BT-Drucksache 17/525

Syrien - Abschiebungen beenden, politischen Dialog fortführen

Vom 26. Januar 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/525
17. Wahlperiode 26. 01. 2010

Antrag
der Abgeordneten Christoph Strässer, Dr. Rolf Mützenich, Edelgard Bulmahn,
Dagmar Freitag, Günter Gloser, Angelika Graf (Rosenheim), Wolfgang Gunkel,
Hans-Ulrich Klose, Daniela Kolbe (Leipzig), Ute Kumpf, Ullrich Meßmer, Thomas
Oppermann, Johannes Pflug, Franz Thönnes, Rüdiger Veit, Heidemarie Wieczorek-
Zeul, Uta Zapf, Dr. Frank-Walter Steinmeier und der Fraktion der SPD

Syrien – Abschiebungen beenden, politischen Dialog fortführen

Der Bundestag wolle beschließen:

I . Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die Arabische Republik Syrien spielt eine wesentliche Rolle in der von Span-
nungen und Kriegen geprägten Nahostregion. Eine Regelung der Konflikte im
Nahen Osten ist ohne eine konstruktive Mitarbeit Syriens nicht möglich. Um so
wichtiger ist, dass sich in jüngster Zeit die Stellung des Landes in der interna-
tionalen Politik verbessert hat. Die Aufnahme diplomatischer Beziehungen
zum Nachbarland Libanon und die Bereitschaft, mit den USA und mit Israel zu
verhandeln, signalisieren erste Schritte einer konstruktiven Zusammenarbeit
Syriens mit der internationalen Gemeinschaft. Das Verhältnis zum Nachbarland
Irak ist dagegen weiter angespannt; mit 1,4 Millionen irakischen Flüchtlingen
trägt Syrien die Hauptlast in der Region. Durch die Teilnahme an der Nahost-
konferenz in Annapolis 2007 und die Einladung von Präsident Baschar al-Assad
zum Gipfel der Mittelmeerunion 2008 nach Paris haben sich die diplomatischen
Beziehungen zwischen Syrien und den westlichen Staaten weiter verbessert. Das
Land nimmt an Programmen der Europäischen Nachbarschaftspolitik teil und ist
politischer Partner im so genannten Barcelona-Prozess der EU mit den Mittel-
meeranrainern. Die Verhandlungen über ein Assoziationsabkommen mit der EU
sind zwar abgeschlossen, die ursprünglich für Ende Oktober 2009 geplante
Zeichnung wurde von Syrien jedoch verschoben. Schwieriger Verhandlungs-
punkt war die Frage der Menschenrechte.

Die außenpolitische Öffnung Syriens gegenüber dem Westen geht innen-
politisch mit einer äußerst harten Linie gegenüber Andersdenkenden und An-
gehörigen von Minderheiten einher, welche die staatliche Einheit vermeintlich
gefährden. Deshalb hat die Bundesregierung Mitte Dezember 2009 in einem
Rundschreiben die Bundesländer aufgefordert, Rückführungen illegal aufhälti-
ger Personen nach Syrien mit besonderer Sorgfalt zu prüfen. Zugleich wurde
das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge gebeten, vorerst keine Asyl-

anträge mehr als offensichtlich unbegründet abzulehnen und Entscheidungen
über Folgeanträge zurückzustellen. Aktueller Anlass dieser Maßnahmen war,
dass in drei Fällen abgeschobene Personen unmittelbar bei der Einreise nach
Syrien bzw. kurz danach verhaftet worden waren. Dem Rundschreiben zufolge
soll das künftige Vorgehen mit Flüchtlingen aus Syrien von einer aktualisierten
Lagebewertung Syriens durch das Auswärtige Amt abhängig gemacht werden.

Drucksache 17/525 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Die Empfehlung der Bundesregierung, zurückhaltend mit Abschiebungen nach
Syrien zu verfahren, bedeutet zugleich, dass das „Abkommen zwischen der
Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Arabischen
Republik Syrien über die Rückführung von illegal aufhältigen Personen“
(Rückübernahmeabkommen) teilweise ausgesetzt wird. Das erst im Januar
2009 in Kraft getretene Abkommen ist das erste, das mit einem Staat im Nahen
Osten geschlossen worden ist. Von den etwa 7 000 vom Abkommen betrof-
fenen Ausreisepflichtigen wurden im ersten Halbjahr 2009 43 Personen von
Deutschland nach Syrien zurückgeführt. Unter den Ausreisepflichtigen sind
viele Kurden – unter ihnen auch Staatenlose, die ebenfalls unter die Regelun-
gen des Abkommens fallen. Von einer möglichen Rückführung betroffen sind
auch staatenlose Palästinenser und Angehörige religiöser Minderheiten.

Die Menschenrechte, allen voran das Recht auf Meinungsfreiheit, werden in
Syrien massiv verletzt; Menschenrechtsverteidiger und politische Oppositio-
nelle werden schikaniert, bedroht, inhaftiert und gefoltert. Kurden als größte
ethnische Minderheit und insbesondere staatenlose Kurden leiden unter zahlrei-
chen Diskriminierungen. Politisch aktive Kurden werden systematisch verfolgt.
Die seit 1963 geltenden Notstandsgesetze geben den mächtigen Sicherheits-
diensten umfassende Befugnisse, um mit aller Härte gegen missliebige Perso-
nen vorzugehen.

Diese äußerst kritische Menschenrechtslage in Syrien spiegelt sich auch im
Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 9. Juli 2009 wider. Der kurze aktuelle
Ad-hoc-Ergänzungsbericht vom 22. Dezember 2009 bezieht sich auf den Inhalt
des Hauptberichts und schildert als „neuere Erkenntnisse über die Behandlung
von Rückkehrern“ die drei oben genannten Verhaftungsfälle. Während die Be-
troffenen in zweien dieser Fälle – darunter eine fünfköpfige Familie – wieder
frei sind, droht dem am 13. September 2009 inhaftierten Khalid Kenjo eine
Verurteilung wegen Verbreitung falscher Nachrichten über den syrischen Staat
im Ausland. Der Angeklagte soll in Deutschland an einer Demonstration gegen
das bilaterale Rückübernahmeabkommen teilgenommen haben. Der neue Be-
richt des Auswärtigen Amts, der Grundlage für die Entscheidung des Innen-
ministeriums und der Ausländerbehörden über das weitere Vorgehen sein soll,
bestätigt damit die Berichte von Menschenrechtsorganisationen und Medien
über die Verhaftung abgeschobener Rückkehrer.

Die gegenwärtige Menschenrechtslage in Syrien muss zwingend dazu führen,
dass ein Abschiebestopp erlassen und das bilaterale Rückübernahmeabkommen
von Deutschland gekündigt wird. Die willkürliche Verhaftung von Rückkeh-
rern und die mangelnde Kooperationsbereitschaft der syrischen Seite gegen-
über dem Auswärtigen Amt bei dessen Nachforschungen nach dem Verbleib
der Rückkehrer widersprechen dem in Artikel 9 Absatz 1 und 2 des Abkom-
mens vereinbarten Grundsatz vertrauensvoller Zusammenarbeit. Nach Artikel 11
Absatz 3 ist eine Kündigung jederzeit durch Notifikation möglich.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. den Öffnungsprozess Syriens gegenüber den Nachbarländern der Region und
der internationalen Gemeinschaft weiterhin zu unterstützen, um einer Stabili-
sierung der Region und einer tragfähigen Regelung des Nahostkonflikts
näherzukommen;

2. sich bilateral und auf EU-Ebene für eine Verbesserung der Menschenrechts-
lage in Syrien sowie für die Freilassung politischer Gefangener einzusetzen;

3. gemeinsam mit den EU-Partnern das Angebot an Syrien zur Zeichnung des
Assoziationsabkommens – inklusive der zusätzlichen Menschenrechtserklä-

rung – aufrechtzuerhalten;

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/525

4. gegenüber den Bundesländern darauf hinzuwirken, dass bei syrischen Staats-
angehörigen sowie bei für Syrien bestimmten Staatenlosen Abschiebungen
gemäß § 60a des Aufenthaltsgesetzes solange ausgesetzt werden, bis sich die
Menschenrechtslage in Syrien erkennbar verbessert hat;

5. sich für Khalid Kenjo einzusetzen sowie über die deutsche Vertretung vor Ort
das Gerichtsverfahren zu begleiten und mit anderen gefährdeten Rückkehrern
in Kontakt zu bleiben;

6. das deutsch-syrische Rückübernahmeabkommen zu kündigen.

Berlin, den 26. Januar 2010

Dr. Frank-Walter Steinmeier und Fraktion

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