BT-Drucksache 17/4999

Straf- und Ermittlungsverfahren nach den §§ 129, § 129a und § 129b des Strafgesetzbuches im Jahr 2010

Vom 9. März 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/4999
17. Wahlperiode 09. 03. 2011

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Petra Pau, Jens Petermann, Raju Sharma,
Frank Tempel und der Fraktion DIE LINKE.

Straf- und Ermittlungsverfahren nach den §§ 129, 129a und 129b des Strafgesetz-
buchs im Jahr 2010

Der seit August 1976 bestehende § 129a des Strafgesetzbuchs (StGB) (Mitglied-
schaft, Werbung und Unterstützung einer „terroristischen Vereinigung“) ist
ebenso wie der § 129 StGB („kriminelle Vereinigung“) und § 129b StGB („terro-
ristische Vereinigung im Ausland“) schon lange umstritten. Strafverteidigerver-
einigungen, Menschen- und Bürgerrechtsgruppen fordern seit Jahren die ersatz-
lose Abschaffung dieses Strafparagrafen.

Wir fragen die Bundesregierung:

I. Zum Komplex Strafverfahren wegen „linksterroristischer“ und hiermit in
unmittelbarem Zusammenhang stehender Straftaten (inkl. Unterstützung und
Werbung) im Jahr 2010 (bitte nach Jahren aufschlüsseln)

1. a) Wie viele Ermittlungsverfahren gegen wie viele Beschuldigte wurden we-
gen derartiger Taten entweder vom Generalbundesanwalt eingeleitet oder
von den einleitenden Länder-Staatsanwaltschaften an diesen abgegeben?

b) In wie vielen Fällen wurde gegen wie viele Beschuldigte (nur/auch) nach
§ 129a StGB ermittelt?

c) In wie vielen Verfahren wurde gegen wie viele Beschuldigte (nur/auch)
nach § 129a StGB ermittelt?

d) In wie vielen Fällen hiervon lautete der Vorwurf jeweils „Unterstützung“
einer terroristischen Vereinigung bzw. „Werbung“ für eine terroristische
Vereinigung?

e) Wie viele der von der Bundesanwaltschaft eingeleiteten Verfahren wur-
den später wieder an die Länder-Staatsanwaltschaften abgegeben?

f) Wie viele der in den Fragen 1a bis 1d genannten Beschuldigten waren

aa) jünger als 20 Jahre,

bb) zwischen 20 und 30 Jahre alt,
cc) zwischen 30 und 40 Jahre alt,

dd) über 40 Jahre?

Drucksache 17/4999 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

g) In wie vielen dieser Fälle erfolgte

aa) ein Versuch der Anwerbung bzw. des Einsatzes von V-Leuten,

bb) ein Versuch zur Gewinnung von Kronzeugen gegen die Beschuldig-
ten,

cc) die Überwachung der Telekommunikation oder Post der Beschuldig-
ten und ihr Umfeld?

h) Wie viele Personen, Telekommunikationsanschlüsse bzw. (elektronische)
Postadressen waren von den in der Frage 1g Doppelbuchstabe cc genann-
ten Maßnahmen betroffen (bitte aufschlüsseln)?

i) Wie viele Hausdurchsuchungen fanden im Rahmen dieser Ermittlungs-
verfahren statt, wie viele Haushalte/Personen waren davon betroffen, und
was wurde beschlagnahmt?

2. In wie vielen Fällen wurde gegen wie viele Personen insgesamt Unter-
suchungshaft verhängt,

a) davon mit Haftgrund (§ 112 Absatz 2 der Strafprozessordnung – StPO),

b) mit Haftgrund nach § 112 Absatz 3 StPO?

c) Wie lange dauerte jeweils die Untersuchungshaft (Monate/über ein Jahr)?

d) Wie viele der Betroffenen wurden später freigesprochen, zu Geldstrafe,
zu Freiheitsstrafe auf Bewährung und zu Freiheitsstrafe ohne Bewährung
(Jahre/Monate) verurteilt?

e) Wie viele der in den Fragen 1a bis 1d Betroffenen waren

aa) jünger als 20 Jahre,

bb) zwischen 20 und 30 Jahre alt,

cc) zwischen 30 und 40 Jahre alt,

dd) über 40 Jahre alt?

3. a) In wie vielen Fällen kam es zur Einstellung der Ermittlungsverfahren
durch die Staatsanwaltschaft insgesamt?

b) In wie vielen Fällen davon waren jeweils ausschließlich bzw. auch nach
§ 129a StGB geführte Verfahren betroffen?

c) Wie viele dieser Verfahren fußten jeweils auf dem Vorwurf der Mitglied-
schaft, Unterstützung oder Werbung (bitte aufschlüsseln nach den in den
Fragen 1 und 2 genannten Arbeitsgruppen)?

4. a) In wie vielen Fällen erfolgte insgesamt Anklage?

b) Gegen wie viele Angeklagte wurde Anklage erhoben?

c) In wie vielen Fällen gegen wie viele Angeklagte wurde jeweils

aa) nur nach § 129a StGB angeklagt,

bb) auch nach § 129a StGB angeklagt?

d) Wie viele Verfahren gegen wie viele Angeklagte jeweils betrafen in den
beiden letztgenannten Kategorien jeweils die Kategorie Mitgliedschaft,
Unterstützung, Werbung?

5. a) In wie vielen Fällen wurden die Anklagen zugelassen und das Hauptver-
fahren eröffnet?

b) Mit welchen Abweichungen, insbesondere bezüglich des Vorwurfs nach
§ 129a StGB?

c) In wie vielen Fällen kam es aus welchen Gründen zu gerichtlichen Ein-

stellungen?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/4999

6. a) Wie viele Urteile gegen wie viele Personen sind ergangen (unterschie-
den nach rechtskräftig/nicht rechtskräftig)?

b) Wie viele Freisprüche gab es?

c) Wie viele Verurteilungen erfolgten insgesamt?

aa) Wie viele Verurteilungen erfolgten jeweils nur oder auch nach
§ 129a StGB?

bb) Wie viele der in Frage 6c Doppelbuchstabe aa genannten Verurtei-
lungen erfolgten jeweils wegen Mitgliedschaft, Unterstützung, Wer-
bung?

d) Bei wie vielen dieser Verurteilungen wurde Geldstrafe verhängt?

e) Wie häufig wurde Jugendstrafe wegen welcher Strafnormen verhängt?

f) Wie viele Freiheitsstrafen wurden wegen welcher Strafnormen ver-
hängt?

aa) Wie hoch war die Strafdauer?

bb) In wie vielen Fällen davon mit Bewährung?

g) In wie vielen Fällen führte verminderte Schuldfähigkeit zu einer Straf-
milderung?

h) Wie verteilten sich die in den Urteilen festgestellten Deliktgruppen pro-
zentual entsprechend der Unterscheidung in Blath/Hobe: „Strafverfah-
ren gegen linksterroristische Straftäter und ihre Unterstützer (1971 bis
1979/80)“, Bonn 1984, S. 8 ff (Anschläge, gruppenbezogene Handlun-
gen, Unterstützungshandlungen)?

7. a) In wie vielen Fällen wurden insgesamt Rechtsmittel eingelegt?

b) Welche?

c) Von wem (Staatsanwalt/Verteidigung)?

d) Jeweils mit welchem Erfolg?

8. In wie vielen Fällen wurden Verteidiger von der Wahrnehmung der Vertei-
digung vom Gericht ausgeschlossen, und mit welcher Begründung?

9. a) In wie vielen Fällen wurden gemäß Frage 6 verurteilte Strafgefangene
mit welchem Strafmaß insgesamt vorzeitig aus der Haft entlassen?

b) Nach welchen Vorschriften bzw. aufgrund welchen Akts?

c) Nach Verbüßung welcher Strafzeit?

10. Welche materiellen Sachschäden und berufliche Schäden sind den Betrof-
fenen dieser Ermittlungsverfahren, gegen die im späteren Gang der Ermitt-
lungen das Verfahren entweder eingestellt wurde oder die freigesprochen
wurden, bei diesen Razzien, Observationen, Hausdurchsuchungen etc. ent-
standen?

11. Wie lange werden die Daten der in diesen Ermittlungsverfahren erfassten
Beschuldigten wo aufbewahrt?

12. Wie ist der Umgang mit personenbezogenen Daten aus Dateien und Datei-
verbünden, die der Verdachtsgewinnung (im Rahmen der Gefahrenabwehr)
dienen, insbesondere freigesprochene Beschuldigte betreffend?

II. Wie lauten die entsprechenden Antworten zu den Fragen I.1 bis I.10, bezogen
auf den Komplex Strafverfahren wegen „rechtsterroristischer“ und hiermit in
unmittelbarem Zusammenhang stehender Straftaten im Jahr 2010 (bitte nach
den Jahren einzeln aufschlüsseln)?

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III. Wie lauten die entsprechenden Antworten zu den Fragen I.1 bis I.12, bezogen
auf die an die Länder abgegebenen und dort fortgeführten Strafverfahren (aus-
drücklich in Kenntnis und unter Berücksichtigung der nur teilweisen Rückmel-
dungen aus den Ländern)?

IV. Wie lauten die Antworten zu den Fragen I.1 bis I.12, bezogen auf Verfahren
gemäß § 129 StGB (kriminelle Vereinigung),

a) insgesamt,

b) politischen Inhalts, insoweit als in diesen durch die politischen Abteilungen
der Staatsanwaltschaften bzw. durch den Generalbundesanwalt ermittelt
und/oder vor einer Staatsschutzkammer verhandelt wurde?

V. Wie lauten die Antworten zu den Fragen I.1 bis I.12, bezogen auf die Ver-
fahren gemäß § 129b StGB (kriminelle und terroristische Vereinigung im Aus-
land) jeweils?

13. Gegen welche ausländischen Gruppierungen richteten sich die Ermittlun-
gen, Anklagen und Verurteilungen im Jahr 2010 nach § 129b StGB (bitte
aufschlüsseln)?

14. Welche der ausländischen Gruppierungen, gegen die im Jahr 2010 Verfah-
ren nach § 129b StGB eingeleitet oder weitergeführt wurden, werden von
der Europäischen Union auf der Liste terroristischer Organisationen aufge-
führt (bitte nach Jahren einzeln aufschlüsseln)?

15. Gegen welche der ausländischen Gruppierungen, gegen die 2010 Verfahren
nach § 129b StGB eingeleitet oder weitergeführt wurden, besteht in
Deutschland ein Betätigungsverbot nach dem Vereinsgesetz (bitte nach Jah-
ren einzeln aufschlüsseln)?

16. In wie vielen und welchen Fällen war die Einstufung einer ausländischen
bzw. im Ausland tätigen Organisation als terroristisch im Sinne des § 129b
StGB durch das Bundesministerium der Justiz im Jahr 2010 strittig (bitte
nach Jahren einzeln aufschlüsseln)?

17. In wie vielen und welchen Fällen war 2010 ein Gesuch der Regierung oder
Justizbehörde eines anderen Landes ausschlaggebend für die Einleitung
eines Verfahrens nach § 129b StGB (bitte nach Jahren einzeln aufschlüs-
seln)?

18. In wie vielen und welchen Fällen haben die deutschen Ermittlungsbehörden
bei Ermittlungsverfahren nach § 129b StGB im Jahr 2010 über den Weg des
polizeilichen Informationsaustausches Erkenntnisse ausländischer Sicher-
heitskräfte genutzt (bitte nach Jahren einzeln aufschlüsseln)?

VI. Wie beurteilt die Bundesregierung vor diesem Hintergrund der zum Teil er-
heblichen materiellen und immateriellen beruflichen und öffentlichen Schäden
bei den Betroffenen solcher Ermittlungsverfahren und dem hohen Anteil der
mit Freispruch oder Einstellung beendeten Ermittlungen die Folgen dieser
Strafparagrafen?

Hält die Bundesregierung bei den Ermittlungen nach den §§ 129, 129a und 129b
StGB den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit für gewahrt?

Berlin, den 4. März 2011

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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