BT-Drucksache 17/3685

Korruption im Gesundheitswesen wirksam bekämpfen

Vom 10. November 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/3685
17. Wahlperiode 10. 11. 2010

Antrag
der Abgeordneten Dr. Edgar Franke, Christine Lambrecht, Bärbel Bas, Petra
Ernstberger, Elke Ferner, Iris Gleicke, Angelika Graf (Rosenheim), Ute Kumpf,
Dr. Karl Lauterbach, Steffen-Claudio Lemme, Hilde Mattheis, Thomas Oppermann,
Mechthild Rawert, Dr. Carola Reimann, Ewald Schurer, Dr. Marlies Volkmer,
Dr. Frank-Walter Steinmeier und der Fraktion der SPD

Korruption im Gesundheitswesen wirksam bekämpfen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Durch Korruption, Abrechnungsbetrug und Falschabrechnung gehen der ge-
setzlichen Krankenversicherung jedes Jahr erhebliche Summen an Versicher-
tengeldern verloren. Experten des European Healthcare Fraud and Corruption
Network schätzen, dass die Verluste zwischen 3 und 10 Prozent der Gesund-
heitsausgaben betragen. Das wären in Deutschland alleine bei den gesetzlichen
Krankenkassen zwischen 5 und 18 Mrd. Euro pro Jahr.

Neben dem finanziellen Schaden drohen den Patientinnen und Patienten jedoch
vor allem zum Teil lebensgefährliche Nachteile bei der Behandlung, wenn z. B.
für die Auswahl einer Krebstherapie nicht die medizinischen Erfordernisse den
Ausschlag geben, sondern mögliche Schmiergeldzahlungen an den behandeln-
den Arzt.

Immer wieder wurden in der Vergangenheit Korruptionsskandale im Gesund-
heitswesen aufgedeckt. Fangprämien an niedergelassene Ärzte als Gegenleis-
tung für Krankenhauseinweisungen, Falschabrechnungen in Krankenhäusern
mit einem Milliardenschaden für die Krankenkassen, Schmiergeldzahlungen
von Apothekern an Ärzte oder der sogenannte Herzklappenskandal sind nur
einige Beispiele.

Die Fraktion der SPD hat bereits in der letzten Wahlperiode einen Vorstoß un-
ternommen, um der Korruption im Gesundheitswesen entgegenzutreten. Die
Fraktion der CDU/CSU hat sich dem jedoch mit nicht nachvollziehbaren Be-
gründungen widersetzt. Angesichts der nun anstehenden Beitragssatzsteigerun-
gen und der in Zukunft drohenden Kopfpauschalen muss aus Sicht der Fraktion
der SPD jede Art der Verschwendung von Beitragsmitteln konsequent be-
kämpft werden.
II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. durch ergänzende Regelungen im Strafgesetzbuch sicherzustellen, dass Korrup-
tionshandlungen niedergelassener Vertragsärzte Straftatbestände darstellen;

2. durch entsprechende gesetzliche Regelungen sicherzustellen, dass syste-
matische Falschabrechnungen von Krankenhäusern mit spürbaren Sanktio-
nen geahndet werden;

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3. auf die Länder einzuwirken, damit diese besonders qualifizierte Schwer-
punktstaatsanwaltschaften und Ermittlungsgruppen bei der Kriminalpolizei
zur Verfolgung von Korruption im Gesundheitswesen errichten. Begleitend
sollten Angebote zur Fortbildung von Richtern und Staatsanwälten mit
einem möglichst einheitlichen Curriculum realisiert werden;

4. einen besonderen, auf sozialversicherungsrechtliche Sachverhalte abzielen-
den Straftatbestand zu schaffen, der neben dem Vermögen die besondere
Stellung der gesetzlichen Krankenversicherung und der Patientinnen und
Patienten schützt;

5. die Stellen zur Bekämpfung von Fehlverhalten als Profit-Center innerhalb
der sie tragenden Organisationen zu verankern, damit der erwünschte perso-
nelle Ausbau nicht durch die von der Koalition geplante Deckelung der Ver-
waltungskosten der Krankenkassen verhindert wird.

Berlin, 10. November 2010

Dr. Frank-Walter Steinmeier und Fraktion

Begründung

1. Derzeit ist in der staatsanwaltschaftlichen Praxis und in der juristischen Lite-
ratur höchst umstritten, ob sich niedergelassene Vertragsärzte wegen Kor-
ruptionshandlungen strafbar machen können. In der Praxis werden Fälle
berichtet, in denen krebskranke Patienten mit extrem teuren Arzneimitteln
behandelt werden, von deren Einsatz der behandelnde Arzt finanziell profi-
tiert. Ob die Behandlung auch dem Patienten nutzt, ist dann nachrangig.
Selbst in einem so drastischen Fall ist es bisher nicht sicher, dass der Arzt
wegen Bestechlichkeit belangt werden kann. Die Fraktion der SPD fordert,
dass es einen strafrechtlichen Schutz für die Patienten geben muss, der si-
cherstellt, dass nicht wirtschaftliche, sondern ausschließlich medizinische
Beweggründe für die Art der Behandlung maßgeblich sind. Besonders ab-
wegig ist die bisherige Rechtslage, weil § 299 des Strafgesetzbuchs (StGB)
(Bestechlichkeit und Bestechung im geschäftlichen Verkehr) derzeit zwar
auf angestellte Ärzte, z. B. in Krankenhäusern angewandt wird, nicht jedoch
auf freiberuflich Tätige.

Diskutiert werden hier sowohl die Anwendung der Amtsdelikte nach
§ 331 ff. StGB als auch von § 299 StGB. Zwischenzeitlich ist die Minder-
meinung, die für eine Anwendung der vorhandenen Korruptionsdelikte auf
niedergelassene Vertragsärzte plädiert, auch in der Praxis zwar langsam im
Vormarsch (beispielsweise Generalstaatsanwaltschaften Koblenz und Braun-
schweig). Ob sich diese aber – auch bei den Strafgerichten – durchsetzt, kann
zurzeit noch nicht abgeschätzt werden. Es würde in jedem Fall einen länge-
ren Zeitraum in Anspruch nehmen. Nicht zuletzt um ein politisches Signal zu
setzen und um für Rechtssicherheit zu sorgen, ist eine Klarstellung durch den
Gesetzgeber geboten.

2. Die Krankenkassen sind zur Prüfung von Krankenhausrechnungen ver-
pflichtet. Verändert sich der Abrechnungsbetrag infolge der Prüfung nicht,
muss die Krankenkasse dem Krankenhaus 300 Euro pro Fall zahlen. Wenn
das Krankenhaus jedoch einen Fehler gemacht hat und die Abrechnung
falsch war, muss es lediglich das falsch abgerechnete Geld an die Kranken-

kassen zurückzahlen. Diese ungleiche Regelung schafft Anreize zur syste-

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matischen Falschabrechnung, auch wenn dies den Krankenhäusern keines-
wegs grundsätzlich unterstellt wird.

Neben der entsprechenden Vorschrift nach § 275 Absatz 1c des Fünften Bu-
ches Sozialgesetzbuch, wonach die Krankenkassen den Krankenhäusern
eine Aufwandspauschale in Höhe von 300 Euro bei nicht erfolgreichen Prü-
fungen durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung zahlen
müssen, fehlt eine entsprechende Vorschrift, die Falschabrechnungen der
Krankenhäuser sanktioniert. Sonstige negative Folgen, z. B. in Form eines
Bußgeldes, sind mit der fehlerhaften Abrechnung nicht verbunden. Um An-
reize zur Falschabrechnung zu vermeiden, müssen neben der Rückzahlung
der falschen Abrechnungen auch spürbare Sanktionen für systematische
Falschabrechungen erfolgen.

3. Die Einrichtung von Schwerpunktstaatsanwaltschaften bzw. Verwaltungs-
einheiten mit sozialrechtlichem Spezialwissen muss forciert werden. Da
diese Maßnahme im Verantwortungsbereich der Länder liegt, besteht keine
direkte Gesetzgebungskompetenz durch den Bundesgesetzgeber. Es muss
hier jedoch zumindest ein dringender Appell der Bundesregierung an die
Länder erfolgen.

Es bestehen nach den Erfahrungen der Fehlverhaltensbekämpfungsstellen
der Krankenkassen bei den Ermittlungsbehörden (Staatsanwaltschaften, Kri-
minalpolizei), aber auch bei den Strafgerichten zumindest der ersten Instanz
deutliche Defizite hinsichtlich der Kenntnis zwingend zu berücksichtigender
sozialrechtlicher Besonderheiten. Das erforderliche Spezialwissen ist bisher
nur bei den wenigen bereits eingerichteten Schwerpunktstaatsanwaltschaf-
ten bzw. speziellen Verwaltungseinheiten, z. B. in Bayern, Saarland, Rhein-
land-Pfalz, Hessen, Niedersachsen vorhanden. Es ist daher mindestens ge-
boten, die Mitarbeiter von Staatsanwaltschaften und Kriminalpolizei in dem
für die jeweilige Region angemessenen Umfang hinsichtlich der ständigen
Rechtsprechung des Bundeszozialgerichts und des Bundesgerichtshofs in
Strafsachen ausreichend zu schulen.

4. Wenn – wie gerade in den Berliner DRK-Kliniken geschehen – Ärzte eines
Krankenhauses Operationen durchführen, ohne die notwendigen Qualifika-
tionen zu besitzen und dafür eine Rechnung gestellt wird, als ob die OP vom
dafür qualifizierten Arzt erbracht worden wäre, dann ist der Kasse nach der-
zeitiger Rechtslage kein Schaden entstanden, weil die Leistung auch bei ord-
nungsgemäßer Erbringung hätte bezahlt werden müssen. Das gesundheit-
liche Risiko für den Patienten und die generelle Frage der Behandlungs-
qualität spielt für die strafrechtliche Qualifizierung als Betrug keine Rolle.
Zurzeit gibt es für Fälle des Abrechnungsbetruges keinen Sondertatbestand,
so dass der „normale“ Betrugsstraftatbestand des § 263 StGB herangezogen
wird. Dieser schützt als reines Vermögensdelikt – von wenigen zudem strit-
tigen Ausnahmen abgesehen – nur tatsächliche, objektiv messbare Eingriffe
in das Vermögen. Für den optimalen Schutz sozialversicherungstypischer
Rechtsgüter ist daher die Schaffung eines speziellen Straftatbestandes drin-
gend erforderlich.

5. Wenn sich eine Krankenkasse bisher bei der Bekämpfung des Abrechnungs-
betrugs stark engagiert hat und dazu zusätzliches Personal eingestellt hat,
konnte sie zwar Rückforderungen aus unrechtmäßig erhaltenen Honoraren,
Schadenersatz und Vertragsstrafen geltend machen. Sie hat allerdings
gleichzeitig durch den verstärkten Personaleinsatz zur Aufdeckung des Fehl-
verhaltens auch ihre Verwaltungskosten erhöht. Die von der Koalition im
GKV-Finanzierungsgesetz geplante Verwaltungskostenbudgetierung der
Krankenkassen wird u. U. dazu führen, dass Kassen ihre Ermittlungsabtei-

lungen verkleinern oder ganz abbauen. Sie könnten damit zwar die gesetz-

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lich verlangte Verwaltungskostendeckelung einhalten, gleichzeitig würden
ihnen aber die viel höheren Erträge durch die Ermittler verloren gehen.

Die Stellen zur Bekämpfung von Fehlverhalten müssen deshalb innerhalb
der sie tragenden Organisationen als Profit-Center organisiert sein. Den
Kosten der Stellen müssen ihre Erträge gegenübergestellt werden. Ein star-
kes Engagement einer Krankenkasse mit entsprechend hohen Personalkos-
ten darf nicht einseitig als Verwaltungskostensteigerung gebucht werden,
während erlöste Schadenersatzzahlungen, Vertragsstrafen, o. Ä. bei den
Leistungsausgaben gegengerechnet werden.

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