BT-Drucksache 17/3616

Waffenexporte - Kontrolle des Endverbleibs deutscher Kriegswaffen und Rüstungsgüter

Vom 3. November 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/3616
17. Wahlperiode 03. 11. 2010

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Jan van Aken, Christine Buchholz, Dr. Diether Dehm,
Andrej Hunko, Harald Koch, Stefan Liebich, Paul Schäfer (Köln), Alexander Ulrich,
Katrin Werner und der Fraktion DIE LINKE.

Waffenexporte – Kontrolle des Endverbleibs deutscher Kriegswaffen
und Rüstungsgüter

Die Bundesrepublik Deutschland ist der drittgrößte Exporteur von Kriegswaffen
und sonstigen Rüstungsgütern weltweit. Der Endverbleib der aus deutscher
Produktion stammenden Rüstungsgüter im Käuferland ist allerdings nur unzu-
reichend sichergestellt. Nach eigenen Angaben prüft und bewertet die Bundes-
regierung vor Erteilung einer Genehmigung für die Lieferungen von Rüstungs-
gütern „alle vorhandenen Informationen über den Endverbleib der betroffenen
Rüstungsgüter“ (vgl. Bundestagsdrucksache 17/2207, S. 14, Antwort zu Frage 8).
Ebenfalls vor dem Export lässt sich die Bundesregierung vom Empfänger der
Rüstungsgüter so genannte Endverbleibserklärungen ausstellen. Darin sichert
dieser zu, die betreffenden Güter nicht ohne Zustimmung der Bundesregierung
an andere Staaten weiterzuverkaufen. Jenseits der rein formalen Endverbleibs-
erklärungen verzichtet die Bundesregierung jedoch auf Überprüfungen, ob die
Waffen und Rüstungsgüter, für die sie Exportgenehmigungen erteilt hat, tatsäch-
lich im Besitz des importierenden Landes verbleiben. International gibt es höhere
Standards. Die USA z. B. haben das Blue-Lantern-Programm eingeführt, das
eine regelmäßige Berichtspflicht des Importeurs über Bestand und Verbleib bzw.
des Lizenznehmers über Produktion und Vertrieb sowie Postexportkontrollen
vor Ort vorsieht.

Neben der offensichtlichen Gefahr für Frieden und Sicherheit durch direkte Rüs-
tungsexporte besteht zusätzlich das Risiko der Weiterverbreitung durch Re-
exporte (Weiterverkauf/-gabe) oder durch Lizenzvergaben ins Ausland. Die
weltweite Verbreitung des Sturmgewehrs G3 von Heckler & Koch ist dabei das
augenfälligste Beispiel. Zwischen sieben und zehn Millionen dieser Gewehre
sind auf den Kriegsschauplätzen der Welt zu finden, unter anderem in Afghanis-
tan, Darfur (Sudan), Kurdistan, Somalia. Nur der kleinere Teil der Sturm-
gewehre wurde in Deutschland hergestellt, den größeren produzierten diverse
Lizenznehmer weltweit, zu denen Iran und Pakistan zählen. Trotz dieser drama-
tischen Verbreitung des G3 genehmigte die Bundesregierung die Vergabe von
Lizenzen zur Herstellung des Nachfolgegewehrs G36 unter anderem an Spanien
und Saudi-Arabien. Eine unkontrollierte, weltweite Verbreitung ist demnach

auch bei diesem Gewehr zu erwarten. Wie real diese Gefahr ist, belegt das Bei-
spiel Georgien: Die georgischen Streitkräfte nutzten während des russisch-geor-
gischen Krieges 2008 Sturmgewehre des Typs G36 des deutschen Rüstungs-
konzerns Heckler & Koch. Eine Exportgenehmigung für diese Gewehre nach
Georgien hat die Bundesregierung nach eigenen Angaben jedoch nicht erteilt.
Vermutlich sind die Waffen von einem Land, das sie legal bezogen hat, illegal
nach Georgien weitergegeben worden. Bis heute ist die Bundesregierung nicht

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willens oder nicht in der Lage, den illegalen Bezug dieses Sturmgewehrs durch
Georgien aufzuklären (vgl. Bundestagsdrucksachen 16/10697, 17/2589, Ant-
wort zu Frage 34, 17/2715, Antworten zu den Fragen 35 und 36).

Der Friedensauftrag des Grundgesetzes sowie das in Artikel 26 des Grundgeset-
zes formulierte Verbot mit einem Erlaubnisvorbehalt hinsichtlich der Herstel-
lung, Beförderung und Verbreitung von zur Kriegsführung bestimmten Waffen
erfordern einen besonders sorgfältigen Umgang mit Rüstungsgütern. Daraus
resultiert eine politische Verantwortung der Bundesregierung, die nicht mit der
Übergabe der Verfügungsgewalt über die Waffen und Rüstungsgüter durch den
Export endet.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie oft hat die Bundesregierung 2009 aus eigener Initiative die Einhaltung
von Endverbleibserklärungen überprüft?

2. Wie viele Ausfuhrgenehmigungen für Rüstungsgüter hat die Bundesregie-
rung im Jahr 2009 erteilt?

3. Wie viele Endverbleibserklärungen für Rüstungsgüter hat die Bundesregie-
rung 2009 verlangt?

4. Hält die Bundesregierung das derzeitige Verfahren der Endverbleibskont-
rolle für ausreichend?

a) Wenn ja, aufgrund welcher Erfahrungswerte, Analysen und Untersu-
chungen ist sie zu diesem Schluss gekommen?

b) Wenn nein, in welchen Bereichen wird Verbesserungsbedarf gesehen,
und wie und wann soll dieser umgesetzt werden?

5. Trifft es zu, dass die Bundesregierung bei der Genehmigung von Rüstungs-
exporten darauf verzichtet, sich Inspektionsrechte zur Überprüfung des Be-
standes der gelieferten Rüstungsgüter durch das Empfängerland einräumen
zu lassen?

Wenn ja, warum?

6. Trifft es zu, dass die Bundesregierung darauf verzichtet, eine Exportgeneh-
migung für Rüstungsgüter mit einer regelmäßigen Berichterstattungspflicht
des Empfängerlandes über den Bestand bzw. den Verbleib der gelieferten
Güter zu verknüpfen?

Wenn ja, warum?

7. Wie viele Ausfuhrgenehmigungen für Rüstungsexporte hat die Bundesre-
gierung seit 1999 erteilt, und in wie vielen Fällen wurde dabei eine Endver-
bleibserklärung

a) des einführenden Staates bzw. einer staatlichen Behörde,

b) des einführenden Unternehmens

verlangt (bitte jeweils nach Jahren aufschlüsseln)?

8. Aus welchen Gründen und auf welcher gesetzlichen Grundlage wurde ggf.
auf die Vorlage einer Endverbleibserklärung verzichtet?

9. Welche „weitere[n] geeignete[n] Dokumente“ (s. Bericht der Bundesregie-
rung über ihre Exportpolitik für konventionelle Rüstungsgüter im Jahre
2008 – Rüstungsexportbericht 2008 –, S. 47) lässt sich die Bundesregierung
im Einzelnen neben einer Endverbleibserklärung vom Endempfänger deut-
scher Rüstungsgüter vorlegen?
10. Welche Staaten müssen beim Bezug deutscher Rüstungsgüter solche „wei-
tere[n] geeignete[n] Dokumente“ vorlegen, und welche nicht?

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11. Welche Rüstungsexporte der vergangenen zehn Jahre hat die Bundesregie-
rung nur unter der Auflage genehmigt, dass die gelieferten Waffen in be-
stimmten Regionen des Empfängerstaates nicht verwendet werden dürfen
(bitte aufschlüsseln nach Jahr, Land, Rüstungsgut und unter Angabe der für
die Verwendung ausgeschlossenen Gebiete)?

12. Mit welchen Mitteln überprüft die Bundesregierung die Einhaltung der
Endverbleibsbestimmungen, insbesondere in dem Fall, dass ein Verdacht
auf eine nicht genehmigte Weitergabe deutscher Rüstungsgüter vorliegt?

13. Wie viele Personen sind jeweils im Bundesamt für Ausfuhrkontrolle und
anderen Behörden für die Kontrolle der Einhaltung von Endverbleibs-
bestimmungen insgesamt und wie viele davon hauptamtlich tätig?

14. Sind die deutschen Botschaften in den Empfängerstaaten, die solchen End-
verbleibsbestimmungen unterliegen, angewiesen, aktiv die Einhaltung die-
ser Bestimmungen zu überwachen?

15. Stehen die deutschen Botschaften zu diesem Zweck im Austausch mit den
jeweiligen Außenministerien bzw. mit den direkt zuständigen Stellen der
Empfängerländer?

16. In wie vielen Fällen und wie wurde seit 1999 in welchem Land vor Ort die
Einhaltung der Endverbleibserklärungen geprüft?

17. Über welche juristischen Möglichkeiten verfügt die Bundesregierung, gegen
eine Nichteinhaltung solcher Endverbleibsbestimmungen vorzugehen, und
in welchen Fällen hat sie davon Gebrauch gemacht?

18. Ist der Bundesnachrichtendienst angewiesen, aktiv die Einhaltung der End-
verbleibsbestimmungen für aus Deutschland gelieferte Rüstungsgüter zu
überwachen?

19. Wie beurteilt die Bundesregierung das Programm der USA (Blue-Lantern-
Programm) zur Kontrolle des Endverbleibs amerikanischer Rüstungsliefe-
rungen hinsichtlich des Umfangs, der Mittel und der Effizienz und insbe-
sondere im Vergleich mit der deutschen Endverbleibskontrolle?

20. Welche Elemente des Blue-Lantern-Programms könnten aus Sicht der Bun-
desregierung sinnvolle Erweiterungen der deutschen Endverbleibskontrolle
darstellen?

Reexport

21. Welche Abteilungen, Unterabteilungen bzw. Referate welcher Bundes-
ministerien sind in das Genehmigungsverfahren von Reexportanträgen
bzw. Anträgen auf den Export von im Ausland mit deutscher Lizenz her-
gestellten Rüstungsgütern involviert, und welches Bundesministerium ist
dabei federführend?

22. Wie viele Anträge für den Reexport von aus Deutschland gelieferten
Rüstungsgütern wurden im Zeitraum 1999 bis 2009

a) gestellt (bitte aufschlüsseln nach Jahr, antragstellendem Land und Ziel-
land des Reexports, Stückzahl, Rüstungsgut und Auftragswert),

b) genehmigt,

c) abgelehnt (bitte unter Angabe des Versagungsgrundes)?

23. Welche der genehmigten Reexportvorhaben wurden tatsächlich durchge-
führt?

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24. Haben die importierenden Staaten (Drittstaaten) jeweils Endverbleibserklä-
rungen gegenüber der Bundesrepublik Deutschland abgegeben?

Wenn nein, warum gibt die Bundesregierung mit der Genehmigung eines
Reexports an einen Drittstaat jedwedes Kontrollrecht über den weiteren
Verbleib auf?

25. Welche Fälle von nicht genehmigten Reexporten sind der Bundesregierung
in den vergangenen 20 Jahren bekannt geworden (bitte auflisten nach Jahr,
Exporteur, Importeur und Waffensystem)?

26. Welche Schritte hat die Bundesregierung jeweils unternommen, um gegen
den nicht genehmigten Reexport vorzugehen?

27. Hat die Bundesregierung den Export von Rüstungsgütern an Staaten geneh-
migt, die in der Vergangenheit nicht genehmigte Reexporte deutscher Rüs-
tungsgüter durchgeführt haben?

Wenn ja, wie wurden diesen Entscheidungen jeweils begründet?

28. Unter welchen Umständen und auf welcher Rechtsgrundlage bzw. welchen
bilateralen Vereinbarungen dürfen aus Deutschland gelieferte Rüstungs-
güter ohne erneute Genehmigung weiterexportiert werden?

29. Unter welchen Umständen erlischt der eigenständige Warencharakter eines
aus Deutschland gelieferten Rüstungsgutes und damit auch die Genehmi-
gungspflicht im Falle eines Weiterexports?

a) Wie viele erteilte Ausfuhrgenehmigungen bezogen sich in den letzten
zehn Jahren auf Rüstungsgüter, die im Ausland für den Einbau in andere
Rüstungsgüter bestimmt waren, und in wie vielen Fällen ist damit die
Genehmigungspflicht für den Weiterexport des aus Deutschland gelie-
ferten Rüstungsgutes erloschen (bitte nach Jahren aufschlüsseln)?

b) Welchen Anteil hatten auf diese Weise definierte Rüstungsgüter am Ge-
samtexport deutscher Rüstungsgüter in den letzten zehn Jahren (bitte
aufschlüsseln nach Jahr, Prozentanteil, Gesamtwarenwert)?

Lizenzen

30. Welche Instrumente stehen der Bundesregierung zur Verfügung, um den
Endverbleib von im Ausland mit deutscher Lizenz hergestellten Rüstungs-
gütern zu überprüfen?

31. Trifft es zu, dass die Bundesregierung darauf verzichtet, eine Genehmigung
von Lizenzvergaben für die Herstellung von Rüstungsgütern mit einer
regelmäßigen Berichterstattungspflicht des Empfängerlandes über die An-
zahl der produzierten Waffen und deren Verwendung zu verknüpfen?

Wenn ja, warum?

32. Trifft es zu, dass die Bundesregierung bei der Genehmigung von Lizenz-
vergaben für die Herstellung von Rüstungsgütern darauf verzichtet, sich
Inspektionsrechte in den entsprechenden Produktionsanlagen in den jewei-
ligen lizenznehmenden Staaten einräumen zu lassen?

Wenn ja, warum?

33. Für welche im Ausland mit deutscher Lizenz hergestellten Rüstungsgüter
wurden im Zeitraum 1999 bis 2009 Anträge zum Export an dritte Länder
gestellt (bitte auflisten nach Jahr, Antragsteller, Drittland, Waffensystem
und Wert)?

a) Welche dieser Anträge wurden von der Bundesregierung genehmigt, und

welche nicht (bitte auflisten, gegebenenfalls mit Angabe des Versa-
gungsgrundes)?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5 – Drucksache 17/3616

b) Welche Exportvorhaben wurden im Anschluss an die Genehmigung tat-
sächlich durchgeführt?

34. Haben die importierenden Drittstaaten der mit deutscher Lizenz hergestell-
ten Rüstungsgüter jeweils Endverbleibserklärungen gegenüber der Bundes-
republik Deutschland abgegeben?

Wenn nein, warum nicht?

35. Welche Fälle von nicht genehmigten Exporten von mit deutscher Lizenz im
Ausland hergestellten Rüstungsgütern sind der Bundesregierung in den ver-
gangenen 20 Jahren bekannt geworden?

36. Welche Schritte hat die Bundesregierung jeweils unternommen, um gegen
den nicht genehmigten Export vorzugehen?

37. Hat die Bundesregierung die Vergabe von Lizenzen zum Bau von Rüstungs-
gütern an Staaten genehmigt, die bereits einen nicht genehmigten Export von
mit deutscher Lizenz hergestellten Rüstungsgütern durchgeführt haben?

38. Hat die Bundesregierung den Export von Rüstungsgütern an Staaten geneh-
migt, die in der Vergangenheit in Lizenz hergestellte deutsche Rüstungs-
güter ohne Genehmigung der Bundesregierung exportiert haben?

39. Hat die Bundesregierung die Vergabe von Lizenzen zum Bau von Waffen
an Staaten genehmigt, die bereits einen nicht genehmigten Reexport von
aus Deutschland gelieferten Rüstungsgütern durchgeführt haben?

40. Welche Fälle von Exporten von mit deutscher Fertigungskooperation im
Ausland hergestellten Rüstungsgütern sind der Bundesregierung in den
vergangenen 20 Jahren bekannt geworden (bitte auflisten nach Jahr, Expor-
teur, Importeur und Waffensystem)?

Berlin, den 3. November 2010

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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