BT-Drucksache 17/4672

zu der Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat Auf dem Weg zu einer verstärkten europäischen Katastrophenabwehr - die Rolle von Katastrophenschutz und humanitärer Hilfe Ratsdok: 15614/10; KOM(2010) 600 endg. hier: Stellungnahme gegenüber der Bundesregierung gemäß Artikel 23 Absatz 2 des Grundgesetzes in Verbindung mit § 9 des Gesetzes über die Zusammenarbeit zwischen Deutschem Bundestag und Bundesregierung in Angelegenheiten der Europäischen Union

Vom 8. Februar 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/4672
17. Wahlperiode 08. 02. 2011

Antrag
der Abgeordneten Frank Tempel, Sevim Dag˘delen, Heike Hänsel, Jan Korte,
Ulla Jelpke, Petra Pau, Jens Petermann, Raju Sharma, Halina Wawzyniak
und Fraktion DIE LINKE.

zu der Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat
Auf dem Weg zu einer verstärkten europäischen Katastrophenabwehr:
die Rolle von Katastrophenschutz und humanitärer Hilfe
(KOM(2010) 600 endg.; Ratsdok. 15614/10)

hier: Stellungnahme gegenüber der Bundesregierung gemäß Artikel 23 Absatz 2
des Grundgesetzes i. V. m. § 9 des Gesetzes über die Zusammenarbeit
von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten
der Europäischen Union

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

1. Der Deutsche Bundestag verweist auf den in der Mitteilung der EU-Kom-
mission dargestellten Anstieg von schlimmen Naturkatastrophen mit einem
hohen Verlust an Menschenleben und auf die Analyse der EU-Kommission,
diese Entwicklung liege zu großen Teilen im Klimawandel, in steigender in-
dustrieller Tätigkeit und Umweltzerstörung begründet.

2. Der Deutsche Bundestag verweist in diesem Zusammenhang auf die Verant-
wortung der Industriestaaten für den Klimawandel und auf den Anspruch
der vom Klimawandel und von Naturkatastrophen betroffenen Staaten auf
solidarische Hilfe im Katastrophenfall.

3. Der Deutsche Bundestag lehnt hingegen den Versuch der EU-Kommission,
durch das Anführen der Terrorgefahr in diesem Zusammenhang sicherheits-
politische Aspekte in die Thematik Katastrophenschutz und humanitäre
Hilfe einzuführen, ab.

4. Der Deutsche Bundestag begrüßt grundsätzlich das Ansinnen, die Instru-
mente der Katastrophenhilfe der Europäischen Union und ihrer Mitglied-
staaten im Sinne einer effizienteren Umsetzung im Katastrophenfall abzu-

stimmen und die Koordination mit den Vereinten Nationen zu verstärken.

5. Der Deutsche Bundestag hält hingegen das in der Mitteilung dargelegte
Leitprinzip, humanitäre Hilfe und Krisenreaktion innerhalb des Instruments
für Stabilität mit ziviler und militärischer Krisenbewältigung im Rahmen der
Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) zusammenzu-
führen, für nicht vereinbar mit dem ebenfalls genannten Leitprinzip, huma-

Drucksache 17/4672 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
nitäre Hilfe an international vereinbarten Grundsätzen (Menschlichkeit,
Neutralität, Unparteilichkeit und Unabhängigkeit) auszurichten.

6. Der Deutsche Bundestag betont auch hinsichtlich der Hilfe bei Katastro-
phenfällen in Drittstaaten, dass die primäre Verantwortung für die Krisen-
reaktion bei den betroffenen Staaten liegt und internationale Hilfe nur auf
ein Hilfsersuchen und in enger und stetiger Abstimmung mit der jeweiligen
Regierung erfolgen darf.

7. Der Deutsche Bundestag ist deshalb der Auffassung, dass die Mitgliedstaa-
ten auch ohne eine Koordination der EU bei der Hilfe bei Katastrophenfällen
handlungsfähig bleiben müssen, falls ein Hilfsersuchen nur an einzelne Mit-
gliedstaaten ergeht oder sich die EU nicht zu einem Tätigwerden durchrin-
gen kann.

8. Der Deutsche Bundestag warnt davor, die Sichtbarkeit der und Koordination
durch die EU als Selbstzweck zu verfolgen, und weist darauf hin, dass die
Einführung neuer Koordinationsmechanismen und -strukturen sowie tech-
nischer Lösungen zur Interoperabilität gerade unter der benannten Maßgabe
der Kosteneffizienz nicht zwangsläufig zu einer schnelleren, umfassenderen
und effizienteren Hilfe führen, sondern auch die Gefahr einer effektiven Ver-
ringerung der operativen zugunsten der administrativen Kapazitäten und
Reibungsverlusten zwischen den substaatlichen, nationalstaatlichen und
europäischen Koordinationszentren bergen.

9. Der Deutsche Bundestag weist die in der Mitteilung der EU-Kommission
angelegte stärkere Verzahnung ziviler und militärischer Instrumente in der
Katastrophenabwehr, der durch den Lissabonner Vertrag und die Einrichtung
des Europäischen Auswärtigen Dienstes Vorschub geleistet wird, zurück.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. sich im Rat aktiv für eine zivile und von sicherheitspolitischen Erwägungen
unabhängige Katastrophenabwehr einzusetzen und für den Aufbau entspre-
chender logistischer Kapazitäten, die vom Militär unabhängig sind, einzutre-
ten;

2. die in der Mitteilung der EU-Kommission „Auf dem Weg zu einer verstärk-
ten europäischen Katastrophenabwehr: die Rolle von Katastrophenschutz
und humanitärer Hilfe“ (Ratsdokument: 15614/10) angekündigten Rechts-
akte zur Weiterentwicklung der europäischen Katastrophenabwehr abzuleh-
nen;

3. sich im Rahmen der Vorbereitung des für Ende 2011 angekündigten Legis-
lativvorschlags „Vorschlag zur Überarbeitung der Vorschriften für Katastro-
phenvorsorge und Abwehr“ dafür einzusetzen, dass

– die Verzahnung ziviler und militärischer Instrumente in der Katastro-
phenabwehr und die Verbindung der Katastrophenabwehr mit sicher-
heits- und außenpolitischen Strategien ausgeschlossen werden,

– die primäre Verantwortung der zuständigen Behörden der betroffenen
Staaten für die Umsetzung im Katastrophenfall sichergestellt ist,

– die Mitgliedstaaten bei bilateralen Hilfsersuchen weiterhin handlungs-
fähig bleiben.

Berlin, den 8. Februar 2011

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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