BT-Drucksache 17/4284

Kleine Solidargemeinschaften als anderweitige Absicherung im Krankheitsfall

Vom 17. Dezember 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/4284
17. Wahlperiode 17. 12. 2010

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Birgitt Bender, Elisabeth Scharfenberg, Dr. Harald Terpe,
Maria Klein-Schmeink, Alexander Bonde, Markus Kurth, Beate Müller-Gemmeke,
Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Kleine Solidargemeinschaften als anderweitige Absicherung im Krankheitsfall

Personen, die weder in der gesetzlichen noch in der privaten Krankenversiche-
rung versichert sind, sind versicherungsfrei, wenn für sie ein anderweitiger
Anspruch auf Absicherung im Krankheitsfall besteht (§ 5 Absatz 1 Nummer 13
des Fünften Buches Sozialgesetzbuch – SGB V) beziehungsweise vergleichbare
Ansprüche im Sinne des § 193 Absatz 3 des Versicherungsvertragsgesetzes
(VVG) bestehen. Ein Teil dieser Personen sind in Selbsthilfeeinrichtungen oder
Solidargemeinschaften abgesichert. Dabei handelt es sich zumeist um lokale
und regionale Hilfesysteme, deren Mitglieder sich im Krankheitsfall gegenseitig
unterstützen. Dazu zählen beispielsweise der Verein Pfälzischer Pfarrerinnen
und Pfarrer, die Spargemeinschaft und Unterstützungskasse der Polizei Münster
und die Samarita Solidargemeinschaft. In diesen Gemeinschaften, die sich in
der „Bundesarbeitsgemeinschaft von Selbsthilfeeinrichtungen – Solidargemein-
schaften im Gesundheitswesen e. V.“ (BASSG) zusammengeschlossen haben,
erfolgt die Finanzierung der Beiträge über verbindliche Beitragsordnungen, die
vom jeweiligen Vorstand unter Berücksichtigung versicherungsmathematischer
Grundsätze festgelegt werden. Über die jeweilige Zuwendungsgewährung wird
auf Antrag des Mitglieds entschieden. Die Grundprinzipien der Gemeinschaften
beruhen auf Solidarität, Subsidiarität und Eigenverantwortung.

Bislang gibt es keine allgemein verbindlichen Kriterien, die von Solidar-
gemeinschaften zu erfüllen sind, damit eine Versicherungspflicht in der gesetz-
lichen und privaten Krankenversicherung ausgeschlossen werden kann. Das
Bundesministerium für Gesundheit (BMG) beauftragte im Dezember 2008 auf
Initiative der BASSG den Spitzenverband der gesetzlichen Krankenversiche-
rung (GKV-Spitzenverband), in Abstimmung mit der BASSG und dem Ver-
band der privaten Krankenversicherung (PKV-Verband), einen Kriterienkatalog
zu entwickeln, dessen Einhaltung Voraussetzung ist, damit die Mitglieder einer
Solidargemeinschaft die Pflicht zur Versicherung erfüllen. Der PKV-Verband
hatte im April 2009 seine Bereitschaft zur Mitarbeit signalisiert. Der GKV-
Spitzenverband hat im August 2009 einen Anforderungskatalog zur Bewertung
der Mitgliedschaft in einer Selbsthilfeeinrichtung beziehungsweise Solidarge-

meinschaft im Gesundheitswesen als anderweitige Absicherung im Krankheits-
fall im Sinne des § 5 Absatz 1 Nummer 13 SGB V aufbauend auf der Grund-
lage der BASSG Qualitätskriterien vorgelegt. Das BMG stimmte diesem An-
forderungskatalog im Jahr 2009 zu, der PKV-Verband stimmte diesem Anfor-
derungskatalog nicht zu, weswegen der Katalog bis heute nicht veröffentlicht
wurde. Inzwischen verweigert auch das BMG seine Zustimmung zum Krite-
rienkatalog.

Drucksache 17/4284 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass durch die Unterscheidung
und Einführung eines anderweitigen Anspruchs durch den Gesetzgeber klar-
gestellt ist, dass neben den bekannten Absicherungsformen in der gesetz-
lichen und privaten Krankenversicherung eine weitere Absicherungsform
möglich ist?

Falls ja, welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung daraus?

Falls nein, wie interpretiert die Bundesregierung den Begriff anderweitiger
Anspruch?

2. a) Unter welchen Bedingungen beziehungsweise Kriterien ist die Mitglied-
schaft bei einer sozialen Selbsthilfeeinrichtung oder Solidargemeinschaft,
die keinem privaten Krankenversicherungsunternehmen zuzuordnen ist,
als anderweitige Absicherung im Krankheitsfall anzuerkennen?

b) Wurden zu dem in Frage 2a genannten Sachverhalt eigene Kriterien vom
BMG erarbeitet?

3. Bestehen nach Auffassung der Bundesregierung seitens der Mitglieder ge-
genüber den Trägern der anderweitigen Absicherung faktische oder recht-
liche Ansprüche im Krankheitsfall, deren Erfüllbarkeit dauernd gesichert ist,
und ist dieser Anspruch mit einer Absicherung in der gesetzlichen und priva-
ten Krankenversicherung vergleichbar, so dass neben diesen Absicherungs-
formen die weitere Absicherungsform möglich ist?

4. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass für die Bewertung der
genannten Sachverhalte das Vorhandensein der Leistungsansprüche, die
zwar nicht rechtlich, aber doch faktisch bestehen müssen und die annähernd
dem Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung entsprechen,
ausschlaggebend sein muss?

Falls ja, erfüllen die Mitgliedsorganisationen der BASSG die oben genann-
ten Kriterien?

5. Zu welchen Ergebnissen ist es in den Gesprächen mit dem GKV-Spitzenver-
band gekommen, in denen die Frage diskutiert wurde, inwieweit für die Mit-
gliedsorganisationen der BASSG ein anderweitiger Anspruch auf Absiche-
rung im Krankheitsfall gemäß § 5 Absatz 1 Nummer 13 SGB V besteht?

6. Zu welchen Ergebnissen ist es in den Gesprächen mit dem PKV-Verband
gekommen, in denen die Frage diskutiert wurde, inwieweit für die Mitglieds-
organisationen der BASSG „vergleichbare Ansprüche“ bestehen und da-
durch in der privaten Krankenversicherung keine Versicherungspflicht ge-
mäß § 193 Absatz 3 VVG besteht?

Warum hat der PKV-Verband den Kriterienkatalog nicht anerkannt?

7. Welche Auffassung vertreten das BMG und das Bundesministerium der
Justiz hinsichtlich der Frage, inwieweit für die Mitgliedsorganisationen der
BASSG „vergleichbare Ansprüche“ bestehen und dadurch in der PKV keine
Versicherungspflicht gemäß § 193 Absatz 3 VVG besteht?

8. Wie bewertet die Bundesregierung die vom PKV-Verband empfohlene Mög-
lichkeit, dass die BASSG-Mitgliedsorganisationen die Rechtsform des Ver-
sicherungsvereins auf Gegenseitigkeit annehmen?

Bleiben nach Auffassung der Bundesregierung die zum jetzigen Zeitpunkt
geltenden Grundprinzipien der BASSG-Mitgliedsorganisationen durch den
Vorschlag des PKV-Verbands noch gewahrt?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/4284

9. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass für den Fall, dass die
BASSG-Mitgliedsorganisationen die Rechtsform des Versicherungsvereins
auf Gegenseitigkeit annehmen müssten, die Beiträge nicht nach sozialen
Gesichtspunkten (abhängig von der Wirtschaftskraft) gestaltet werden
könnten, sondern nach dem Risiko, also Alter, Geschlecht und Gesundheit
berechnet werden müssten und dadurch Ältere, Kränkere und Familien oft-
mals nicht teilnehmen, da entweder die Aufnahme abgelehnt wird oder die
Beiträge zu hoch werden würden?

Falls ja, welche Schlussfolgerung zieht die Bundesregierung daraus?

Falls nein, warum nicht?

10. Wie und in welchem Zeithorizont will die Bundesregierung für Anerken-
nungsregeln bezüglich der anderweitigen Absicherung im Krankheitsfall
sorgen?

Berlin, den 17. Dezember 2010

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

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