guten Erfahrun-
gen Norwegens bei der Förderung von Männern in Kindertageseinrichtun-
gen zu lernen;

7. gemeinsam mit den Bundesländern geschlechtersensible medienpädagogi-
sche Projekte für Jungen und pädagogische Fachkräfte weiterzuentwickeln,
um deren Medienkompetenz zu stärken;

8. bei den Unternehmen verstärkt für lebensereignisorientierte und flexible
Arbeitszeitmodelle und sog. Sabbaticals zu werben, die von Frauen und
Männern gleichermaßen wahrgenommen werden können;

9. im Rahmen des Aktionsprogramms „Perspektive Wiedereinstieg“ Maßnah-
men zu entwickeln, die insbesondere auch auf die Ehe- und Lebenspartner
der Wiedereinsteigerinnen zielen, um die Neuverteilung der Aufgaben in
der Wiedereinstiegsphase zu unterstützen;

10. bestehende Väterprojekte zu fördern, die Männer in ihrer Aufgabe als Väter
stärken und hier insbesondere auch alleinerziehende Väter einzubeziehen;

11. Fachtagungen und andere geeignete Veranstaltungsformen zu organisieren,

um den fachlichen Diskurs zu jungenspezifischen Themen zu befördern und
die Öffentlichkeit für das Thema zu sensibilisieren;

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12. bereits bestehende Programme und Maßnahmen der Gleichstellungspolitik
der Bundesregierung weiterzuentwickeln, um Rollenbilder aufzubrechen;

13. zu prüfen, ob § 16 des Bundesgleichstellungsgesetzes dahingehend zu
ändern ist, dass es sowohl Frauen als auch Männern offensteht, die Funktion
einer oder eines Gleichstellungsbeauftragten wahrzunehmen;

14. Studien in Auftrag zu geben, die untersuchen, wie typische Vermittlungs-
prozesse von Geschlechterrollen und Handlungsmustern bei Jungen und
jungen Männern verlaufen;

15. Studien in Auftrag zu geben, die untersuchen, welche Auswirkungen männ-
liche pädagogische Fachkräfte in Bildungs- und Erziehungseinrichtungen
auf die Entwicklungs- und Bildungsmöglichkeiten von Kindern haben;

16. sich bei den Bundesländern dafür einzusetzen, dass in den Schulen eine
geschlechtersensible Pädagogik als Querschnittsaufgabe verankert und
überprüft wird, wie Schulorganisation und Unterrichtsinhalte und -formen
so ausgestaltet werden können, dass sie den spezifischen Bedürfnissen von
Jungen und Mädchen gerechter werden;

17. sich bei den Bundesländern dafür einzusetzen, dass Fachkräfte in Kinder-
tageseinrichtungen und Schulen, der Kinder- und Jugendarbeit sowie der
Jugendsozial- und Migrationsarbeit für eine geschlechterspezifische Arbeit
geschult werden und dass bei der Elternarbeit verstärkt die Väter eingebun-
den werden;

18. sich bei den Bundesländern dafür einzusetzen, dass diese geeignete Maß-
nahmen ergreifen, um die Lesekompetenz der Jungen zu stärken und ihr
Leseengagement weiter zu erhöhen;

19. die Förderungspolitik gegebenenfalls nachzujustieren, wenn besondere
nachgewiesene Bedarfe vor dem Hintergrund der sozialen oder kulturellen
Herkunft bei Jungen und Männern erkennbar sind.

Berlin, den 13. April 2011

Volker Kauder, Gerda Hasselfeldt und Fraktion
Birgit Homburger und Fraktion

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