BT-Drucksache 17/4190

Richtlinien zur konzerninternen Entsendung und zur Saisonarbeit sozial gerecht gestalten

Vom 15. Dezember 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/4190
17. Wahlperiode 15. 12. 2010

Antrag
der Abgeordneten Josip Juratovic, Anton Schaaf, Petra Ernstberger, Iris Gleicke,
Hubertus Heil (Peine), Gabriele Hiller-Ohm, Dr. Eva Högl, Anette Kramme,
Angelika Krüger-Leißner, Ute Kumpf, Gabriele Lösekrug-Möller, Katja Mast,
Thomas Oppermann, Silvia Schmidt (Eisleben), Ottmar Schreiner,
Dr. Frank-Walter Steinmeier und der Fraktion der SPD

Richtlinien zur konzerninternen Entsendung und zur Saisonarbeit sozial gerecht
gestalten

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die Richtlinienvorschläge der Europäischen Kommission über die Bedingungen
für die Einreise und den Aufenthalt von Drittstaatsangehörigen im Rahmen einer
konzerninternen Entsendung (KOM(2010) 378 endg.) und über die Bedingun-
gen für die Einreise und den Aufenthalt von Drittstaatsangehörigen zwecks Aus-
übung einer saisonalen Beschäftigung (KOM(2010) 379) streben weitreichende
Änderungen für die Arbeitsmigration in die Länder der Europäischen Union an.

Beide Richtlinienentwürfe wurden im Juli 2010 von der EU-Kommission vor-
gelegt. Die Richtlinien sind Teil des Strategischen Plans zur legalen Zuwande-
rung der EU.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. alle Branchen ins Arbeitnehmer-Entsendegesetz aufzunehmen, damit Min-
destlohntarifverträge für allgemeinverbindlich erklärt werden können, sowie
einen allgemeinen Mindestlohn gesetzlich zu regeln. Im Rahmen der durch
die Richtlinien für Drittstaatsangehörige vorgesehenen Möglichkeiten, in
Deutschland Arbeit aufzunehmen, sind nach den derzeitigen Richtlinienent-
würfen nur Rechts- oder Verwaltungsvorschriften oder allgemeinverbindlich
erklärte Tarifverträge bindend. Damit ist deren Einführung in Deutschland
dringend notwendig;

2. sich für Änderungen der Richtlinienentwürfe dahingehend einzusetzen, dass
auch regionale Tarifverträge für Drittstaatsangehörige bindend sind;

3. sich bei den weiteren Beratungen im Europäischen Rat dafür einzusetzen,

dass bei der Richtlinie über die Bedingungen für die Einreise und den Auf-
enthalt von Drittstaatsangehörigen im Rahmen einer konzerninternen Ent-
sendung (KOM(2010) 378 endg.) folgende Punkte berücksichtigt werden:

a) Anders als im ursprünglichen Strategischen Plan zur legalen Zuwande-
rung geplant, nimmt die Richtlinie eine Entsendung statt einer Versetzung
vor. Der Einsatz von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern ist ohne
ausreichende Absicherung von Arbeitnehmerrechten und einer entspre-

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chend der für den Betrieb geltenden Tarifentlohnung vorgesehen. Ent-
sandte Arbeitnehmer werden somit nicht in den Betriebsteil des Konzerns
eingegliedert, es besteht kein Arbeitsvertrag am Zielort. Damit können
Betriebsräte in den hiesigen Betrieben und Unternehmen für die entsand-
ten Arbeitnehmer die Mitbestimmungsrechte nicht wahrnehmen.

In der Richtlinie muss es bei einer Versetzung bleiben, damit die Zustän-
digkeit der Betriebsräte der Unternehmen, in die entsandt wird, in vollem
Umfang besteht, auch um eine wirksame Kontrolle am Zielort und An-
sprechpartner für die entsandten Arbeitnehmer zu gewährleisten.

b) Die Richtlinie sieht vor, dass die entsandten Arbeitnehmerinnen und Ar-
beitnehmer nach der Zulassung in einem Mitgliedstaat ohne weitere Prü-
fung für bis zu zwölf Monate in einen anderen EU-Staat weiterentsandt
werden können (Artikel 16). Die Arbeitnehmer können sowohl in andere
Niederlassungen als auch an Standorte von Kunden der aufnehmenden
Niederlassung entsandt werden. Die Arbeitsbedingungen bleiben jedoch
die des Mitgliedstaates, in dem der Arbeitnehmer zuerst zugelassen wurde.
Somit können Unternehmen Arbeitnehmer aus Drittstaaten in einer Nie-
derlassung in ein Niedriglohnland in der EU entsenden, um dann in einen
anderen EU-Staat mit höheren Löhnen weiterzuentsenden. Die Arbeits-
bedingungen bleiben dabei die des erstaufnehmenden EU-Staates. Die
maximale Anzahl von Weiterentsendungen ist nicht begrenzt, lediglich
die Dauer der einzelnen Weiterentsendung.

Die Quoten, die jeder Mitgliedstaat für die konzerninterne Entsendung
festsetzen darf, bleiben von Weiterentsendungen unberührt. Damit wird
den Nationalstaaten jegliche Steuerung der Arbeitsmarktmigration aus
der Hand genommen – zusätzlich zur Tatsache, dass bereits keine Vor-
rangprüfung, sondern nur noch Quotenregelungen greifen.

Zudem wird die Kontrolle der Arbeitsbedingungen durch die Bindung
des Arbeitnehmers an drei Staaten (Herkunftsland, weiterentsendender
EU-Staat und letztendlicher Aufnahmestaat) nahezu unmöglich gemacht.

Die Weiterentsendung muss entweder abgeschafft oder dahingehend ge-
ändert werden, dass die weiterentsandten Arbeitnehmerinnen und Arbeit-
nehmer den Arbeits- und Entlohnungsbedingungen sowie den Quoten des
Ziellandes unterliegen. Nur durch eine eindeutige Ummeldung in das
Zielland können die Arbeitsbedingungen effektiv kontrolliert werden.

c) In der Richtlinie ist nicht klar definiert, was Führungskräfte, Fachkräfte
und Trainees genau sein sollen. Eine Fachkraft wird in Artikel 3 Buch-
stabe f lediglich als Person, die „über ein hohes Ausbildungsniveau für
Arbeiten oder Handelstätigkeiten verfügt, die ein besonderes Fachwissen
erfordern“, definiert. Bereits innerhalb der EU sind die Ausbildungsstan-
dards sehr verschieden. Bei einer solch unklaren Definition ist zu befürch-
ten, dass auch lediglich angelernte Arbeitnehmer unter die Geltung der
Richtlinie fallen können.

Eine genaue Definition der drei Personengruppen, insbesondere der not-
wendigen Qualifizierung, muss in die Richtlinie aufgenommen werden,
um angelernte Arbeitnehmer aus Niedriglohnländern vor Ausbeutung in
der EU zu schützen.

d) Ebenfalls ist der Konzernbegriff in der Richtlinie nicht eindeutig definiert.
Artikel 3 Buchstabe l definiert zwar eine Unternehmensgruppe (Mehrheit
des gezeichneten Kapitals, der Stimmrechte oder der Berufung der Mit-
glieder von Organen), damit ist der Konzern jedoch sehr weitläufig und
umschließt sämtliche Tochterunternehmen und zum Teil auch Zulieferer.

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Ebenfalls darf an Standorte von Kunden (Artikel 16) entsandt werden. Die
Entsendungen können somit sehr verzweigt geschehen und sind nur
schwer kontrollierbar.

Eine Definition des Konzernbegriffes ist nötig mit einer genauen Angabe,
was Tochterunternehmen und was „Standorte von Kunden“ genau bedeu-
ten, um einer schrankenlosen Entsendung und Weiterentsendung, die
nicht mehr kontrolliert werden kann, Einhalt zu gebieten.

e) Die Richtlinie gilt für alle Branchen ohne Einschränkungen. Somit gilt
sie auch für problematische Bereiche, insbesondere für transnationale
Leiharbeitskonzerne. Damit können entsandte Arbeitnehmer durch Wei-
terentsendungen, auch an Kundenstandorte, in der gesamten EU einge-
setzt werden; zudem können sie durch Leiharbeit in alle Unternehmen
entsandt werden.

Daher ist es dringend notwendig, dass Leiharbeitskonzerne von der Gel-
tung der Richtlinie ausgenommen werden, um die ohnehin schon proble-
matischen Verhältnisse in der Leiharbeitsbranche nicht noch weiter zu
verschlechtern;

4. sich bei den weiteren Beratungen im Europäischen Rat dafür einzusetzen,
dass bei der Richtlinie über die Bedingungen für die Einreise und den Auf-
enthalt von Drittstaatsangehörigen zwecks Ausübung einer saisonalen Be-
schäftigung (KOM(2010) 379) folgende Punkte berücksichtigt werden:

a) Es muss eine klare Definition geschaffen werden, welche Branchen unter
Saisonarbeit fallen. Bisher sind in Deutschland Saisonarbeitnehmer in der
Land- und Forstwirtschaft, im Hotel- und Gaststättengewerbe sowie als
Schaustellergehilfen tätig. Mit der EU-Richtlinie können jedoch alle
Branchen, die saisonal höhere Aufkommen haben – beispielsweise das
Weihnachtsgeschäft – auf Saisonarbeitnehmer zugreifen. Lediglich in den
Erläuterungen zu Artikel 3 wird aufgeführt, dass die Mitgliedstaaten be-
stimmte Wirtschaftsbereiche festlegen könnten.

Sollte die Saisonarbeit tatsächlich auf alle Branchen ausgeweitet werden,
lädt sie als eine neue Form der Leiharbeit mit Drittstaaten zum Miss-
brauch ein: Dubiose Vermittleragenturen, wie sie teils heute schon exis-
tieren, könnten als inoffizielle Leiharbeitsunternehmen immer wieder für
sechs Monate vermeintlich selbstständige Arbeitnehmer nach Deutsch-
land vermitteln.

Es ist daher notwendig, dass in der EU-Richtlinie eine Begrenzung auf
die bisherigen Branchen durchgesetzt wird – und nicht erst auf nationaler
Ebene. Das Recht der Mitgliedstaaten, Branchen zu benennen, muss auch
im Richtlinientext verankert werden.

b) Die Problematik privater Vermittlung muss stärker thematisiert werden,
um Missbrauch zu verhindern. Ebenso sind Beratungsstellen für Saison-
arbeitnehmer in den Zielländern notwendig. Sanktionen gegen Vermittler
und Arbeitgeber, die sich nicht an rechtliche Vorschriften halten, müssen
in die Richtlinie integriert werden.

c) Regelungen zur Verpflegung, zu Fahrt- und Visakosten fehlen im Richt-
linienentwurf. Auch für die Unterkunft ist lediglich geregelt, dass die
Kosten dafür im Verhältnis zum Entgelt stehen sollten. Hierzu sind ex-
akte Regelungen, die die Saisonarbeitnehmer nachprüfen und sich damit
vor Missbrauch schützen können, erforderlich.

Drucksache 17/4190 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
d) Eine EU-weite Weiterreise für Saisonarbeitnehmer soll nicht erlaubt sein.
Dies sollte explizit im Richtlinientext erwähnt werden.

Berlin, den 14. Dezember 2010

Dr. Frank-Walter Steinmeier und Fraktion

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