BT-Drucksache 17/4884

Berichts- und Zustimmungspflicht für Amtshilfe- und Unterstützungsleistungen der Bundeswehr im Inneren

Vom 22. Februar 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/4884
17. Wahlperiode 22. 02. 2011

Antrag
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Jan Korte, Jens Petermann, Frank Tempel,
Raju Sharma, Halina Wawzyniak und der Fraktion DIE LINKE.

Berichts- und Zustimmungspflicht für Amtshilfe- und Unterstützungsleistungen
der Bundeswehr im Inneren

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

1. Die Zahl der von der Bundeswehr durchgeführten Amtshilfemaßnahmen
nach Artikel 35 Absatz 1 des Grundgesetzes (GG) ist in den letzten Jahren
erheblich angestiegen.

2. Auch die Zahl der sonstigen Unterstützungsleistungen, welche die Bundes-
wehr für Dritte durchführt, hat sich in den letzten Jahren erhöht.

3. Vereinzelt sind solche Maßnahmen in der Öffentlichkeit stark umstritten,
wie etwa anlässlich des G8-Gipfels im Jahr 2007 in Heiligendamm.

4. Eine Beschlussfassung oder auch nur Unterrichtung des Deutschen Bundes-
tages über angefragte bzw. durchgeführte Amtshilfe sowie Unterstützungs-
maßnahmen ist nach der zurzeit geltenden Rechtslage nicht vorgesehen. Das
Parlament nimmt häufig erst über die Medienberichterstattung Kenntnis von
solchen Leistungen. Auch das parlamentarische Fragerecht hat sich als un-
zureichend für eine wirksame und vor allem zeitnahe Kontrolle erwiesen.

5. Um dem Charakter der Bundeswehr als Parlamentsarmee Nachdruck zu ver-
leihen, erscheint es geboten, das Parlament in jedem Fall und unverzüglich
zu informieren, wenn Anträge von Behörden sowie Dritten an die Bundes-
wehr gestellt werden. Außerdem ist eine umfassende Berichtspflicht der
Bundesregierung nötig, sobald die Unterstützungsmaßnahmen abgeschlos-
sen sind.

6. Solche als Amtshilfe deklarierte Maßnahmen der Bundeswehr, welche die
Polizei erst in die Lage versetzen, obrigkeitliche, in die Grundrechte eingrei-
fende Tätigkeiten vorzubereiten oder durchzuführen, sind weder mit Geist
noch Buchstaben der grundgesetzlichen Bestimmungen vereinbar. Sie erin-
nern an militärische Inlandseinsätze und sollten, genauso wie jegliche Hand-
lungen der Bundeswehr in Zusammenhang mit Demonstrationen oder
Streiks, generell unterbleiben.
II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

einen Gesetzentwurf vorzulegen, der Folgendes sicherstellt:

1. Der Deutsche Bundestag ist unverzüglich über den Inhalt von an die Bundes-
wehr gerichteten Anträgen auf Amtshilfeleistungen nach Artikel 35 Absatz 1
GG, von Maßnahmen nach Artikel 35 Absatz 2 und 3 GG sowie Anträgen auf

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Unterstützung Dritter zu informieren. Die Informationen sollen folgende An-
gaben über die angeforderten Leistungen enthalten:

– die jeweiligen Antragsteller,

– den Inhalt, Zweck und Ablauf sowie konkrete Tätigkeiten, die von den
Soldatinnen und Soldaten verrichtet werden sollen,

– den Beginn und die Dauer,

– den Ort,

– die Anzahl der dafür erforderlichen Soldatinnen und Soldaten, die benö-
tigten Gerätschaften bzw. das benötigte Material,

– die dabei anfallenden Kosten. Sofern der Bund Kosten für Dritte über-
nimmt, soll dies zusätzlich begründet werden.

Ist diese Information zwischen Eingang des Ersuchens und Durchführungs-
termin nicht mehr möglich, sind zumindest die Fraktionsvorstände sowie die
von den in diesen Ausschüssen vertretenen Fraktionen benannten Vertrete-
rinnen bzw. Vertreter (Obleute) im Verteidigungsausschuss und im Innen-
ausschuss zu informieren.

2. Der Deutsche Bundestag ist unverzüglich über die Planung solcher Maßnah-
men im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit zu informieren, die

– von hoher Außenwirkung oder politisch sensitiv sind;

– im Zusammenhang mit Veranstaltungen der Rüstungsindustrie oder poli-
tisch bedeutsamer internationaler sicherheitspolitischer Konferenzen ste-
hen.

Die Informationen sollen folgende Angaben enthalten:

– den Anlass der Maßnahmen,

– den Inhalt, Zweck und Ablauf sowie konkrete Tätigkeiten, die von den
Soldatinnen und Soldaten verrichtet werden sollen,

– den Beginn und die Dauer,

– den Ort,

– die Anzahl der dafür erforderlichen Soldatinnen und Soldaten,

– die dabei benötigten Gerätschaften bzw. das benötigte Material,

– die dabei anfallenden Kosten. Sofern der Bund Kosten für Dritte über-
nimmt, soll dies zusätzlich begründet werden.

3. Dem Deutschen Bundestag ist die Möglichkeit einzuräumen, gegen die
Durchführung der unter den vorangegangenen Punkten aufgeführten Maß-
nahmen im Einzelfall ein Veto einzulegen; dies kann auch nur einzelne der
beantragten Leistungen der Bundeswehr betreffen. In diesem Fall darf eine
Maßnahme nicht durchgeführt werden.

4. Der Deutsche Bundestag ist umgehend nach Abschluss der jeweils durchge-
führten Maßnahmen zu informieren. Die Informationen sollen zusätzlich zu
den in den Nummern 1 bis 3 genannten Angaben etwaige Abweichungen
von den ursprünglich beantragten Leistungen bzw. kalkulierten Kosten er-
läutern. Sofern diese Informationen nicht umgehend nach Durchführung der
Leistungen zur Verfügung stehen, sind sie nachzureichen.

5. Die Durchführung von Amtshilfemaßnahmen sowie Unterstützungsleistun-
gen im Zusammenhang mit Demonstrationen oder Streiks wird untersagt.

Berlin, den 22. Februar 2011
Dr. Gregor Gysi und Fraktion

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/4884

Begründung

Amtshilfeleistungen für Behörden bzw. Unterstützungsleistungen für Dritte
(Privatpersonen, Unternehmen, Vereine) müssen zwar – nach Maßgabe von
Artikel 87a Absatz 2 GG – unterhalb der Schwelle zum obrigkeitlichen Einsatz
liegen, können aber dennoch sowohl politisch sensitiv als auch rechtlich um-
stritten sein. Aktuelle Entwicklungen verdeutlichen, dass eine umfassende und
zeitnahe Unterrichtung des Bundestages über Amtshilfe- bzw. von Dritten be-
antragte Unterstützungsleistungen nötig sind, um dem Charakter der Bundes-
wehr als Parlamentsarmee gerecht zu werden.

Das einzige bislang dem Deutschen Bundestag zur Verfügung stehende Kon-
trollmittel besteht im parlamentarischen Fragerecht. Die Zahlen, die der Frak-
tion DIE LINKE. auf eine Vielzahl, seit 2008 im Quartalsabstand gestellter
Kleiner Anfragen zu durchgeführten Amtshilfe- und Unterstützungsleistungen
mitgeteilt wurden, zeigen eine beinahe explosionsartige Zunahme von Amts-
hilfemaßnahmen. War Ende der 90er-Jahre noch eine einzige solche Maßnahme
zu verzeichnen, so ist ihre Zahl im Jahr 2009 auf 44 gestiegen. Auch die Zahl
der Unterstützungsleistungen ist im Mittel seit Ende der 90er-Jahre gestiegen
und hat im Jahr 2008 mit 74 einen Spitzenwert erreicht.

Der rapide Anstieg der Amtshilfeleistungen deutet auf eine politische Absicht
hin. So kann das verstärkte Auftreten von Soldatinnen und Soldaten – z. T. be-
waffnet und mit Hausrecht ausgestattet – zu einer Gewöhnung an das Tätigwer-
den der Bundeswehr im Inneren führen. Der Öffentlichkeit wie auch den Sol-
datinnen und Soldaten selbst wird die scheinbare Normalität innerer Verwen-
dungen der Bundeswehr suggeriert, um Repressiveinsätzen wie beim G8-Gip-
fel 2007 in Heiligendamm ihre Skandalisierbarkeit zu nehmen. Diese politisch
motivierte Verwendung der Bundeswehr erfordert als Gegenstück eine ver-
stärkte parlamentarische Kontrolle.

Zudem hat die Praxis gezeigt, dass auch „einfache“ Amtshilfemaßnahmen nach
Artikel 35 Absatz 1 GG politisch und rechtlich höchst umstritten sein können.
Zahlreiche Unterstützungsleistungen werden von der Polizei beantragt, häufig
in Zusammenhang mit Demonstrationen. Die bestehenden Befugnisse des Par-
laments sind den Veränderungen, die sich in der Praxis der Amtshilfe- und Un-
terstützungshandlungen ergeben haben, derzeit nicht adäquat.

Denn Antworten der Bundesregierung auf Kleine Anfragen zu Amtshilfemaß-
nahmen erfolgen naturgemäß nicht unverzüglich und automatisch, sondern
„nur“ im Rhythmus der gestellten Anfragen. Dadurch kann es vorkommen,
dass das Parlament von manchen Amtshilfeanträgen erst Kenntnis erlangt,
nachdem sie positiv beschieden und erfüllt worden sind. Zudem fehlt eine Veto-
möglichkeit des Parlaments.

Somit verbleiben Kontrolle und Entscheidungsmechanismen bislang wesent-
lich bei der Bundeswehr bzw. dem Bundesministerium der Verteidigung, die
das Verfahren und die zugrundeliegenden Kriterien jederzeit – und ohne den
Bundestag zu verständigen – ändern können.

Das Beispiel des Bundeswehreinsatzes im Mai/Juni 2007 während des G8-Gip-
fels in Heiligendamm hat sowohl die geringen Befugnisse des Parlaments ge-
zeigt als auch die Tatsache, wie umstritten als Amtshilfe deklarierte Leistungen
bisweilen sein können. Der Einsatz ist nach vielfacher Einschätzung über das
verfassungsrechtlich Zulässige im Sinne von Artikel 87a Absatz 2 GG hinaus-
gegangen. Insbesondere die Unterstützung der Polizei mit einschlägig militäri-
schen Gerätschaften hat Kritik ausgelöst. Zu nennen sind hier sowohl die einge-
setzten Tornado-Aufklärungsflugzeuge als auch Fennek-Spähpanzer. Die der
Polizei damit gewährte Unterstützung beschränkte sich nicht auf einfache

„Hilfe“, sondern stellte sich als Zurverfügungstellung von Informationen dar,
die unmittelbar Einfluss auf die polizeiliche Einsatzstrategie zu nehmen ge-

Drucksache 17/4884 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

eignet waren bzw. erhebliche Teile der polizeilichen Einsatzstrategie überhaupt
erst ermöglicht haben.

Das Parlament ist erst durch die Medienberichterstattung über die konkret von
der Bundeswehr erbrachten Leistungen der Bundeswehr unterrichtet und damit
in die Lage versetzt worden, durch parlamentarische Anfragen weitere Details
zu erfahren.

Doch selbst wenn man die Frage der Rechtmäßigkeit des Heiligendamm-Einsat-
zes der Bundeswehr offenhält (wie es auch das Bundesverfassungsgericht in sei-
ner Entscheidung 2 BvE 5/07 vom 4. Mai 2010 getan hat), zeigen die kontrover-
sen Diskussionen über die Abgrenzungen bzw. Übergänge zwischen „Amtshilfe“
und „Einsatz“, wie notwendig es ist, dem Parlament mehr Kontrollrechte und in
Zweifelsfällen das letzte Wort zu verleihen. Inlandseinsätze der Bundeswehr
dürfen nicht gleichsam durch die Hintertür eingeführt werden. Zudem muss be-
achtet werden, dass ein Tätigwerden der Bundeswehr in Zusammenhang mit
Demonstrationen oder Streiks selbst dann in den Augen von Demonstrantinnen
und Demonstranten oder Streikenden als Einmischung in innen- oder sozial-
politische Auseinandersetzungen begriffen werden kann, wenn mittelbar oder
unmittelbar obrigkeitliche Tätigkeiten damit nicht verbunden sind. Allein eine
massive Präsenz der Bundeswehr ist geeignet, eine psychische Zwangswirkung
auf Demonstrantinnen und Demonstranten oder Streikende zu entfalten („Show-
of-force“-Charakter) und damit auf unzulässige Art in die Versammlungsfreiheit
einzugreifen.

Stark umstritten ist schließlich auch die Unterstützung der Bundeswehr für die
Münchner Sicherheitskonferenz. Die früher übliche Bereitstellung von Feld-
jägerinnen und Feldjägern, die das Hausrecht im Tagungshotel übernahmen,
wurde vielfach als „Einsatz“ kritisiert. Die durch mehrere hundert Soldatinnen
und Soldaten erbrachten sonstigen Unterstützungsleistungen mögen zwar ver-
fassungsrechtlich unbedenklich sein, sind aber politisch umstritten und finan-
ziell erheblich (im Jahr 2009 wandte die Bundeswehr über 400 000 Euro auf).

Das Beispiel der Münchner Sicherheitskonferenz verdeutlicht ebenfalls, wie
unzureichend die bisherigen Kontrollmöglichkeiten sind. Wurden die Tätigkei-
ten der Bundeswehr in früheren Jahren als Unterstützungsleistungen für Dritte
gewertet und in den Antworten auf die Quartalsanfragen der Fraktion DIE
LINKE. erwähnt, so ist die Bundesregierung im Jahr 2010 dazu übergegangen,
die Unterstützung als „Maßnahme im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit“ zu
werten – und in den Antworten auf die erwähnten Anfragen nicht mehr anzuge-
ben.

Neben der Unterstützung für Polizeibehörden fällt auf, dass die Bundeswehr
heute regelmäßig zu Großveranstaltungen hinzugezogen wird, wie etwa dem
Katholischen Jugendtag, den Kirchentagen, der Fußballweltmeisterschaft, aber
auch zu Veranstaltungen mit hohem Publikumsaufkommen auf kommunaler
Ebene.

Die verstärkte Bereitschaft, auf Amtshilfe- und Unterstützungsanfragen positiv
zu reagieren, kann zu Verstößen gegen die Arbeitsmarktneutralität führen –
wenn Kommunen, Vereine oder Unternehmen die Bundeswehr als Dienstleister
betrachten. Dies muss ebenfalls durch den Deutschen Bundestag überprüfbar
sein. Sofern die Kommunen einen tatsächlichen Bedarf an Dienstleistungen
durch die Bundeswehr haben, gälte es, etwa die entsprechenden Strukturen des
zivilen Katastrophenschutzes zu stärken.

Es entspricht nicht nicht dem originären Auftrag der Bundeswehr, sich als
„Freund und Helfer“ im Inland zu betätigen. Als weiterer Zweck der verstärk-
ten Amtshilfebewilligungen muss angenommen werden, dass es auch um

Imagepflege mit dem Ziel geht, die Nachwuchswerbung der Bundeswehr zu
befördern.

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5 – Drucksache 17/4884

Der Deutsche Bundestag muss deshalb wesentlich besser informiert werden als
bisher. Er muss zudem die Möglichkeit erhalten, eigene Bewertungen angefrag-
ter Unterstützungshandlungen der Bundeswehr vorzunehmen, was die Mög-
lichkeit einschließt, solche Handlungen ggf. zu unterbinden. Maßnahmen nach
Artikel 35 Absatz 2 und 3 GG sind zwar keine „einfachen“ Amtshilfeleistun-
gen, sollen aber in den Gesetzentwurf ebenfalls aufgenommen werden, um
nicht eine Regelungslücke im Bereich der inneren Verwendungen der Bundes-
wehr entstehen zu lassen.

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