BT-Drucksache 17/4552

Vorbereitung des 4. Armuts- und Reichtumsberichts der Bundesregierung in der 17. Wahlperiode - Armuts- und Reichtumsberichterstattung weiterentwickeln

Vom 26. Januar 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/4552
17. Wahlperiode 26. 01. 2011

Antrag
der Abgeordneten Hilde Mattheis, Gabriele Hiller-Ohm, Anette Kramme,
Elke Ferner, Heinz-Joachim Barchmann, Dr. Hans-Peter Bartels, Klaus Barthel,
Bärbel Bas, Willi Brase, Ulla Burchardt, Petra Crone, Petra Ernstberger,
Michael Gerdes, Iris Gleicke, Angelika Graf (Rosenheim), Michael Groß, Klaus
Hagemann, Petra Hinz (Essen), Christel Humme, Josip Juratovic, Oliver
Kaczmarek, Daniela Kolbe (Leipzig), Angelika Krüger-Leißner, Steffen-Claudio
Lemme, Gabriele Lösekrug-Möller, Caren Marks, Katja Mast, Franz Müntefering,
Aydan Özog˘uz, Thomas Oppermann, Florian Pronold, Mechthild Rawert,
Gerold Reichenbach, Sönke Rix, René Röspel, Dr. Ernst Dieter Rossmann,
Marlene Rupprecht (Tuchenbach), Anton Schaaf, Marianne Schieder (Schwandorf),
Werner Schieder (Weiden), Silvia Schmidt (Eisleben), Ottmar Schreiner, Swen
Schulz (Spandau), Stefan Schwartze, Kerstin Tack, Rüdiger Veit, Andrea Wicklein,
Dagmar Ziegler, Dr. Frank-Walter Steinmeier und der Fraktion der SPD

Vorbereitung des 4. Armuts- und Reichtumsberichts der Bundesregierung
in der 17. Wahlperiode – Armuts- und Reichtumsberichterstattung
weiterentwickeln

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

1. Die Armuts- und Reichtumsberichterstattung der Bundesregierung ist wesent-
liche Grundlage für die Ausgestaltung sozial gerechter Politik. Gerechterer
Verteilung von Wohlstand und Arbeit kommt entscheidende Bedeutung für
die Entwicklung unseres Landes zu. Die Verbesserung der Lebenssituation
von Menschen mit einem erhöhten Armutsrisiko ist Herausforderung für die
ganze Gesellschaft.

Der Bericht sollte Handlungsperspektiven für eine Stärkung der Teilhabe-
und Verwirklichungschancen des Einzelnen aufzeigen, vor allem Richtung
besserer Bildung, verbesserter Gesundheit und erleichterten Zugängen zu
Erwerbsarbeit mit existenzsicherndem Einkommen.

Der Bericht muss auf der statistisch-empirischen Erfassung der gesellschaft-
lichen Realität in Deutschland mit ihren Gegenpolen Armut und Reichtum
basieren.
2. Die Verbesserung der Datenlage insgesamt: Im 3. Armuts- und Reichtums-
bericht wurde zum ersten Mal auf die Datenbasis der amtlichen europä-
ischen Statistik zu Einkommens- und Lebensverhältnissen (EU-SILC) zu-
rückgegriffen.

Dabei zeigte sich, dass die Erfassungsmethoden von EU-SILC fehlerhaft
sind. So hat EU-SILC z. B. in Bezug auf die Personengruppe der Migrantin-

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nen und Migranten die Daten in Deutschland ausschließlich mit Fragebögen
in deutscher Sprache erhoben, was eine bedeutende Fehlerquelle ausmacht.

Festgestellt werden muss: Die Verwendung der EU-SILC-Daten erschwert die
Vergleichbarkeit zu den Daten des 1. und 2. Armuts- und Reichtumsbericht
bzw. macht einen Vergleich in langen Zeitreihen unmöglich, weil eine Ver-
gleichbarkeit zu den Erhebungen der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe
(EVS) der amtlichen Statistik in Deutschland und des Sozio-oekonomischen
Panels (SOEP) nicht gegeben ist.

Unabhängig von der Umstellung der Basisdaten in zentralen Bereichen auf
EU-SILC enthält der Bericht auch in Bereichen, für die keine EU-SILC-In-
dikatoren vorliegen bzw. zugrunde gelegt werden, Daten, die nicht sachge-
recht sind bzw. eine Vergleichbarkeit erschweren und dazu genutzt werden,
den Bericht zu beschönigen.

So werden z. B. für die Zahl überschuldeter Haushalte im Verhältnis zu den
Vorgängerberichten keine vergleichbare Daten vorgelegt. Damit wird der
Eindruck erweckt, die Überschuldungsproblematik habe sich abgeschwächt,
was aber durch anderweitig vorliegende Daten widerlegt wird. Die im Jahr
2007 erstmals vom Statistischen Bundesamt durchgeführte bundesweite Er-
hebung zur Überschuldung privater Haushalte (Überschuldungsstatistik) hat
wesentlich zur Verbesserung der Datenlage zu den sozioökonomischen
Merkmalen von überschuldeten Personen, den Schuldenarten und den Grün-
den für die Überschuldungssituation beigetragen. Aber geschlossen sind die
offensichtlichen Lücken der „Überschuldungsstatistik“ damit bei weitem
nicht.

Es besteht nicht nur „weiterer Forschungsbedarf“, sondern Bedarf nach ei-
ner verstärkten öffentlichen Finanzierung der Überschuldungsforschung –
auch um zu einer Harmonisierung der Forschungs- und Datenerhebungsan-
sätze und zielgenaueren Analysen zu gelangen.

Auch kann nicht von aktuellen Daten und der Kennzeichnung der Lebensla-
gen, für die sie stehen, gesprochen werden, wenn wie z. B. bei der Vermö-
gensverteilung auf einen Erfassungszeitraum zurückgegriffen wird, der
sechs Jahre zurückliegt.

Bedeutung und Wertschätzung der Armuts- und Reichtumsberichterstattung
dürfen durch solcherart Lücken, Mängel, Ausblendungen und Verwischun-
gen bei der Erfassung nicht weiter geschwächt werden.

3. Die Verbesserung der Datenlage der Reichtumsberichterstattung: Im 3. Ar-
muts- und Reichtumsbericht ist die Reichtumsberichterstattung der Bundes-
regierung nur sehr eingeschränkt wahrgenommen worden. So hat sich die
Analyse und Darstellung der Vermögensverteilung auf nur einen einzigen
Indikator („Q.1.: Vermögensverteilung“) beschränkt, der für die „Verteilung
der Vermögen“ nur „auf die oberen 10%“ und „auf die unteren 50%“ – zudem
schwer vergleichbare – Zahlenangaben bietet und deren „aktuellste“ Zahl aus
dem Jahr 2003 stammt. Im Bericht wurde festgestellt, „dass die Daten- und
Erkenntnislage im Bereich des privaten Reichtums mit Blick auf besonders
hohe Einkommen und Vermögen kurzfristig nur schwer zu verbessern ist.
Darüber hinaus muss eine Analyse von Reichtum auch privilegierte Zugänge
zu Bildung und zu beruflichen Spitzenpositionen sowie Aspekte wie Macht
und Einfluss umfassen.“

Die Datenlage und die Erfassung dessen, was als „Reichtum“ definiert wird,
wie er zustande kommt und wie er weitergegeben wird (Erbschaften), muss
auf alle relevanten Bereiche ausgeweitet und verbessert werden. Der private
Reichtum muss mit Blick auf besonders hohe Einkommen und Vermögen

ähnlich differenziert und präzise erfasst werden wie die Armut im Armuts-
teil.

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/4552

Es reicht nicht aus, etwa zur Vermögensverteilung auf nur einen einzigen In-
dikator zurückzugreifen. Es fehlt auch eine detaillierte Darstellung

a) der Einkommens- und Vermögensentwicklung,

b) des Konsumreichtums,

c) der zunehmenden Einkommensungleichheit sowie

d) die zusätzliche Klärung der Beziehung zwischen privatem Reichtum und
öffentlicher Armut.

Dazu muss auch die Erfassung von Vermögensbeständen (auch ausgewiese-
ner Weise derer des obersten 1 Prozent der Reichen) grundlegend verbessert
werden.

Die Größe und Wirkung von Erbschaften und Schenkungen muss fester Be-
standteil der Berichterstattung werden. So wurden z. B. für 2008 für nur
0,2 Prozent der Fälle, die einen steuerpflichtigen Erwerb über 5 Mio. Euro
aufwiesen, 25 Prozent der festzusetzenden Steuer, d. h. des gesamten Erb-
schaftsteueraufkommens, errechnet.

Die Erkenntnisse der Monopolkommission zu Betriebsvermögen der Unter-
nehmen und ihrer Konzentration wurden bisher in der Berichterstattung aus-
gespart. Sie sollen Eingang in den Reichtumsteil der Armuts- und Reich-
tumsberichterstattung finden.

Steuervermeidung, Steuerflucht, Steuerhinterziehung und Steuertraglast
(Abgeltungsteuer) sind in ihrer Auswirkung auf die Vermögensbildung nicht
unbeträchtlich. Sie sollen künftig in der Berichterstattung erfasst und be-
wertet werden.

4. Einbeziehung der Eliteforschung: Eine hinreichende Analyse von Reichtum
muss auch privilegierte Zugänge zu Bildung und zu beruflichen Spitzenposi-
tionen sowie Aspekte wie Macht und Einfluss umfassen. Die Eliteforschung
und insbesondere der Aspekt der sozialen Herkunft muss in die Reichtums-
forschung und -berichterstattung einbezogen werden.

Neben Untersuchungen zur Rekrutierung von Eliten und der Durchlässigkeit
von Gesellschaftsbereichen sowie dem Verhältnis zwischen Reichtum und
Eliten soll die Eliteforschung verstärkt die Auswirkungen auf das Human-
vermögen (Bildung, berufliche Erfahrungen, Gesundheit) und das Sozialver-
mögen (gesellschaftliche Stellung, Entscheidungsgewalt, gesellschaftliche
Beziehungen) erforschen.

5. Einbeziehung von Daten auf der Makroebene: In den letzten 20 Jahren haben
tiefgreifende Verschiebungen in der sozialen Balance stattgefunden. Es ist zu
einer weit auseinandergehenden Spaltung in Arm und Reich gekommen. Die
Mittelschicht ist geschrumpft. Der Anteil der Aufsteiger hin zur Schicht der
Reichen ist geringer als der Absteiger hin zu höherem Armutsrisiko. Die
Wohlfahrtzuwächse in den letzten 20 Jahren sind in der Breite der Bevölke-
rung nicht angekommen. Im Langzeitvergleich der Einkommen und Ver-
mögen haben vor allem an den Rändern extreme Veränderungen stattgefun-
den. Diese Entwicklung hat zu einem großen Vermögensreichtum einer sehr
kleinen und echten Reichtumselite auf der einen Seite geführt und auf der
anderen Seite – mit der Zunahme der working poor – zu einer dauerhaften
Unterschicht mit zunehmender Verfestigung von Armut.

Ähnliche deutliche Verschiebungen lassen sich auch an der Entwicklung des
Vermögens auf der Makroebene anhand der Letzteigentümersektoren (Staat,
private Haushalte, private Organisationen ohne Erwerbszweck, Auslands-
vermögen in der Bundesrepublik Deutschland) ablesen.

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Das gilt auch für die funktionelle Verteilung zwischen Lohnarbeit und Kapi-
tal, die ein guter Spiegel von Verteilungsgerechtigkeit ist. Dieser Indikator
war bisher nicht Gegenstand der Reichtums- und Armutsberichterstattung,
obwohl die Daten dazu vorliegen.

Vor allem in langer Zeitreihe können durch Indikatoren auf der Makroebene
und ihre Relationen zueinander tiefgreifende Verschiebungen in der sozialen
Balance frühzeitiger wahrgenommen werden. Sie sollen deshalb fester Be-
standteil der Berichterstattung werden.

6. Einbeziehung des öffentlichen Reichtums: Wir brauchen auch eine Reich-
tumsberichterstattung über den Reichtum der Gesellschaft, nicht nur des in-
dividuellen Reichtums. Dem öffentlichen Reichtum soll ein eigenes Kapitel
der Reichtumsberichterstattung gewidmet werden. Darin soll Auskunft dar-
über gegeben werden, wie sich der Einsatz öffentlicher Mittel auf die Reich-
tums- und Armutsentwicklung in der Gesellschaft auswirkt. Dazu gehört
auch eine Untersuchung der Partizipation am Einsatz öffentlicher Mittel von
armen und reichen Gesellschaftsmitgliedern.

Es müssen existente reiche Gebietskörperschaften in die Betrachtung einbe-
zogen werden, um auch hier Erkenntnisse z. B. über fehlende Integration
(„Ghettoisierung“) zu gewinnen.

Der Bericht soll Auskunft darüber geben, wie sich der Einsatz öffentlicher
Mittel (Bankenrettung) auf die Reichtums- und Armutsentwicklung in der
Gesellschaft auswirkt bzw. wie eine gerechte Teilhabe am Einsatz öffentli-
cher Mittel für arme und reiche Gesellschaftsmitglieder ermöglicht werden
kann.

7. Einbeziehung der Länder und Kommunen: Die Länder und Kommunen
müssen stärker in die Berichterstattung mit einbezogen werden, da sich Ar-
mut und Reichtum zu einem erheblichen Teil auf Länder- und kommunaler
Ebene spiegelt (abzeichnet). Länder und Kommunen tragen in den Berei-
chen von Bildung, der Gesundheitsvorsorge, der Fürsorge und Daseinsvor-
sorge zuständigkeitshalber die Verantwortung oder Mitverantwortung in der
Ausführung von Gesetzgebung. Nicht nur unter den Gesichtspunkten von
Effektivität und Effizienz sind dabei grundlegende Fortschritte möglich,
gleichzeitig werden strukturelle Auswirkungen von Gesetzen sichtbar.

Die Erörterung der Berichte unter entsprechenden Fragestellungen kann für
zukünftiges staatliches Handeln von erheblicher Bedeutung sein. Dazu zäh-
len exemplarisch auch Umfang und Qualität sogenannter Freiwilligen-
dienste/Aufgaben, wie soziale Integrationsberatung und die Schuldnerbera-
tung, aber auch eine bessere Gesundheitsversorgung in den Kommunen
durch mehr Prävention (Stichwort: Schularzt).

Ein Abgleich zwischen den kommunalen, länderspezifische Armuts- und
Reichtumsberichten und dem Armuts- und Reichtumsbericht der Bundes-
regierung kann Anstöße für nachhaltige Verbesserungen der sozialen und
kommunalen Infrastruktur geben. Er kann zu einer effektiveren Zusammen-
arbeit zwischen Bund, Ländern und Kommunen führen.

8. Vernetzung und Bündelung von Berichten: Die Zustandsaufnahme des
Armuts- und Reichtumsberichts soll in seinen Querschnittsthemen mit ande-
ren Berichten besser vernetzt werden. Denn die Berichte der Bundesregie-
rung (neben dem Armuts- und Reichtumsbericht die Berichte zu Familie,
Kindern und Jugendlichen, Senioren, Bildung, Migration, Renten, aber auch
Städtebau) stehen bisher weitgehend unverbunden nebeneinander. Sie sollen
sich künftig aufeinander beziehen.

Dies kann auch zu einer neuen ressortverbindenden „Bündelungspraxis“ und

zu einer effektiveren vertikalen Bündelung zwischen Kommunen, Ländern
und dem Bund (Programm „Soziale Stadt“) führen.

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5 – Drucksache 17/4552

9. Nachprüfbare Ziele: Es reicht nicht aus – wie im 3. Armuts- und Reichtums-
bericht – in pauschaler Art „Maßnahmen“ ohne weitere Bewertung aufzu-
führen. Die Revision der Indikatoren und die Ergänzungen im Indikatoren-
tableau müssen die Basis dafür liefern, dass nachprüfbare Ziele formuliert
werden können.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. für die künftige Berichterstattung sicherzustellen, dass

a) die Daten methodisch so präzise und konsistent erfasst werden, dass
durch ihre klar definierte Erkenntnisfunktion und Vergleichbarkeit auch
innerhalb langer Zeitreihen nachprüfbare Ziele formuliert werden kön-
nen;

b) die Datenlage aus den jeweiligen Erhebungen möglichst zeitnah (und
nach der Finanzmarktkrise) zur Berichtsveröffentlichung datieren und
nicht länger als vier Jahre zurückliegen;

c) zur besseren Vergleichbarkeit mit früheren Ergebnissen alternierende Da-
tenquellen gegenübergestellt und die unterschiedlichen Erhebungsmetho-
den erläutert und auf annähernde Vergleichbarkeit ausgerichtet werden;

d) Gendermainstreaming schon in der Erfassung über Indikatoren Teil des
Berichts ist;

e) die Ausprägungen im Bezug auf Familienform (Alleinerziehende, Mehr-
kindfamilien, Familien mit Kindern oder Eltern mit Behinderung) und
ggf. Migrationsgeschichte, Behinderung dargestellt werden;

f) die Dauer von Armutsbetroffenheit bzw. strukturelle Armut ausgewiesen
wird;

g) in allen Bereichen – entsprechend dem Erkenntnisinteresse – eine grö-
ßere Differenzierung der Verteilungs- und Schichtungsgrößen (das
reichste 1 Prozent der Bevölkerung) zugrunde gelegt wird;

h) Tabellen im Anhang so verständlich und leicht nachvollziehbar darge-
stellt werden, dass sie der guten Lesbarkeit des Berichts dienen;

i) in den Bereichen, in denen Prognosen über künftige Entwicklungen (wie
etwa der Altersvorsorge) möglich sind, diese ergänzend eingeführt wer-
den;

j) alle öffentlich finanzierten Erhebungsdaten (z. B. auch die Daten von
AVID/ASID) für Reanalysen zur Verfügung gestellt werden;

2. die Berichterstattung des Reichtumsteils dadurch zu verbessern, dass zusätz-
liche Indikatoren bezüglich der Vermögensberechnung privater Haushalte
für folgende Bereiche (sowohl als einzelne Indikatoren als auch als Gesamt-
indikator, der alle Vermögen umfasst) eingeführt werden:

a) Grund- und Immobilienvermögen,

b) Betriebsvermögen,

c) Gebrauchsvermögen,

d) Geldvermögen,

e) Schulden,

f) Alterssicherungsvermögen (insbesondere Betriebsrenten, berufsständi-
sche Versorgungssysteme),
g) weitere private Eigentumsrechte (an natürlichen Ressourcen, Patenten
u. a.),

Drucksache 17/4552 – 6 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

h) Sozialvermögen (Vernetzung und Mitgliedschaften in Entscheidungsgre-
mien u. Ä.) und Humanvermögen (u. a. bildungsbürgerliche und beruf-
liche Qualifikationen, Gesundheit),

i) Privilegien,

j) Konsumreichtum;

3. in die künftigen Armuts- und Reichtumsberichte Indikatoren zur Analyse
der Weitergabe von Reichtum durch Vererbung und Schenkungen einzufüh-
ren, die nach Steuersätzen und Beträgen differenzieren;

4. in die künftigen Armuts- und Reichtumsberichte Indikatoren zur Analyse
der vermögensrelevanten Größen

a) Steuervermeidung,

b) Steuerflucht,

c) Steuerhinterziehung sowie

d) effektive Steuerbelastung nach Größenklassen des zu versteuernden Ein-
kommens und nach Vermögen (mit Einbeziehung u. a. der Abgeltung-
steuer)

einzubringen;

5. Indikatoren zur Entwicklung des Vermögens auf der Makroebene anhand
der vier Letzteigentümersektoren in die künftigen Armuts- und Reichtums-
berichte einzuführen:

a) des Staates,

b) privater Haushalte,

c) private Organisationen ohne Erwerbszweck sowie

d) Auslandsvermögen in der Bundesrepublik Deutschland;

6. in die künftigen Armuts- und Reichtumsberichte Indikatoren zu Betriebsver-
mögen der Unternehmen und ihrer Konzentration einzubringen, die den
Stand und Entwicklung der Konzentration von Großunternehmen und die
personellen und kapitalmäßigen Verflechtungen transparent machen;

7. den Indikator „Verteilung zwischen Lohnarbeit und Kapital“ auch rück-
blickend in langer Zeitreihe in die Armuts- und Reichtumsberichterstattung
aufzunehmen;

8. in die künftigen Armuts- und Reichtumsberichte Indikatoren insbesondere
unter dem Aspekt der sozialen Herkunft einzuführen, die Aussagen ermög-
lichen zur Durchlässigkeit, zu Aufstiegschancen und Abstiegsrisiken in den
verschiedenen Gesellschaftsbereichen wie

a) Wirtschaft (Unternehmen und Arbeitsmarkt),

b) Politik,

c) Justiz,

d) Medien,

e) Bildung,

f) Gesundheit

und damit eine Grundlage für die Analyse der Auswirkungen von Elitebil-
dungen auf Human- und Sozialvermögen und ihre Nutzung schaffen;

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 7 – Drucksache 17/4552

9. neue und aufeinander abgestimmte Indikatoren zur Überschuldung privater
Haushalte in die künftigen Armuts- und Reichtumsberichte einzuführen,
die eine Überschuldungsstatistik ermöglichen, die neben der freiwilligen
Befragung auch objektivere Erfassungsmethoden umfasst. Dazu soll auch
die Schaffung einer gesetzlichen Grundlage für eine verbindliche Einmel-
dung anonymisierter Ver- und Überschuldungsdaten gehören;

10. in die künftigen Armuts- und Reichtumsberichte Indikatoren einzuführen,
die die Quellen des öffentlichen Reichtums abbilden sowie die Verteilung
und beabsichtigte bzw. erreichte Wirkung der Maßnahmen des Sozial-
staates;

11. die Zustandsaufnahme des Armuts- und Reichtumsberichts in seinen Quer-
schnittsthemen mit anderen Berichten der Bundesregierung besser zu ver-
netzen;

12. für eine bessere Koordination zwischen Kommunen, Ländern und Bund im
Armuts- und Reichtumsbericht die Schnittstellen zu den jeweils anderen
Berichten kenntlich zu machen und auch die gemeinsamen institutionellen
Handlungsebenen einzubeziehen;

13. künftige Berichte mit Handlungsanleitungen und Handlungskonzepten zu
versehen, mit denen qualitative und quantitative Ziele – nachprüfbar –
erreicht werden können.

In einem koordinierten Verbund mit Kommunen und Ländern die Hand-
lungsanleitungen zur Grundlage für einen auf allen politischen Ebenen
greifenden Aktionsplan zur Armutsbekämpfung zu gestalten und dazu als
eine wichtige Grundlage eine einheitliche Grundsicherungsstatistik einzu-
führen.

Berlin, den 26. Januar 2011

Dr. Frank-Walter Steinmeier und Fraktion

Begründung

Die Koalitionsvereinbarung zwischen CDU, CSU und SPD vom 11. November
2005 beauftragte die damalige Bundesregierung, „Forschungsdefizite im Rah-
men der Armuts- und Reichtumsberichterstattung abzubauen, insbesondere in
Bezug auf Reichtum“.

Diese Defizite konnten jedoch im 3. Armuts- und Reichtumsbericht nicht abge-
baut werden. Im Bericht wird das so begründet: „Der am 29. November 2006
durchgeführte wissenschaftliche Expertenworkshop zur Weiterentwicklung der
Reichtumsberichterstattung der Bundesregierung machte deutlich, dass die
Daten- und Erkenntnislage im Bereich des privaten Reichtums mit Blick auf
besonders hohe Einkommen und Vermögen kurzfristig nur schwer zu verbes-
sern ist. Darüber hinaus muss eine Analyse von Reichtum auch privilegierte
Zugänge zu Bildung und zu beruflichen Spitzenpositionen sowie Aspekte wie
Macht und Einfluss umfassen.“

Lücken und Mängel der Erfassung der Lebenslagen kennzeichnen jedoch den
Bericht nicht nur in Hinsicht auf den Reichtumsteil, sondern auch etwa in der
Gender-Frage oder der Frage überschuldeter Privathaushalte. Die mangelhafte
statistisch-empirische Erfassung der gesellschaftlichen Realität in Deutschland

schlägt so auf die Analyse des Berichts durch und qualifiziert diesen in vielen
Bereichen als unzureichend und wenig zielgenau.

Drucksache 17/4552 – 8 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
Es muss mehr zur Erforschung der Ursachen von Reichtum in Deutschland ge-
tan werden. Die wirklich Reichen sind bisher in keiner Erhebung enthalten. Es
muss auch die Multidimensionalität berücksichtigt werden und nicht nur die
Vermögens- und Einkommensseite.

Der Konsumreichtum und seine Verteilung wurde bisher in der Berichterstat-
tung nicht berücksichtigt. Er soll Thema in den künftigen Berichten werden.

Nötig ist mehr Transparenz, indem die verfügbaren Daten zum Reichtum (z. B.
im Bereich der Steuerflucht) durch internationale Regelungen und internationa-
len Austausch für die Reichtumsforschung verfügbar gemacht werden.

Für eine klares Bild über den Zustand unseres Landes müssen in den nächsten
Armuts- und Reichtumsberichten bei der Bestandsaufnahme längere Zeitreihen
miteinbezogen werden. Außerdem bedarf es realitätsnaher Prognosen über
künftige Entwicklungen (z. B. bezüglich der zu erwartenden Altersarmut oder
etwa absehbarer Zahlen von Kindern und Jugendlichen in Bildungs- und Aus-
bildungsinstitutionen).

Die bisher erhobenen Daten sind zum Teil unzureichend. Als zuverlässige und
breite Grundlage für klare Analysen bedarf es neuer und zusätzlicher Indikato-
ren. Die Indikatoren sind so zu gestalten, dass durch ihre klar definierte Er-
kenntnisfunktion und Vergleichbarkeit auch innerhalb langer Zeitreihen nach-
prüfbare Ziele formuliert werden können, um eine Erfolgskontrolle bezüglich
der Effizienz und Effektivität – vor allem in der Arbeitsmarkts-, der Sozial- und
der Steuerpolitik – zu ermöglichen.

Diese Ziele sollten in einem überprüfbaren Aktionsplan zusammengefasst wer-
den. Es reicht nicht aus – wie im 3. Armuts- und Reichtumsbericht geschehen –
in pauschaler Weise „Maßnahmen“ ohne weitere Bewertung aufzuführen.

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