BT-Drucksache 17/5351

Straf- und Ermittlungsverfahren nach §§ 129 und 129a StGB vor 1980

Vom 4. April 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/5351
17. Wahlperiode 04. 04. 2011

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Frank Tempel, Jens Petermann und der Fraktion
DIE LINKE.

Straf- und Ermittlungsverfahren nach den §§ 129 und 129a des Strafgesetzbuchs
vor 1980

Der seit August 1976 bestehende § 129a des Strafgesetzbuchs (StGB) (Mitglied-
schaft, Werbung und Unterstützung einer „terroristischen Vereinigung“) ist
ebenso wie der § 129 StGB („kriminelle Vereinigung“) umstritten. Strafvertei-
diger-Vereinigungen, Menschen- und Bürgerrechtsgruppen fordern seit Jahren
die ersatzlose Abschaffung dieses Strafparagrafen. Seit 1988 wurde die Anwen-
dung dieser Paragrafen ab dem Jahr 1980 durchgängig im Deutschen Bundestag
abgefragt. Eine Antwort der Bundesregierung auf eine erste diesbezügliche
Kleine Anfrage der Fraktion Die Grünen (Bundestagsdrucksache 11/2774)
nennt für die Zeit vor 1980 eine Studie des Bundesministeriums der Justiz –
BMJ (Blath/Hobe: Strafverfahren gegen linksterroristische Straftäter und ihre
Unterstützer, BMJ 1982), die jedoch nur die Verurteiltenzahlen auflistet. Weil
sich die §§ 129 und 129a StGB aller Erkenntnis nach durch eine massive Einlei-
tung von Verfahren bei vergleichsweise wenigen Verurteilungen auszeichnen,
käme es für die Bewertung des Komplexes politischer Justiz sowohl für die Zeit
der Kommunistenverfolgung der 50er- und 60er-Jahre als auch nach Wegfall des
klassischen Staatsschutzrechts von 1968 bis 1979 gerade auf die Einstellungs-
quote solcher Verfahren an.

Wir fragen die Bundesregierung:

I. Zum Komplex Strafverfahren wegen „linksterroristischer“ und hiermit in un-
mittelbaren Zusammenhang stehender Straftaten (inkl. Unterstützung und
Werbung) vor 1980 (bitte nach Jahren aufschlüsseln)

1. a) Wie viele Ermittlungsverfahren gegen wie viele Beschuldigte wurden we-
gen derartiger Taten entweder vom Generalbundesanwalt eingeleitet oder
von den einleitenden Länder-Staatsanwalten an diesen abgegeben?

b) In wie vielen Fällen wurde gegen wie viele Beschuldigte (nur/auch) nach
§ 129a StGB ermittelt?

c) In wie vielen Verfahren wurde gegen wie viele Beschuldigte (nur/auch)
nach § 129a StGB ermittelt?
d) In wie vielen Fällen hiervon lautete der Vorwurf jeweils „Unterstützung“
einer terroristischen Vereinigung bzw. „Werbung“ für eine terroristische
Vereinigung?

e) Wie viele der von der Bundesanwaltschaft eingeleiteten Verfahren wurden
später wieder an die Länder-Staatsanwaltschaften abgegeben?

f) Wie viele der in den Buchstaben a bis d Beschuldigten waren

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aa) jünger als 20 Jahre,

bb) zwischen 20 und 30 Jahre alt,

cc) zwischen 30 und 40 Jahre alt,

dd) älter als 40 Jahre?

g) In wie vielen dieser Fälle erfolgte

aa) ein Versuch der Anwerbung bzw. des Einsatzes von V-Leuten,

bb) der Einsatz von Verdeckten Ermittlern,

cc) ein Versuch zur Gewinnung von Kronzeugen gegen die Beschuldig-
ten,

dd) die Überwachung der Telekommunikation oder Post der Beschuldig-
ten und ihres Umfeldes?

h) Wie viele Personen, Telekommunikationsanschlüsse bzw. Postadressen
waren von den unter Doppelbuchstabe cc genannten Maßnahmen betrof-
fen (bitte aufschlüsseln)?

i) Wie viele Hausdurchsuchungen fanden im Rahmen dieser Ermittlungsver-
fahren statt, wie viele Haushalte/Personen waren davon betroffen, und
was wurde beschlagnahmt?

2. In wie vielen Fällen wurde gegen wie viele Personen insgesamt Untersu-
chungshaft verhängt,

a) davon mit Haftgrund (§ 112 Absatz 2 der Strafprozessordnung – StPO),

b) mit Haftgrund nach § 112 Absatz 3 StPO,

c) wie lange dauerte jeweils die Untersuchungshaft (Monate/über ein Jahr),

d) wie viele der Betroffenen wurden später freigesprochen, zu Geldstrafe, zu
Freiheitsstrafe auf Bewährung und zu Freiheitsstrafe ohne Bewährung
(Jahre/Monate) verurteilt,

e) wie viele der Betroffenen unter den Buchstaben a bis d waren

aa) jünger als 20 Jahre alt,

bb) 20 bis 30 Jahre alt,

cc) 30 bis 40 Jahre alt,

dd) über 40 Jahre alt?

3. a) In wie vielen Fällen kam es zur Einstellung der Ermittlungsverfahren
durch die Staatsanwaltschaft insgesamt?

b) In wie vielen Fällen davon waren jeweils ausschließlich bzw. auch nach
§ 129a StGB geführte Verfahren betroffen?

c) Wie viele dieser Verfahren fußten jeweils auf dem Vorwurf der Mitglied-
schaft, Unterstützung oder Werbung (bitte aufschlüsseln nach unter den
Fragen 1 und 2 genannten Arbeitsgruppen)?

4. a) In wie vielen Fällen erfolgte insgesamt Anklage?

b) Gegen wie viele Angeklagte wurde Anklage erhoben?

c) In wie vielen Fällen gegen wie viele Angeklagte wurde jeweils

aa) nur nach § 129a StGB angeklagt,

bb) auch nach § 129a StGB angeklagt?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/5351

d) Wie viele Verfahren gegen wie viele Angeklagte jeweils betrafen in den
beiden letztgenannten Kategorien jeweils die Kategorie Mitgliedschaft,
Unterstützung, Werbung?

5. a) In wie vielen Fällen wurden die Anklagen zu gelassen und das Hauptver-
fahren eröffnet?

b) Mit welchen Abweichungen, insbesondere bezüglich des Vorwurfs nach
§ 129a StGB?

c) In wie vielen Fällen kam es aus welchen Gründen zu gerichtlichen Einstel-
lungen?

6. a) Wie viele Urteile gegen wie viele Personen sind ergangen (unterschieden
nach rechtskräftig/nicht rechtskräftig)?

b) Wie viele Freisprüche gab es?

c) Wie viele Verurteilungen erfolgten insgesamt?

aa) Wie viele Verurteilungen erfolgten jeweils nur oder auch nach § 129a
StGB?

bb) Wie viele der unter Doppelbuchstabe aa genannten Verurteilungen
erfolgten jeweils wegen Mitgliedschaft, Unterstützung, Werbung?

d) Bei wie vielen dieser Verurteilungen wurde eine Geldstrafe verhängt?

e) Wie häufig wurde Jugendstrafe wegen welcher Strafnormen verhängt?

f) Wie viele Freiheitsstrafen wurden wegen welcher Strafnormen verhängt?

aa) Wie hoch war die Strafdauer?

bb) In wie vielen Fällen davon mit Bewährung?

g) In wie vielen Fällen führte verminderte Schuldfähigkeit zu einer Strafmil-
derung?

h) Wie verteilten sich die in den Urteilen festgestellten Deliktgruppen pro-
zentual entsprechend der Unterscheidung in Blath/Hobe: „Strafverfahren
gegen linksterroristische Straftäter und ihre Unterstützer (1971 bis 1979/
80)“, Bonn 1984, S. 8 ff. (Anschläge, gruppenbezogene Handlungen, Un-
terstützungshandlungen)?

7. In wie vielen Fällen wurden insgesamt Rechtsmittel eingelegt,

a) welche,

b) von wem (Staatsanwalt/Verteidigung),

c) jeweils mit welchem Erfolg?

8. In wie vielen Fällen wurden Verteidiger von der Wahrnehmung der Verteidi-
gung vom Gericht ausgeschlossen, und mit welcher Begründung?

9. In wie vielen Fällen wurden gemäß Frage 6 verurteilte Strafgefangene mit
welchem Strafmaß insgesamt vorzeitig aus der Haft entlassen,

a) nach welchen Vorschriften bzw. aufgrund welchen Akts,

b) nach Verbüßung welcher Strafzeit?

10. Welche materiellen Sachschäden, berufliche Schäden sind Betroffenen die-
ser Ermittlungsverfahren, gegen die im späteren Gang der Ermittlungen das
Verfahren entweder eingestellt wurde oder die freigesprochen wurden, bei
diesen Razzien, Observationen, Hausdurchsuchungen etc. entstanden?

11. Wie lange werden die Daten der in diesen Ermittlungsverfahren erfassten

Beschuldigten wo aufbewahrt?

Drucksache 17/5351 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
12. Wie ist der Umgang mit personenbezogenen Daten aus Dateien und Datei-
verbünden, die der Verdachtsgewinnung (im Rahmen der Gefahrenabwehr)
dienen, insbesondere freigesprochene Beschuldigte betreffend?

II. Wie lauten die entsprechenden Antworten zu den Fragen I.1 bis I.10, bezo-
gen auf den Komplex Strafverfahren wegen „rechtsterroristischer“ und hier-
mit in unmittelbarem Zusammenhang stehender Straftaten vor 1980 (bitte
nach den Jahren einzeln aufschlüsseln)?

III. Wie lauten die entsprechenden Antworten zu den Fragen I und II, bezogen
auf die an die Länder abgegebenen und dort fortgeführten Strafverfahren
(ausdrücklich in Kenntnis und unter Berücksichtigung der nur teilweisen
Rückmeldungen aus den Ländern)?

IV. Wie lauten die Antworten zu den Fragen des Komplexes I, bezogen auf Ver-
fahren gemäß § 129 StGB (kriminelle Vereinigung)

1. insgesamt,

2. politischen Inhalts, insoweit als in diesen durch die politischen Abteilungen
der Staatsanwaltschaften bzw. durch den Generalbundesanwalt ermittelt und/
oder vor einer Staatsschutzkammer verhandelt wurde?

Berlin, den 1. April 2011

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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