BT-Drucksache 17/5430

Die Rolle der GCC-Staaten und des Jemens angesichts der Aufstände im arabischen Raum

Vom 8. April 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/5430
17. Wahlperiode 08. 04. 2011

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Sevim Dag˘delen, Christine Buchholz, Dr. Diether Dehm,
Wolfgang Gehrcke, Annette Groth, Heike Hänsel, Andrej Hunko, Niema
Movassat, Paul Schäfer (Köln), Kathrin Vogler und der Fraktion DIE LINKE.

Die Rolle der GCC-Staaten und des Jemens angesichts der Aufstände
im arabischen Raum

Zwischen der Europäischen Union und dem Golfkooperationsrat (Gulf Coope-
ration Council – GCC, Mitgliedstaaten: das Königreich Saudi-Arabien, das
Königreich Bahrain, die Vereinigten Arabischen Emirate, das Emirat Katar, das
Emirat Kuwait und das Sultanat Oman) bestehen enge politische Verbindungen,
die u. a. im Rahmen des 1988 geschlossenen EU-GCC-Kooperationsabkom-
mens gepflegt werden. Übergeordnetes Ziel dieser Zusammenarbeit ist die
Gründung einer gemeinsamen Freihandelszone; Deutschland und die EU
streben jedoch auch „einen Ausbau der Zusammenarbeit in Bereichen wie Ener-
giesicherheit, Umweltschutz, Kultur und Bildung, Terrorismusbekämpfung und
vor allem auch im politischen und sicherheitspolitischen Bereich“ an (www.
auswaertiges-amt.de). Begründet wird dies vom Auswärtigen Amt insbesondere
mit der wirtschaftlichen Relevanz der im GCC vertretenen Staaten. Diese „för-
dern über 60 Prozent des Öls der gesamten Region des weiteren Nahen und Mitt-
leren Ostens sowie Nordafrikas. Ihr Anteil an den Welterdölreserven liegt bei 55
Prozent, an der Weltölförderung bei etwa 20 Prozent. Saudi Arabien bündelt
allein 70 Prozent der Wirtschaftskraft des Golfkooperationsrates. Der Golfko-
operationsrat ist der wichtigste Handelspartner der Europäischen Union in der
arabischen Welt. Er ist Europas sechstgrößter Exportmarkt. Umgekehrt ist die
EU für den Golfkooperationsrat der Handelspartner Nummer eins“ (ebd.).

Angesichts der gegenwärtigen Umbrüche in Nordafrika und auf der Arabischen
Halbinsel spielt der GCC eine widersprüchliche Rolle. Einerseits schlagen
mehrere Mitgliedstaaten Proteste ihrer eigenen Bevölkerung nieder, anderer-
seits mobilisierten sie innerhalb der Arabischen Liga militärische und ideelle
Unterstützung für ein militärisches Vorgehen gegen das Gaddafi-Regime in
Libyen. Auch anlässlich der Proteste im Jemen spielen die GCC-Staaten eine
zentrale – und von der Bundesregierung unterstützte – Rolle bei der Installation
eines neuen Regimes.

Im Anschluss an die Protestwellen in Tunesien und Ägypten, welche die jewei-
ligen Regierungen zum Rücktritt zwangen, kam es auch in vielen Mitgliedstaa-

ten des GCC zu Protesten, die teilweise mit massiver Gewalt niedergeschlagen
wurden. Zugleich setzten sich die Mitglieder des GCC innerhalb der Arabi-
schen Liga vehement für eine internationale Intervention gegen die libysche
Regierung in Form einer Flugverbotszone ein, die ihrerseits gewaltsam gegen
Aufständische vorging. An der zunächst von Frankreich angeführten Inter-
vention beteiligen sich die Vereinigten Arabischen Emirate mit zwölf und das
Emirat Katar mit sechs Kampfflugzeugen.

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Im Falle Bahrains entschloss sich der GCC unter der Führung Saudi-Arabiens
auf Einladung des bahrainischen Königshauses, militärisch mit über 1 000 (an-
dere Quellen sprechen von über 2 000, www.nytimes.com/2011/03/15/world/
middleeast/15saudi.html) Soldaten und Polizisten gegen die Proteste zu inter-
venieren, nachdem diese nicht nur den Perlenplatz für Wochen besetzt hielten,
sondern auch Zugänge zum Hafen und zum Bankenviertel blockiert hatten. Bei
der Auflösung des Protestcamps am Perlenplatz und der anschließenden Stür-
mung eines Krankrenhauses sollen neben Tränengas auch scharfe Munition zum
Einsatz gekommen, Verwundete und Ärzte aus dem Krankenhaus verschleppt
und verprügelt worden sein. Die Hohe Kommissarin der Vereinten Nationen für
Menschenrechte, Navanethem Pillay, nannte das Vorgehen „schockierend“ und
einen „eklatanten Verstoß gegen internationales Recht“ (www.ohchr.org/EN/
NewsEvents/Pages/DisplayNews.aspx?NewsID=10855&LangID=E). Der Chef-
berater der Hohen Vertreterin für die EU-Außen- und Sicherheitspolitik für den
Balkan und den Mittleren Osten, Robert Cooper, verteidigte hingegen in der
anschließenden Sitzung des Auswärtigen Ausschusses des Europäischen Parla-
ments das Vorgehen der „Sicherheitskräfte“ in Bahrain: „Man muss verstehen,
dass die Autoritäten Recht hatten, Ruhe und Ordnung wiederherzustellen und
das ist es, was sie getan haben.“ Es sei „nicht einfach mit großen Demonstra-
tionen umzugehen, von denen Gewalt ausgehen könnte […] Das bekommen wir
selbst in den besten westlichen Staaten nicht immer richtig hin und es passieren
Unfälle“.

Dessen ungeachtet befürwortet die Bundesregierung auch beim Umsturz im
Jemen eine führende Rolle Saudi-Arabiens, nachdem sich Präsident Ali
Abdullah Salih, der zuvor jahrelang von Deutschland mit polizeilicher und
militärischer Ausbildungs- und Ausstattungshilfe unterstützt wurde, nach Ein-
schätzung hochrangiger EU-Vertreter nur noch „wenige Tage“ im Amt wird
halten können. Der Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung, Dirk Niebel, forderte gegenüber der Zeitung „DER TAGES-
SPIEGEL“, dass in dem „strategisch extrem wichtig[en] Land […] regionale
Mächte, allen voran Saudi- Arabien, ihren Einfluss geltend machen“ müssten
(www.tagesspiegel.de/politik/man-sollte-wissen-wie-man-einsaetze-beendet/39
82626.html). Saudi-Arabien hatte zuvor mehrfach und teilweise mit Unterstüt-
zung der USA militärisch in Jemen auf Seiten des Salih-Regimes interveniert.
Als möglicher Nachfolger Ali Abdullah Salihs ist in EU-Kreisen gegenwärtig
Hamid al-Ahmar im Gespräch, von dem zwar keine grundlegenden Reformen
und auch kein Ende von Korruption und Instabilität zu erwarten sei, der aber
gute Kontakte zum saudischen Königshaus und dem GCC unterhalte.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie bewertet die Bundesregierung die Menschenrechtslage in den Mitglied-
staaten des GCC (bitte zu jedem Staat eine kurze Einschätzung)?

2. Wie bewertet die Bundesregierung die demokratischen Beteiligungsrechte,
insbesondere die Gewährleistung der Versammlungs- und Vereinigungsfrei-
heit sowie die Verwirklichung der Gewaltenteilung in den Mitgliedstaaten
des GCC (bitte zu jedem Staat eine kurze Einschätzung)?

3. Welche Mitgliedstaaten des GCC halten nach wie vor an der Todesstrafe fest,
und aus welchen Mitgliedstaaten des GCC sind der Bundesregierung Be-
richte über Folter bekannt?

4. Welche Protestkundgebungen fanden nach Kenntnis der Bundesregierung
seit Beginn der Aufstände in Tunesien und Ägypten in den Mitgliedstaaten
des GCC statt, die unter dem Einsatz von Gewalt aufgelöst wurden (bitte
auflisten nach Datum, Ort und Anzahl der verletzten und getöteten Demons-

tranten)?

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5. Wie viele politische Gefangene befinden sich nach Kenntnis der Bundes-
regierung in den Mitgliedstaaten des GCC in Haft, und wie viele Anhänger
der Opposition wurden nach Kenntnis der Bundesregierung in den Mit-
gliedstaaten des GCC seit Beginn der Aufstände in Tunesien und Ägypten
festgenommen?

6. Bei welchen Gelegenheiten hat die Bundesregierung seit Beginn der Auf-
stände in Tunesien und Ägypten (17. Dezember 2010) gegenüber den
Mitgliedstaaten des GCC darauf hingewiesen, dass sie ein gewaltsames
Vorgehen gegen friedliche Proteste ablehnt und demokratische Reformen
gegenüber den GCC-Staaten einfordert?

7. Wie viele bilaterale Treffen von Vertretern der Bundesregierung und Mit-
gliedstaaten des GCC bzw. der Organisation haben seit Beginn der Auf-
stände in Tunesien und Ägypten stattgefunden, wann und wo haben diese
stattgefunden, und welche Themen wurden auf diesen Treffen behandelt?

8. Welche Vertreter des GCC bzw. seiner Mitgliedstaaten waren bei diesen
Treffen anwesend, und welche Themen wurden besprochen?

9. Wie viele EU-GCC-Regionaldirektorentreffen haben seit Beginn der Auf-
stände in Tunesien und Ägypten stattgefunden, wann und wo haben diese
stattgefunden, und welche Themen wurden auf diesen Treffen behandelt?

10. Welche Vertreter der Europäischen Union und der Mitgliedstaaten des GCC
waren in welchem Rang und zu welchem Zweck bei diesen EU-GCC-Re-
gionaldirektorentreffen anwesend, und welche Themen wurden besprochen?

11. War auch die Zustimmung der Bundesregierung, der Mitgliedstaaten des
GCC oder der Arabischen Liga zu einer Flugverbotszone gegenüber Libyen
bei diesen Treffen ein Thema?

Wenn ja, welche Positionen wurden hierzu von Seiten der EU sowie der
GCC-Staaten vorgetragen?

12. War auch die militärische Unterstützung des GCC für die Regierungen der
einzelnen Mitgliedstaaten, namentlich Bahrain und Jemen, bei diesen Tref-
fen ein Thema?

Wenn ja, welche Positionen wurden hierzu von Seiten der Bundesregie-
rung, der EU sowie der GCC-Staaten vorgetragen?

13. Bei welchen Gelegenheiten hat die Bundesregierung sich mit dem GCC
oder dessen Mitgliedstaaten über die Möglichkeit einer Flugverbotszone
oder einer militärischen Intervention in Bahrain oder Jemen ausgespro-
chen?

14. Wie bewertet die Bundesregierung die Legitimität des Verfahrens, nach
dem die Erklärung des Außenministerrates der Arabischen Liga (Resolu-
tion 7360) vom 12. März 2011 verabschiedet wurde?

15. Welche Position nahmen die Mitgliedstaaten des GCC innerhalb der Arabi-
schen Liga hinsichtlich der Frage einer Flugverbotszone ein?

16. Wie erklärt die Bundesregierung, dass diese Erklärung mit der Forderung
einer Flugverbotszone verabschiedet wurde, obwohl sich zuvor die Ara-
bische Liga in ihrer Resolution vom 3. März 2011 und anschließend meh-
rere Mitgliedstaaten der Arabischen Liga (Syrien, Jemen, Algerien, Sudan)
deutlich gegen eine ausländische Intervention ausgesprochen hatten?

17. Als wie glaubhaft bewertet die Bundesregierung angesichts der menschen-
rechtlichen und demokratischen Defizite, die in allen Mitgliedstaaten des
GCC bestehen, das in der Resolution 7360 vom 12. März 2011 formulierte

Anliegen der Arabischen Liga, dass den „Forderungen [des libyschen Vol-

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kes] entsprochen werden muss und dessen Zukunft im Rahmen demokra-
tischer Institutionen aufgebaut werden soll“?

18. Welchen Umfang hatte der deutsche Außenhandel in den vergangenen fünf
Jahren (2006 bis 2010) mit den Mitgliedstaaten des GCC, und wie bewertet
die Bundesregierung die Bedeutung der Mitgliedstaaten des GCC für den
deutschen Außenhandel?

19. In welchem Umfang wurden in den vergangenen zehn Jahren (2001 bis
2010) Rüstungsexporte in die Mitgliedstaaten des GCC durch die Bundes-
regierung genehmigt?

20. Welche Mitgliedstaaten des GCC erhielten in den vergangenen zehn Jahren
(2001 bis 2010) polizeiliche und/oder militärische Ausbildungs- und/oder
Ausstattungshilfe (bitte nach Jahr, Art und Umfang auflisten)?

21. Welche Formen der polizeilichen und/oder militärischen Ausbildungs- und/
oder Ausstattungshilfe wurden bislang gegenüber dem Jemen geleistet?

22. Hält die Bundesregierung weiterhin an ihrer militärischen Ausstattungshilfe
für die jemenitische Küstenwache fest, und begrüßt sie weiterhin deren
„Beitrag zu Frieden und Sicherheit am Golf von Aden“ (vgl. www.sabanews.
net/en/news198027.htm)?

23. Dient die polizeiliche und/oder militärische Ausstattungshilfe nach Auf-
fassung der Bundesregierung auch der Verbesserung der Absatzchancen
deutscher Unternehmen, wie es nach Angaben von Dieter Schenk („Poli-
zei-Entwicklungshilfe an Folter-Regime“, in: Ossietzky, Nr. 16 vom
22. August 1998) vom Bundesministerium der Verteidigung und dem Aus-
wärtigen Amt hinsichtlich des Jemens festgehalten wurde („Stärkung deut-
scher Wirtschaftsinteressen durch Unterstützung jemenitischer Beschaffun-
gen in Deutschland (z. B. Medizintechnik, Transport- und Kommunika-
tionstechnik))“?

24. Stimmt die Bundesregierung der der vom Bundesministerium für Wirtschaft
und Technologie geförderten Gesellschaft für Außenwirtschaft und Stand-
ortmarketing mbH mehrfach zum Ausdruck gebrachten Einschätzung zu,
wonach „[d]ie Länder der Arabischen Halbinsel […] ein hervorragendes Ab-
satzgebiet für Sicherheitstechnik und -dienstleistungen [sind]“ („Golfstaaten
investieren kräftig in Sicherheit“, www.gtai.de)?

25. In welchem Umfang und in welcher Form wird die Gesellschaft für Außen-
wirtschaft und Standortmarketing mbH von der Bundesregierung gefördert,
und wie bewertet die Bundesregierung die Tatsache, dass die Gesellschaft
für Außenwirtschaft und Standortmarketing mbH deutschen Unternehmen
Kontakte zu potentiellen Kunden vermittelt?

26. Welche deutschen Unternehmen waren nach Kenntnis der Bundesregierung
bei der Rüstungsmesse IDEX 2011, die vom 17. bis 21. Februar 2011 mit
einem deutschen Pavillon in Abu Dhabi stattfand, als Aussteller beteiligt,
und welche Kenntnisse hat sie über die in diesem Rahmen abgeschlossenen
oder begründeten Verträge deutscher Rüstungsunternehmen?

27. Welche deutschen Unternehmen waren nach Kenntnis der Bundesregierung
bei der Messe für Sicherheitstechnik und IT, Intersec, die vom 16. bis 18. Ja-
nuar 2011 in Dubai stattfand, als Aussteller beteiligt, und welche Kenntnisse
besitzt sie über in deren Rahmen abgeschlossene oder begründete Verträge
mit deutschen Unternehmen?

28. Sind der Bundesregierung Beweise für die Behauptungen des bahraini-
schen Königshauses bekannt, wonach die Proteste in Bahrain vom Iran „ge-

steuert“ seien, und wie bewertet sie solche Behauptungen, wonach es sich
bei den Protesten um den Vollzug eines „ausländischen Plans“ handle?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5 – Drucksache 17/5430

29. Wie bewertet die Bundesregierung die Stellungnahmen der Regierung des
Iran zur Intervention des GCC in Bahrain und der daran anschließenden
Ausweisung des iranischen Botschafters aus Bahrain?

30. Wie bewertet die Bundesregierung den in EU-Kreisen vorgebrachten Vor-
schlag, den Führer der islamistischen Islah-Partei Hamid al-Ahmar als
möglichen zukünftigen Präsidenten des Jemen zu unterstützen?

Berlin, den 8. April 2011

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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