BT-Drucksache 17/5487

Für einen Neubeginn der deutschen und europäischen Mittelmeerpolitik

Vom 12. April 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/5487
17. Wahlperiode 12. 04. 2011

Antrag
der Abgeordneten Günter Gloser, Dietmar Nietan, Klaus Brandner, Petra
Ernstberger, Iris Gleicke, Ute Kumpf, Dr. Rolf Mützenich,Thomas Oppermann,
Dr. Frank-Walter Steinmeier und der Fraktion der SPD

Für einen Neubeginn der deutschen und europäischen Mittelmeerpolitik

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

In mehreren Ländern der arabischen Welt demonstrieren mutige Menschen für
mehr Demokratie, die Wahrung der Menschenrechte und eine bessere soziale
Entwicklung. Diese Bewegungen haben unsere volle Sympathie und verdienen
unsere aktive und nachhaltige Unterstützung.

Die Umbrüche in unserer Nachbarregion werfen aber zugleich auch ein Schlag-
licht auf den unzureichenden Zustand der deutschen und europäischen Politik
gegenüber der Mittelmeerregion. Sie geben daher Anlass, diese Politik grundle-
gend neu zu gestalten.

Der Vertrag von Lissabon beschreibt in Artikel 2 Absatz 5 die Grundsätze der
Außenbeziehungen der Europäischen Union:

„In ihren Beziehungen zur übrigen Welt schützt und fördert die Union ihre Werte
und Interessen […]. Sie leistet einen Beitrag zu Frieden, Sicherheit, globaler
nachhaltiger Entwicklung, Solidarität und gegenseitiger Achtung unter den Völ-
kern, zu freiem und gerechtem Handel, zur Beseitigung der Armut und zum
Schutz der Menschenrechte, insbesondere der Rechte des Kindes, sowie zur
strikten Einhaltung und Weiterentwicklung des Völkerrechts, insbesondere zur
Wahrung der Grundsätze der Charta der Vereinten Nationen.“

Bei einem Neubeginn der deutschen und europäischen Mittelmeerpolitik geht es
darum, diese Grundsätze endlich auch in der unmittelbaren südlichen Nachbar-
schaft Europas politische Praxis werden zu lassen. Die Glaubwürdigkeit der
künftigen europäischen Beziehungen zu den arabischen Nachbarn wird sich da-
ran messen lassen müssen, ob die genannten Werte und Ziele die deutsche und
europäische Mittelmeerpolitik leiten. Deutschland und die Europäische Union
müssen schnell substanzielle und nachhaltige Angebote für die Zusammenarbeit
bei demokratischen Reformen und bei der Verbesserung der sozialen, wirt-
schaftlichen und ökologischen Probleme in Nordafrika machen. Die Unterstüt-

zung bei der Lösung von tiefgreifenden sozialen sowie Migrations-, Umwelt-
und Verkehrsproblemen in Nordafrika darf nicht weiter aufgeschoben werden.
Insbesondere beim Aufbau einer nachhaltigen Energieversorgung bestehen – an-
gesichts der sich abzeichnenden Abwendung von der Kernenergie in einigen
Ländern – große Chancen für beide Seiten. Der gesellschaftliche und kulturelle
Austausch mit den südlichen Nachbarn muss angesichts der grundlegenden Ver-
änderungen intensiviert werden und auf gleicher Augenhöhe geschehen.

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Grundsätzlich gilt für die europäische Außen- und Sicherheitspolitik: Die Förde-
rung von Frieden und Stabilität – gerade in unserer direkten Nachbarschaft –
liegt im strategischen Interesse Europas. Ein Hauptinstrument zur Erreichung
dieses Ziels ist die Europäische Nachbarschaftspolitik (ENP). Ihr Ziel ist es ge-
mäß der Europäischen Sicherheitsstrategie aus dem Jahr 2003, „dass östlich der
Europäischen Union und an den Mittelmeergrenzen ein Ring verantwortungs-
voll regierter Staaten entsteht, mit denen wir enge, auf Zusammenarbeit gegrün-
dete Beziehungen pflegen können.“ Wenn die ENP nun anlässlich der aktuellen
Ereignisse im Frühjahr 2011 grundlegend reformiert werden soll, sollte endlich
auch das Zusammenwirken der ENP mit anderen Politikbereichen der Gemein-
samen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) untersucht – und soweit notwen-
dig – angepasst werden. Denn leider wirken in den Beziehungen Europas zu sei-
nen Nachbarstaaten sowohl südlich des Mittelmeers als auch östlich der EU bis-
lang sehr verschiedene Politikansätze zusammen oder laufen nebeneinander her.
Eine Reform der ENP muss allgemein gültige und umsetzbare Maßstäbe und
Grundsätze für alle regionalen Dimensionen hervorbringen.

Im Rahmen der gültigen Vereinbarungen für die ENP sollen bis Ende 2013 un-
gefähr 4 Mrd. Euro für unsere südlichen Nachbarländer aufgewendet werden.
Die ENP baut auf bestehenden Vereinbarungen wie den Partnerschafts- und Ko-
operationsabkommen, den Assoziierungsabkommen und der Euro-mediterranen
Partnerschaft auf. Sie umfasst die Zusammenarbeit in den Bereichen Politik und
Sicherheit, Wirtschaft und Handel, Mobilität, Umwelt, Integration von Ver-
kehrs- und Energienetzen oder wissenschaftliche und kulturelle Zusammenar-
beit. Kernelemente sind die bilateralen Aktionspläne, die zwischen der EU und
jedem Partner vereinbart worden sind und eine Agenda politischer und wirt-
schaftlicher Reformen enthalten. Die Umsetzung der Aktionspläne wird regel-
mäßig in Fortschrittsberichten der EU-Kommission evaluiert. Bedauerlich war
dabei in der Vergangenheit, wie wenig Nachdruck die EU auf die in den Abkom-
men enthaltene Menschenrechts- und Demokratieklausel gelegt hat. Dabei hätte
sie bei richtiger Anwendung einen wirksamen Hebel für eine bessere Beachtung
der Menschenrechte geboten.

Am 13. Juli 2008 wurde in Paris durch die 27 EU-Mitgliedstaaten und 16 Staa-
ten des südlichen Mittelmeerraums feierlich die Union für das Mittelmeer ge-
gründet. Trotz sehr hoher Erwartungen bei der Gründung sind bis heute kaum
konkrete Ergebnisse zu erkennen. Während das Sekretariat der Union für das
Mittelmeer in Barcelona, das Ende 2008 arbeitsfähig sein sollte, immer noch
nicht vollständig handlungsfähig ist, wurde das zunächst für den 2. und 3. Juni
2010 in Kairo vorgesehene und dann auf den 20. und 21. November 2010 ver-
schobene zweite Treffen der Staats- und Regierungschefs der 43 Mitgliedslän-
der erneut abgesagt. Am 26. Januar 2011 verkündete der Generalsekretär Ahmed
Massade nach nur einem Jahr im Amt seinen Rücktritt. Die in der Antwort der
Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion der SPD zur Bilanz der
Union für das Mittelmeer (Bundestagsdrucksache 17/2669) genannten Projekte
im Mittelmeerraum sind fast ausnahmslos unabhängig von der Union für das
Mittelmeer zustande gekommen bzw. wären auch bei einer bloßen Weiterfüh-
rung des Barcelona-Prozesses ohne die Gründung einer neuen Organisation zu-
stande gekommen.

Der Verweis auf den israelisch-palästinensischen Konflikt, der den Aufbau der
Arbeitsstrukturen von Beginn an hemmt, reicht als Erklärung für das Ausmaß
dieser Blockade schon lange nicht mehr aus. Angesichts der Umbrüche in meh-
reren nordafrikanischen Ländern wird ein neuer Ansatz für die Politik gegen-
über dieser Region umso dringlicher.

Es lohnt sich, einen Blick auf die Geschichte der Beziehungen zwischen Europa
und den südlichen Mittelmeerländern zu richten. Die Union für das Mittelmeer

hat zum Ziel, den seit 1995 laufenden Barcelona-Prozess (Euro-mediterrane
Partnerschaft – EUROMED) in seinem Bestand zu bewahren und auf dessen Er-

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gebnissen aufzubauen. Dessen Ziel war die Schaffung eines Raumes des Frie-
dens, der Stabilität und des Wohlstands sowie die Schaffung einer Freihandels-
zone. Der Barcelona-Prozess umfasste drei Bereiche: politische und sicherheits-
politische Zusammenarbeit, Partnerschaft im Wirtschafts- und Finanzbereich
und die Zusammenarbeit im sozialen und kulturellen Bereich. Insgesamt blieben
die Ergebnisse hinter den Erwartungen zurück. Zu den Erfolgen der Zusammen-
arbeit im Rahmen dieses Prozesses zählten die Einrichtung der Parlamentari-
schen Versammlung Europa-Mittelmeer (EMPA), der Investitionsfazilität und
Partnerschaft Europa-Mittelmeer (FEMIP) sowie der Anna-Lindh-Stiftung, die
den Dialog der Kulturen fördert. Den Wirtschaftsbeziehungen zwischen Europa
und dem Mittelmeerraum hat die Handelsliberalisierung deutliche Impulse ver-
liehen, allerdings führte dies nicht zu einer nennenswerten Verbesserung des
Lebensstandards in den südlichen Mittelmeerländern. Außerdem gab es als
unmittelbare Folge europäischer Politik kaum Fortschritte in den Bereichen
Sicherheitskooperation, Verbesserung von Regierungsführung, Menschenrechts-
lage oder Demokratisierung.

In der aktuellen Diskussion wird nun häufig ein historischer Vergleich zwischen
den Vorgängen in Ägypten, Tunesien, dem Jemen und Libyen Anfang dieses
Jahres und dem Fall des Eisernen Vorhangs im Jahr 1989 gezogen.

Der wesentlichste Unterschied besteht darin, dass im Europa des Jahres 1989
von Beginn an das Ziel eines gemeinsamen Europas allen vor Augen stand und
die Orientierung an Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und sozialer Marktwirt-
schaft im damaligen Westeuropa unbestritten war. Die Systemfrage war mit dem
Zusammenbruch der Sowjetunion und den friedlichen Revolutionen in Mittel-
und Osteuropa entschieden. Heute aber ist bislang nur klar, dass die Menschen
in den arabischen Ländern in ihrer übergroßen Mehrheit eine Verbesserung ihrer
sozialen Situation und ein Ende der bisherigen Regime verlangen. Letzeres ha-
ben sie zum Teil auch schon erreicht.

Nun besteht die große Chance, dass durch das Engagement der Menschen in
Ägypten, Tunesien und weiteren Ländern in Nordafrika Demokratie und soziale
Marktwirtschaft Fuß fassen. Ob sich diese Gesellschaften in ihrer zukünftigen
Entwicklung an europäischen Mustern orientieren, ist eine souveräne Entschei-
dung der Menschen in den jeweiligen Ländern, die sie sicherlich auch davon ab-
hängig machen werden, inwieweit die EU sie dabei unterstützt und als Partner
auf gleicher Augenhöhe betrachtet und behandelt. Das europäische Demokratie-
und Sozialmodell steht also in dieser historischen Situation in einem offenen
Wettbewerb mit anderen Modellen, die auch autoritär oder islamistisch ausge-
richtet sein könnten. Die deutsche und europäische Politik gegenüber diesem
Raum muss sich deshalb an dem Ziel orientieren, die Menschen in ihrer derzeit
schwierigen Situation wirksam zu unterstützen und ihnen dabei ein attraktives
Angebot für die Zusammenarbeit mit Europa und für die demokratische und so-
ziale Gestaltung ihrer eigenen Heimatländer zu machen. Die Einhaltung der
Menschenrechte, insbesondere auch jene der Frauen, ist dabei eine unverzicht-
bare Forderung.

Dieses Angebot darf sich nicht wie die bisherige Politik Europas in erster Linie
an die jeweilige politische Führung des Landes richten, sondern muss die ge-
samte Gesellschaft einbeziehen – die bisherigen Eliten genauso wie oppositio-
nelle Gruppen und die junge Generation, die den Großteil der Proteste in der
Region getragen hat und heute aktiv um Reformen in ihren Ländern kämpft.
Neben Regierungsverhandlungen müssen daher auch Foren der Zivilgesell-
schaft, des Bildungs- und des Kulturaustausches gestärkt oder neu geschaffen
werden, um dem Austausch Breite und Tiefe zu verleihen.

Die Bundesregierung hat sich in ihrem Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU

und FDP verpflichtet, die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik als „langfris-
tige politische, kulturelle und wirtschaftspolitische Investition“ zu verstehen

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und sie daher „finanziell bestmöglich aus[zu]statten“ (S. 127). Vor dem Hinter-
grund der neuen Lage in vielen Ländern Nordafrikas sollte gerade die Auswär-
tige Kultur- und Bildungspolitik weiter gestärkt und besser finanziell ausgestat-
tet werden, da dieses Instrument vor allem auch für die jungen Menschen viele
Perspektiven bietet.

Europa und die Bundesregierung müssen jetzt umdenken. Wir brauchen einen
strategischen Ansatz, der darauf zielt, die Demokratisierung und den Umbau der
arabischen Staaten und Gesellschaften kraftvoll, schnell und über einen längeren
Zeitraum hinweg zu unterstützen: einen Marshallplan für Demokratisierung und
Modernisierung im Mittelmeerraum. Dabei geht es nicht um eine Kopie des
Nachkriegsprojektes in Europa. Die neue Strategie soll aber der historischen
Chance für beide Seiten des Mittelmeeres in ihrer ganzen Dimension gerecht
werden.

Die Mitteilung der EU-Kommission vom 8. März 2011 zu diesem Thema unter
dem Titel „Eine Partnerschaft mit dem südlichen Mittelmeerraum für Demokra-
tie und gemeinsamen Wohlstand“ enthält in diesem Sinne richtige Ansätze. Sie
greift aber insgesamt zu kurz, da nur bislang schon bestehende Instrumente und
Finanzmittel aufgeführt werden. Die historische Dimension des Umbruchs in
unserer Nachbarschaft bedarf aber einer sehr viel umfassenderen Antwort und
einer gemeinsamen Anstrengung der EU und ihrer Mitgliedstaaten.

In diesem Zusammenhang ist das europäische Sozialmodell ein Angebot, dass
rein ökonomisch orientierten Kooperationen überlegen ist. Der regionale Frie-
den in Europa basiert maßgeblich auf den sozialen Errungenschaften unseres
Kontinents seit 1945. Die Wünsche der demonstrierenden Menschen in vielen
arabischen Ländern entsprechen in weiten Teilen dem sozialen Fortschritt, der
im letzten Jahrhundert in Europa bereits erkämpft worden ist. Die bedeutendsten
Ursachen für die tunesische Jasmin-Revolution, die Massenproteste auf dem
Tahrir-Platz in Ägypten und seither auch in vielen anderen Ländern sind die Ar-
beitslosigkeit und die Perspektivlosigkeit der jungen Generation der arabischen
Staaten. Aktive Arbeitsmarktpolitik, wie sie in einigen Staaten der Europäischen
Union praktiziert wird, kann wesentlich dazu beitragen, dass der Jugend auch in
den Staaten Nordafrikas eine Lebensperspektive geschaffen wird. Zudem wird
es in den kommenden Jahrzehnten in Nordafrika darum gehen, aktiv Politik für
soziale Integration zu betreiben und gesellschaftliche Ausgrenzung zu vermei-
den. Genau dafür können die Ziele und Mittel des Europäischen Sozialmodells
in einer eigenen regionalen Ausgestaltung sozial stabilisierend wirken.

Die Hohe Vertreterin der Europäischen Union für Außen- und Sicherheitspolitik
sollte deshalb in den nächsten Wochen in Gesprächen auf unterschiedlichen
Ebenen in der südlichen Mittelmeerregion sondieren, welche Erwartungen kurz-,
mittel- und langfristig gegenüber der Europäischen Union bestehen. Dabei ist
auch der Frage nachzugehen, welche Zusagen insbesondere die neuen Regierun-
gen in der Region zu machen bereit sind. Die klare Botschaft Europas muss sein,
dass die EU zu einer weit über die bisherige Kooperation hinausgehenden Zu-
sammenarbeit und Öffnung gegenüber den Ländern südlich des Mittelmeers
bereit ist, wenn auch die Partnerländer zu einer entsprechenden Öffnung und
Vertiefung der Beziehung, zur nachhaltigen und international überprüfbaren
Wahrung der Menschenrechte und demokratischer Standards, zu sozialen und
marktwirtschaftlichen Reformen im Sinne wirtschaftlicher und sozialer Teilhabe
bereit sind.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. in der EU darauf hinzuwirken, dass es zu einem Neustart in der Kooperation
mit den Staaten des südlichen Mittelmeers kommt, der in Umfang und Sub-

stanz der historischen Herausforderung entspricht, die sich uns in dieser Re-
gion stellt;

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5 – Drucksache 17/5487

2. gemeinsam mit den südlichen Partnern auf gleicher Augenhöhe die Kern-
elemente einer neuen Nachbarschaftspolitik für den Mittelmeerraum zu
erarbeiten und sich für einen EU-Sondergipfel mit den Vertretern jener süd-
lichen Mittelmeerstaaten einzusetzen, die zu demokratischen Reformen be-
reit sind bzw. diese schon umsetzen;

3. darauf zu dringen, dass die EU bei allen bilateralen Verträgen auf eine Ein-
haltung der Demokratie- und Menschenrechtsklauseln achtet;

4. sich für den Aufbau eines regionalen EU-Entwicklungsfonds mit entspre-
chender Ausstattung einzusetzen, der insbesondere Finanzhilfen für den
Aufbau von kleinen und mittleren Unternehmen bereitstellt;

5. im Lichte der aktuellen Diskussion über die Kernenergie die Energiekoope-
ration mit der Region mit der Schwerpunktsetzung auf erneuerbare Ener-
gien deutlich zu verstärken;

6. den Bedarf an Hilfe, Beratung und Kooperation gemeinsam mit den Regie-
rungen im Süden und mit Experten der Entwicklungszusammenarbeit zu er-
mitteln und die Sozialstrukturförderung der deutschen und europäischen
Entwicklungszusammenarbeit für den Auf- und Ausbau der Zivilgesell-
schaften in den südlichen Nachbarschaftsländern der neuen Lage entspre-
chend anzupassen;

7. in der Entwicklungszusammenarbeit verstärkt die Möglichkeiten von Süd-
Süd- und Süd-Nord-Süd-Dreieckskooperationen zu nutzen, über die in den
ärmeren Ländern der Region Projekte der Geberländer von den reicheren
Ländern der Region finanziert bzw. mitfinanziert werden;

8. als eine erste konkrete Maßnahme mindestens zwei Sozialattachés bzw. -re-
ferenten für die sozial- und arbeitsmarktpolitische Beratung in die Region
Nordafrika zu entsenden;

9. zur verstärkten Bildungsmigration die Zugänge nach Europa und Deutsch-
land zu erleichtern und die Möglichkeiten zur Arbeitsaufnahme von in Eu-
ropa ausgebildeten Akademikern/Akademikerinnen zu erleichtern. Zirkuläre
Migration kann, wenn sie klug organisiert ist und maßvoll eingesetzt wird,
sowohl den Herkunfts- als auch den Zielländern nützen. Die Bundesregie-
rung wird aufgefordert darauf hinzuwirken, dass die entsprechenden euro-
päischen Richtlinien (Saisonarbeiterrichtlinie und Richtlinie zur konzern-
internen Entsendung) so gestaltet werden, dass die betroffenen Migranten/
Migrantinnen den Arbeitnehmern/Arbeitnehmerinnen in den Zielländern
gleichgestellt sind. Einer Verschlechterung für Löhne und Arbeitsbedingun-
gen muss vorgebeugt werden;

10. die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik in der Region zu verstärken.
Insbesondere in der beruflichen und universitären Bildung für junge Männer
und Frauen;

11. die Mittel für die regionalen Aktivitäten der politischen Stiftungen und
Nichtregierungsorganisationen weiter aufzustocken;

12. bei der Reform der Europäischen Nachbarschaftspolitik auf klare Kriterien
für die Zusammenarbeit zu achten, die nachfolgend für alle EU-Nachbarn
im Osten und Süden gleichermaßen gelten müssen;

13. sich dafür einzusetzen, dass die Europäische Union finanziell und personell
in die Lage versetzt wird, den neuen Aufgaben gerecht zu werden und dass
diesen bei der weiteren Ausgestaltung des Europäischen Auswärtigen
Dienstes Rechnung getragen wird;

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14. den Abbau von Handelshemmnissen voranzutreiben, Freihandelszonen zu
errichten und die Zusammenarbeit mit der Region in den Bereichen Land-
wirtschaft und Fischerei weiter auszubauen und dabei mindestens die Fest-
legungen der Entwicklungsrunde der Welthandelsorganisation von Doha
und der Pariser Erklärung einzuhalten;

15. sich in der EU dafür einzusetzen, dass Tunesien das „Statut Avancé“ noch
innerhalb dieses Jahres gewährt wird. Dazu müssen die ohnehin schon weit
fortgeschrittenen Verhandlungen zügig abgeschlossen werden;

16. den Bundestag halbjährlich über den Fortgang der Erneuerung der Bezie-
hungen zu den Staaten Nordafrikas zu unterrichten;

17. darauf hinzuwirken, dass auch in Asyl- und Flüchtlingsfragen eine Partner-
schaft auf Augenhöhe zwischen der EU und den Staaten Nordafrikas ent-
wickelt wird, die die Etablierung eines stabilen und leistungsfähigen Asyl-
systems in diesen Ländern zum Ziel hat. In diesem Zusammenhang sind
auch die bisherigen Rückübernahme- und Kooperationsabkommen, insbe-
sondere im Hinblick auf die Einbindung nordafrikanischer Staaten in die
Migrationskontrolle, kritisch zu überprüfen;

18. durch eine faire innereuropäische Teilung der Verantwortung für sich in
Europa aufhaltende Flüchtlinge sowie Resettlementprogramme für Flücht-
lingsgruppen in Nordafrika die Flüchtlingsfrage konzertiert und solidarisch
anzugehen.

Berlin, den 12. April 2011

Dr. Frank-Walter Steinmeier und Fraktion

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