BT-Drucksache 17/5479

Wissenschaftliche Urheberinnen und Urheber stärken - Unabdingbares Zweitveröffentlichungsrecht einführen

Vom 12. April 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/5479
17. Wahlperiode 12. 04. 2011

Antrag
der Abgeordneten Dr. Petra Sitte, Agnes Alpers, Nicole Gohlke,
Dr. Rosemarie Hein, Dr. Lukrezia Jochimsen, Petra Pau, Jens Petermann,
Halina Wawzyniak und der Fraktion DIE LINKE.

Wissenschaftliche Urheberinnen und Urheber stärken –
Unabdingbares Zweitveröffentlichungsrecht einführen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die Entwicklung auf den Märkten für wissenschaftliche Publikationen stellt
eine zunehmende Belastung für die Leistungsfähigkeit der öffentlich geförder-
ten Wissenschaft und Forschung dar. Die Arbeitsergebnisse aus Instituten und
Hochschulen werden häufig von privatwirtschaftlich organisierten Verlagen
publiziert. Diese zahlen in der Regel kein oder nur ein geringes Honorar, erhal-
ten jedoch meist Druckkostenzuschüsse. Diese werden zum Teil von den öffent-
lich finanzierten Arbeitgeberinnen bzw. -gebern oder Drittmittelgeberinnen
bzw. -gebern übernommen, müssen aber auch oft aus privaten Mitteln der Urhe-
berinnen und Urheber finanziert werden. Damit decken die Verlage bis zu
80 Prozent ihrer Kosten. Der Hauptteil der Verlagsdienstleistung besteht in der
Organisation der wissenschaftlichen Begutachtung, die wiederum unentgeltlich
von anderen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern vorgenommen wird.

Abnehmer der Publikationen sind in der Regel wiederum öffentlich finanzierte
Wissenschaftseinrichtungen bzw. deren Bibliotheken. Die Preise für viele
Druckwerke, insbesondere für Periodika und wissenschaftliche Fachzeitschrif-
ten, sind in den vergangenen Jahren dramatisch gestiegen.

Diese Preissteigerungen konnten nur durchgesetzt werden, weil sich die Verlage
in der Regel exklusive Nutzungsrechte an den Texten vertraglich sichern. Sie
verdienen daher nicht nur durch die Erbringung von Dienstleistungen, sondern
auch durch ihre exklusive Stellung als Rechteinhaber. Besonders die großen Ver-
lage konnten durch diese Monopolisierung von Eigentumsrechten außerge-
wöhnlich hohe Renditen bis zu 70 Prozent erzielen. Diese mussten jedoch durch
die öffentliche Hand zum großen Teil mitfinanziert werden. Denn nicht nur die
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler leben in der Regel von öffentlichen
Geldern, sondern auch die Bibliotheken und Forschungseinrichtungen. Sie müs-
sen für die kontinuierlich steigenden Preise der Fachzeitschriften bezahlen. Auf

diese Weise wird das Verfügungsrecht der Autorinnen und Autoren über den ei-
genen Text eingeschränkt. Eine Zweitverwertung, etwa auf frei zugänglichen
Onlineplattformen (Open Access), etwa den Repositorien der Einrichtungen, an
denen die Urheberinnen und Urheber forschen, oder in anderen Journalen, ist zu-
meist unmöglich. Besonders dringlich erscheint eine alternative Veröffent-
lichungsmöglichkeit, wenn eine Publikation in einem großen Journal erst mit
zum Teil jahrelanger Verzögerung erfolgt.

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Einige Wissenschaftsverlage gestatten bereits die Zweitveröffentlichung von
Texten aus ihren Publikationen. So sind etwa 20 Prozent der Journalbeiträge
auch jenseits des ursprünglichen Veröffentlichungsorts frei zugänglich. Die
rechtliche Basis dafür bleibt jedoch unsicher und muss für jeden Verlagsvertrag
einzeln geklärt werden. Zudem behalten sich die Verlage einen Rückruf dieser
Genehmigungen vor.

Durch den digitalen Wandel ist zudem eine Situation entstanden, bei der das
Rückrufsrecht nach § 41 des Urheberrechtsgesetzes (UrhG) zunehmend leer
läuft. Während gedruckte Zeitschriften in der Regel nach einer gewissen Zeit im
Handel vergriffen waren, so dass der Urheber die Veröffentlichungsrechte zu-
rückrufen konnte, ist dies bei Onlinezeitschriften nicht der Fall. Folglich kann
der Urheber, wenn er das entsprechende Verwertungsrecht exklusiv abgetreten
hat, in der Regel auch Jahrzehnte später nicht wieder selbst darüber verfügen,
um eine Zweitveröffentlichung auf eigene Faust zu veranstalten.

Der Trend zu digitalen Publikationsformen wird von Seiten der Wissenschaft
selbst vorangetrieben. Mehrere Landeshochschul- und Bibliothekgesetze unter-
stützen die Einrichtungen von entsprechender Infrastruktur. Ein gesetzliches
unveräußerliches Zweitverwertungsrecht stellt diese Entwicklung in einen ein-
heitlichen rechtlichen Rahmen. Es stärkt die Entscheidungsautonomie und
informationelle Selbstbestimmung der wissenschaftlichen Urheberinnen und
Urheber. Die Unübersichtlichkeit und Vieldeutigkeit vertraglicher Einzelrege-
lungen wird durch eine klare rechtliche Vorgabe abgelöst. Für die Verlage wird
Planungssicherheit geschaffen und bürokratischer Aufwand abgebaut.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

im Rahmen einer Novellierung des Urheberrechtsgesetzes einen Gesetzentwurf
vorzulegen, der ein unabdingbares Recht zur Zweitveröffentlichung regelt. Die-
ses gesetzliche Zweitveröffentlichungsrecht soll folgende Bedingungen erfüllen:

1. Das Recht erstreckt sich auf alle wissenschaftlichen Publikationen, die über-
wiegend aus öffentlichen Mitteln finanziert worden sind.

2. Eine Zweitveröffentlichung wird nicht nur in nichtkommerziellen, sondern
auch in kommerziellen Publikationen ermöglicht.

3. Die Sperrfrist, nach der das Zweitverwertungsrecht in Anspruch genommen
werden kann, beträgt höchstens sechs Monate.

4. Das Recht gilt auch für eine formatgleiche Zweitveröffentlichung, deren
Ursprung in der Erstveröffentlichung jedoch anzugeben ist.

5. Vertragliche Vereinbarungen, die das Zweitveröffentlichungsrecht einschrän-
ken, sind unwirksam.

Berlin, den 12. April 2011

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

Begründung

Die in § 38 UrhG formulierten grundsätzlichen Verfügungsrechte der Urhebe-
rinnen und Urheber über ihr Werk werden durch die faktische Vertragspraxis der
Verlage ausgehebelt. In der Realität geben Autorinnen und Autoren die Nut-

zungs- und Veröffentlichungsrechte für ihre Texte zeitweise oder dauerhaft

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exklusiv an einen Verlag ab. Diese Praxis führt insbesondere in Wissenschaft und
Forschung zu einer Privatisierung von Wissen und Information, obwohl diese
zum Großteil mit öffentlichen Mitteln erarbeitet wurden.

Ein Zweitveröffentlichungsrecht kann die Intention des § 38 UrhG aufgreifen
und dies stärkt die Selbstbestimmung der Urheberinnen und Urheber. Dies gilt
prinzipiell für alle vom Urheberrecht betroffenen Bereiche. Besonders dringend
erscheint eine Stärkung der Autorinnen und Autoren im Bereich der Wissen-
schaft. Forschung und Lehre sind auf einen freien und reibungslosen Fluss von
Wissen und Information existenziell angewiesen. Eine Verknappung der Wis-
sensgüter aus kommerziellen Interessen schränkt ihre Leistungsfähigkeit ein.
Eine solche Verknappung ist insbesondere in den Zeiten der digitalen Infor-
mations- und Kommunikationstechnologien angesichts der Notwendigkeit des
effizienten Einsatzes öffentlicher Mittel nicht zu begründen. Eine beim Deut-
schen Bundestag im Jahr 2009 eingereichte Petition für die freie Verfügbarkeit
über Ergebnisse öffentlicher Forschung hatte 24 000 Unterzeichnerinnen und
Unterzeichner gefunden.

Bei der angestrebten Regelung handelt es sich nicht um eine Pflicht zur Anbie-
tung wissenschaftlicher Werke an die Institutionen bzw. die Arbeitgeber. Die
grundgesetzlich garantierte Wissenschaftsfreiheit wird daher nicht berührt.
Auch wird mit einem solchen Recht keine neue Schranke im Sinne der europä-
ischen Richtlinie 2001/29/EC begründet, sondern im Gegenteil die Verfügungs-
macht der Urheberinnen und Urheber gestärkt.

Die von der Bundesregierung angekündigte Überarbeitung des Urheberrechts-
gesetzes („Dritter Korb“) soll auch die Bedingungen für Bildung und Wissen-
schaft verbessern. Unter anderem steht die rechtliche Unterstützung für Open-
Access-Publikationen auf der Agenda.

Die Fraktion der SPD hat einen Gesetzentwurf zur Regelung eines Zweitveröf-
fentlichungsrechts (Bundestagsdrucksache 17/5053) vorgelegt, der auf ältere Ini-
tiativen des Bundesrates und der Wissenschaftsorganisationen zurückgeht. Die-
ser sieht die Einführung eines Zweitveröffentlichungsrechts für Artikel aus
Periodika und Sammelwerken nach einer Sperrfrist von sechs bzw. zwölf Mona-
ten im nicht kommerziellen Rahmen vor.

Die hier geforderten Regelungen gehen über diesen Vorschlag hinaus und legen
die Einbindung in die zeitnah anstehende Novelle des „Dritten Korbes“ nahe.

Zur Durchsetzung von Open Access ist ein umfangreiches Maßnahmenbündel
notwendig, in dessen Erarbeitung neben der Wissenschaft selbst auch die Biblio-
theken und die Verlagsbranche einzubeziehen sind. Die hier beantragte gesetz-
liche Änderung kann nur ein Teilschritt sein. Im Mittelpunkt einer solchen Initia-
tive steht die Akzeptanz des Open-Access-Modells in der Scientific Community
und die Bereitstellung der Infrastrukturen für digitale Publikationsformen.

Die genannten Voraussetzungen des Zweitverwertungsrechts begründen sich
wie folgt:

Zu Nummer 1

Das Zweitveröffentlichungsrecht sollte auch auf Monografien wie Dissertatio-
nen oder Habilitationsschriften oder auf digitale Publikationen ausgedehnt wer-
den. Gerade bei Ersteren gestalten sich die Vertragsverhandlungen der Autorin-
nen und Autoren mit den Verlagen wegen der begrenzten Verhandlungsmacht
von Promovierenden schwierig.

Zu Nummer 2
Neben rein nicht kommerziellen Veröffentlichungsformen existieren auch hybride
Publikationen (sowohl in gedruckter als auch in digitaler Form), die nur die

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digitale Publikation im Rahmen des Open Access kostenlos zur Verfügung stel-
len. Da die Grenzziehung schwierig erscheint, sollte keine Einschränkung auf
eine bestimmte Publikationsform vorgenommen werden. Die Einführung der
Kategorien kommerziell/nicht kommerziell stellt jedoch einen wünschenswer-
ten Paradigmenwechsel im Urheberrecht dar, der im Rahmen einer grundlegen-
den und umfassenden Reform weiterzuführen wäre.

Zu Nummer 3

Eine Sperrfrist ist vor allem mit dem zu refinanzierenden Aufwand der Verlage,
etwa den Druckkosten sowie der Organisation von Begutachtungen, zu begrün-
den. Innerhalb der Frist können diese das Werk exklusiv verwerten. Eine Unter-
scheidung verschiedener Publikationsformen lässt sich an dieser Stelle nicht
begründen und würde zu Unübersichtlichkeit und juristischen Abgrenzungspro-
blemen führen.

Zu Nummer 4

Das Format der Erstveröffentlichung in einem privatwirtschaftlich organisierten
Verlag entspricht meist dessen Vorgaben und stellt damit einen Wiedererken-
nungswert der Verlagsprodukte dar. In der Regel aber leisten die Urheberinnen
und Urheber wissenschaftlicher Publikationen die konkrete Einrichtung ihrer
Werke gemäß diesen Vorgaben selbst. Die formatgleiche Veröffentlichung
macht eine eindeutige Referenzierung und Zitation bestimmter Werke unabhän-
gig von ihrer Veröffentlichungsform möglich.

Zu Nummer 5

Dieser Punkt sichert die Unabdingbarkeit des Zweitveröffentlichungsrechts.

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