BT-Drucksache 17/3706

zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung -Drucksachen 17/2637, 17/3693- Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung des Schutzes von Vertrauensverhältnissen zu Rechtsanwälten im Strafprozessrecht

Vom 10. November 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/3706
17. Wahlperiode 10. 11. 2010

Entschließungsantrag
der Abgeordneten Halina Wawzyniak, Jan Korte, Ulla Jelpke, Petra Pau,
Jens Petermann, Raju Sharma, Frank Tempel, Jörn Wunderlich und der Fraktion
DIE LINKE.

zur dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung
– Drucksachen 17/2637, 17/3693 –

Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung des Schutzes von Vertrauensverhältnissen
zu Rechtsanwälten im Strafprozessrecht

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Der Entwurf der Bundesregierung erweitert zwar den Schutz von Vertrauens-
verhältnissen im Hinblick auf Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte, behält
aber weiterhin die ungerechtfertigte Einordnung von Berufsgeheimnisträgerin-
nen und Berufsgeheimnisträgern in solche „erster“ und solche „zweiter“ Klasse
des § 160a der Strafprozessordnung (StPO) bei.

Der in der 16. Wahlperiode eingeführte § 160a StPO (Bundestagsdrucksache
16/5846) regelt ein Beweiserhebungs- und Verwertungsverbot für Erkenntnisse
aus sämtlichen Ermittlungsmaßnahmen, soweit das Zeugnisverweigerungsrecht
der Berufsgeheimnisträgerinnen und Berufsgeheimnisträger betroffen ist. Aller-
dings sieht die Norm einen absoluten Schutz bisher nur für Verteidigerinnen
und Verteidiger, Geistliche und Abgeordnete vor. Bei den anderen zeugnisver-
weigerungsberechtigten Berufsgruppen, wie beispielsweise Rechtsanwältinnen
und Rechtsanwälten, Steuerberaterinnen und Steuerberater, Psychotherapeu-
tinnen und Psychotherapeuten, Ärztinnen und Ärzte sowie Journalistinnen und
Journalisten, gilt nur ein relatives Erhebungs- und Verwertungsverbot. Das be-
deutet, dass im Rahmen einer Verhältnismäßigkeitsprüfung abgewogen wird
zwischen dem öffentlichen Interesse an der Strafverfolgung einerseits und dem
öffentlichen Interesse an dem Schutz des besonderen Vertrauensverhältnisses
zwischen Bürgerinnen und Bürgern zu den Berufsgeheimnisträgerinnen und
Berufsgeheimnisträgern andererseits.
Die Bundesregierung hat erkannt, dass die Differenzierung zwischen Verteidi-
gerinnen bzw. Verteidigern und Rechtsanwältinnen bzw. Rechtsanwälten weder
sachgerecht noch praktikabel ist und sieht in dem vorliegenden Gesetzentwurf
daher die Ausweitung des absoluten Schutzes auf alle Rechtsanwältinnen bzw.
Rechtsanwälte vor.

Hinsichtlich der anderen durch das Zeugnisverweigerungsrecht aus § 53
Absatz 1 StPO geschützten Berufsgruppen belässt sie es aber bei dem relativen

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Schutz, obwohl sie selbst in ihrem Gesetzesentwurf die Notwendigkeit der
Überprüfung einer Einbeziehung weiterer Berufsgeheimnisträger bereits ein-
räumt (Bundestagsdrucksache 17/ 2637, S. 6 und 8).

Diese Differenzierung ist als nicht sachgerecht abzulehnen. § 53 Absatz 1 StPO
bezweckt den Schutz des Vertrauensverhältnisses zwischen bestimmten Berufs-
gruppen und denen, die ihre Hilfe und Sachkunde in Anspruch nehmen. Diese
Regelung folgt der Erkenntnis, dass bestimmte Berufsgruppen in einem beson-
ders sensiblen Bereich agieren, in dem es unerlässlich ist, dass diejenigen, die
sich an sie wenden, sich ihnen gegenüber frei, offen und vorbehaltlos anver-
trauen können, ohne Gefahr zu laufen, dass vorgetragene Inhalte zur Kenntnis
Dritter gelangen. Der bei den vorliegenden Vertrauensverhältnissen tangierte
Kernbereich der privaten Lebensgestaltung unterliegt auch dem besonderen
Schutz der Verfassung nach Artikel 2 Absatz 1 i. V. m. Artikel 1 Absatz 1 des
Grundgesetzes (GG).

§ 160a StPO stellt die spiegelbildliche Regelung zu den Zeugnisverweigerungs-
rechten der Berufsgeheimnisträgerinnen und Berufsgeheimnisträgern aus § 53
Absatz 1 StPO dar und vollendet den Schutz. Indem die Erhebung und Ver-
wertung von Erkenntnissen, über die die Angehörigen der Berufsgruppen das
Zeugnis verweigern dürften, verbietet, sichert er ab, dass dieses Recht nicht
umgangen wird.

Die Ermittlungsbehörden werden so daran gehindert, zu versuchen, dass durch
eine Zeugenaussage nicht Erlangbare es auf anderen Wegen doch noch zu erfah-
ren. Dieser Aufwand ist nämlich vergebens, wenn die ermittelten Erkenntnisse
für einen etwaigen Gerichtprozess, aufgrund von Verwertungsverboten, un-
brauchbar sind. Die Umgehung des § 53 StPO kann aber nicht sichergestellt
werden, wenn bei bestimmten Berufsgruppen erst eine, von den Ermittlungsbe-
hörden vorzunehmende Abwägung über die Verwertbarkeit der Erkenntnisse
entscheidet. Eine Differenzierung der verschiedenen Berufsgruppen sieht auch
der § 53 StPO nicht vor, sondern geht gleichermaßen von der Schutzbedürftig-
keit aller Vertrauensverhältnisse zu den dort genannten Berufsgruppen aus.

Solange aber eine Abwägung möglich bleibt, ermutigt dies erst mal dazu alle
Ermittlungsmöglichkeiten voll auszuschöpfen, um die gewünschten Informa-
tionen zu erlangen. Insbesondere sieht § 160a Absatz 2 StPO weiterhin vor, dass
das Strafverfolgungsinteresse nicht überwiegt, wenn es sich nicht um Straftaten
von erheblicher Bedeutung handelt. Dies lässt im Umkehrschluss befürchten,
dass sobald eine gewisse Erheblichkeitsschwelle überschritten ist, Ermittlungs-
maßnahmen regelmäßig möglich sind. Darüber hinaus bestehen hinsichtlich der
Erheblichkeit einer Straftat keine verlässlichen Abwägungskriterien. Die
Berufsangehörigen sowie die Hilfesuchenden haben zudem keinen Einblick in
den Abwägungsprozess der Ermittlungsbehörden, so dass sie mit einer Über-
wachung rechnen müssen und eben nicht – wie für eine freie und unzensierte
Kommunikation erforderlich – auf die Geheimhaltung vertrauen können. Ein
Rechtsstaat ist aber auf solche Freiräume angewiesen. Insbesondere gibt es im
Strafverfahrensrecht keinen Grundsatz, wonach die Wahrheit um jeden Preis er-
forscht werden muss. Die bisherige Regelung sowie die im Gesetzentwurf der
Bundesregierung vorgesehene wird der hohen Bedeutung des Vertrauensver-
hältnisses zwischen den Berufsgeheimnisträgerinnen und Berufsgeheimnis-
trägern und ihren Mandantinnen bzw. Mandanten oder Patientinnen und Patien-
ten nicht gerecht. Der absolute Schutz aller in § 53 Absatz 1 StPO genannten
Berufsgruppen würde auch dem Grundsatz des fairen Verfahrens aus Artikel 20
Absatz 3 i. V. m. Artikel 2 Absatz 1 GG umfänglicher zur Geltung verhelfen.
Zudem wächst mit dem Ausmaß potenzieller Kenntnis staatlicher Organe von
vertraulichen Äußerungen die Gefahr, dass sich auch Unverdächtige nicht mehr

den Berufsgeheimnisträgerinnen und Berufsgeheimnisträgern zur Durchsetzung
ihrer Interessen anvertrauen.

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Auch im Hinblick auf die von Artikel 12 GG gewährte Berufsfreiheit der
betroffenen Berufsgruppen „zweiter Klasse“ ist die Regelung angreifbar, da
die Berufsausübung unter dem Vorzeichen der Gefahr des Überwachtwerdens
erheblich erschwert ist.

Das Vertrauensverhältnis der ausgesparten Berufsgruppen verdient ebenso einen
absoluten Schutz. Die besondere Schutzbedürftigkeit wird im Folgenden anhand
ausgewählter Berufsgruppen beispielhaft dargelegt.

Gerade bei dem Verhältnis zwischen Ärztinnen bzw. Ärzten oder Therapeutin-
nen bzw. Therapeuten und ihren Patientinnen bzw. Patienten hängt der Erfolg
der Behandlung davon ab, dass die Patientin oder der Patient sich völlig frei
offenbaren kann und darauf vertrauen darf, dass so höchstpersönliche Dinge
wie der eigene körperliche oder psychische Gesundheitszustand nicht zur
Kenntnis Außenstehender gelangen.

Auch das besondere Vertrauensverhältnis zur Steuerberaterin und zum Steuer-
berater verdient absoluten Schutz, insbesondere sind auch hier die Übergänge
zwischen der reinen Steuerberatung und einer Beratung in Steuerstrafsachen
– wie die Bundesregierung in ihrem Gesetzentwurf für die Anwaltschaft aner-
kennt – fließend und eine Differenzierung zur Verteidigertätigkeit kaum mög-
lich.

Zur Gewährleistung der in einer freien Gesellschaft notwendigen kritischen
mutigen und aufklärerischen Berichterstattung bedarf es eines absoluten Schut-
zes für Journalistinnen und Journalisten. Da diese nicht überall sein können,
stoßen sie meist erst durch Informantinnen und Informanten auf wichtige Er-
eignisse. Die Informantinnen und Informanten werden aber abgeschreckt, wenn
sie befürchten müssen, dass ihr Name im Zusammenhang mit Straftaten den
Behörden oder der Öffentlichkeit bekannt wird.

Die von der Bundesregierung vorgenommene Differenzierung erscheint insge-
samt willkürlich, da neben Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten auch Geist-
liche und Abgeordnete weiterhin unter absolutem Schutz stehen. Manche Bürge-
rinnen und Bürger offenbaren ihr Intimleben aber statt einem Geistlichen lieber
einer Therapeutin oder einem Therapeuten. Der Gesetzentwurf der Regierung
bleibt eine Erklärung hierfür schuldig.

Insbesondere hindert die Feststellung des Bundesverfassungsgerichts, dass im
Hinblick auf die Menschenwürde das seelsorgerische Gespräch mit einem
Geistlichen sowie das Gespräch mit der Verteidigerin oder dem Verteidiger
eines absoluten Schutzes bedarf (BVerfGE zur Wohnraumüberwachung vom
3. März 2004, 1 BvR 2378/98, 1 BvR 1084/99, Rn. 152), den Gesetzgeber nicht
daran, einen weitergehenden Schutz auch für die anderen Berufsgeheimnisträ-
gerinnen und Berufsgeheimnisträger auszugestalten.

Und auch wenn, wie von der Regierung angeführt, es in der Vergangenheit nur
in sehr geringem Umfang zu Überwachungsmaßnahmen bei den erwähnten
ausgesparten Berufsgruppen gekommen ist, ist dies kein Argument, um einen
Schutz nicht gesetzlich festzuschreiben. Denn diese Situation kann sich be-
darfsabhängig jederzeit ändern und unter rechtsstaatlichem Gesichtspunkt ist
jede ausforschende Ermittlungsmaßnahme in diesem Zusammenhang eine zu-
viel. Mithin hat der geringe Ermittlungsumfang, der sich nach Regierungsanga-
ben auch bei der Anwaltschaft zeigt, die Regierung nicht daran gehindert, den
absoluten Geheimnisschutz auf diese Berufsgruppe auszuweiten.

Zu kritisieren ist ebenfalls, dass der Schutz des § 160a StPO nach seinem
Absatz 4 recht leicht ausgehebelt werden kann. Dieser bestimmt den Aus-
schluss des Schutzes und damit eine Beweiserhebungs- und Verwertungsmög-
lichkeit bereits dann, wenn bestimmte Tatsachen den Verdacht begründen, dass

die zeugnisverweigerungsberechtigte Person an der Tat der Beschuldigten oder

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an einer Begünstigung, Strafvereitelung oder Hehlerei beteiligt ist. Um der Be-
deutung der Vertrauensverhältnisse gerecht zu werden, ist die Hürde heraufzu-
setzen und ein dringender Tatverdacht zu fordern, da für einen Anfangsver-
dacht bereits sehr vage Anhaltspunkte ausreichen können.

§ 20u des Gesetzes über das Bundeskriminalamt und die Zusammenarbeit des
Bundes und der Länder in kriminalpolizeilichen Angelegenheiten (ä-Gesetz)
enthält eine dem bisherigen § 160a StPO vergleichbare Regelung, wonach der
absolute Schutz vor polizeilichen Gefahrenabwehrmaßnahmen im Bereich des
internationalen Terrorismus wie beispielsweise die Rasterfahndung, die Wohn-
raumüberwachung oder die Online-Durchsuchung nur Geistlichen, Verteidige-
rinnen und Verteidigern und Abgeordneten zuteil wird. Für die übrigen Berufs-
geheimnisträgerinnen und Berufsgeheimnisträger gilt nur ein relativer Schutz.
Der Schutz im Rahmen dieser Vorschrift muss aus den dargelegten Gründen
ebenfalls auf alle in § 53 Absatz 1 StPO genannten Berufsgruppen ausgeweitet
werden.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

einen Gesetzentwurf vorzulegen, in dem

1. alle in § 53 Absatz 1 StPO genannten Berufsgeheimnisträgerinnen und
Berufsgeheimnisträger in den Schutzbereich des § 160a Absatz 1 StPO ein-
bezogen sind,

2. der Ausschlussgrund des § 160a Absatz 4 StPO statt bereits bei einem
Anfangsverdacht erst bei einem dringenden Tatverdacht vorgesehen ist,

3. die im BKA-Gesetz enthaltene, dem § 160a StPO vergleichbare Regelung
ebenfalls auf alle in § 53 Absatz 1 StPO genannten Berufsgeheimnisträge-
rinnen und Berufsgeheimnisträger ausgeweitet wird.

Berlin, den 10. November 2010

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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