BT-Drucksache 17/4547

Menschenrechtsverletzungen in den USA

Vom 21. Januar 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/4547
17. Wahlperiode 21. 01. 2011

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Katrin Werner, Jan van Aken, Christine Buchholz, Sevim
Dag˘delen, Annette Groth, Harald Koch, Niema Movassat, Alexander Ulrich
und der Fraktion DIE LINKE.

Menschenrechtsverletzungen in den USA

Trotz feststellbarer schwerwiegender und strukturierter Menschenrechtsverlet-
zungen fehlen im aktuellen 9. Menschenrechtsbericht der Bundesregierung
(Teil C) Aussagen zu den Vereinigten Staaten von Amerika (USA). Die USA
gehören zu den fünf Ländern, die weltweit die meisten Todesurteile vollstre-
cken. Erst in 15 der 50 US-Bundesstaaten ist die Todesstrafe abgeschafft. Seit
Ende des Hinrichtungsmoratoriums 1976 wurden nach Angaben von Amnesty
International insgesamt 1188 Menschen hingerichtet (Stand: Mai 2010), zuletzt
stieg die Zahl im Jahr 2009 sprunghaft auf 52 Personen an. Die mit Abstand
häufigste Hinrichtungsmethode bildet die Injektion (Giftspritze). Weitere, von
Bundesstaat zu Bundestaat variierende, zugelassene Tötungsmethoden sind
Elektrokution (elektrischer Stuhl), Vergasen, Erhängen und Erschießen. Die
bislang letzte Hinrichtung in einer Gaskammer erfolgte 1999.

Einer US-amerikanischen Studie zufolge sind unabhängig von der Art des be-
gangenen Verbrechens zwei Kriterien maßgebend dafür, welche Todeskandida-
ten für die Hinrichtung ausgewählt werden. Neben dem Geschlecht betrifft dies
den Bildungsstand bzw. die Zahl der Jahre, die die zum Tode Verurteilten eine
Schule besucht haben. Besonders hinrichtungsgefährdet sind demnach Männer,
die über keine oder nur über eine geringe Bildung verfügen (vgl. www.sueddeut-
sche.de/wissen/hinrichtungen-in-den-usa-was-ueber-leben-und-tod-entscheidet-
1.220277). Hinzu kommt, dass die Todesinsassen überproportional afroamerika-
nischer und hispanoamerikanischer Herkunft sind. Dies deutet auf eine durch
Willkür und rassistische Vorurteile geprägte Rechtspraxis hin.

Im Zusammenhang mit dem „Kampf gegen den Terror“ setzen die USA ihre
bisherige Praxis der unbefristeten Inhaftierung von ausländischen Staatsange-
hörigen ohne Anklageerhebung im Internierungslager Guantánamo fort. Mit
dem aktuellen Beschluss des Verteidigungshaushalts 2011 durch den US-Kon-
gress wird die Schließung des Lagers faktisch bis auf weiteres verhindert, da
Finanzmittel für die Unterbringung von Guantánamo-Häftlingen auf dem US-
Festland bzw. Prozesse vor zivilen US-Gerichten ausdrücklich nicht vorgese-
hen sind.

Eine juristische Aufarbeitung der unter der vormaligen Bush-Administration in

geheimen Haftzentren der CIA systematisch ausgeübten Folterpraktiken wie
simuliertes Ertrinken („Waterboarding“) ist bislang unterblieben. In zahlreichen
US-Hochsicherheitsgefängnissen laufen die Haftbedingungen nach wie vor der
UN-Antifolterkonvention und anderen internationalen Standards humaner Be-
handlung zuwider. Dies betrifft insbesondere die Praxis dauerhafter Isolations-
haft mit unzureichender medizinisch-therapeutischer Versorgung und ohne Über-
prüfung der Haftbedingungen. Im Fall des mutmaßlichen WikiLeaks- Informanten

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Bradley Manning prüft gegenwärtig der UN-Sonderberichterstatter über Folter
auch eine Beschwerde über die Haftbedingungen in US-Militärkasernen. Zudem
starben im Jahr 2009 mindestens 47 Menschen bei Polizeiangriffen durch den
Einsatz von Elektroschockwaffen (vgl. Amnesty International Report 2010, USA).

Zehntausende Migranten, darunter selbst Asylsuchende, werden routinemäßig
unter erschwerten Bedingungen und ohne ausreichenden Zugang zu medizi-
nischer Versorgung und rechtlichen Beistand in Haft gehalten. Der UN-Sonder-
berichterstatter über extralegale Hinrichtungen zeigte sich im Mai 2009 darüber
besorgt, dass es seit 2003 weit mehr als die offiziell gemeldeten 74 Todesfälle un-
ter Migranten im Gewahrsam der Einwanderungs- und Zollbehörden gegeben
hat. Dennoch lehnte die US-Regierung die Einführung landesweit geltender, ju-
ristisch einklagbarer Standards für Haftbedingungen ab. Das Grenzsicherungs-
regime an der US-amerikanisch-mexikanischen Grenze verstößt weiterhin gegen
internationale humanitäre Standards und gegen die Menschenrechte von Flücht-
lingen und stellt eine Gefahrenquelle für deren Leben dar.

Die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte vor allem der
afroamerikanischen, hispanoamerikanischen und indigenen Bevölkerung unter-
liegen zum Teil erheblichen Einschränkungen. Dies betrifft vor allem die Zu-
gangschancen zum staatlichen Bildungssystem sowie die soziale Sicherheit von
Menschen, die von Erwerbslosigkeit, Armut und Krankheit betroffen sind. Das
Recht auf Gesundheit ist für die insgesamt 52 Millionen US-Amerikanerinnen
und US-Amerikaner, die 2009 nicht krankenversichert waren, praktisch nicht
gewährleistet. Zudem hängt der Zugang zum Gesundheitssystem in hohem
Maß von Faktoren wie Einkommen, aber auch ethnischer Zugehörigkeit oder
Herkunft ab. Die Müttersterblichkeit von Afroamerikanerinnen ist beispiels-
weise viermal höher als bei Frauen mit weißer Hautfarbe. In ländlichen Wohn-
arealen der indigenen Bevölkerung ist die Infrastruktur für Gesundheit und Bil-
dung oft nur unzureichend entwickelt.

Das Erstarken der ultra-rechtskonservativen „Tea-Party“-Bewegung hat die
US-amerikanische Gesellschaft zusätzlich tief polarisiert. Die Bewegung stig-
matisiert gezielt sozial benachteiligte und einkommensschwache Gruppen, die
Angehörigen von bestimmten ethnischen und religiösen Minderheiten (v. a.
Muslime), Menschen aufgrund ihrer geschlechtlichen Identität und sexuellen
Orientierung und lehnt die UN-Konvention über die Rechte von Kindern ab.

Als einer der wichtigsten politischen Verbündeten verfügt die deutsche Bundes-
regierung über beste Voraussetzungen, um mit den USA in einen kritischen
Menschenrechtsdialog einzutreten und der von allen Fraktionen des Deutschen
Bundestags geforderten weltweiten Abschaffung der Todessstrafe (vgl. Bun-
destagsdrucksachen 17/2114, 17/2131, 17/2331) Nachdruck zu verleihen sowie
weitere, konkrete Verbesserungen in der Menschenrechtslage einzufordern.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Führt die Bundesregierung mit den USA einen institutionalisierten Dialog
über Menschenrechtsthemen, und falls ja, welche politischen Ebenen sind
hierbei einbezogen und welche inhaltlichen Schwerpunkte werden behandelt
(falls nein, bitte begründen)?

2. Welche internationalen Menschenrechtsabkommen haben die USA noch nicht
unterzeichnet bzw. wurden bislang nicht ratifiziert?

3. Hat die Bundesregierung die US-Regierung oder ggf. Gouverneure einzel-
ner US-Bundesstaaten über die von allen Fraktionen des Deutschen Bun-
destags vertretene Position zur weltweiten Abschaffung der Todesstrafe in-
formiert, und wie haben die US-amerikanischen Gesprächspartner hierauf

reagiert?

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4. Welche Anstrengungen gedenkt die Bundesregierung angesichts ihres neu
gewonnenen, nichtständigen Sitzes im UN-Sicherheitsrat zu unternehmen,
um auf UN-Ebene für die weltweite Abschaffung der Todesstrafe zu wer-
ben und den Dialog darüber mit den USA und anderen Staaten, die die To-
desstrafe noch nicht abgeschafft haben, zu suchen?

5. Was hat die Bundesregierung bislang unternommen, um im Rahmen der
Europäischen Union einen Menschenrechtsdialog mit den USA über die
Todesstrafe und andere Menschenrechtsthemen zu initiieren?

6. Wie viele Todesurteile wurden seit dem Jahr 2000 in den USA vollstreckt
(bitte möglichst nach Jahr, Geschlecht, Hinrichtungsmethode und Bundes-
staat aufschlüsseln)?

7. Wie viele Verurteilte warten gegenwärtig noch in US-Todeszellen auf ihre
Hinrichtung, und wie beurteilt die Bundesregierung die humanitäre und
menschenrechtliche Situation der Todeskandidatinnen und Todeskandida-
ten (bitte ggf. auch auf einzelne US-Bundesstaaten eingehen)?

8. Wie viele der gegenwärtig auf ihre Hinrichtung wartenden Todeskandida-
tinnen und Todeskandidaten sind nach Kenntnis der Bundesregierung afro-
amerikanischer bzw. hispanoamerikanischer Herkunft?

9. Welche Kriterien und Verfahrensregeln sind nach Kenntnis der Bundesre-
gierung maßgebend dafür, an welchen Personen die Todesstrafe vollstreckt
werden soll, und wie beurteilt die Bundesregierung diese Auswahlpraxis
der US-Behörden?

10. Welche Position vertritt die Bundesregierung zur Fortführung des US-Straf-
gefangenenlagers Guantánamo, und inwieweit werden hierbei nach Ein-
schätzung der Bundesregierung humanitäre Grundsätze des internationalen
Völkerrechts und des Völkerstrafrechts eingehalten, und wie ist die momen-
tane Situation der Strafgefangenen zu bewerten?

11. Wie beurteilt die Bundesregierung die bisherigen Integrationserfolge der
zwei Ex-Guantánamo-Gefangenen, die im Jahr 2010 von der Bundesrepu-
blik aufgenommen wurden, und welche staatlichen Integrationshilfen ste-
hen hierbei den Betroffenen zur Verfügung und inwieweit ist ihr Zugang zu
medizinischer Versorgung und psychologischer Betreuung gewährleistet?

12. Wie viele Personen sind gegenwärtig noch im US-Strafgefangenenlager Gu-
antánamo interniert, und wäre die Bundesregierung bereit, durch die Auf-
nahme von weiteren Guantánamo-Gefangenen einen Beitrag zur Schließung
des Lagers zu leisten (bitte mit Begründung und Nennung der Herkunfts-
länder der Gefangenen, soweit bekannt)?

13. Wie viele Guantánamo-Gefangene haben nach Kenntnis der Bundesregie-
rung in der Gefangenschaft bislang Suizid begangen, und wie viele Gefan-
gene haben Suizidversuche unternommen, die sie überlebten?

14. Wie viele Guantánamo-Gefangene haben seit Entscheidung des Obersten
Gerichtshofs ein Haftüberprüfungsverfahren angestrengt, und wie viele
Verfahren wurden bislang tatsächlich eröffnet und Betroffene angehört?

15. Gegen wie viele Guantánamo-Gefangene wurden bisher Verfahren vor Mi-
litärkommissionen eingeleitet, und welche Bilanz ist hierbei zu ziehen?

16. Über welche gegenwärtigen Befugnisse verfügt nach Kenntnis der Bundes-
regierung der US-amerikanische Geheimdienst CIA bei der „vorübergehen-
den“ Inhaftierung von terrorverdächtigen Personen, und welche zeitlichen
Begrenzungen sind hierbei zu beachten und mit welchen Kontrollmecha-
nismen wird gewährleistet, dass künftig Folterpraktiken und „verschärfte

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Verhörmethoden“ wie simuliertes Ertrinken, erzwungene Nacktheit und
dauerhafter Schlafentzug tatsächlich ausgeschlossen sind?

17. Wie beurteilt die Bundesregierung die humanitäre und menschenrechtliche
Situation von Gefangenen in US-Hochsicherheitsgefängnissen (bitte ggf.
auch auf einzelne US-Bundesstaaten eingehen)?

18. Wie viele Häftlinge werden nach Kenntnis der Bundesregierung in US-
Hochsicherheitsgefängnissen in dauerhafter Isolationshaft gehalten, und für
welche Verbrechen wird seitens der US-Behörden üblicherweise dauerhafte
Isolationshaft verhängt?

19. Mit welchen gesetzlichen Kontrollmöglichkeiten wird nach Kenntnis der
Bundesregierung garantiert, dass Isolationshäftlinge in US-Hochsicherheits-
gefängnissen keiner Folter oder anderen Formen körperlicher und psychi-
scher Misshandlung ausgesetzt sind und Zugang zu medizinischer Versor-
gung haben und die Haftbedingungen überprüft werden können (bitte ggf.
auch auf einzelne US-Bundesstaaten eingehen)?

20. Wie bewertet die Bundesregierung die Einhaltung von humanitären und
menschenrechtlichen Standards bei Isolationshaft im Bereich der US-Mili-
tärgerichtsbarkeit bzw. in US-Militärkasernen, und welche strafrechtliche
Sanktionen könnten ggf. in der Bundesrepublik Deutschland verhängt wer-
den, falls Militärangehörige als geheim eingestuftes Informationsmaterial
öffentlich bekannt machten oder an Dritte weitergäben?

21. Welche Position bezieht die Bundesregierung gegenüber der US-Regierung
in Bezug auf die humanitären und menschenrechtlichen Haftbedingungen
in US-Gefängnissen von Menschen mit geistigen Behinderungen oder mit
schweren chronischen Erkrankungen wie HIV/AIDS und Tuberkulose?

22. In welcher Größenordnung machen die US-Behörden nach Kenntnis der
Bundesregierung von der Praxis Gebrauch, Asylsuchende und Migrantin-
nen und Migranten routinemäßig und häufig unter erschwerten Bedingun-
gen und ohne ausreichende medizinische Versorgung zu inhaftieren, und
welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung hieraus in Gesprä-
chen mit der US-Regierung?

23. Wie viele Todesfälle hat es seit dem Jahr 2000 nach Kenntnis der Bundes-
regierung unter Migrantinnen und Migranten gegeben, die sich im Gewahr-
sam der Einwanderungs- und Zollbehörden befanden (bitte möglichst nach
Jahr und Bundesstaat auflisten)?

24. Wie bewertet die Bundesregierung das bestehende Grenzsicherungsregime
zwischen den USA und Mexiko im Hinblick auf seine Auswirkungen auf
das Leben und die Menschenrechte von Flüchtlingen?

25. Wie viele illegale Übertritte hat es nach Kenntnis der Bundesregierung seit
Inkrafttreten des „Secure Fence Act of 2006“ pro Jahr an der US-amerika-
nisch-mexikanischen Grenze gegeben, und wie viele Menschen kamen seit-
her beim Versuch des illegalen Grenzübertritts ums Leben?

26. In welchem Umfang wird der Grenzzaun durch elektronische Anlagen ge-
sichert, und wie bewertet die Bundesregierung seine reale Wirksamkeit im
Hinblick auf die Eindämmung des Drogen-, Waffen- und Menschenhandels
an der US-amerikanisch-mexikanischen Grenze?

27. Welche Bevölkerungsgruppen unterliegen nach Einschätzung der Bundes-
regierung Einschränkungen ihrer wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen
Menschenrechte, und in welcher quantitativen Größenordnung ist dies zu
beobachten, und welche Rechte sind davon am stärksten betroffen?

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28. Wie viele US-Amerikanerinnen und US-Amerikaner sind nach Kenntnis
der Bundesregierung gegenwärtig von absoluter Armut im Sinne der Defi-
nition der Weltbank (Einkommen unter 1,25 US-Dollar/Tag) betroffen?

29. Wie viele US-Amerikanerinnen und US-Amerikaner sind gegenwärtig
nach der Berechnungsmethode der modifizierten OECD-Skala von relati-
ver Armut betroffen?

30. Wie viele Kinder unter 18 Jahren sind in den USA nach Kenntnis der Bun-
desregierung infolge der Einkommensarmut der Eltern als arm bzw. ar-
mutsgefährdet zu betrachten, und welche Chancen haben sie, struktureller
Armut zu entgehen?

31. Welche Zugangschancen haben nach Kenntnis der Bundesregierung US-
amerikanische Kinder aus einkommensschwachen Familienhaushalten zu
gesundheitlicher Versorgung, zum staatlichen Bildungssystem sowie zu
höherer Bildung an Universitäten, und welchen Stellenwert spielt hierbei
die soziale und/oder ethnische Herkunft?

32. Welche Schlussfolgerung zieht die Bundesregierung aus der Weigerung der
USA, die UN-Kinderrechtskonvention zu ratifizieren im Hinblick auf die
Einhaltung der Menschenrechte von Kindern, und inwieweit gedenkt die
Bundesregierung auf die USA einzuwirken, damit sie die Konvention doch
noch ratifizieren?

33. Wie beurteilt die Bundesregierung die aktuelle Lage der afroamerikani-
schen, hispanoamerikanischen und indigenen Bevölkerung im Hinblick auf
ihren Zugang zu staatlicher Bildung, Gesundheitsdienstleistungen, exis-
tenzsichernden Erwerbseinkommen und sozialen Transferleistungen?

34. Wie bewertet die Bundesregierung die Menschenrechtssituation von Homo-,
Bi- und Transsexuellen sowie Transgendern in den USA?

Berlin, den 21. Januar 2011

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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