BT-Drucksache 17/4034

Diskriminierungsfreier Zugang zum Masterstudium

Vom 29. November 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/4034
17. Wahlperiode 29. 11. 2010

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Nicole Gohlke, Agnes Alpers, Dr. Rosemarie Hein,
Michael Leutert, Yvonne Ploetz, Kathrin Senger-Schäfer, Dr. Petra Sitte
und der Fraktion DIE LINKE.

Diskriminierungsfreier Zugang zum Masterstudium

Es mehren sich an den Hochschulen die Anzeichen, dass viele Studierende kei-
nen Masterstudienplatz erhalten und die Vergabe der wenigen Masterstudien-
plätze nicht rechtskonform verläuft. Von einem uneingeschränkten Zugang zum
Master, wie ihn Vertreterinnen und Vertreter der Studierenden sowie die Ge-
werkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) immer wieder anmahnen, kann
keine Rede sein. Auch das Studienangebot in Bachelorstudiengängen wird dem
tatsächlichen Bedarf nicht gerecht. Die Hochschulen sind überfüllt und
reagieren mit nahezu flächendeckenden Zulassungsbeschränkungen. Das Bun-
desverfassungsgericht betonte in seinem „NC-Urteil“ vom 3. Mai 1972, dass
„der numerus clausus niemals den Charakter einer vorübergehenden Maßnahme
verlieren und zu einer ständigen, das verfassungsrechtlich garantierte Recht auf
freie Berufswahl aushöhlenden Einrichtung werden [dürfe]“. Durch den Wegfall
des Wehrpflichtdienstes könnte sich die ohnehin schon angespannte Lage noch
erheblich verschlechtern. Zudem fehlen Tausende Studienplätze im Fach Human-
medizin.

Im Rahmen der 7. Novelle des Hochschulrahmengesetzes im Jahr 2004 stärkte
die Bundesregierung aus SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN das Selbstaus-
wahlrecht der Hochschulen. Infolge dessen überarbeiteten die Länder ihre je-
weiligen Landeshochschulzulassungsgesetze und ebneten so alternativen Aus-
wahlverfahren den Weg. Die Umsetzung erfolgte an den Hochschulen sehr
unterschiedlich. Manche verlangen von den Studierwilligen neben Abiturnoten
Eignungstests, Praktika oder Motivationsschreiben. Andere Hochschulen for-
dern von ihren Bewerberinnen und Bewerbern hingegen spezifische Sprach-
nachweise, berufliche Vorkenntnisse und entwickelten eigene Ranking- bzw.
Punktesysteme etc. Einheitliche Kriterien, verlässliche Verfahren, gleichwertige
Bedingungen sind nicht gegeben. Auch der Zugang zum Masterstudium ist hier-
von betroffen, wie verschiedene Medienberichte nahelegen.

Erste Konsequenzen zeichnen sich ab: In drei Eilverfahren wurde Mitte Novem-
ber 2010 vom Verwaltungsgericht (VG) Münster festgestellt, dass die Vergabe-
praxis zum Masterstudiengang Betriebswirtschaftslehre der Westfälischen

Wilhelms-Universität Münster gegen geltendes Recht verstößt (Aktenzeichen
9 L 529/10, noch nicht rechtskräftig). Das VG Münster kritisiert unter anderem
die geringe Gewichtung des vorhergehenden Bachelorabschlusses, Widersprü-
che mit dem Landesrecht und hegt sogar Zweifel, ob die hohen „Qualifikations-
anforderungen für das Masterstudium mit Artikel 12 des Grundgesetzes
(das Recht, die Ausbildungsstätte frei zu wählen)“ vereinbar seien (SPIEGEL
ONLINE vom 18. November 2010). Beschluss und Begründung des Gerichts

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weisen darauf hin, dass erstens der Bedarf nach zusätzlichen Masterstudienplät-
zen besteht, zweitens der Masterzugang grundsätzlich auch durch das Grund-
recht der freien Berufs- und Ausbildungswahl geschützt ist und drittens weitere
Hochschulen rechtswidrige Auswahlverfahren anwenden könnten.

Seit der Föderalismusreform im Sommer 2006 hat der Bund die Kompetenz, im
Rahmen der konkurrierenden Gesetzgebung Regelungen zur Hochschulzulas-
sung sowie zu Hochschulabschlüssen zu erlassen. Bislang hat der Bund davon
aber keinen Gebrauch gemacht, obwohl sich immer wieder Probleme zeigen. Im
Zuge der Neuordnung der Zulassungsverfahren wurde im Jahr 2006 ein Staats-
vertrag zur Vergabe von Studienplätzen vereinbart, in dessen Folge unter ande-
rem die Zentralstelle für die Vergabe von Studienplätzen (ZVS) in eine Service-
stelle Hochschulzulassung bzw. hochschulstart.de umgewandelt wurde. Nach
vier Jahren sollten inzwischen ausreichend Erfahrungen gesammelt worden
sein, um eine Bewertung des aktuellen Zulassungsverfahrens an Hochschulen
vorzunehmen. Übergangsweise wurde eine so genannte Studienplatzbörse ein-
gesetzt, um das Problem unbesetzter Studienplätze zu reduzieren.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus den am VG
Münster ergangenen Urteilen zum Vergabeverfahren einer einzelnen Hoch-
schule auf die Rechtssicherheit der derzeitigen Studienplatzvergabeverfahren
insgesamt?

2. Inwieweit sieht die Bundesregierung die Gültigkeit des Rechts auf freie Wahl
des Berufes sowie der Ausbildungsstätte beim Zugang zu Masterstudien-
gängen berührt?

3. Wie viel Prozent der bisher akkreditierten Bachelorstudiengänge und wie viel
Prozent der bisher akkreditierten Masterstudiengänge sind nach Kenntnis der
Bundesregierung örtlich zulassungsbeschränkt (bitte nach Bundesländern
aufgeschlüsselt die Entwicklung der Zahl der Studiengänge nach Fächergrup-
pen und entsprechende prozentuale Anteile seit dem Sommersemester 2005
bis zum Wintersemester 2010/2011 darstellen)?

Wie bewertet die Bundesregierung die derzeitige Situation bezüglich des Ver-
hältnisses von Bewerberinnen und Bewerbern zu angebotenen Studienplät-
zen im Masterbereich (bitte Situation in den verschiedenen Bundesländern
beleuchten)?

4. Welche Zugangshürden (Notendurchschnitte o. Ä.) haben die Bundesländer
beim Zugang zu Masterstudiengängen errichtet, um die Definition des Mas-
ters als „weiterführenden Abschluss“ in den Strukturvorgaben der Kultusmi-
nisterkonferenz (KMK) umzusetzen?

5. Hält die Bundesregierung vor dem Hintergrund des 1972 ergangenen „NC-
Urteils“, das eine zeitliche Eingrenzung von Zulassungsbeschränkungen vor-
sieht, die heutigen Beschränkungen beim Zugang zu Bachelor- und Master-
studiengängen sowie die Umsetzung der Zulassungsverfahren an den Hoch-
schulen für verfassungskonform, bzw. welche Kriterien müssen nach
Auffassung der Bundesregierung bei einer nicht verfassungskonforme Um-
setzung erfüllt sein (bitte begründen)?

6. Ist aus Sicht der Bundesregierung die Einführung von Bachelor- und Master-
studiengängen darauf angelegt, dass Bachelorabsolventinnen und -absolven-
ten für einen anschließenden Masterstudiengang die Hochschule wechseln
müssen, oder sollte regelmäßig für zukünftige Masterstudierende die fak-
tische Möglichkeit bestehen, nach Wunsch an derselben Hochschule zu blei-

ben (bitte begründen)?

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7. Welcher Aufwand ist aus Sicht der Bundesregierung für Studierende mit ei-
nem unfreiwilligen Wohnortwechsel beim Übergang vom Bachelor- zum
Masterstudium verbunden, und welche Schlussfolgerungen zieht die Bun-
desregierung daraus?

8. Besteht mit Hinblick auf den häufig verspäteten Zulassungszeitpunkt zum
Masterstudium und die faktische Unmöglichkeit für viele Bachelorstudie-
rende, an der eigenen Hochschule einen anschließenden Masterstudienplatz
zu erhalten, aus Sicht der Bundesregierung Handlungsbedarf?

9. Inwiefern kann nach Auffassung der Bundesregierung sichergestellt wer-
den, dass die Auswahlverfahren für Masterstudiengänge der verschiedenen
Hochschulen vergleichbar sind in Hinblick auf die Berücksichtigung von
Vorqualifikationen, und dass gleichzeitig das Grundrecht der freien Berufs-
und Ausbildungswahl (Artikel 12 des Grundgesetzes) gewahrt bleibt ange-
sichts

a) erheblich unterschiedlicher Zulassungsbedingungen vor Ort,

b) mangelnder Vergleichbarkeit vorausgegangener Bachelorabschlüsse?

Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung daraus?

10. Wie bewertet die Bundesregierung das derzeit eingesetzte Instrumentarium
an Auswahlkriterien (Punktesysteme, Rankings, Auswahlgespräche und
Motivationsschreiben etc.) hinsichtlich ihrer Aussagekraft für einen kom-
menden Studienerfolg und ihrer Fehleranfälligkeit?

11. Warum liegen der Bundesregierung keine Erkenntnisse darüber vor, ob im
Rahmen örtlicher Zulassungsverfahren in manchen Bundesländern Gebüh-
ren erhoben werden (vgl. Antwort der Bundesregierung auf die Kleine
Anfrage der Fraktion DIE LINKE. auf Bundestagsdrucksache 17/373)?

12. Welche Erkenntnisse liegen der Bundesregierung vor über diskriminierende
Effekte von komplexen Auswahlverfahren für Studienbewerberinnen und
- bewerber aus so genannten bildungsfernen Schichten, Frauen, mit Be-
hinderung, Migrantinnen und Migranten, mit Migrationshintergrund bei
individuellen Zulassungsverfahren an den Hochschulen?

13. Auf welche empirischen Untersuchungen stützt sich die Bundesregierung
bei Bewertungen oder Aussagen zu Zulassungsverfahren an Hochschulen?

14. Inwiefern will die Bundesregierung mögliche Diskriminierungen oder dis-
kriminierende Effekte bei der aktuellen Ausgestaltung von Zulassungsver-
fahren an Hochschulen künftig evaluieren?

15. Welche Maßnahmen hat die Bundesregierung unternommen, um dem Ein-
fluss sozialer Benachteiligung bei Auswahlgesprächen entgegenzutreten
(vgl. Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion
DIE LINKE. vom 11. August 2006 auf Bundestagsdrucksache 16/2393)?

16. Hält die Bundesregierung bundesweit gültige Rahmenstandards für die
Hochschulzulassung mittlerweile für notwendig, da sich im Bereich des
Landeszulassungsrechts Entwicklungen abzeichnen, die „nachteilige
Auswirkungen auf die nationale und internationale Mobilität von Studien-
interessenten, Studierenden und Hochschulabsolventinnen und -absolven-
ten befürchten lassen“ (vgl. Antwort der Bundesregierung auf die Kleine
Anfrage der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auf Bundestagsdruck-
sache 16/11550, bitte begründen)?

17. Sind die derzeitigen und in den letzten Jahren bekannt gewordenen Pro-
bleme bei der Hochschulzulassung auf Seiten der Hochschulen und der

Länder ausreichend Anlass bzw. unter welchen Bedingungen wird die Bun-
desregierung ihr Recht in Anspruch nehmen, im Rahmen der konkurrieren-

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den Gesetzgebung einen rechtlichen Rahmen für die Hochschulzulassung
vorzugeben, der für Studierwillige und die Hochschulen Rechtssicherheit,
Transparenz und Einheitlichkeit schafft?

18. Wird die Bundesregierung auf bundesweit einheitliche und auch inhaltlich
vergleichbare Abschlüsse in der Ausbildung von Lehrkräften hinarbeiten?

Falls ja, in welcher Form?

Falls nein, warum nicht?

19. Wie bewertet die Bundesregierung in diesem Zusammenhang, dass das
Land Sachsen wegen der Probleme bei einer bedarfsgerechten Ausbildung
künftig wieder durchgängige Studiengänge mit Staatsexamen anbieten
wird?

Hat dies aus Sicht der Bundesregierung Folgen für die Vergleichbarkeit der
Abschlüsse und die Mobilität von Lehrkräften?

20. Wie bewertet es die Bundesregierung, wenn Studierende den für ihr Aus-
bildungsziel notwendigen Masterstudienplatz aufgrund kapazitätsbedingter
Engpässe nicht erhalten können (z. B. Lehrerin, Lehrer, Richterin, Richter
etc.), und welche Maßnahmen will die Bundesregierung ergreifen, um dies
zu unterbinden?

21. Wie viele Studienplätze blieben im Wintersemester 2010/2011 trotz der Stu-
dienplatzbörse in örtlich zulassungsbeschränkten Studiengängen unbesetzt?

22. Inwieweit kann der zum 1. April 2011 geplante Start des neuen „dialog-
orientierten Serviceverfahrens für die Hochschulzulassung“ wie vorge-
sehen erfolgen, und welche Probleme sieht die Bundesregierung noch?

23. Welche Erkenntnisse liegen der Bundesregierung hinsichtlich des Um-
setzungsstandes der Schaffung von zusätzlichen Studienplätzen sowie mög-
licher Verstöße gegen die Vereinbarungen der Hochschulpakte I und II in
den einzelnen Bundesländern vor?

Berlin, den 29. November 2010

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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