BT-Drucksache 17/5429

Abschiebungen nach Syrien und das Vorgehen der syrischen Sicherheitskräfte gegen Demonstrierende

Vom 8. April 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/5429
17. Wahlperiode 08. 04. 2011

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Sevim Dag˘delen, Petra Pau, Jens Petermann,
Frank Tempel und der Fraktion DIE LINKE.

Abschiebungen nach Syrien und das Vorgehen der syrischen Sicherheitskräfte
gegen Demonstrierende

Seit Beginn des Jahres 2009 ist ein so genanntes Rückübernahmeabkommen
zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Syrien in Kraft. Darin ver-
pflichten sich beide Seiten, eigene Staatsangehörige zurückzunehmen, die sich
ohne die erforderlichen Papiere im Gebiet des anderen Staates aufhalten. Es ist
davon auszugehen, dass das Abkommen ausschließlich in eine Richtung ange-
wandt wird, nämlich zur Durchsetzung bestehender Ausreisepflichten syrischer
Staatsangehöriger. Einbezogen sind allerdings auch Staatenlose aus Syrien, in
erster Linie Kurdinnen und Kurden.

Mittlerweile hat die Welle des Protests gegen die Machthaber arabischer Staaten
auch Syrien erfasst. Bei Protesten gegen die Regierung wurden nach unter-
schiedlichen Angaben 20 bis über 100 Menschen von Sicherheitskräften getötet.
Das Aufgebot der Armee in Städten, in denen es zu Protesten kam, wurde auf-
gestockt. Zugleich hat der syrische Präsident Bashar al-Assad die Aufhebung
der Notstandsgesetze von 1963 beschlossen, aber zum derzeitigen Zeitpunkt
noch nicht umgesetzt; damit würde die Einschränkung einiger bürgerlicher
Rechte in Syrien aufgehoben. Die Zulassung politischer Parteien werde geprüft,
wie eine Sprecherin der Regierung erklärte.

Trotz dieser undurchsichtigen Lage und der Unklarheit über die weitere innere
Entwicklung in Syrien werden Staatsangehörige und Staatenlose aus Deutsch-
land nach Syrien abgeschoben. Zuletzt war davon Bahran Mho betroffen, der
nach elf Jahren Aufenthalt in Deutschland (Landshut) nach Syrien abgeschoben
wurde. Er war in der Initiative „Netzwerk Abschiebestopp Syrien“ aktiv. Von
diesem Netzwerk wird regelmäßig auf die schlechte Menschenrechtssituation
in Syrien aufmerksam gemacht. Mho hatte in Deutschland ein Asylverfahren
betrieben. Ihm droht wegen dieses Asylantrags und seiner politischen Betä-
tigung Anklage gemäß § 287 des syrischen Strafgesetzbuchs, der das Verbrei-
ten von falschen Informationen über Syrien im Ausland unter Strafe stellt. Als
solche „falsche Informationen“ gelten insbesondere Berichte über Folter und
Misshandlungen.
Wir fragen die Bundesregierung:

1. Für wie viele Personen wurden in den Jahren 2009, 2010 und 2011 die Ab-
schiebung bzw. „Rückführung“ nach Syrien angemeldet (bitte nach Bundes-
ländern und Jahren sowie nach syrischen Staatsangehörigen und Staaten-
losen getrennt angeben)?

Drucksache 17/5429 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

2. Wie viele der Personen, für die im genannten Zeitraum eine Abschiebung
bzw. „Rückführung“ angemeldet wurde, befanden sich zum Zeitpunkt der
Anmeldung seit mehr als sechs bzw. zehn Jahren in Deutschland (bitte nach
Bundesländern und Jahren für syrische Staatsangehörige und Staatenlose
getrennt angeben)?

3. Wie viele der Personen, für die im genannten Zeitraum eine Abschiebung
bzw. „Rückführung“ angemeldet wurde, waren zum Zeitpunkt der Anmel-
dung noch nicht volljährig, wie viele lebten seit mehr als sechs bzw. zehn
Jahren in Deutschland (bitte nach Bundesländern und Jahren für syrische
Staatsangehörige und Staatenlose getrennt angeben)?

4. Für wie viele Personen haben die syrischen Behörden in den Jahren 2009,
2010 und 2011 Pässe oder Passersatzpapiere ausgestellt (bitte nach Jahren
getrennt angeben für syrische Staatsangehörige und Staatenlose)?

5. Wie viele Personen wurden 2009, 2010 und 2011 zur Identitätsfeststellung
der syrischen Botschaft oder sonstigen Vertretern Syriens vorgeführt oder
dorthin einbestellt (bitte nach Bundesländern und Jahren getrennt angeben
für syrische Staatsangehörige und Staatenlose)?

6. Wie viele Personen wurden 2009, 2010 und 2011 nach Syrien abgeschoben,
und in wie vielen dieser Fälle (jeweils nach Bundesländern und Jahren) er-
folgte die Abschiebung im Rahmen des deutsch-syrischen Rückübernah-
meabkommens (bitte nach Jahren getrennt angeben für syrische Staatsange-
hörige und Staatenlose)?

7. Wie viele der abgeschobenen bzw. überstellten Personen hielten sich zum
Zeitpunkt ihrer Abschiebung mehr als sechs bzw. zehn Jahre in Deutsch-
land auf (bitte nach Bundesländern und Jahren getrennt angeben für syri-
sche Staatsangehörige und Staatenlose)?

8. In wie vielen Fällen in den Jahren 2009, 2010 und 2011 hat die syrische
Seite nach dem Stellen eines Übernahmegesuchs nicht innerhalb der ver-
traglich geregelten Frist von 60 Tagen geantwortet, so dass die deutsche
Seite von einer „Zustimmungsfiktion“ ausgehen konnte (bitte nach Jahren
und syrische Staatsangehörigkeit/Staatenlosigkeit getrennt angeben)?

9. Wie viele ausreisepflichtige bzw. geduldete syrische Staatsangehörige bzw.
Staatenlose aus Syrien (bitte jeweils differenzieren) leben derzeit in der
Bundesrepublik Deutschland (bitte auch nach Bundesländern und nach
Aufenthalt seit über sechs Jahren differenzieren)?

10. Was ist der Bundesregierung zum Verbleib der Familie Cindo bekannt, die
am 8. Oktober 2010 nach Syrien abgeschoben und dort für zwei Wochen
inhaftiert wurde, obwohl die Mutter der Familie zuckerkrank ist?

11. Was ist der Bundesregierung zum derzeitigen Aufenthaltsstatus und dem
Schicksal von Khalid Kenjo bekannt, der nach seiner Abschiebung nach
Syrien inhaftiert und gefoltert wurde und im Juli 2010 aus Syrien wieder
nach Deutschland fliehen konnte, und welche Konsequenzen hat die Bun-
desregierung aus diesem Fall gezogen?

12. Wie können syrische Geheimdienste in den Besitz der Asylakte (oder Teile
davon) von Personen gelangen, die nach Syrien abgeschoben worden sind
und denen dort in Verfahren nach § 287 des syrischen Strafgesetzbuchs
Aussagen ihrer Asylakte entgegengehalten werden, um eine Anklage nach
diesem Paragrafen zu begründen und unter Folter die Leugnung der dort
angegebenen Verfolgungsgründe zu erzwingen, wie im Fall Khalid Kenjo
geschehen?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/5429

13. Was ist der Bundesregierung zum Verbleib und weiteren Schicksal von
Badir und Anuar Naso bekannt, die am 1. Februar 2011 aus Hildesheim
abgeschoben und danach 10 bzw. 31 Tage in Syrien in Haft waren?

Was ist der Bundesregierung zum Status der in Deutschland verbliebenen
Familienmitglieder bekannt?

14. Was ist der Bundesregierung zum Verbleib und weiteren Schicksal von
Khalid Hasan bekannt, der am 27. Juli 2010 zusammen mit seiner Familie
aus Essen abgeschoben und am Flughafen Damaskus verhaftet wurde und
der zumindest im September 2010 noch in Haft gewesen sein soll (Bundes-
tagsdrucksache 17/3365, Antwort zu Frage 13)?

15. Sind der Bundesregierung weitere Fälle bekannt, in denen es nach der An-
kunft in Syrien zu asylrelevanten Handlungen gegen Abgeschobene ge-
kommen ist, welche Schlussfolgerungen hat die Bundesregierung hieraus
gezogen, und was unternimmt sie üblicherweise bei Bekanntwerden solcher
Fälle?

16. Ist der Bundesregierung insbesondere der Fall eines aus Dänemark am
9. Februar 2011 abgeschobenen Syrers bekannt, der nach seiner Ankunft
schweren Misshandlungen ausgesetzt war und von den dänischen Beamten
wieder mit nach Dänemark genommen wurde?

Welche Schlussfolgerungen hat die Bundesregierung ggf. aus diesem Fall
gezogen?

17. Was ist der Bundesregierung zum Verbleib und weiteren Schicksal des
Deutsch-Syrers Ismail Abdi bekannt, der am 23. September 2010 von syri-
schen Sicherheitskräften bei einem Besuch des Landes inhaftiert wurde,
und bis Dezember 2010 noch nicht aus der Haft entlassen war (vgl. Bun-
destagsdrucksache 17/3811)?

18. Was ist der Bundesregierung zum Verbleib und weiteren Schicksal von
Ayid Hawa Silo bekannt, der am 13. September 2010 bei seiner Einreise
nach Syrien von Sicherheitskräften festgenommen und in das Gefängnis
von Adra gebracht wurde?

19. Welche Artikel des syrischen Strafgesetzbuchs würden nach Kenntnis der
Bundesregierung nicht mehr weitergelten, wenn das Notstandsgesetz auf-
gehoben würde?

20. Rechnet die Bundesregierung mit einer zügigen Auflösung der Einrichtun-
gen des syrischen Staates, die regelmäßig für Menschenrechtsverstöße ver-
antwortlich sind, wie der Staatssicherheitsdienst und die Militärgerichte?

Welchen Anlass zur Hoffnung auf eine Verbesserung der menschenrecht-
lichen Lage in Syrien sieht die Bundesregierung?

21. Welche Rechte des internationalen Pakts über die bürgerlichen und politi-
schen Rechte (Zivilpakt) gelten nach Kenntnis der Bundesregierung auch
nach Aufhebung des Notstands in Syrien weiterhin nicht oder nur einge-
schränkt?

22. Welche Gruppen (ethnisch, religiös, etc.) werden auch nach Aufhebung des
Notstandes von einer Einschränkung ihrer zivilen und politischen Rechte
betroffen sein, etwa weil sie trotz dauerhaften Aufenthalts in Syrien keine
Staatsangehörigen werden können (Kurden, Palästinenser)?

Berlin, den 8. April 2011
Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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