BT-Drucksache 17/3729

Einsatz von Wasserwerfern

Vom 10. November 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/3729
17. Wahlperiode 10. 11. 2010

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Jan Korte, Jens Petermann, Frank Tempel
und der Fraktion DIE LINKE.

Einsatz von Wasserwerfern

Bei einer Großdemonstration gegen das umstrittene Bahnhofsprojekt Stuttgart 21
wurden am 30. September 2010 zahlreiche friedliche Demonstrantinnen und
Demonstranten durch den Einsatz von Wasserwerfern und Reizgas durch die
Polizei zum Teil schwer verletzt. Ein 66-jähriger Rentner erblindete aufgrund
des Wasserwerfereinsatzes auf einem Auge dauerhaft und büßte die Sehfähig-
keit auf dem anderen Auge weitgehend ein. Der Wasserstrahl war ihm zuvor
direkt ins Gesicht gerichtet worden.

,Die Fahrzeuge der „Mammut“-Generation sind gefährliche Waffen mit poten-
tiell tödlicher Wirkung – obwohl sie polizeirechtlich nach wie vor nur als „Hilfs-
mittel der körperlichen Gewalt“ eingestuft werden und damit vergleichsweise
harmlosen Zwangsmitteln wie Knebel, Fessel oder Diensthund gleichgestellt
sind‘, schrieb das Nachrichtenmagazin „DER SPIEGEL“ schon am 21. Juli 1986
über die heute noch bei Bundes- und Länderpolizeien gebräuchlichen Wasser-
werfer der Reihe WaWe 9000. So rügte eine Lüneburger Verwaltungsgerichts-
kammer in erster Instanz, dass Wasserwerferbesatzungen bei einem Einsatz im
September 1982 am atomaren Endlager Gorleben „außer Verhältnis zum ange-
strebten Erfolg“ sitzende Demonstranten krankenhausreif gespritzt hatten. Die
Getroffenen erlitten Rippenbrüche, Rückenprellungen, Augen- und Nierenver-
letzungen (DER SPIEGEL 21. Juli 1986). Am Karfreitag 1984 erlitt eine Frie-
densaktivistin bei der friedlichen Blockade einer US-Kaserne bei Bremen durch
Wasserwerferbeschuss schwere innere Blutungen, ein weiterer Aktivist erlitt
Nierenprellungen und einen Nabelbruch (DER SPIEGEL 7. Oktober 1985). Bei
Protesten gegen einen NPD-Aufmarsch wurde der Demonstrant Günther Sare
1985 von einem Wasserwerfer zu Boden geworfen und anschließend überfah-
ren. Zu schweren Verletzungen durch Wasserwerfer kam es auch anlässlich der
Proteste gegen den G8-Gipfel in Heiligendamm 2007. So verlor ein Demons-
trant ein Auge.

Nach einem Beschluss der Innenministerkonferenz aus dem Jahr 2005 werden
die bislang eingesetzten Wasserwerfer des Typs WaWe 9000 durch neue Wasser-
werfer vom Typ WaWe 10000 COBRA der Firma Rosenbauer ersetzt. Ein Fahr-
zeug wurde bereits im November 2009 an das Bundesministerium des Innern zu

Testzwecken ausgeliefert und in Hamburg erprobt. Die neuen Fahrzeuge haben
neben einer höheren Motorleistung ein um 1000 Liter höheres Wassertankvolu-
men und drei statt wie bislang zwei Rohre, durch die mit einem um ein Drittel
höheren Wasserdruck geschossen werden kann. Dem Wasserstrahl kann sowohl
CN- wie auch CS-Tränengas beigemischt werden. Beim Design sei auch auf
„psychologische Effekte“ geachtet worden, erklärte ein Referatsleiter des Bun-
desministeriums des Innern. „Bereits das aktuelle Modell ist also in der Lage,

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Angst und Schrecken zu verbreiten – die neue Generation jedoch ist speziell
dafür gestaltet“, kommentierte die „Frankfurter Rundschau“ die Anschaffung der
„geschützten Tankfahrzeuge“ vom Typ WaWe 10000 (Frankfurter Rundschau
2. Dezember 2009).

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Über wie viele Wasserwerfer verfügen die Bundespolizei und die Polizeien
der Länder zurzeit (bitte nach Typ, Baujahr und Landes- bzw. Bundespoli-
zei aufgliedern)?

2. Wie viele Wasserwerfer sollen innerhalb der nächsten fünf Jahre aufgrund
ihres Alters oder technischer Mängel aus dem Fuhrpark des Bundes und
der Länderpolizeien entfernt werden?

3. Wie viele neue Wasserwerfer vom Typ WaWe 10000 sollen in welchem
Zeitraum von der Bundespolizei und den Länderpolizeien angeschafft wer-
den?

4. Inwieweit besteht die Möglichkeit, vom Vertrag mit der Firma Rosenbauer
(auch in Teilen) zurückzutreten?

5. In wie vielen und welchen Fällen kamen in den letzten zehn Jahren
Wasserwerfer der Bundespolizei zum Einsatz (bitte einzeln aufzählen und
vermerken, ob die Wasserwerfer dabei nur in Bereitschaft standen oder
auch zum Räumen verwendet wurden, und in welchen Fällen Reizgase
dem Wasser beigemischt wurden)?

6. In wie vielen und welchen Fällen wurden im Zusammenhang mit Wasser-
werfereinsätzen in den letzten zehn Jahren Demonstrationsteilnehmende,
Polizeibeamte oder Unbeteiligte verletzt (bitte einzeln aufzählen und Klas-
sifikation angeben)?

a) Welcher Art waren die Verletzungen?

b) Inwieweit wurden diese Verletzungen unmittelbar (durch den Druck des
Wasserstahls) oder mittelbar (durch Stürze etc. infolge des Wasserein-
satzes) hervorgerufen?

7. Wie viele Klagen gegen Wasserwerfereinsätze hat es in den letzten zehn
Jahren gegeben, und was war ihr Ausgang?

8. Inwieweit erscheint der Bundesregierung die Einstufung von Wasserwer-
fern als bloßes „Hilfsmittel der körperlichen Gewalt“ angesichts der Viel-
zahl schwerer Verletzungen durch den Einsatz dieses Instruments in den
letzten Jahrzehnten noch für gerechtfertigt?

9. Welche technischen und sicherheitspolitischen Begründungen führt die
Bundesregierung für die Anschaffung der WaWe 10000 an?

10. Welche Gründe haben die Bundesregierung bewogen, weiterhin auf Was-
serwerfer als Distanzwaffe für die Bundespolizei zu setzen, und wo liegt ihr
etwaiger operativer Vorteil gegenüber anderen Distanzwaffen?

11. Über welche anderen Distanzwaffen verfügt die Bundespolizei, und wie ist
ihr Einsatz geregelt?

12. Wie begründet die Bundesregierung die Notwendigkeit, beim WaWe 10000
Pumpen mit rund einem Drittel höheren Wasserdruck als bisher gebräuch-
lich zu verwenden?

13. In welcher Form wurde der neue WaWe 10000 bislang getestet, und mit
welchem Ergebnis?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/3729

14. Inwieweit wurde bei der Konstruktion und dem Test des WaWe 10000 dar-
auf geachtet, dass das Risiko schwerer Verletzungen oder der Tötung von
Personen durch die Wasserkanonen minimiert wird oder ganz ausgeschlos-
sen ist?

15. Inwieweit ist der WaWe 10000 so geschaffen, dass die Wasserwerferbesat-
zung Außengeräusche wie etwa Hilferufe Verletzter wahrnehmen kann?

16. Inwieweit werden die Wasserwerferbesatzungen bei der Ausbildung auf die
Möglichkeiten schwerer Körperverletzungen durch den Wasserstrahl hinge-
wiesen?

17. Inwieweit unternimmt die Bundesregierung bzw. Bundespolizei Anstren-
gungen, Polizeien von EU-Mitgliedstaaten oder anderer Länder vom ver-
mehrten Einsatz bzw. der Anschaffung von Wasserwerfern als Distanzwaffe
zu überzeugen?

Berlin, den 10. November 2010

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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