BT-Drucksache 17/5185

Stärkung der Gemeinschaftsaufgabe "Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" - Finanzierung langfristig sichern

Vom 23. März 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/5185
17. Wahlperiode 23. 03. 2011

Antrag
der Abgeordneten Doris Barnett, Andrea Wicklein, Manfred Nink, Garrelt Duin,
Hubertus Heil (Peine), Klaus Barthel, Martin Dörmann, Petra Ernstberger,
Peter Friedrich, Iris Gleicke, Rolf Hempelmann, Ute Kumpf, Thomas Oppermann,
Wolfgang Tiefensee, Dr. Frank-Walter Steinmeier und der Fraktion der SPD

Stärkung der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen
Wirtschaftsstruktur“ – Finanzierung langfristig sichern

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die wirtschaftliche Entwicklung in unserem Land hat von der Bund-Länder-Ge-
meinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ sehr
profitiert. Dieses Instrument hat in strukturschwachen Regionen maßgeblich mit
dazu beigetragen, dass Wirtschaftswachstum generiert und durch gezielte Inves-
titionen neue Arbeitsplätze geschaffen werden konnten.

Dass die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruk-
tur“ (GRW) ein Erfolgsmodell ist, belegen eindeutige Indikatoren: Im Dreijah-
reszeitraum 2007 bis 2009 wurden mit 4,1 Mrd. Euro GRW-Mitteln von Bund
und Ländern ca. 26,2 Mrd. Euro an Investitionen der Wirtschaft angestoßen.
Nach der Förderung sind bei den Betrieben ein durchschnittlicher Beschäf-
tigungszuwachs von 4,6 Prozent und ein Lohnzuwachs von 6 Prozent zu ver-
zeichnen. Geförderte Betriebe haben einen deutlichen Wachstumsvorsprung und
erhöhen signifikant die Zahl ihrer Beschäftigten. Die stärkste Dynamik zeigen
dabei Betriebe in den neuen Bundesländern.

Die Bedeutung der Förderung der regionalen Wirtschaftsstruktur wächst – vor
allem auch durch das Auslaufen der Investitionszulage bis zum Jahr 2013. Die
GRW stellt dann das einzige Instrument des Bundes für die regionale Wirt-
schaftsförderung dar. Gerade die neuen Bundesländer aber auch andere struktur-
schwache Gebiete im Westen Deutschlands haben ein großes Interesse, ihre
Wettbewerbsnachteile gegenüber den Ballungszentren und Metropolregionen
auszugleichen.

Globalisierung und verschärfter Standortwettbewerb bergen die Gefahr, dass
sich regionale Disparitäten verschärfen. Regionen spezialisieren sich und wer-
den anfälliger für Krisen. Zusätzlich muss die Politik neuen Herausforderungen

begegnen: der demographischen Entwicklung, dem Fachkräftemangel gerade in
ländlichen Regionen und dem intensiven globalen Standortwettbewerb.

Die GRW-Förderung wird zurzeit neu ausgerichtet. Die Bundesregierung hat
aber keine Konzepte, wie die Gemeinschaftsaufgabe mit neuem Input struktur-
schwache Gebiete in den neuen und alten Bundesländern wirtschaftlich aufwer-
ten könnte. Wichtiges Anliegen muss eine innovative Wirtschaftsförderung sein,

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die auf zusätzliche Finanzmittel für die strukturschwachen Gebiete sowie den
Breitbandausbau gerichtet ist.

Die GRW hat sich bewährt, um regionale Wettbewerbsfähigkeit zu stärken und
Disparitäten auszugleichen. Gleichzeitig gibt sie den Menschen ökonomische
Perspektiven und verhindert großflächige Abwanderung. Die Gemeinschafts-
aufgabe muss ein wesentlicher Pfeiler zur Aktivierung der Regionen bleiben,
damit das verfassungsrechtliche Ziel der „Gleichwertigkeit der Lebensverhält-
nisse“ erreicht werden kann. Gerade angesichts der schwierigen Haushaltslage
von Bund, Ländern und Kommunen trägt sie über die Generierung zusätzlicher
Arbeitsplätze zu zusätzlichem Einkommen in den Regionen bei. Die Gemein-
schaftsaufgabe ist eine Investition in die Zukunft. Sie fördert die Wettbewerbs-
fähigkeit von Regionen und stärkt den sozialen Frieden.

Bund und Länder haben sich 2008 auf ein Maßnahmenkonzept für die länd-
lichen Regionen geeinigt. Hierbei sind neue Förderansätze wie das Regional-
budget oder die Experimentierklausel aufgenommen worden, um die Förderung
von unten zu intensivieren. Diese Maßnahmen sollten verstärkt von den Ländern
genutzt werden, so wie auch die Breitbandförderung aus der GRW von den Län-
dern stärker aufgegriffen werden sollte.

Die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“
bedarf auch einer Abstimmung mit der Vergabe von Mitteln aus der europäischen
Regionalpolitik. Mit den Schlussfolgerungen aus dem Fünften Bericht über den
wirtschaftlichen, sozialen und territorialen Zusammenhalt hat die Europäische
Kommission die Diskussion um die Zukunft der Kohäsionspolitik eingeleitet.
Die grundsätzliche Ausrichtung der Strukturfonds auf die Ziele der Strategie
Europa 2020 ist notwendig. Zudem ist zu begrüßen, dass die EU-Kommission
den Einsatz der Kohäsionspolitik in allen Regionen der EU befürwortet. Der
Schwerpunkt der Förderung sollte jedoch zweifelsohne weiterhin auf den struk-
turschwachen und bedürftigeren Regionen der EU liegen. Es besteht die Gefahr,
das die Mittel des Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) nicht
auf die wirklich strukturschwachen Regionen konzentriert werden.

Zahlreiche Verbände wie der Deutsche Städte- und Gemeindebund fordern, dass
auch nach 2013 die europäische Regionalpolitik in Deutschland adäquat weiter-
geführt wird. Auch die Fraktion der SPD sieht in der Kohäsionspolitik ein
zentrales Instrument zum Abbau ökonomischer und sozialer Disparitäten in den
Regionen der EU.

Es ist zweifelhaft, ob es der Bundesregierung auf EU-Ebene gelingt, für die bis-
her geförderten Regionen in Deutschland weiterhin eine angemessene För-
derung in der neuen Förderperiode zu sichern. Denn die Bundesregierung orien-
tiert sich bei der Reform des EU-Budgets und der Ausgestaltung des nächsten
mehrjährigen Finanzrahmens am Status quo. So sind Mittelkürzungen zu erwar-
ten, auch wenn es ein Übergangsregime für Regionen geben wird, die aus der
Höchstförderung herausfallen, weil ihr Bruttoinlandsprodukt 75 Prozent des
EU-Durchschnitts übersteigt. So ist heute schon absehbar, dass die Förderung
des Mittelstandes und der kleinen und mittleren Unternehmen weiter ge-
schwächt wird.

Die Mechanismen der wirtschaftspolitischen Koordinierung in der Europä-
ischen Union werden durch die Refinanzierungskrise einiger europäischer Län-
der auf die Probe gestellt. In der Konsequenz bedeutet dies: Wirtschaftspolitik
kann nicht mehr nur im nationalen Rahmen erfolgen, sie braucht auf der europä-
ischen Ebene stärkere Abstimmung und ein gemeinsames Förderkonzept. Es ist
dringend notwendig, gemeinsame finanz-, haushalts- und steuerpolitische Ziele
abzustimmen und die Wirtschaftsförderung gerade in den Ländern zu intensivie-
ren, die aus unterschiedlichen Gründen Refinanzierungsprobleme haben.

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Wir brauchen eine gemeinsame Förderpolitik für Wirtschaftswachstum in Kri-
senländern der Europäischen Union. Eine solche gemeinsame Wirtschaftspolitik
muss ebenso europäisch begriffen werden wie unsere gemeinsame Währung.
Der Wirtschafts- und Währungsraum muss zu einem Wachstumsraum werden,
der Wohlstand für alle schafft und soziale Sicherheit und Gerechtigkeit orga-
nisiert und sichert. Die bisherigen Ansätze der Regional- und Strukturfonds sind
für eine solche Strategie nicht ausreichend. Erforderlich sind ergänzende Me-
chanismen, die auf einen sinnvollen und nachhaltigen Ausgleich dieser Un-
gleichgewichte gerichtet sind. Bei Defiziten in der wirtschaftlichen Entwicklung
sollte ein Staat kurzfristig verstärkte Fördermittel erhalten.

Von „Best practise“-Erfahrungen können auch die Regionen in Europa profitie-
ren. Dabei ist den Beteiligten bewusst, dass es keine einfache 1:1-Übertragung
von erfolgreichen Projekten geben kann. Aber in Paten- und Partnerschaften von
Regionen in Europa, die Erfahrungen weitergeben, profitieren alle.

II. Der Deutsche Bundestag fordert deshalb die Bundesregierung auf,

1. am verfassungsrechtlichen Ziel der Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse
festzuhalten und das erfolgreiche Konzept der Bund-Länder-Gemeinschafts-
aufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ als Instrument
der gezielten Regionalförderung für strukturschwache Regionen in ganz
Deutschland fortzuführen;

2. wegen des Auslaufens der Investitionszulage in den neuen Bundesländern
und der zu erwartenden Kürzung des Mittelflusses beim Europäischen Struk-
turfonds die GRW angemessen mit Finanzmitteln auszustatten. Die Kürzun-
gen des vergangenen Jahres sind zurückzunehmen, die weiteren geplanten
Kürzungen für die kommenden Jahre sind zu stoppen;

3. auf europäischer Ebene die bisherigen Ansätze der Regional- und Struktur-
fonds so zu verändern, dass durch die Refinanzierungskrise besonders betrof-
fene europäische Länder kurzfristig in eine wirtschaftliche Förderstrategie
einbezogen werden und zusätzliche Mittel zur Wirtschaftsförderung erhalten;

4. gemeinsam mit den Bundesländern die Interessen der strukturschwachen
Regionen Deutschlands auf europäischer Ebene zu vertreten und sich für
ausreichende regionalpolitische und beihilferechtliche Spielräume einzu-
setzen;

5. auf europäischer und nationaler Ebene darauf hinzuwirken, dass die regio-
nale Strukturpolitik auf strukturschwache Regionen konzentriert wird und
bei der anstehenden Neuabgrenzung der Fördergebiete die Bedürftigkeit der
Gebiete als zentralen Punkt zu beachten. Das schließt auch weitere struktur-
schwache Gebiete wie die Eifel/Westpfalz, Friesland und Bereiche des Ruhr-
gebietes mit ein;

6. angemessene Übergangsregelungen für die aus der Höchstförderung heraus-
fallenden Regionen bei der Europäischen Kommission anzustreben;

7. neben dem Metropolkonzept die Förderung der strukturschwachen Regionen
gezielt fortzusetzen;

8. die Förderung gerade in ländlichen Problemregionen auf der Basis der neuen
Fördermaßnahmen fortzusetzen, wobei der Ansatz des Bottom-up als Instru-
ment zur Unterstützung lokaler Initiativen weiter gestärkt werden soll;

9. Maßnahmen der kommunalen Koordinierung und Zusammenarbeit im länd-
lichen Raum zu unterstützen;

Drucksache 17/5185 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
10. dem Fachkräftemangel in ländlichen Regionen über gezielte Maßnahmen
der Weiterbildung, z. B. die Ansiedlung innovativer Ausbildungseinrich-
tungen, und Integration entgegenzuwirken;

11. auf die Bundesländer hinzuwirken, die GRW-Mittel gezielt stärker für die
Breitbandversorgung in den ländlichen Regionen einzusetzen.

Berlin, den 22. März 2011

Dr. Frank-Walter Steinmeier und Fraktion

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