BT-Drucksache 17/4088

Zukunft des Maritimen Bündnisses für Ausbildung und Beschäftigung in der deutschen Seeschifffahrt

Vom 1. Dezember 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/4088
17. Wahlperiode 01. 12. 2010

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Uwe Beckmeyer, Garrelt Duin, Heinz-Joachim Barchmann,
Dr. Hans-Peter Bartels, Sören Bartol, Bernhard Brinkmann (Hildesheim), Edelgard
Bulmahn, Martin Burkert, Sebastian Edathy, Petra Ernstberger, Karin Evers-Meyer,
Iris Gleicke, Ulrike Gottschalck, Michael Groß, Hans-Joachim Hacker, Bettina
Hagedorn, Hubertus Heil (Peine), Gustav Herzog, Gabriele Hiller-Ohm, Johannes
Kahrs, Lars Klingbeil, Ute Kumpf, Gabriele Lösekrug-Möller, Kirsten Lühmann,
Caren Marks, Thomas Oppermann, Holger Ortel, Florian Pronold, Sönke Rix,
Dr. Ernst Dieter Rossmann, Dr. Carsten Sieling, Sonja Steffen, Kerstin Tack, Franz
Thönnes, Dr. Frank-Walter Steinmeier und der Fraktion der SPD

Zukunft des Maritimen Bündnisses für Ausbildung und Beschäftigung in der
deutschen Seeschifffahrt

Deutschland ist einer der größten und erfolgreichsten Schifffahrtsstandorte welt-
weit. Mit dem Maritimen Bündnis haben die Sozialpartner – Bund, Länder und
die maritime Wirtschaft – im Jahre 2003 einen Zukunftspakt zur Stärkung des
Schifffahrtsstandortes Deutschland und zur Sicherung des maritimen
Knowhows vereinbart. Denn die Ausbildung qualifizierter deutscher Seeleute
und die Schaffung qualitativ hochwertiger Berufsperspektiven ist für die inter-
nationale Wettbewerbsfähigkeit der Branche von großer Bedeutung.

Neben den auf internationaler Ebene angestoßenen Initiativen wie dem 2006 ge-
schlossenen internationalen Seearbeitsübereinkommen sind so auch die Rah-
menbedingungen auf nationaler Ebene deutlich verbessert worden, um die rich-
tigen Weichen für eine positive Entwicklung des Seeschifffahrtsstandortes zu
stellen. Um die Branche gezielt zu fördern, hat der Bund – nach der Einführung
des Tonnagesteuersystems im Jahre 1999 – Zusagen zur Senkung der Lohnne-
benkosten für den Betrieb deutscher Handelsschiffe im internationalen Verkehr
gemacht. Im Gegenzug haben sich die Reeder verpflichtet, einer weiteren Aus-
flaggung deutscher Schiffe entgegenzuwirken und damit einen Verlust von see-
männischen Arbeitsplätzen in Deutschland zu verhindern. Länder und Wirt-
schaft haben sich zudem verpflichtet, die Ausbildungsanstrengungen zu verstär-
ken.

Mit der Halbierung der Fördermittel für die Seeschifffahrt im Bundeshaushalt
für das Jahr 2011 hat die Bundesregierung diese Verabredungen nun jedoch in-
frage gestellt. Die Aussage des Maritimen Koordinators, die Bundesregierung

bestehe nicht mehr darauf, dass die deutschen Reeder bis Ende 2010 mindestens
600 Handelsschiffe unter deutsche Flagge führen, bestätigt diesen neuen Kurs.
Mit Blick auf die 7. Nationale Maritime Konferenz, die im Mai 2011 in Wil-
helmshaven stattfinden soll, stellt sich die Frage, ob die Bundesregierung an den
Verabredungen des Maritimen Bündnisses weiter festhält und welche Initiativen
sie unternimmt, um die Bündnisanstrengungen zu verstärken.

Drucksache 17/4088 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie hat sich der Bestand der deutschen Handelsschiffsflotte seit dem Jahr
1999 entwickelt?

2. Wie hoch ist die Zahl der in deutschen Schiffsregistern eingetragenen Han-
delsschiffe im internationalen Verkehr, und welche Höhe hat das Tonnage-
volumen, das deutsche Reeder derzeit vom Standort Deutschland aus dispo-
nieren (bitte in Bruttoregistertonnen angeben)?

3. Wie viele Schiffe sind seit der Verabredung des Maritimen Bündnisses im
Jahre 2003 wieder unter deutsche Flagge gebracht worden, und wie viele
sind in diesem Zeitraum ausgeflaggt worden?

4. Wie hat sich die in deutsche Schiffsregister eingetragene Handelsschiffs-
flotte entwickelt, die befristet eine fremde Flagge führt?

5. Welche Ursachen liegen aus Sicht der Bundesregierung dem Trend zur Aus-
flaggung deutscher Handelsschiffe zugrunde?

6. Welche Bereiche der Schifffahrt sind von der Ausflaggung besonders be-
troffen?

7. Wie hat sich die Anzahl der Ausbildungs- und Arbeitsplätze auf Seeschiffen
unter deutscher Flagge und bei Landbetrieben der Seeschifffahrt in Deutsch-
land mit den Maßnahmen des Maritimen Bündnisses entwickelt?

8. Wie hat sich das zahlenmäßige Verhältnis zwischen deutschen Seeleuten
und Beschäftigten aus EU-Mitgliedstaaten und aus Drittstaaten entwickelt,
die auf deutschen Schiffen ihren Dienst versehen?

9. Wie stellt sich das zahlenmäßige Verhältnis zwischen deutschen und auslän-
dischen Seeleuten dar, die auf Schiffen, die befristet eine fremde Flagge füh-
ren, ihren Dienst versehen?

10. Wie viele europäische Seeleute haben den vorgeschriebenen Rechtslehr-
gang für Kapitäne auf Schiffen unter deutscher Flagge absolviert, der Teil
der Vereinbarungen zur Öffnung der Schiffsbesetzungsverordnung ist?

11. Wie haben sich die Zahl der ausbildenden Seeschifffahrtsunternehmen in
Deutschland sowie die Ausbildungsquote in diesem Bereich entwickelt, und
in welchen seemännischen Ausbildungswegen wird ausgebildet?

12. Wie hat sich die Zahl der Ausbildungsplätze auf Schiffen entwickelt, die
von deutschen Reedern unter fremder Flagge eingesetzt werden, und wird
die Bundesregierung die Möglichkeit der Ausbildung auch auf ausgeflagg-
ten Schiffen im Rahmen der Schiffsbesetzungsverordnung fortsetzen?

13. Sind die zugesagten Ausbildungskapazitäten bzw. die finanziellen Beiträge
zur Ausbildung deutscher Seeleute durch die Küstenländer und die See-
schifffahrtsunternehmen zur Verfügung gestellt worden, und wenn nicht,
wie will die Bundesregierung dafür Sorge tragen, dass die Zusagen im Rah-
men des Maritimen Bündnisses eingehalten werden?

14. Wie viele Studenten sind derzeit an den Seefahrtschulen in Deutschland ein-
geschrieben, und wie hat sich die Zahl der Absolventen mit den Maßnah-
men des Maritimen Bündnisses entwickelt?

15. Wie viele nautische Studienplätze stehen an den Fachhochschulen und
Fachschulen zur Verfügung, und wie hat sich ihre Zahl mit den Maßnahmen
des Maritimen Bündnisses entwickelt?

16. Von welchem Bedarf an Auszubildenden pro Jahr geht die Bundesregierung
nicht zuletzt vor dem Hintergrund der Altersstruktur der derzeit beschäftig-

ten Seeleute aus, und in welchen Bereichen besteht dieser Bedarf?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/4088

17. Welche Fördermittel hat der Bund seit 1995 für die Ausbildungsplatzförde-
rung in der Seeschifffahrt zur Verfügung gestellt, und wird die Bundesregie-
rung diese in entsprechender Höhe beibehalten?

18. Hat die Bundesregierung Kenntnis davon, wie viele der Auszubildenden in
der Seeschifffahrt seit 2003 in sozialversicherungspflichtige Beschäfti-
gungsverhältnisse übernommen worden sind?

19. Wie haben sich die von den Arbeitgebern zu entrichtenden Lohnnebenkos-
ten für den Betrieb deutscher Handelsschiffe im internationalen Verkehr seit
2001 entwickelt?

20. Welchen finanziellen Umfang hatten die Zuschüsse des Bundes zur Sen-
kung der Lohnnebenkosten für Seeleute auf den unter Bundesflagge betrie-
benen und im internationalen Verkehr eingesetzten Schiffen insgesamt, und
welche Summe ist dafür seit 2001 jeweils im Bundeshaushalt bereitgestellt
worden?

21. Wird die Bundesregierung an der Anwendung der im Einvernehmen mit den
Sozialpartnern vereinbarten zeitlich befristeten Ausnahmeregelungen zur
Schiffsbesetzungsverordnung festhalten?

22. Wie stellen sich die Rückflüsse von Steuern und Sozialabgaben an den Staat
und die Sozialversicherungsträger, die die aufgewendeten Haushaltsmittel
übersteigen, nach den Maßnahmen des Maritimen Bündnisses dar?

23. Welche Auswirkungen hatte die schwierige konjunkturelle Entwicklung in
den Jahren 2009 und 2010 auf die Entwicklung der deutschen Handelsflotte
und den Bestand von Bord- und Landarbeitsplätzen für deutsche Seeleute?

24. In welchem Umfang wurde das Instrument der Kurzarbeit für die Qualifi-
zierung von Beschäftigten durch die Reedereien genutzt?

25. Welchen Beitrag haben das Maritime Bündnis und die Tonnagesteuer nach
Einschätzung der Bundesregierung für die Verbesserung der Wettbewerbs-
fähigkeit des Schifffahrtsstandortes Deutschland geleistet?

26. Welche zusätzlichen Nachfrage- und Beschäftigungswirkungen wurden
aufgrund der Beziehungen der Seeschifffahrt zu anderen Zweigen des mari-
timen Clusters hervorgerufen?

27. Teilt die Bundesregierung die Einschätzung, dass sich die positiven Ent-
wicklungen des Schifffahrtsstandortes umkehren würden, wenn die beste-
henden Maßnahmen in Deutschland nicht beibehalten werden, und wie be-
gründet sie ihre Haltung?

28. Treffen Medienberichte zu, wonach die Bundesregierung eine wichtige
Bedingung für die Fortdauer der günstigen Besteuerung von Gewinnen aus
der Seeschifffahrt aufgehoben hat und nicht mehr darauf besteht, bis Ende
2010 mindestens 600 Seeschiffe unter deutscher Flagge zu führen (vgl.
FINANCIAL TIMES DEUTSCHLAND vom 7. September 2010), und wie
begründet sie ihre Haltung?

29. Wie begründet die Bundesregierung ihre Kürzungen bei den Fördermitteln
für die Seeschifffahrt im Bundeshaushalt für das Jahr 2011?

30. Mit welchen Auswirkungen auf die Ausflaggungstendenzen und den deut-
schen seemännischen Arbeitsmarkt rechnet die Bundesregierung vor dem
Hintergrund dieser Kürzungen?

31. Stellt das Maritime Bündnis weiterhin ein Schwerpunktthema der Schiff-
fahrtspolitik der Bundesregierung dar, und hält sie an den bisher getroffenen
Verabredungen fest?

Drucksache 17/4088 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

32. Plant die Bundesregierung, das Bündnis für Ausbildung und Beschäftigung
in der deutschen Seeschifffahrt über das Jahr 2010 hinaus fortzuführen, und
wie begründet sie ihre Haltung?

33. Welche Initiativen plant die Bundesregierung dazu mit Blick auf die 7. Na-
tionale Maritime Konferenz im Mai 2011 in Wilhelmshaven?

34. Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um der anhaltenden Ausflaggung
von Schiffen und den damit verbundenen Arbeitsplatzverlusten für deutsche
Seeleute entgegenzuwirken?

35. Wie bewertet die Bundesregierung die Forderung des Verbands Deutscher
Reeder (VDR), Seeleute auf deutschen Schiffen von der Lohnsteuerpflicht
zu befreien, und wie begründet sie ihre Haltung?

36. Erwartet die Bundesregierung von der Aufhebung der Beschränkungen des
Zugangs zum deutschen Arbeitsmarkt für Arbeitskräfte aus den neuen Mit-
gliedstaaten der EU im Jahr 2011 negative Auswirkungen im Bereich der
Seeschifffahrt, und wie begründet sie ihre Haltung?

37. Hat die Bundesregierung Kenntnis davon, dass andere Schifffahrtsnationen
in Europa auf der Basis der Leitlinien der Gemeinschaft für staatliche Bei-
hilfen im Seeverkehr von 1997 die Lohnsteuern und Sozialkosten des see-
fahrenden Personals auf Handelsschiffen unter nationaler Flagge durch den
Einsatz öffentlicher Mittel senken?

38. Wie will die Bundesregierung den Wettbewerbsdruck durch die deutlichen
Personalkostennachteile von Handelsschiffen unter deutscher Flagge im
Vergleich zu Schiffen unter Flaggen von Staaten, in denen Steuern und So-
zialabgaben für die auf den Handelsschiffen beschäftigten Seeleute häufig
nicht erhoben werden, ausgleichen?

39. Wie ist der aktuelle Stand der Umsetzung des internationalen Seearbeits-
übereinkommens zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen von Seeleuten,
und wann wird die Bundesregierung den für 2010 angekündigten Entwurf
für ein neues Seearbeitsgesetz vorlegen, um das Übereinkommen zeitnah zu
ratifizieren?

40. Wird sich die Bundesregierung für die Herstellung einheitlicher Wettbe-
werbsbedingungen innerhalb der Europäischen Union unter Ausnutzung
der Spielräume der EU-Beihilfeleitlinien einsetzen, und welche Schritte hat
sie in dieser Legislaturperiode dazu unternommen?

41. Wird die Bundesregierung an der Tonnagesteuer auch dann festhalten, wenn
die Reeder einer Verstärkung ihrer Ausbildungsanstrengungen für seemän-
nische Berufe nicht in dem verabredeten Umfang nachkommen?

42. In welchem Umfang haben die deutschen Reedereien seit ihrer Einführung
1999 von der Tonnagesteuer Gebrauch gemacht?

43. Für wie viele Schiffe ist eine Option zum Tonnagesteuersystem ausgeübt
worden?

44. Auf welche Summe beläuft sich die Steuererleichterung, die durch die Ton-
nagesteuer ermöglicht worden ist?

45. Wie bewertet die Bundesregierung die Effekte des Tonnagesteuersystems
für den maritimen Standort Deutschland?

46. Liegen der Bundesregierung Erkenntnisse darüber vor, in welchem Umfang
die Einführung der Tonnagesteuer im Bereich der Seeschifffahrt neue Ar-
beitsplätze geschaffen hat?
47. Wie haben sich die Investitionen bei den deutschen Reedereien nach der
Einführung des Tonnagesteuersystems entwickelt?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5 – Drucksache 17/4088

48. Wie viele Schiffe, für die die Tonnagesteuer die Finanzierungsgrundlage ist,
befinden sich derzeit im Bau?

49. Wird die Bundesregierung die für die Besteuerung von Schiffen wesent-
lichen Bedingungen langfristig definieren, um solide Kalkulationsgrund-
lagen für die Reedereien zu schaffen?

50. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung, welche anderen europäi-
schen Länder ein Tonnagesteuersystem eingeführt haben oder dies zu tun
beabsichtigen?

51. Teilt die Bundesregierung die Sorge, dass ein Schifffahrtsstandort, der dem
internationalen Standard im Besteuerungsniveau nicht entspricht, damit
rechnen muss, dass er bei der Ansiedlung von Schifffahrtsaktivitäten nicht
berücksichtigt wird und dass darüber hinaus bestehende Aktivitäten verla-
gert werden?

52. Plant die Bundesregierung, die Auswirkungen von Bündnisanstrengungen
und Tonnagesteuersystem zu dokumentieren, und wenn ja, bis zu welchem
Zeitpunkt soll dies geschehen?

Berlin, den 1. Dezember 2010

Dr. Frank-Walter Steinmeier und Fraktion

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