BT-Drucksache 17/4958

Deutsche Beteiligung an EUPOL COPPS

Vom 25. Februar 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/4958
17. Wahlperiode 25. 02. 2011

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Sevim Dag˘delen, Christine Buchholz, Dr. Diether Dehm,
Wolfgang Gehrcke, Annette Groth, Heike Hänsel, Inge Höger, Andrej Hunko,
Harald Koch, Niema Movassat, Frank Tempel, Katrin Werner
und der Fraktion DIE LINKE.

Deutsche Beteiligung an EUPOL COPPS

Am 1. Januar 2006 begann auf Grundlage der Gemeinsamen Aktion des Rates
(2005/797/GANP) die Mission EUPOL COPPS im Rahmen der Gemeinsamen
Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union in den Palästinensischen
Gebieten. Vorangegangen war bereits im April 2005 die formale Gründung eines
Koordinationsbüros für die Unterstützung der palästinensischen Polizei (COPPS)
durch einen Briefwechsel zwischen dem damaligen palästinensischen Premier-
minister Ahmed Qurei und dem Sonderbeauftragten der Europäischen Union für
den Nahost-Friedensprozess, Marc Otte. Die Polizeimission sollte in enger Zu-
sammenarbeit mit dem US-Sicherheitskoordinator für die Palästinensischen
Gebiete und den relevanten israelischen Behörden den Aufbau der palästinen-
sischen Zivilpolizei (PCP) unterstützen, die Ausstattungshilfe aus den Mitglied-
staaten und von internationalen Partnern koordinieren und somit die Herstellung
von Recht und Ordnung im Westjordanland und Gaza ermöglichen. Sie wurde
jedoch nach dem Sieg der Hamas bei den Wahlen 2006 und der anschließenden
Machtübernahme der Hamas in Gaza lediglich im Westjordanland durchgeführt.

Wie vieles andere war auch die Infrastruktur der palästinensischen Polizei wäh-
rend der Zweiten Intifada (2000 bis 2005) durch Angriffe der israelischen Luft-
waffe weitgehend zerstört worden. Neben der Ausbildung von Polizei- und
Justizbeamten und dem Ausbau der Ausbildungskapazitäten stand zunächst die
Ausrüstung der Polizeikräfte im Vordergrund der Mission. Bis Ende 2008
wurden der PCP im Rahmen von EUPOL COPPS über 200 Funkgeräte,
135 Fahrzeuge, 44 Computer und Drucker, 250 Handschellen, 100 mobile
Barrieren (crowd control barriers), Uniformen, Schilder, Taschenlampen,
Kameras und zahlreiche weitere Gegenstände zur Verfügung gestellt, obwohl
die EUPOL COPPS Mission zu diesem Zeitpunkt noch feststellte, dass „gegen-
wärtig weder ein allgemeines Polizeirecht existiert, das den Umfang und die
Kompetenzen der verschiedenen Sicherheitskräfte klar definiert noch ein
Gesetz für die Zivilpolizei existiert … letztlich operiert die Zivilpolizei in
einem rechtlichen Vakuum“ (www.consilium.europa.eu/uedocs/cmsUpload/

RULE%20OF%20LAW-English.pdf). Tatsächlich arbeitet die PCP unter den
Bedingungen einer militärischen Besatzung. Auch sie unterliegt den von den
israelischen Streitkräften (IDF) ausgerufenen Ausgangssperren und Straßen-
sperren und muss sich Bau- und Infrastrukturmaßnahmen von den israelischen
Behörden genehmigen lassen. Ihre Autonomie und Legitimität wird weiter
dadurch untergraben, dass die IDF weiterhin das Recht beanspruchen, eigen-
ständig und ohne vorherige Absprachen mit der PCP Operationen im Westjor-

Drucksache 17/4958 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

danland durchzuführen und hiervon auch Gebrauch machen. Zwar wurden im
Sommer 2009 die Ausgangssperren in einigen Städten für Angehörige der PCP
aufgehoben, die Zahl der Straßensperren reduziert und die Koordination zwi-
schen IDF und PCP verbessert. Die IDF werden aber auch weiterhin nur in dem
Maße bereit sein, Kontrolle an die PCP abzugeben, wie sie der Auffassung
sind, dass diese entschlossen genug gegen mutmaßliche Terroristen und
sonstige Bedrohungen gegen Israel vorgeht (www.fas.org/sgp/crs/mideast/
R40664.pdf). Entsprechend konzentrieren sich v. a. die USA zunehmend auf
den Aufbau von Spezialeinheiten zur Terrorismus- und Aufstandsbekämpfung.
Der Aufhebung der Ausgangssperren für Angehörige der palästinensischen
Sicherheitskräfte waren in Jenin, Hebron und Qalqilya auch umfangreiche Ope-
rationen unter Beteiligung der militärisch ausgerichteten und von den USA trai-
nierten Einheiten der Präsidentengarde und der National Security Forces sowie
von der EU ausgebildeter Einheiten der PCP vorangegangen, bei denen nach
Angaben des Wissenschaftlichen Dienstes des US-Kongresses auch zahlreiche
„Militants“ getötet wurden. Auch während des Gaza-Krieges im Winter 2008/
2009 erwies sich die PCP als vertrauenswürdiger Partner der IDF, als diese die
Verantwortung für die Eindämmung der Proteste im Westjordanland gegen die
Bombardierung des Gazastreifens mit hunderten von zivilen Opfern an die PCP
übertrugen und ihr hierbei freie Hand ließen. Dabei kamen auch von EUPOL
COPPS eigens in „Crowd and Riot Control“ ausgebildete Angehörige der PCP
zum Einsatz und mehrere Demonstranten wurden durch Schüsse der PCP ver-
letzt, mindestens einer von ihnen tödlich. Nach Angaben des damaligen US-
Sicherheitsberaters, Keith Dayton, ermöglichte es dieser Einsatz der PCP, dass
wesentliche Teile der im Westjordanland stationierten IDF-Kräfte nach Gaza
verlegt werden und deren Kommandant acht volle Tage abwesend sein konnte
(www.fas.org/sgp/crs/mideast/R40664.pdf).

Auch während der Proteste gegen das Mubarak-Regime in Ägypten wurden
mehrere Solidaritätskundgebungen im Westjordanland durch die PCP gewalt-
sam aufgelöst. Dabei kamen unter anderem Tränengas und Schlagstöcke zum
Einsatz, verhaftet wurden u. a. zwei Journalisten. Human Rights Watch kriti-
sierte das „willkürliche Eingreifen der Sicherheitskräfte in friedliche Demon-
strationen“ scharf. Nur wenige Wochen zuvor, im Dezember 2010, hatten An-
gehörige einer Sondereinheit der PCP für „Crowd and Riot Control“ einen
Lehrgang zu Festnahmetechniken, der Nutzung von Handschellen und der effi-
zienteren Nutzung von Tonfa-Schlagstöcken im Rahmen von EUPOL COPPS
abgeschlossen (www.heise.de/tp/r4/artikel/34/34162/1.html).

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Stimmt die Bundesregierung der Einschätzung der International Crisis
Group vom September 2010 zu, wonach „die Arbeit der palästinensischen
Sicherheitskräfte weiterhin in vielen Bereichen nicht durch Gesetze reguliert
ist“ (ICG: Squaring the Circle: Palestinian Security Reform under Occupa-
tion, Middle East Report No. 98; diese Fragen beziehen sich wie die folgen-
den ausschließlich auf das Westjordanland)?

a) Wenn ja, welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung für eine
Fortsetzung der Mission EUPOL COPPS, und in welcher Form setzt sie
sich auf europäischer Ebene für eine Adaption oder ggf. einer Beendi-
gung der Mission ein?

b) Wenn nein, warum nicht?

2. Welche Fortschritte sind bei der Reform der Polizeigesetze seit 2005 erzielt
worden?

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3. Worin sieht die Bundesregierung die Haupthindernisse bei der Ausarbei-
tung einer umfassenden und kohärenten Polizeigesetzgebung, und welche
Schlussfolgerungen und politischen Konsequenzen für die Fortsetzung der
Mission EUPOL COPPS zieht sie daraus?

4. Wie bewerten die übrigen an EUPOL COPPS beteiligten EU-Staaten die
Fortschritte der Mission?

5. Welche unterschiedlichen Polizei- und Sicherheitsbehörden der Palästinen-
sischen Autonomiebehörde sind der Bundesregierung bekannt, und auf
welcher rechtlichen Grundlage agieren diese jeweils?

6. Wie beurteilt die Bundesregierung die offensichtlich fehlende Einhaltung
des Rechtsstandards bei Verhaftungen und Verfahren im Westjordanland?

7. Liegen der Bundesregierung Informationen über Misshandlungen in paläs-
tinensischen Gefängnissen vor?

Wenn ja, welche?

8. Sind der Bundesregierung Verurteilungen zum Tode im Westjordanland be-
kannt, und wie viele dieser Urteile wurden seit Beginn der Mission EUPOL
COPPS nach Kenntnis der Bundesregierung vollstreckt?

9. Wie bewertet die Bundesregierung die Zustände in palästinensischen
Gefängnissen und die Funktionsweise der Justiz in den palästinensischen
Gebieten?

10. Wie viele Polizeibeamte hat Deutschland aus welchen Einheiten bislang im
Rahmen der Mission EUPOL COPPS entsandt?

11. Wie viele Polizeibeamte wurden insgesamt aus der EU und aus welchen
Einheiten im Rahmen der Mission EUPOL COPPS entsandt (bitte nach
Ländern aufschlüsseln)?

12. Wie viele Polizeibeamte aus Deutschland aus welchen Einheiten haben bis-
lang im Rahmen der Mission EUPOL COPPS Lehrgänge mit Angehörigen
der PCP durchgeführt?

13. Wie viele Angehörige der PCP und anderer palästinensischer Sicherheits-
kräfte haben bislang an Aus- und Fortbildungsmaßnahmen in Deutschland
teilgenommen (bitte mit Angabe von Zeit und Ort)?

14. Wie viele Angehörige hat die PCP nach Informationen der Bundesregie-
rung gegenwärtig, und wie viele wurden bislang im Rahmen von EUPOL
COPPS aus- oder fortgebildet?

15. Wie viele Angehörige anderer Polizeibehörden wurden bislang im Rahmen
von EUPOL COPPS aus- oder fortgebildet?

16. Wie viele Angehörige der Special Police Forces (SPF) wurden bislang im
Rahmen von EUPOL COPPS aus- oder fortgebildet?

17. Wie viele Angehörige der PCP wurden bislang im Rahmen von EUPOL
COPPS in „Crowd and Riot Control“ und ähnlichen Techniken aus- oder
fortgebildet?

18. Kann die Bundesregierung ausschließen, dass auch Angehörige der Ge-
heimdienste PSO und GIS an Aus- oder Fortbildungsmaßnahmen im Rah-
men von EUPOL COPPS teilgenommen haben?

19. Hat die Bundesregierung Kenntnis über die Teilnahme von Angehörigen
der PCP an gezielten Tötung von so genannten Militants?

Drucksache 17/4958 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
20. Kamen bei den Demonstrationen und Kundgebungen am 30. Januar 2011
und 2. Februar 2011 in Ramallah und bei anderen Solidaritätskundgebun-
gen mit den Aufständen in Tunesien und Ägypten auch im Rahmen von
EUPOL COPPS ausgebildete Polizei- und Gendarmeriekräfte zum Ein-
satz?

21. Haben die Bundesregierung oder andere an EUPOL COPPS beteiligte
Regierungen sogenannte Control Rooms bzw. Teile dafür (Hardware, Soft-
ware, Kameras oder andere Sensoren) geliefert?

a) Wie viele „Control Rooms“ existieren im Westjordanland, und was ist
ihre Funktion?

b) Wie ist das Statement von EUPOL COPPS vom 7. April 2010 zu verste-
hen, „Operation Rooms“ seien das „Herz der Polizei“, und welche „ex-
zellenten Entwicklungen“ sind hier angesprochen?

c) Wie will die Bundesregierung sicherstellen, dass die „Operation
Rooms“ nicht zur Einschränkung der Versammlungsfreiheit genutzt
werden, indem etwa wie im Iran spontane Menschenansammlungen
über eingebuchte Mobiltelefone aufgespürt werden?

22. Welche Ausrüstungsgegenstände wurden seit Beginn der Mission im Rah-
men von EUPOL COPPS den palästinensischen Sicherheitskräften zur Ver-
fügung gestellt?

23. Bei welchen Lieferungen von Ausrüstungsgegenständen für die palästinen-
sischen Sicherheitskräfte aus welchen Ländern hat EUPOL COPPS eine
koordinierende Rolle übernommen?

24. Über welche chemischen Reizstoffe und Abschussvorrichtungen hierfür
verfügen die palästinensischen Sicherheitskräfte im Allgemeinen nach
Kenntnis der Bundesregierung und die PCP im Speziellen, und woher
stammen diese Bestände?

25. Welchen Bedarf hat die Mission EUPOL COPPS hinsichtlich der Ausrüs-
tung der PCP ermittelt?

26. Welche Rolle spielt EUPOL COPPS hinsichtlich der Planungen der Poli-
zeibehörden zum Aufbau neuer Polizeistationen, Gefängnisse sowie krimi-
naltechnischer Labors?

27. Über welche Waffen verfügen die palästinensischen Sicherheitskräfte (Art
und Menge) nach Kenntnis der Bundesregierung, und woher stammen
diese Waffen?

Berlin, den 25. Februar 2011

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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