BT-Drucksache 17/4434

Für eine konsequente Strukturreform der Deutschen Bahn AG

Vom 19. Januar 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/4434
17. Wahlperiode 19. 01. 2011

Antrag
der Abgeordneten Dr. Anton Hofreiter, Winfried Hermann, Dr. Valerie Wilms,
Stephan Kühn, Bettina Herlitzius, Ingrid Nestle, Daniela Wagner, Cornelia Behm,
Hans-Josef Fell, Kai Gehring, Ulrike Höfken, Bärbel Höhn, Sylvia Kotting-Uhl,
Oliver Krischer, Undine Kurth (Quedlinburg), Nicole Maisch, Friedrich Ostendorff,
Dr. Hermann Ott, Christine Scheel, Dorothea Steiner, Markus Tressel und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Für eine konsequente Strukturreform der Deutschen Bahn AG

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die immer häufiger auftretenden gravierenden Qualitätsmängel bei der Deut-
schen Bahn AG (DB AG) drohen das Image der Bahn nachhaltig zu schädigen.
Im Dezember 2010 war im Fernverkehr rund ein Drittel der Züge nicht pünkt-
lich, weil Weichen, Türen und Signale eingefroren waren und keine Reserven
vorgehalten wurden. Die S-Bahn Berlin verursacht den zweiten Chaos-Winter in
Folge und musste zeitweise sogar ganze Strecken komplett stilllegen, da die Wa-
gen fehlten. Im Frühjahr 2010 verlor ein Intercity-Express (ICE) bei voller Fahrt
eine Tür, die in einen entgegenkommenden Zug einschlug und im Sommer 2010
fielen in den Zügen reihenweise Klimaanlagen aus, so dass die Innenraum-
temperaturen teilweise auf mehr als 50 Grad Celsius stiegen. Der Werbeslogan
der Deutschen Bundesbahn aus dem Jahr 1966 „Alle reden vom Wetter. Wir
nicht“ ist eine Erinnerung an Zeiten, in denen die vier Feinde der DB AG noch
nicht Frühling, Sommer, Herbst und Winter hießen. Die Bundesregierung und
die DB AG müssen nun schnellstmöglich ein kurzfristiges Krisen- und Präven-
tionskonzept vorlegen, mit dem witterungsbedingte Zugausfälle und -verspätun-
gen verhindert werden.

Die Häufung der Vorfälle ist kein Zufall, sondern sie ist das Ergebnis einer
verfehlten Bahnpolitik, die den Konzern an die Börse bringen wollte, was die
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN immer massiv bekämpft hat. Der Antrag
der Fraktionen der CDU/CSU und SPD vom 7. Mai 2008 (Bundestagsdruck-
sache 16/9070), mit dem die Teilprivatisierung der Bahn beschlossen wurde, ist
unter anderem unterschrieben von Dr. Peter Ramsauer. Es war also genau die
Privatisierungspolitik der ersten Bundesregierung unter Dr. Angela Merkel mit
dem damaligen CSU-Landesgruppenchef Dr. Peter Ramsauer, die der Bundes-
minister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Dr. Peter Ramsauer in der zwei-
ten Bundesregierung unter Dr. Angela Merkel heute beklagt und dabei versucht,
den Eindruck zu erwecken, als wäre der Börsenkurs der DB AG bloß eine
schlechte Idee des Gespanns Hartmut Mehdorn/Wolfgang Tiefensee gewesen.

Die immensen Qualitätsmängel zeigen zudem, dass die Behauptung, nur ein
integrierter Bahnkonzern, dem sowohl das Schienennetz als auch ein Großteil

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der Verkehrsgesellschaften gehören, sei sicher, durch nichts belegt ist. Im Ge-
genteil: Während die Züge der DB AG reihenweise stehen blieben oder – wie im
Fall der Berliner S-Bahn, die ebenfalls zum DB-Konzern gehört – gar nicht mehr
zum Einsatz gebracht werden konnten, sind vergleichbare Vorfälle der Wettbe-
werbsbahnen nicht aufgetreten. Zudem zeigt auch die DB AG mit ihren Plänen,
mit dem ICE auf fremden Netzen bis nach London und Marseille zu fahren, dass
in einem zusammenwachsenden europäischen Eisenbahnmarkt Eigentum an der
Infrastruktur keine Voraussetzung für gute Eisenbahnangebote ist.

Umgekehrt spricht viel für die These, dass das bundeseigene Schienennetz, das
der DB Netz AG als Tochter der DB AG gehört und von ihr betrieben wird,
jahrelang auf Verschleiß gefahren wurde, um die Gewinne zu maximieren. So
hat die DB Netz AG im Jahr 2005 noch einen Gewinn von 15 Mio. Euro ge-
macht. Im Jahr 2008 waren es schon 338 Mio. Euro, die sich binnen Jahresfrist
auf 768 Mio. Euro mehr als verdoppelten. Nach der im August 2010 bekannt ge-
wordenen Mittelfristplanung soll der Gewinn im Jahr 2011 auf 845 Mio. Euro
steigen und bis 2014 sogar 1,1 Mrd. Euro erreichen. Diese Gewinne werden als
Folge eines Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrags vollständig an die
Konzernholding abgeführt. Auch die Fernverkehrssparte, bisher eher ein Sor-
genkind im DB-Konzern soll nach der Mittelfristplanung im Jahr 2011 einen
Gewinn von 292 Mio. Euro erwirtschaften und diesen bis 2014 auf 513 Mio.
Euro steigern. Solche Gewinnsprünge sind aber nur erreichbar, wenn Neuan-
schaffungen verschoben, Reserven eingespart und abgeschriebene alte Züge
nicht modernisiert werden. Die nächsten Qualitätsprobleme sind damit vorpro-
grammiert.

Die Bundesregierung schaut bisher nicht nur tatenlos zu und vernachlässigt ihre
Aufsichtspflichten als Eigentümer, sondern sie unterstützt den Renditedruck im
Unternehmen noch zusätzlich, indem sie beschlossen hat, dass das Unternehmen
bis 2014 jährlich 500 Mio. Euro als Zwangsdividende zur Sanierung des Bun-
deshaushalts zahlen soll. Ein solcher Vorgang widerspricht zudem jeder guten
kaufmännischen Praxis, denn eine Dividendenausschüttung einer Aktiengesell-
schaft wird normalerweise auf der Grundlage der Bilanz von Vorstand und Auf-
sichtsrat vorgeschlagen und dann von der Hauptversammlung beschlossen. Das
ist ungefähr so, als würde das Land Niedersachsen vom Volkswagenkonzern
eine langjährig festgelegte Dividendenzahlung verlangen, die vollkommen un-
abhängig von den Verkaufszahlen von Volkswagen erfolgen soll. Dass der Bund
von seinem Unternehmen DB AG eine solche Zwangsdividende verlangt, das
zudem mit dem Schienennetz über einen durch das Grundgesetz geschützten
Teil der Daseinsvorsorge verfügt, zeugt von einem mangelnden ordnungspoliti-
schen Kompass der schwarz-gelben Bundesregierung.

Der Verzicht auf die Erhebung einer Zwangsdividende ist zwar notwendig, er ist
aber nicht hinreichend für eine konsequente Strukturreform der DB AG. Bei
einer Rücknahme der Dividende muss zunächst sichergestellt werden, dass
dieses Geld tatsächlich für zusätzlich geplante Investitionen der DB AG einge-
setzt wird. Weitaus wichtiger ist es aber, die Beherrschungs- und Gewinnab-
führungsverträge der Holding mit den Infrastrukturgesellschaften DB Netz AG,
DB Station&Service AG und DB Energie GmbH zu kappen und dafür zu sorgen,
dass die dort erwirtschafteten Gewinne in die jeweiligen Bereiche investiert
werden. Die DB Netz AG könnte mit den einbehaltenen Gewinnen nicht nur die
bestehende Infrastruktur besser und vor allem auch präventiv unterhalten, son-
dern auch kleinere und mittlere Ausbaumaßnahmen außerhalb des Bedarfsplans
vornehmen, wie sie die DB Netz AG mit dem Wachstumprogramm Schiene
selbst vorgeschlagen hat. Dabei sind die Ausbauvorhaben eng mit den im Netz-
beirat vertretenen Eisenbahnverkehrsunternehmen abzustimmen, um zu ge-
währleisten, dass sie tatsächlich allen Kunden des Netzes, also auch den Wett-
bewerbsbahnen, nutzen. Die DB Station&Service AG könnte mit den Gewinnen
den barrierefreien Umbau von Bahnhöfen und Stationen beschleunigen und die

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DB Energie GmbH in den massiven Ausbaus des Bezugs und der Produktion
von Strom aus erneuerbaren Energien investieren, um den Umweltvorsprung der
Schiene auszubauen. In einem nächsten Schritt müssten die Infrastrukturgesell-
schaften eigentumsrechtlich aus der DB AG herausgelöst und wieder in das
unmittelbare Eigentum des Bundes überführt werden. Nur eine eigentumsrecht-
liche Trennung von Netz und Transport ist langfristig europatauglich und stellt
eine qualitativ hochwertige und diskriminierungsfreie Bereitstellung der Infra-
struktur sicher. Zur Investitionspolitik im Schienenverkehr und zur Regulierung
des Eisenbahnsektors wurden umfangreiche Vorschläge in dem Antrag der Frak-
tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auf Bundestagsdrucksache 17/1988 gemacht,
der im Frühjahr 2011 Gegenstand einer öffentlichen Expertenanhörung des Aus-
schusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung des Deutschen Bundestages
sein wird.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

● den Beschluss über eine Zwangsdividende von 500 Mio. Euro zur Konsoli-
dierung des Bundeshaushalts zurückzunehmen und sicherzustellen, dass
diese Mittel für zusätzliche Investitionen, z. B. bei der Berliner S-Bahn,
durch die DB AG eingesetzt werden,

● die Beherrschungs- und Gewinnabführungsverträge der DB AG mit allen
Infrastrukturgesellschaften (DB Netz AG, DB Station&Service AG und DB
Energie GmbH) zu kappen und die Gewinne in den Um- und Ausbau der In-
frastruktur zu investieren,

● einen Gesetzentwurf für eine eigentumsrechtliche Trennung von Netz und
Transport durch eine Überführung der Infrastrukturgesellschaften in unmit-
telbares Eigentum des Bundes vorzulegen,

● gemeinsam mit der DB AG dem Deutschen Bundestag kurzfristig ein Krisen-
und Präventionskonzept vorzulegen, mit dem witterungsbedingte Zugaus-
fälle und -verspätungen verhindert werden,

● regionale Schieneninfrastruktur, z. B. das Berliner S-Bahnnetz, mit einem
finanziellen Ausgleich an die Länder zu übertragen.

Berlin, den 18. Januar 2011

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

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