BT-Drucksache 17/3748

NS-Vergangenheit in Bundesministerien aufklären

Vom 11. November 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/3748
17. Wahlperiode 11. 11. 2010

Antrag
der Abgeordneten Jan Korte, Dr. Dietmar Bartsch, Wolfgang Gehrcke, Ulla Jelpke,
Stefan Liebich, Petra Pau, Jens Petermann, Raju Sharma, Frank Tempel,
Halina Wawzyniak und der Fraktion DIE LINKE.

NS-Vergangenheit in Bundesministerien aufklären

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die kritische Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit gehört bis heute zu
den zentralen Lehren aus der deutschen Geschichte im 20. Jahrhundert. Der
Deutsche Bundestag und sämtliche Bundesregierungen seit 1949 haben zumin-
dest verbal immer wieder die enorme Bedeutung eines kritischen Blicks auf die
eigene Geschichte betont, um von hier Folgerungen für die demokratische Aus-
gestaltung der Bundesrepublik Deutschland zu ziehen.

Es ist heute Allgemeingut, dass den verbalen Bekenntnissen zu einer kritischen
Aufarbeitung der Vergangenheit in der Anfangsphase der Bundesrepublik
Deutschland eine reale Vergangenheitspolitik gegenüberstand, die gerade nicht
auf Aufklärung und kritische Aufarbeitung, sondern auf Beschweigen, Integra-
tion von NS-belasteten Personen und Tätern und auf einen möglichst baldigen
Schlussstrich setzte. Diese Politik und das damit einhergehende politische
Klima begünstigten die personelle und in Teilen damit verbundene inhaltliche
Kontinuität auch in Institutionen des Bundes.

Bis heute steht eine kritische Bilanz der personellen und inhaltlichen Kontinui-
täten zwischen dem NS-Regime und der Bundesrepublik Deutschland, bezogen
auf die politischen Machtinstitutionen der Bundesrepublik Deutschland, in den
meisten Fällen aus. Während vereinzelt Einrichtungen des Bundes sich dieser
Vergangenheit zuwenden (z. B. das Bundeskriminalamt), gibt es bei anderen
(z. B. der Bundesnachrichtendienst) bis heute Probleme und Schwierigkeiten.
Gefordert ist jedoch eine Gesamtsicht der Institutionen des Bundes, deren Be-
ginn eine wissenschaftliche Aufarbeitung der Geschichte der Ministerien des
Bundes unter der Fragestellung ihres Anteils an der NS-Geschichte, so wie der
personellen und inhaltlichen Kontinuitäten bzw. Brüche zwischen der NS-Zeit
und der Bundesrepublik Deutschland sein muss.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,
1. bis zum Ende der Legislaturperiode eine wissenschaftliche Aufarbeitung der
Geschichte der Bundesministerien auf den Weg zu bringen, sofern sie direkte
oder indirekte Vorgängerministerien in der NS-Zeit hatten;

2. vorhandene Studien zur NS-Geschichte einzelner Ministerien dahingehend
auszuweiten, dass auch die Geschichte ihres personellen und inhaltlichen
Übergangs in die Bundesrepublik Deutschland untersucht wird;

Drucksache 17/3748 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
3. dem Bundestag einen Finanzierungsplan für dieses Vorhaben bis zum Som-
mer 2011 vorzulegen,

4. entsprechende Ausschreibungen auf den Weg zu bringen und Kommissionen
von Historikerinnen und Historikern zu bilden, die die einzelnen Ministerien
untersuchen,

5. dafür Sorge zu tragen, dass die notwendigen Aktenbestände den Historiker-
kommissionen uneingeschränkt zur Verfügung stehen.

Berlin, den 9. November 2010

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

Begründung

Die jüngst vorgelegte Darstellung der Geschichte des Auswärtigen Amts in der
NS-Zeit und im Übergang zur Bundesrepublik Deutschland zeigt, dass es noch
einige wissenschaftliche Desiderate in der Darstellung zentraler Institutionen
politischer Macht der NS-Zeit gibt und dass vor allem die Frage des Übergangs
dieser Institutionen in die Bundesrepublik Deutschland viel zu wenig erforscht
ist. Offensichtlich, so erste Eindrücke aus der Studie zum Auswärtigen Amt, las-
sen sich erhebliche personelle Kontinuitätslinien über den Systembruch 1945
hinweg verfolgen. Diese Kontinuitäten gilt es 65 Jahre nach dem Ende des
NS- Regimes endlich aufzuarbeiten, um so einen Beitrag zur Historisierung der
Geschichte der frühen Bundesrepublik Deutschland zu leisten.

Natürlich hätte eine solche Aufarbeitung zu einem viel früheren Zeitpunkt statt-
finden müssen, um reale Auswirkungen, z. B. auf die inhaltliche Ausgestaltung
der Politik der einzelnen Ministerien haben zu können. Während die politischen
Konstellationen eine frühere Hinwendung zu diesem Thema offensichtlich nicht
zuließen, sollten heute, da die Aufarbeitung der NS-Vergangenheit fast schon
zur Staatsraison erklärt wird, keine politischen Hindernisse mehr bestehen.

Allerdings zeigen die zögerliche Aufarbeitung wichtiger Institutionen der Bun-
desrepublik Deutschland und der dafür genutzte Verweis auf Geheimhaltungs-
bedürfnisse, die eine wissenschaftliche Aufarbeitung von Aktenbeständen ver-
hindern, dass es des politischen Anstoßes bedarf, um hier zu einem umfassenden
Bild zu gelangen.

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