BT-Drucksache 17/5293

Pressefreiheit in der Türkei

Vom 25. März 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/5293
17. Wahlperiode 25. 03. 2011

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Sevim Dağdelen, Katrin Werner, Heike Hänsel, Dr. Diether
Dehm, Annette Groth, Andrej Hunko, Harald Koch, Alexander Ulrich und
der Fraktion DIE LINKE.

Pressefreiheit in der Türkei

In seiner Entschließung vom 9. März 2011 zu dem Fortschrittsbericht 2010 über
die Türkei bringt das Europäische Parlament seine Sorge „über die Verschlech-
terung der Pressefreiheit, einige Zensurmaßnahmen und die zunehmende Selbst-
zensur in den türkischen Medien“ zum Ausdruck. Es fordert darin die türkische
Regierung auf, die Grundsätze der Pressefreiheit zu wahren. In der Entschließung
wird ferner auf die Notwendigkeit eines neuen Mediengesetzes hingewiesen,
welches unter anderem Fragen der Unabhängigkeit, der Eigentumsrechte und der
Verwaltungskontrolle regeln solle.
Diese geäußerten Sorgen im Fortschrittsbericht 2010 hinsichtlich der Presse-
und Meinungsfreiheit in der Türkei werden von der Verhaftungswelle gegen
Journalistinnen und Journalisten in den letzten Wochen bestätigt. Am 3. März
2011 wurden Nedim Şener, Ahmet Şık und andere Journalistinnen und Journa-
listen festgenommen. Zuvor waren am 15. Februar 2011 Journalisten und Re-
dakteure des Internetportals „Oda TV“ verhaftet worden.
Die jüngste Verhaftungswelle gegen Journalistinnen und Journalisten rief in-
ternationale Kritik hervor. Die Medienbeauftragte der Organisation für Si-
cherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), Dunja Mijatović, forderte
die türkischen Behörden auf, „sofort die Einschüchterung und Bedrohung von
Journalisten zu stoppen und die verhafteten Journalisten sofort freizulassen“
(www.sabah.com.tr/Gundem/2011/03/05/gazeteciler_gozaltilari_protesto_icin_
yurudu). Auch das US-Außenministerium äußerte sich besorgt, und EU-Kom-
missar für Erweiterung und Europäische Nachbarschaftspolitik, Štefan Füle,
warnte die türkische Regierung vor massiven Verletzungen der Meinungsfrei-
heit. Die Vorsitzende des Unterausschusses für Menschenrechte des Euro-
paparlaments, Hélène Flautre, bewertete den Vorwurf der türkischen Staats-
anwaltschaft, die verhafteten Journalistinnen und Journalisten hätten Verbin-
dungen zu der politischen Organisation Ergenekon, als höchst unglaubwürdig
(www.cnnturk.com/2011/dunya/03/04/abd.ve.ab.ergenekon.dalgasindan.endiseli/
608843.0/). Im jährlichen Pressefreiheitsranking der Organisation „Reporter
ohne Grenzen“ fiel die Türkei von einem schlechten 100. Platz im Jahre 2006
auf Rang 138 von insgesamt 178 Staaten im Jahre 2010.
Auch in der Türkei werden die Repressionen gegen Journalistinnen und Journa-
listen mit Sorge verfolgt. Die „Plattform Freiheit für Journalisten“, in der sich
85 Gewerkschaften und Berufsverbände von Journalistinnen und Journalisten
zusammengeschlossen haben, sieht in den Verhaftungen einen offensichtlichen
Verstoß gegen Presse- und Meinungsfreiheit. Nach ihren Angaben sind derzeit

Drucksache 17/5293 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

in der Türkei 61 Journalistinnen und Journalisten inhaftiert. Gegen ca. 2 000
werden Strafprozesse geführt und die Zahl laufender Ermittlungsverfahren be-
läuft sich auf knapp 4 000. Die „Plattform“ fordert, diese Repressionen unver-
züglich zu beenden und die verhafteten Journalistinnen und Journalisten freizu-
lassen.
Nach Auffassung der türkischen Regierung sind diese Zahlen jedoch Propa-
ganda. Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan wies die Kritik
des US-Botschafters in Ankara an der Verfolgung kritischer Journalistinnen und
Journalisten mit den Worten zurück, in der Türkei gebe es mehr Pressefreiheit als
in den USA (www.taz.de/1/leben/medien/artikel/1/abgeholt-und-festgehalten/).
Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan, der den Fortschrittsbericht als „welt-
fremd“, „bestellt“ und „unausgewogen“ bezeichnete, beziffert die Zahl der der-
zeit inhaftierten Journalistinnen und Journalisten auf 27. Keiner von ihnen sei
jedoch wegen Verstößen gegen Pressegesetze in Haft.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Teilt die Bundesregierung die Feststellung des Europäischen Parlaments

über die Verschlechterung der Pressefreiheit in der Türkei?
Wenn ja, hat sie diese Besorgnis nach der jüngsten Verhaftungswelle gegen
Journalisten gegenüber der türkischen Regierung geäußert?

2. Teilt die Bundesregierung die Forderung des Europäischen Parlaments an
die Türkei, die Grundsätze der Pressefreiheit zu wahren?
Wenn ja, welche konkreten Schritte müssen ihrer Ansicht nach dafür unter-
nommen werden?

3. Schließt sich die Bundesregierung der Warnung des EU-Kommissars für Er-
weiterung und Europäische Nachbarschaftspolitik, Štefan Füle, vor massi-
ven Verletzungen der Meinungsfreiheit in der Türkei an?
Wenn ja, wann und in welcher Form hat sie diese Warnung an die türkischen
Regierungsvertreter herangetragen bzw. gedenkt sie dies zu tun?

4. Welche konkreten Schritte wurden für den Schutz der Pressefreiheit in der
Türkei unternommen, nachdem der Beauftragte der Bundesregierung für
Menschenrechtspolitik und Humanitäre Hilfe im Auswärtigen Amt, Markus
Löning, seine Besorgnis über die jüngste Verfahrenswelle gegen Journalis-
ten in der Türkei geäußert hat und erklärte, es dürfe kein Zweifel daran auf-
kommen, dass Pressefreiheit und freie Berufsausübung von Journalisten
durch die türkische Regierung aktiv geschützt werden muss?

5. Hat die Bundesregierung konkrete Schritte unternommen, um die Freilas-
sung von verhafteten Journalisten zu erwirken?
Wenn ja,
a) welche, und
b) wie hat die türkische Regierung darauf reagiert?

6. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über die Zahl
a) der inhaftierten bzw. verurteilten Journalistinnen und Journalisten in der

Türkei,
b) der gegen Journalistinnen und Journalisten anhängigen Strafverfahren so-

wie über die erhobenen Vorwürfe,
c) der gegen Journalistinnen und Journalisten laufenden Ermittlungsverfah-

ren und über die Gründe, für deren Einleitung?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/5293

7. Inwieweit teilt die Bundesregierung die Sorge, dass unter dem Vorwand, gegen
vermeintliche Putschisten zu ermitteln, oppositionelle Autorinnen und Auto-
ren, Journalistinnen und Journalisten und Satiriker und Satirikerinnen bedroht
werden, wie Ahmet Abakay, Vorsitzender des Verbandes der zeitgenössischen
Journalisten meint (taz.de/1/leben/medien/artikel/1/abgeholt-und-festgehalten/)?

8. Inwieweit ist die Bundesregierung der Ansicht, dass sich die Verschlechte-
rung der Pressefreiheit in der Türkei konkret auf die EU-Beitrittsverhand-
lungen mit der Türkei auswirken müssen?

Berlin, den 24. März 2011

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.