BT-Drucksache 17/3865

Reform des Fahrgastrechtegesetzes

Vom 23. November 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/3865
17. Wahlperiode 23. 11. 2010

Antrag
der Abgeordneten Dr. Anton Hofreiter, Nicole Maisch, Markus Kurth, Markus
Tressel, Winfried Hermann, Bettina Herlitzius, Stephan Kühn, Ingrid Nestle,
Daniela Wagner, Dr. Valerie Wilms, Cornelia Behm, Hans-Josef Fell, Ulrike Höfken,
Bärbel Höhn, Sylvia Kotting-Uhl, Oliver Krischer, Undine Kurth (Quedlinburg),
Friedrich Ostendorff, Dr. Hermann Ott, Dorothea Steiner, Kai Gehring und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Reform des Fahrgastrechtegesetzes

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Das am 29. Juli 2009 in Kraft getretene Fahrgastrechtegesetz (Fahrgastrechte-
verordnung-Anwendungsgesetz) setzt die Verordnung (EG) Nr. 1371/2007 mit
einheitlichen Fahrgastrechten im Eisenbahnverkehr um. Fahrgäste im Eisen-
bahnverkehr sind dadurch nicht mehr auf Kulanz oder freiwillige Regelungen
der betroffenen Eisenbahnunternehmen angewiesen. Den Kundinnen und Kun-
den werden Rechte und Fahrpreiserstattungen bei Zugausfall und Verspätung ab
60 Minuten eingeräumt und darüberhinaus eine Schlichtung in Aussicht gestellt.

Die EG-Verordnung erlaubt den Mitgliedstaaten, den Nahverkehr mit Eisen-
bahnen von ihrem Anwendungsbereich auszunehmen (Artikel 2 Absatz 5). Der
Gesetzgeber hat davon zwar nur für bestimmte Informationspflichten Gebrauch
gemacht, durch Bagatellgrenzen den Nahverkehr aber praktisch ganz aus der
Erstattung herausgenommen. Fahrgäste wurden auch in anderen Fällen nach
jahrelangem Hin und Her nur mit Minimalstandards abgespeist, Verbraucher-
schutz auf ein Nebengleis geschoben.

Auch Schadenersatzvorschriften fehlen für die Eisenbahnbeförderung. Statt-
dessen wurde lediglich der international zwingende Mindeststandard gewahrt.

Ein großes Problem stellt auch die Rechtsdurchsetzung dar. Ein verbraucher-
freundliches Verfahren bietet das Angebot der Schlichtung. Deshalb ist die
Arbeit der söp Schlichtungsstelle für den öffentlichen Personenverkehr e. V. von
großer Bedeutung. Eine größere Präsenz und ein Ausbau dieser Institution sind
zum Zwecke der verbesserten Rechtsdurchsetzung von Fahrgästen nötig.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,
● die Verbraucherrechte wie in Schweden und den Niederlanden weiter aus-
zudehnen auf Rückzahlungsansprüche anteilig am Fahrpreis ab einer Ver-
spätung von 30 Minuten,

● die Bagatellgrenze abzuschaffen, die den der Nahverkehr praktisch aus der
Erstattung herausnimmt,

Drucksache 17/3865 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

● Schadenersatzansprüche auf den tatsächlich entstandenen (Folge-)Schaden
zu gewähren,

● Inhaber von Zeitkarten ebenfalls zu entschädigen,

● im Fernverkehr bei Verspätung ein Recht auf Nutzung anderer Verkehrs-
mittel ohne zusätzliche Kosten einzuräumen,

● die Servicezeiten an Bahnhöfen an die Bedürfnisse von Reisenden mit
Mobilitätseinschränkung anzupassen,

● verbraucherfreundliche und barrierefreie Informationspflichten zu Reisever-
bindungen, Fahrplänen, Fahrradmitnahme, voraussichtlichen Störungen und
Verspätungen vorzuschreiben,

● ein Recht auf Fahrradtransport einzuführen,

● an entscheidenden Reiseverkehrsknotenpunkten in Zusammenarbeit mit der
söp Schlichtungsstelle für den öffentlichen Personenverkehr e. V. und Ver-
braucherzentralen Informations- und Vermittlungszentren zur verbesserten
Rechtsdurchsetzung einzurichten.

Berlin, den 22. November 2010

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

Begründung

Ein Jahr nach der Einführung der neuen Fahrgastrechte im deutschen Eisen-
bahnverkehr haben sich trotz aller Verbesserungen auch die Lücken gezeigt.
Verspätungen, auch unter 60 Minuten, untergraben das Vertrauen in die Pünkt-
lichkeit und Zuverlässigkeit der Bahn und bergen für den Kunden ein nicht
unerhebliches finanzielles und zeitliches Risiko. Die Praxis zeigt zudem, dass
nicht selten Probleme bei der Rechtsanwendung auftreten. Sie können etwa
beim Streit zwischen Kunde und Verkehrsunternehmen um die genaue Ver-
spätungszeit entstehen. Einen Beschwerdegrund haben Kunden auch dann,
wenn bei Zugausfall oder Verspätungen Folgekosten z. B. für Taxifahrten an-
fallen und sogar Schadenersatz verlangt wird.

Dies gilt auch für alle Serviceleistungen. Informationen hinsichtlich des Fahr-
weges, der Preisgestaltung und der Ausgestaltung eines barrierefreien Angebo-
tes sind, trotz erheblicher Fortschritte in den letzten Jahren, immer noch nicht
allen Reisenden in gleicher Weise zugänglich. So kommt es vor, dass Internet-
angebote einzelner Eisenbahnverkehrsunternehmen nicht barrierefrei sind, die
Durchsage von Verspätungen von Menschen mit Hörbeeinträchtigung nicht
wahrgenommen werden kann oder die elektronische Zusendung von Reise-
informationen in Form einer reinen Bilddatei für sehbeeinträchtigte Menschen
nicht nachzuvollziehen ist. Das Anrufen einer 0180-Servicerufnummer bei der
Mobilitätsservice-Zentrale der Deutschen Bahn AG ist je nach Wartezeit sehr
kostenintensiv.

Dazu zählt auch die Zugänglichkeit zu allen Verkehrsmitteln. Viele Bahnhöfe
und Züge sind nicht barrierefrei. Menschen mit Behinderung sind daher nicht
selten auf das Servicepersonal der Eisenbahnunternehmen angewiesen. Die
Servicezeiten an Bahnhöfen erstrecken sich jedoch nicht über die gesamte Zeit
der Zugabfertigungen. Dies hat zur Folge, dass Menschen mit Mobilitätsein-

schränkung an ihrem Heimatort nicht nach Ende der Serviceöffnungszeiten,
trotz laufenden Bahnbetriebs, ankommen können.

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/3865

Eine Präsenz der schlichtungsorientierten Institutionen an Hauptbahnhöfen ist
angesichts der mangelnden Kundenzufriedenheit vonnöten. Die Informations-
politik der Unternehmen für Reisende ist trotz gesetzlicher Bedingungen nicht
ausreichend. Deshalb ist eine Schlichtung und zentrale Anlaufstelle für Ver-
braucherbeschwerden an Reisezentren in Hauptbahnhöfen anzuregen. Denn
zum einen braucht der Verbraucher unmittelbare Hilfe, bei der auch häufig nur
ein Blick in vorhandene Vertragsdaten hilft. Zum anderen gelänge es auch über
diese Personalpolitik, die Institution an sich besser zu vermarkten, sie bekannter
zu machen, den Druck auf Unternehmen zu erhöhen und Schlichtung an Ort
und Stelle zu bieten. Eine Einbindung der Schlichtungsstellen in die zentralen
Informationszentren, wie sie jeder Flughafen oder Hauptbahnhof hat, wäre
dabei sehr wünschenswert.

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